Entnommen aus Politische Berichte Nr. 10/2016

 

1868 Österreich

Arbeiterbildungsvereine!

Königsgrätz blieb nicht ohne Folgen. Der deutsche Militärmusiker Johann Gottfried Piefke soll nach der Niederlage der österreichischen Truppen bei Königgrätz die preußische Sieges­parade vor den Toren Wiens angeführt haben. Das monarchistische Wien war provoziert, so wird es vermutet. Tatsache ist, dass die Niederlagen bei Königsgrätz und in Italien sowie der Ausgleich mit Ungarn die Macht der Habsburger erschüttert hatten.

Endlich musste auch in Österreich das Staatsgrundgesetz Ansätze zur bürgerlichen Demokratie erfüllen. Das Bürgertum mit seiner Idee des Liberalismus errang einen wesentlichen Anteil an der Macht in Österreich. Der Arbeiterschaft konnte die Gründung von Arbeiterbildungsvereinen nicht länger verwehrt werden.

Die Regierung musste den Forderungen nach der Vereins- und Versammlungsfreiheit nachgeben.

Nach der Gewährung der Vereins- und Versammlungsfreiheit im Jahr 1867 entstanden in Wien und anderen Städten der österreichischen Reichshälfte – oftmals mithilfe der Liberalen – Arbeiterbildungsvereine, darunter der Erste Allgemeine Wiener Arbeiterbildungsverein. Am 12. Dezember 1867 fand in Wien eine Arbeiterversammlung statt, die den Beschluss fasste, einen Arbeiterbildungsverein zu gründen. Es wurde der Gumpendorfer Arbeiterbildungsverein in Wien-Mariahilf gebildet.

Bald folgten ähnliche Gründungen in allen Industrieorten und Städten.

„Der „verständnisvolle und umsichtige Geburtshelfer des Arbeiterbildungsvereins Linz“ war der aus Graz stammende Lehrer Josef Netwald. Die „Linzer Tagespost“ brachte am 15. Jänner 1868 einen Aufruf „An die Arbeiter von Linz!“ als dessen Folge dann am 5. Juli 1868 in Poschachers Bierhalle in der Rudolfstraße die Gründungsversammlung stattfand, die von 300 Arbeitern besucht und bei der 134 neue Mitglieder aufgenommen wurden. Daß die Fabrikherren damit keine Freude hatten, wurde daraus deutlich, daß in Fabriken Kleinmünchens die Plakate mit der Ankündigung „auf Befehl der Fabrikdirektoren herabgerissen“ wurden. Ein eigener Verein bildete sich am 18. Oktober 1868 für Traun und Kleinmünchen – damals eine selbständige Gemeinde. Zu Jahresende 1868 hatte der Arbeiterbildungsverein Linz und Umgebung schon 522 Mitglieder.“ (ooe.kpoe.at )

„Am 26. Juli 1868 wurde ein Zweigverein für Goisern gegründet, der zu Weihnachten 1868 schon 242 Mitglieder hatte. Allerdings wollten sich die Goiserer Arbeiter selbständig machen und gründeten im Herbst 1869 auf Anraten des ,Bauernphilosophen‘ Konrad Deubler – dieser war 1854 gemeinsam mit Franz Gassner und Dionys Heiss als Rädelsführer in einer Anklage wegen Hochverrat und Religionsstörung verurteilt worden – den ABV Goisern.“ (ooe.kpoe.at )

Die Arbeiterbildungsvereine waren erfolgreich. Die liberale Regierung musste nachgeben, angesichts der Entschlossenheit der in den Arbeiterbildungsvereinen organisierten Arbeiter. Das Verbot politischer und gewerkschaftlicher Organisationen konnte nicht mehr aufrechterhalten werden. Die Arbeiterbildungsvereine waren eine wesentliche Voraussetzung für die Organisation des erfolgreichen Kampfes gegen das Koalitionsverbot.

Am 7. April 1870 wurde das Koalitionsverbot aufgehoben, die Arbeiter waren zu stark.

Das allgemein gehaltene Koalitionsrecht ließ nun Gewerkschaften zu. Binnen kurzer Zeit nach der Aufhebung des Koalitionsverbots entstanden in Österreich Gewerkschaftsvereine.

KASTEN:

Das Lied der Arbeit ist eines der bekanntesten in Österreich heute noch gesungenen Arbeiterlieder und gilt als Hymne der österreichischen Sozialdemokratie. Die Musik stammt von Josef Scheu (1841–1904) und der Text vom Graveur Josef Zapf (1847–1902). Erstmals aufgeführt wurde das Lied der Arbeit bei einer Mitgliederversammlung des 1867 gegründeten Arbeiterbildungsvereins, die am 29. August 1868 beim Zobel stattfand. Die 3000 Besucher waren von der Darbietung des Arbeiterchores so ergriffen, dass sie aufstanden und das Lied stehend zu Ende anhörten.

BILD: (Notenblatt), 2. Und wie einst Galilei rief, / Als rings die Welt im Irrtum schlief: / Und sie bewegt sich doch! / So ruft: Die Arbeit sie erhält, / Die Arbeit, sie bewegt die Welt! / Die Arbeit hoch! Die Arbeit hoch!

KASTEN: Der Schmied Pejo

Der Schmied Pejo ist vergessen. Sein Name wurde vielleicht ein einziges Mal genannt. Und zwar in dem wohl kaum gedruckten Bericht über die Tätigkeit eines Wiener Arbeiterbildungsvereins aus dem Jahr 1894. Ist der Bericht noch aufzufinden? In einem Kellerraum, tief unter der Erde, in der Alxingergasse 18, wurden damals Lehrgänge für Erwachsene durchgeführt. Man unterrichtete Lesen und Schreiben. Der vierzigjährige Schmied Pejo meldete sich.

Von ihm wird erzählt: „Mit Tränen der Freude in den Augen buchstabierte er Flugblätter und Broschüren.“ Es gab kein Wahlrecht für ihn. Es gab keinen Achtstundentag. In vielen österreichischen Industrieorten entstehen Arbeiterbildungsvereine: Schmied Pejo las an Winterabenden, bei schlechter Beleuchtung und wenig Wärme, über das Wahlrecht und über den Achtstundentag. „Hin und wieder schrien oder pfiffen vorüberziehende Buben in den Ernst und die Begeisterung der lernenden Arbeiter recht unschön hinein.“

Daran erinnerte jemand noch fünfundzwanzig Jahre später. Das Wahlrecht wurde erkämpft. Und so der Achtstundentag. Der Vorglanz von alledem waren die Tränen der Freude in den Augen des unbeirrbar im Keller buchstabierenden Schmieds Pejo. Die bürgerliche und adelige Bürokratie trachtete, die Bestrebungen der Arbeiter nach politischer und gewerkschaftlicher Organisation zu verhindern. Arbeiterbildungsvereine durften nur Ortsvereine sein und wurden durch Polizeikommissare überwacht. Länger als 20 Jahre dauerte noch der Kampf der Arbeiter, bis auch die Verbandsbildung errungen war. Gefährlich schien der Regierung vor allem das Bekenntnis zur „Staatshilfe“ von Ferdinand Lassalle, zur sozialdemokratischen Idee. Das sozialdemokratische Bekenntnis war für Bürgertum und Adel eine Art Hochverrat.

Ein Polizeibericht aus dem Jahr 1869 besagt, dass die meisten Arbeiterbildungsvereine „sozialdemokratisch“ geworden waren. Und das trotz der Polizeikommissare und ständigen Auflösungen von Vereinen, trotz Verhaftungen. Der Organisationsdrang war so groß, dass die Arbeiter immer neue Wege zu Gründungen fanden. Nachdem es den Bürgerlichen nicht gelungen war, die Arbeiterbildungsvereine zu beeinflussen, begannen sie diese zu verfolgen.

BILD: Das Haus der Allgemeinen Arbeiter-Kranken-Unterstützungskasse Wien, Gumpendorfer Straße, wo auch der Arbeiter-Bildungsverein sein Lokal hatte.

(nach Luitpold-Stern, Gewerkschaftbroschüre, GK2, Willy Krula, 2002)

KASTEN

Erste Schritte zur Trennung von Kirche und Staat

1868 erfolgten erste Schritte zur Trennung von Kirche und Staat. Das Konkordat wurde von den Liberalen kritisiert. In den Maigesetzen hat der Staat die Kontrolle über das Schulwesen übernommen, Pius IX. hat sich darüber sehr aufgeregt, ob ihm die bald darauf zugesprochene Unfehlbarkeit ein Trost war, ist nicht bekannt. In Salzburg wurde sogar eine „katholische“ Demonstration organisiert. Geholfen hat sie auch nicht mehr. Es wurde liberaler. Es war auch notwendig, das Schulwesen zu reformieren. Die Reaktion wehrte sich gegen Reformversuch vergeblich im Abgeordnetenhaus: „Die Welt ist so beschaffen, daß nicht alle bemittelt sein können und daß derjenige, welcher nicht reich ist und alle Mittel dazu besitzt, unmöglich die höhere Bildungsstufe erreichen kann.“ (Scheipl-Seel, S.58) Im Staatsgrundgesetz von 1867 wurde es deutlich festgelegt. „Die Wissenschaft und die Lehre ist frei … Dem Staate steht rücksichtlich des gesamten Unterrichts- und Erziehungswesens das Recht der obersten Leitung und Aufsicht zu.“ (Scheipl -Seel)

Das „Schule-Kirche-Gesetz“ vom Mai 1868 legte es nochmals deutlich und gegen die Bestimmungen des Konkordates fest: „Der Unterricht in den … Lehrgegenständen in diesen Schulen ist unabhängig von dem Einflüsse jeder Kirche oder Religionsgemeinschaft.“ Ausgenommen von der staatlichen Aufsicht blieb der Religionsunterricht. Der Kirche wurde das Recht auf die Errichtung von Privatschulen zuerkannt. Ein Recht, das die katholische und die evangelische Kirche bis heute ausgiebig nützen.

Die Änderung des Eherechtes, die Ehegerichtsbarkeit wird „weltlichen Gerichten“ unterstellt, erfolgte ebenso im Jahr 1868, dies war auch ein direkter Bruch des Konkordats.

Augustin Kargl, Steiermark

Literatur: Fritz Klenner, Die Österreichischen Gewerkschaften, 1951, Verlag ÖGB. • Josef Scheipl Helmut Seel, Die Entwicklung des österreichischen Schulwesens,1985, Leykam Graz • Karl Ucakar, Demokratie und Wahlrecht in Österreich, 1985, Verlag für Gesellschaftskritik • Broschüren zur Geschichte der Arbeiterbewegung des ÖGB, Wien • Hinteregger, Müller, Staudinger, Auf dem Weg in die Freiheit, 1984, Leykam Graz • Julius Deutsch, Geschichte der Österreichischen Arbeiterbewegung, 1947, Wien Volksbuchhandlung

Leseempfehlungen „Das Gemeindekind“ von Marie von Ebner-Eschenbach – „Die Waffen nieder!“ von Berta von Suttner

Auch in die bürgerliche Gesellschaftsschicht ist die neue Perspektive vorgedrungen: Der 1866 erschienene Roman Das Gemeindekind von Marie von Ebner-Eschen­bach spielt im mährischen Teil von Großösterreich. Die Autorin, 1830 auf deutsch-tschechischem Grenzgebiet als Mitglied des Hochadels geboren, erzählt von den Umständen, vom nötigen Glück sowie vom eigenen Weg zur Verantwortlichkeit fürs eigene Leben – Kategorien des Sozialen, die neu waren.

Von ganz unten kam er, der Bub Pavel: der Vater gehenkt, die Mutter im Zuchthaus, die Schwester verloren an die Baronin – und er eine Last der Gemeinde, die ihn an einen Trunkenbold loswird und fortan keine der Pflichten dem „Gemeindekind“ gegenüber erfüllt. Es gibt nichts, was an Schlechtem im Dorf geschieht, das nicht der Pavel, das zerlumpte Gemeindekind getan hat. Der Volkswille ist sich sicher in seinem Urteil, und der Bub – stur und voller Hass – tut alles, um ihm Bestätigung zu geben. Gegen diese für alle feststehende Karriere zum Taugenichts und Dieb steuern nur der Lehrer und die spät erlaubte Begegnungen mit seiner ins Kloster verbrachten Schwester, die ihn mahnt, brav zu werden – was denn auch gelingt. Den Lehrer lässt Ebner-Eschenbach die Irritation, die ins bürgerliche Lager gekommen ist, denn auch ausdrücken: „In früheren Zeiten konnte einer ruhig vor seinem vollen Teller sitzen und sich’s schmecken lassen, ohne sich darum zu kümmern, dass der Teller seines Nachbars leer war. Das geht jetzt nicht mehr, außer bei den geistig völlig Blinden. Allen übrigen wird der leere Teller des Nachbars den Appetit verderben – dem Braven aus Rechtsgefühl, dem Feigen aus Angst“, erkennt der Lehrer nach bitteren Erfahrungen.

Dass Hunger und gewaltsamer Tod, die Leiden und das Elend des Krieges von den Angehörigen der oberen Schichten nicht mehr als notwendiger Tribut an die Stärke der k.u.k. Monarchie akzeptiert werden, wird in dem 1889 erschienenen Roman Die Waffen nieder von Berta-von-Suttner mit großem missionarischen Eifer in die Welt gerufen. Er ist ein Antikriegs-Epos, der in der Zeit der nationalistischen Rivalitäten und der stetigen militärischen Aufrüstung, den Frieden und die Völkerverständigung mittels Konventionen einfordert. Der Roman war dann der Bestseller des 19.Jahrhunderts – u.a. durch Abdruck im „Vorwärts“. Ganz oben in der Gesellschaft ist Martha, Tochter in monarchistischem Militärhaushalt, der schmucke Husar wird geehelicht – Zweifel kommen auf, als er im ersten Kriegseinsatz (1858/59 Österreich unterliegt Italien; die Schlacht von Solferino 1859 wird für Henri Dunant zum Ausgangspunkt der Gründung des Roten Kreuzes, die erste Genfer Konvention ist von 1864) stirbt. Bis zum preußischen Sieg über Österreich 1866 und dem Sieg Preußens über Frankreich 1871 spielt der Roman Dialoge und Argumentationen durch, die die Risse in der Systemarchitektur der damaligen Gesellschaft hineinverlegt in die Familie. Der zweite Ehemann wird sich von der militärischen Karriere verabschieden und der Friedensforschung widmen. Berta-von-Suttner erhielt 1905 den Friedensnobelpreis, sie starb im Juni 1914, kurz vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges.

Beide Werke sind im Projekt Gutenberg http://gutenberg.spiegel.de/ unter dem Namen der Autorinnen zur finden. Die Daten können mithilfe der Webseite http://www.epub2go.eu/ unschwer in das ePUB-Format gewandelt und für das eigene Lesegerät heruntergeladen werden. Vignetten aus den Namenseinträgen bei Wikipedia.

Eva Detscher, Karlsruhe

 

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