Entnommen aus Politische Berichte Nr. 10/2016

 

Mannheim: Bizarre Bieterschlacht zwischen ZF und Knorr-Bremse

„Tanz ums goldene Haldex-Kalb“

In der Fahrzeug- und Zulieferindustrie ist wieder mal das große Fressen entbrannt. Auch der relativ kleine schwedische Haldex-Konzern mit rund 500 Millionen Euro Umsatz und weltweit 2.100 Beschäftigten soll aufgekauft werden. Nur eines von vielen Beispielen, aber ein besonders krasses. In Deutschland hat Haldex ein Unternehmen in Heidelberg (bis 1998 GRAU-Bremse, ein gewerkschaftlicher Traditionsbetrieb) mit inzwischen noch rund 100 Beschäftigten. Laut Internet-Meldungen vom 4.10.2016 ist ZF tags zuvor mit seinem Ziel gescheitert, 50 Prozent der Haldex-Aktien zu erreichen. ZF wollte sich am 5.10. offiziell äußern.

 

Vorgeprescht ist Mitte Juli der LKW-Achsenhersteller SAF Holland aus Bessenbach bei Aschaffenburg mit rund 3.100 Beschäftigten und hat für den in Stockholm an der Nasdaq-Börse notierten Haldex-Konzern 442 Millionen Euro geboten. Im August warf der 40-fach größere Getriebehersteller und Stiftungskonzern ZF Friedrichshafen seinen Hut in den Ring und übertrumpfte SAF mit einem öffentlichen Übernahmeangebot von 462 Millionen Euro. SAF musste aussteigen. Anfang September ist der Weltmarktführer im Nutzfahrzeug-Bremsensektor, Knorr-Bremse AG München, eingestiegen und bot 507 Millionen Euro. Zehn Tage später zog ZF gleich. Insgesamt wurden sechs Angebote vorgelegt ….

Wo bleiben bei einer derartigen Kapitalschlacht die Haldex-Beschäftigten?

Die Beschäftigten tauchen in den Hunderten Pressenotizen zum kapitalistischen Wahnsinns-Geschacher gerade mal in einer Handvoll auf, nur am Rande. Der Haldex-Verwaltungsrat hat nebulös von „Auswirkungen auf Beschäftigung und Standorte“ gesprochen. Vorstands-Vorsitzender (CEO) Annvik hat für den Fall eines Zuschlags für Knorr eingeräumt, er habe Angst vor einer „Zerschlagung“ von Haldex und durch die Blume Arbeitsplatzverluste angedeutet. Dass er sich in der IAA öffentlich gegen Knorr gewandt hat, war von der Belegschaft in Heidelberg positiv registriert worden.

Als einzige haben „RNZ“, „Mannheimer Morgen“ und die Zeitschrift „Automobilwoche“ die Stellungnahme der IG Metall Heidelberg mit den Forderungen von Betriebsrat und IG Metall erwähnt: Sicherung bzw. Ausbau der Beschäftigung und des Standorts sowie Erhalt der Tarifbindung. Da Knorr direkter Konkurrent von Haldex ist, außerdem keine Tarifverträge hat und schon vor Jahrzehnten aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten ist, hätten IG Metall und Betriebsrat bei ZF als möglichem neuem Eigentümer „ein besseres Gefühl“, wurde Michael Seis, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall, zitiert …

Zukunft ungewiss – Belegschaft wird kämpfen müssen

Über das Stimmungsbild in Heidelberg hat der Betriebsrat am 27.9. berichtet, die Belegschaft fühle sich wieder mal als Spielball. Der Interims-Geschäftsführer vor Ort unterrichte praktisch nicht, weil er offensichtlich selbst kaum informiert sei. Kontakte zu anderen Haldex-Belegschaften in Schweden, Ungarn oder Frankreich, geschweige USA gebe es nicht bzw. seien von der Betriebs-Gewerkschaft in Schweden vor Jahren abgebrochen worden. Mit Haldex so weiter zu wursteln – trotz 2014 erreichter Beschäftigungsgarantie bis Mitte 2018 – würde aus Sicht von Betriebsrat und IG Metall allerdings auch nicht die besten Perspektiven bieten. Ausgerechnet im Jubiläums-Jahr „90 Jahre GRAU/Haldex“ waren im Dezember 2015 wieder 50 Beschäftigte per Sozialplan und Transfergesellschaft gegangen, mehrheitlich Ältere. Für die restlichen knapp 100 Beschäftigten kommt nun erneut größte Unsicherheit.

Auch bei ZF hätte es keinesfalls von vorneherein die Garantie gegeben, dass es in Heidelberg auf Dauer weitergeht. Wenn ZF es ernst meine mit „Zusammenarbeit“, „Entwicklung“ und „Zukunft“, hatten Betriebsrat und IG Metall erklärt, dann müsste ZF vor allem auch den Standort Heidelberg neu aufbauen bzw. stärken, was Entwicklung und Produktion angeht. Belegschaft und Interessenvertretung wären also auch hier gefordert. Durch die jetzige Entwicklung ist dies erst recht der Fall. „Die Wirtschafts-Woche“ schreibt am 4.10.16: „ZF-Chef Sommer hatte vergangene Woche erklärt, im Fall eines Scheiterns gäbe es mehrere Optionen. ZF könne seinen Anteil an Knorr oder umgekehrt verkaufen. Auch eine Aufteilung des Bremsenherstellers schloss er nicht aus.“ Auf Deutsch, ZF scheint nicht mal vor einer Filetierung noch davor zurückschrecken, das Unternehmen Knorr in den Rachen zu stecken.

Beim letzten Verkauf 1997/98 haben Vertrauenskörper und Betriebsrat die Lage so beschrieben: „Worum es hier geht, ist ein gnadenloser kapitalistischer Konkurrenz-, Konzentrations- und Vernichtungsprozess auf dem Nutzfahrzeug- und Zuliefersektor, bei dem die Belegschaft sich warm anziehen muss. Wer den Betrieb in Zukunft führt, wer die Eigner sind, darauf haben wir letztendlich nur wenig Einfluss. Unser vorrangiges Ziel ist eindeutig die Sicherung der Arbeitsplätze und der Arbeitsbedingungen, egal unter welchem Dach und Arbeitgeber“ (nach Presseerklärung der IG Metall Heidelberg vom 12.9.2016). Das gilt heute genauso. (mho, gekürzt übernommen aus Kommunal-Info Mannheim 20)

 

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