Nur-Text, aus:  Politische Berichte Nr. 11/2016 – KLICK zur PDF-Ansicht

 

s16 Arbeitsstandards in Handelsverträgen

m01 Kasten: Rat billigt Abkommen für den Fischereisektor

m02 KASTEN Dokumentiert: ILO Kernarbeitsnormen

Am 6. Dezember werden die Internationale Arbeitsorganisation ILO und die Europäische Kommission im Gebäude des Wirtschafts- und Sozialausschusses eine Konferenz durchführen, die nach den Möglichkeiten der Implementierung von Arbeitsstandards in Internationalen Handelsverträgen fragt und, basierend auf zwei Untersuchungen zu diesem Gegenstand, eine Bestandsaufnahme versucht.1 Der Titel der Veranstaltung lautet: Arbeitsstandards in Handelsverträgen: Design, Implementierung und Beteiligung der Stakeholder. Der Titel zeigt schön die Momente, die bei der Betrachtung des Gegenstandes ins Spiel kommen (Verträge; Aushandlung der Gegenstände; Implementierung; Beteiligung der Verschiedenen). Vor dem Hintergrund der arbeitsteiligen Weltwirtschaft und der Kritik an Ausbeutungspraktiken (nicht nur) der großen Konzerne, hat sich in den letzten wohl zwanzig Jahren eine Diskussion um Arbeiterrechte und Arbeitsstandards entwickelt, die zu verschiedenen institutionellen Arrangements geführt hat. Dies sind unter anderem Internationale Rahmenvereinbarungen mit Konzernen, Arbeitsstandards in Handelsverträgen, Vereinbarungen von Europäischen Betriebsräten aber auch Klagen vor Gerichten.

Neben der sehr generellen, oft eher gefühlten Kritik, es handele sich hier lediglich um Feigenblätter, hinter denen der Raubbau an Mensch und Umwelt munter weitergehe, greift die (linke) Kritik an der arbeitsteiligen Weltwirtschaft erstens auf Fakten zurück, wie etwa die Unterminierung bestehender ökonomischer Strukturen in Drittweltländern, kritisiert ungleichen Tausch und Ausbeutungspraktiken (nicht nur) in transnationalen Konzernen. Sie liefert zweitens Interpretationen und Schlüsse bezüglich der Funktionsweisen und der nötigen politischen Gestaltung. Der zweite Teil ist häufig schwach, weil er die Widersprüchlichkeit, besser Vielschichtigkeit des oben skizzierten Vorgangs nicht sieht.2

Schon ein schneller historischer Blick auf die Funktionen die Handel auch hatte und hat, zeigt deutlich, wie in Phasen der politischen und religiösen Kämpfe und einhergehender Sprachlosigkeit, Handel zu Land und zu Wasser Austausch (Waren und Wissen) und friedliche Kooperation ermöglichten. So zogen sich die christlichen Kaufleute des Mittelalters die Kritik der Kirche aufgrund ihres Handels mit den Ungläubigen auf sich, der immer auch den Kontakt mit einer anderen Kultur und den Import der fremden Kulturgüter im weiteren Sinne bedeutete.3 Diesen Aspekt der internationalen Arbeitsbeziehungen übersieht die vorgetragene Kritik häufig.

Ein zweiter Aspekt, der in der Kritik verneint wird, sind die Veränderungen in den Aushandlungsprozessen. Tatsächlich hat sich in den letzten Jahrzehnten und wohl vor allem gegründet auf die Existenz und die Arbeit der ILO eine vielschichtige Praxis entwickelt, Beschäftigtenrechte einzufordern, ungleichen Handel oder üble Ausbeutungsformen zu skandalisieren und Instrumente zur Eindämmung zu etablieren. Ohne die einzelnen Instrumente hier glorifizieren zu wollen, muss man doch ihre Existenz und vor allem die politischen Aushandlungsformen, die sich darum herum gebildet haben wahrnehmen. In diesem Zusammenhang ist auch einer der von der ILO vorgelegten Berichte von Interesse.4 Hier sollen kurz einige Aussagen der Untersuchung der ILO vorgestellt werden.

Der Bericht wertet 260 Handelsverträge zwischen 102 Ländern aus, von denen 71 Labour Standards beinhalten. Zusätzlich wurden Fallstudien durchgeführt und wissenschaftliche Literatur zum Gegenstand ausgewertet. In der Publikation werden das Design der Verträge, die Art und Weise ihrer Umsetzung, Könfliktlösungsmechanismen und Wirkungen vorgestellt. Der Bericht zielt auf ein besseres Verständnis darüber, ob Arbeitsstandards wirklich dazu führen, gute Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, die Kooperation im Betrieb zu fördern und tatsächlich eine Beteiligung der Sozialpartner und der Öffentlichkeit bewirken.

Die Autoren halten fest, dass heute ein Viertel des Handels, der im Rahmen von bilateralen und multilateralen Handelverträgen stattfindet, unter Verträge fällt, die Arbeitsstandards beinhalten. Mehr als die Hälfte der Verträge mit Arbeitsstandards sind nach 2008 in Kraft getreten. Bis Mitte der 90er Jahre waren diese Bestimmungen praktisch nicht existent. 72% der Vereinbarungen zu Arbeitsstandards beziehen sich auf die ILO-Instrumente. Die meisten beinhalten rechtlich verbindliche Verpflichtungen zu fundamentalen Rechten am Arbeitsplatz, Arbeitsbedingungen und Mechanismen zur Konfliktregulierung.

Zwar sehen die Autoren Belege dafür, dass internationaler Handel Ungleichheiten auch verstärken kann, sie halten aber fest, dass Arbeitsstandards in Handelsverträgen tatsächlich eine Möglichkeit darstellen, Wachstum zu steigern, Kosten zu reduzieren und Ungleichheiten zu minimieren. Auf jeden Fall würden die Arbeitsstandards zu keiner Verschiebung oder Minimierung von Handelsströmen führen. Die Implementierung und die echten Wirkungen der Vereinbarungen seien nicht einfach einzuschätzen. Gleichwohl werden Beispiele dargestellt, welche Wirkung die Implementierung der Vereinbarungen in einzelnen Ländern hatte.

Der Bericht hält zum Beispiel fest, dass eine Vereinbarung zwischen Kambodscha und den USA in der Textilindustrie wesentlich auf der betrieblichen Ebene wirkte. Genannt werden eine Erhöhung der Löhne, die Reduzierung der Einkommensungleichheit zwischen den Geschlechtern und eine Stärkung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit. In der Dominikanischen Republik führte ein Abkommen zur Stärkung der Institutionen, die die Durchsetzung bestehender Rechte in der Praxis gewährleisten sollen – Ausbildung für Gewerkschafter und Arbeitsinspektoren; Kapazitätsaufbau in den zuständigen Ministerien; Ratifizierung verschiedener ILO Abkommen.

Als entscheidend für eine wirksame Implementierung sehen es die Autoren an, die verschiedenen Beteiligten aktiv zu beteiligen, vor allem Arbeitgeber(verbände) und Gewerkschaften. Interessant sind hier die unterschiedlichen Konzepte der USA und der EU. Währen die USA auf beratende Ausschüsse auf freiwilliger Basis setzt, fokussiert die EU auf verbindliche Beratungsausschüsse und ebenfalls die Verpflichtung, institutionelle Mechanismen einzurichten, einschließlich der Beratung mit der Zivilgesellschaft. Festgehalten wird in diesem Zusammenhang aber auch eine weitgehende Nichtnutzung der Konfliktregulierungsmechanismen. Gleichwohl, die doch schnelle Verbreitung des Instruments Aufnahme von Arbeitsstandards in Handelsverträge und die damit einhergehende Anerkennung des Gegenstandes sowie die Bezüge zu den ILO Konventionen bilden eine Basis für weltweite Mindestnormen für die Arbeitsbedingungen. Die aktuellen kritischen Debatten um internationalen Handel und Handelsverträge könnten dies durchaus positiv aufnehmen.  Rolf Gehring, Brüssel

1 http://www.ilo.org/brussels/meetings-and-events/WCMS_534288/lang--en/index.htm

2 Ein häufig zitierter Ansatz, der Gesellschaft als einen polarisierten Zustand beschreibt, ist die Analyse des englischen Soziologen Colin Crouch, der eine tendenzielle Entdemokratisierung durch den Durchgriff der großen Konzerne und ihrer Lobbyapparte auf die gesellschaftlichen Subsysteme, insbesondere die Politik diagnostiziert. Buchtitel: Postdemokratie; Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus: Postdemokratie II)

3  Jaques Le Goff: Kaufleute und Bankiers im Mittelalter; Wagenbach 2005

4  http://www.ilo.org/global/publications/books/WCMS_498944/lang--de/index.htm – Englisch

M01

Kasten: Rat billigt Abkommen für den Fischereisektor

Am 13.10.16 billigte der Ministerrat eine Richtlinie, durch die eine Branchenvereinbarung der Europäischen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften des Seefischereisektors (COGECA, ETF, Europêche) rechtswirksam wird, also in eine europäische Richtlinie umgewandelt wird. Damit wird inhaltlich das Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über die Arbeit im Fischereisektor von 2007 in der EU konkretisiert und praktisch angewandt. Die Vereinbarung wird potentiell bessere Arbeitsbedingungen für Fischer auf europäischen Schiffen gewährleisten. Die materiellen Bestimmungen der Richtlinie gelten auch außerhalb der Unionsgewässer. Die Richtlinie enthält Mindestanforderungen hinsichtlich Arbeits- und Ruhezeiten für Seefischer, Dienstbedingungen, Arbeitssicherheit, Schutz bei Berufskrankheiten, Verfahren bei Unfällen oder Todesfällen, medizinische Versorgung an Bord, Bezahlung der Fischer sowie Unterkunft und Verpflegung. Dies ist in diesem Jahr die zweite gesetzgeberische Initiative auf EU-Ebene (im Mai hat die Kommission einen Liste von 13 chemischen Stoffen/Grenzwerten für eine Revision der Richtlinie zu krebserregenden und mutagenen Arbeitsstoffen vorgelegt), die den europäischen Rechtsrahmen im Bereich des Arbeitsschutzes ausbaut. Die vielfach geäusserte Meinung, das REFIT-Programm der europäischen Kommission zur Rechtsvereinfachung (Deregulierung) führe zu einem Abbau des europäischen Arbeitsschutzniveaus und lasse keine neuen Rechtsinitiativen mehr zu, erweist sich als Fehleinschätzung. Zwar weigert sich die Europäische Kommission weiterhin eine europäische Sozialpartnervereinbarung für den Friseursektor (Hautschutz) in eine europäische Richtlinie umzuwandeln, aber die beiden jetzt gestarteten Rechtsetzungsprozesse zeigen, dass in Bereichen, in denen die öffentliche Meinung auf Änderungen drängt und starke Aufmerksamkeit herrscht, positive Änderungen doch möglich sind.

M02

KASTEN Dokumentiert: ILO Kernarbeitsnormen

Die Grundprinzipien der ILO

Vier Grundprinzipien bestimmen Selbstverständnis und Handeln der ILO:

– Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen

– Beseitigung der Zwangsarbeit

– Abschaffung der Kinderarbeit

– Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf

Diese Grundprinzipien haben in acht Übereinkommen (Ü), die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden, ihre konkrete Ausgestaltung erfahren:

• Ü 87 Vereinigungsfreiheit und Schutz des Vereinigungsrechtes, 1948

• Ü 98Vereinigungsrecht und Recht zu Kollektivverhandlungen, 1949

• Ü 29 Zwangsarbeit, 1930 und Protokoll von 2014 zum Übereinkommen zur Zwangsarbeit, 1930

Ü 105Abschaffung der Zwangsarbeit, 1957

Ü 100 – Gleichheit des Entgelts, 1951

Ü 111 – Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf), 1958

Ü 138 Mindestalter, 1973

Ü 182 – Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, 1999

Die vier Grundprinzipien beschränken sich allerdings nicht auf die acht Kernarbeitnormen; als tragende Orientierungs- und Handlungsmaximen der ILO durchziehen sie eine Vielzahl anderer Übereinkommen und Empfehlungen.

Die ILO-Erklärung über grundlegende Rechte bei der Arbeit (1998)

Die ILO-Kernarbeitsnormen haben im Juni 1998 eine besondere politische Aufwertung erfahren, als die „Erklärung über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit“ auf der 86. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz ohne Gegenstimme angenommen wurde. Damit bekennen sich alle Mitgliedstaaten der Organisation ausdrücklich zu den Kernarbeitsnormen. Die Erklärung beginnt mit einer eindeutigen Positionsbestimmung. Sie betont (…)

„dass die Gründung der ILO in der Überzeugung erfolgte, dass soziale Gerechtigkeit eine wesentliche Voraussetzung für einen dauerhaften Weltfrieden ist; dass wirtschaftliches Wachstum wesentlich ist, aber nicht ausreicht, um Gerechtigkeit, sozialen Fortschritt und die Beseitigung von Armut zu gewährleisten; dass die ILO dafür sorgen muss, dass im Rahmen einer globalen Strategie für wirtschaftliche und soziale Entwicklung sich die Wirtschafts- und Sozialpolitiken gegenseitig verstärken, damit eine breit angelegte dauerhafte Entwicklung geschaffen wird.“

(…)

Der Erfolg blieb nicht aus. Bislang haben über 138 ILO-Mitgliedsstaaten alle Kernübereinkommen ratifiziert. Zu ihnen gehört auch Deutschland.

Bei dem 1999 verabschiedeten Übereinkommen zur Kinderarbeit (Ü 182), das den Kernübereinkommen zugerechnet wird, ist die Intensität des Ratifizierungsgeschehens in der Geschichte der ILO ohne Beispiel. Bisher haben mehr als 179 Mitgliedsstaaten dieses Übereinkommen ratifiziert.

Kein Instrument des Protektionismus

Die Erklärung ist als Appell an die Mitgliedstaaten der ILO und an die Organisation selbst zu verstehen. Sie will ermutigen, fördern, Handlungsimpulse geben. Sanktionsmöglichkeiten können aus ihr nicht abgeleitet werden. In der Erklärung wird vielmehr hervorgehoben, dass die Normen der ILO, die Erklärung selbst und ihre Folgemaßnahmen nicht für handelsprotektionistische Zwecke verwendet werden dürfen. Diese eindeutige Feststellung war eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass die feierliche Erklärung ohne Gegenstimme angenommen wurde …

http://www.ilo.org/berlin/arbeits-und-standards/kernarbeitsnormen/lang--de/index.htm

 

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