Nur-Text, aus:  Politische Berichte Nr. 11/2016 – KLICK zur PDF-Ansicht

 

s07 US-Wahlen - Trend zur Ermächtigung – ist die Linke hilflos?

Verlauf und Ausgang der US-Wahlkampagne zwingen die politischen Strategiediskussionen – nicht nur der Linken – auf neue Bahnen. Ein Trend, der in allen reifen Industriegesellschaften wirkt, ist in den USA zur politischen bestimmenden Macht geworden. Die neue politische Konfiguration entsteht nicht als Bündnis politischer Gewalt mit großem Geld. Sie installiert sich nicht per Putsch, Machtergreifung, Machterschleichung. Im Wahlakt treffen sich Wähler, die Unerfüllbares erhoffen, mit Kandidaten, die Unmögliches versprechen. Im Diskurs, in den Meinungsbildungsprozessen um Kandidatenauswahl, Wahlkampf oder auch Volksentscheidskampagnen geht es um Willensakte, und in der Welt der Gedanken ist alles möglich. Die Konfrontation des strahlend ermächtigten politischen Willens mit dem politischen Rahmen, der Verfassung und letztlich mit der Realität der Finanzierung ereignet sich danach, bei der Erledigung der Staatsgeschäfte, in der Sphäre des Regierens und Verwaltens. Willensbildung ist blitzschnell möglich, die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten braucht als Kooperationsprozess von öffentlicher Hand und Publikum Zeit, besonders Veränderungen verlaufen langwierig und nicht reibungslos. Wenn die neue Führung Unerfüllbares versprochen hat, wird das nicht schnell offenbar. Anhänger und Führung werden nicht geneigt sein, auftretende Hindernisse eigenen Unzulänglichkeiten zuzuschreiben. Sie werden versuchen, einen Feind auszumachen, der aus dem Weg geräumt werden muss. Diese Entwicklung ist in den vorlaufenden Meinungsbildungsprozessen angelegt, in denen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, man kann schon sagen, zelebriert wird. Viele Leute traten und treten gegen solche Provokationen auf. Aber das reichte nicht aus, um den Ballungsprozess der neuen Konfiguration von Stimmvolk und Macht zu zerstreuen. Wenn es jetzt in den USA ans Regieren geht, wird es dauern, bis zweifelsfrei klar wird, ob die neu konfigurierte politische Macht durch den Rahmen der Verfassung gebannt und geformt wird oder ob sie sich anschickt, diesen zu zerstören. Es ist zu befürchten, dass die Berufung auf Recht und Verfassung die autoritären, machtbetonten Auffassungen in der öffentlichen Meinung nicht stark beeindrucken werden.

Was wirken kann sind Bespiele produktiven Zusammenlebens, gelingender Kooperation der Verschiedenen. So haben in Deutschland die Gewerkschaften und Betriebsräte gegen die ersten Aufwallungen von Fremdenfeindlichkeit mit dem Gegenmodell der Solidarität gekontert, und so sehen wir heute in vielen, vielen Kommunen ein gesellschaftlich rühriges und wirksames Zusammenspiel von öffentlicher Hand, Ehrenamt, Vereinen, Verbänden, Religionsgemeinschaften, das zivilgesellschaftliche Kooperation stützt. Das praktische Potential für derartiges Engagement ist riesig, kann aber politisch nicht so recht gegen die neue autoritäre Politik aktiviert werden.

Hinderlich sind tiefliegende Gewohnheiten des Argumentierens. Auch die linke Kritik operiert mit der Vermutung, vdass durch das Medium der Macht den Bedürftigen alles Nötige zuteilwerden könne. Emanzipation als Lebensgestaltung und Resultat von Selbsttätigkeit und Selbstorganisation gerät dabei aus dem Blick. Die fatale Folge ist, dass die internationale Bewegung der arbeitenden Klassen als politischer Kraftquell nicht erkannt wird. Denn der Mechanismus der Zuteilung durch den Staat erfolgt im Nationalstaat auf dem Wege von Wahlen und Gesetzgebung.

Die USA sind nach wie vor die Gesellschaft, in der sich typische Problemlagen künftiger Entwicklung zuerst zeigen. So zum Beispiel der Pluralismus der Religionen, der Varianten der Lebensgestaltung und verfestigter kultureller Differenzen. Gleichzeitig existiert in dieser Gesellschaft ein entwickeltes System von Checks und Balances sowie der horizontalen Gewaltenteilung. Die Möglichkeiten der Bundesstaaten und in ihnen der Kommunen sind erheblich. Dauernd wird irgendwo gewählt. Fast immer nach dem Persönlichkeitswahlrecht. Wie wird die menschenrechtlich orientierte Zivilgesellschaft auf diesem Feld mit dem modernen Autoritarismus fertigt?

Zwei Dinge müssen zusammenkommen, um die Mehrheit wieder zu verschieben: Es braucht gute Beispiele gelingenden Zusammenlebens, und es braucht Kandidaten, die politische Ideen vortragen, die sich zur Erledigung von öffentlichen Aufgaben, das heißt zum Regieren eignen.

Wir haben in dieser Zeitschrift nun schon seit längerem regelmäßig über den Beitrag der internationalen Gewerkschaftsbewegung zu sozialer Befreiung berichtet. Diese Nachrichten können intuitiv aus der Situation der Lohnabhängigkeit heraus verstanden werden. Die neue Lage fordert mehr: Wir sollten versuchen, der Entstehung und Durchsetzung von politischen Ideen, die Lebensgestaltung und Kooperation als Programme nicht machtversessenen, sondern demokratisch zurückhaltenden Regierens begreifen, Aufmerksamkeit zu widmen.

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Redaktion der Politischen Berichte

BILD

Übersetzung der Bildunterschrift: „In Cleveland geschieht etwas Wichtiges: ein neues Modell von belegschaftseigenen und genossenschaftlichen Unternehmens ist zu einem ernsthaften Faktor geworden in einer der am dramatischsten von dem wirtschaftlichen Einschlag betroffenen Teil des Landes. Mehr kann man erfahren über die Zusammenarbeit von Nachbarschaften von Geringverdienern, Ankereinrichtungen, Gemeinschaftsunternehmen und lokaler Regierung unter: community-wealth.org/cleveland.“ (Näheres zu dem genossenschaftlichen Projekt in ArGe-Rundbrief 17/2016). Jedenfalls hat sich das Experiment auf die Wahlen nicht negativ ausgewirkt: Während Ohio insgesamt von Obama zu Trump wechselte, konnten sich die Demokraten im Bezirk um Cleveland halten.

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