Text ausPolitische Berichte Nr. 1/2017 - Link zum PDF
s11 Keine verdeckte Ermittlerin ist legal
„Da wird ein Grundvertrauen in andere Menschen angegriffen“. Interview mit Christiane Schneider
Nach obenIn drei Prozessen hat Hamburgs Polizei eingeräumt, dass zwei Einsätze verdeckter Ermittlerinnen rechtswidrig waren
„Durch die schnelle Anerkennung ist eine inhaltliche Aufarbeitung jetzt nicht mehr möglich“, so Gerrit Onken, auf einer mäßig besuchten Pressekonferenz am 29. November. Onken vertritt als Anwalt eine anonymbleibenwollende unmittelbar Betroffene, die vor dem Verwaltungsgericht Hamburg im August Klage eingereicht hat: Auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Einsatzes der verdeckten Ermittlerin, VE, Maria B., die im Rahmen ihrer verdeckten Ermittlungen von 2008 bis 2012 in der linken Szene eine dreijährige Beziehung mit der Klagenden eingegangen war. Es habe sich im Rückblick um ein „einseitiges Freundschaftsverhältnis“ gehandelt – die Klagende sieht sich „in ihrer Intimsphäre, in ihrem Persönlichkeitsrecht, in ihrer informationellen Selbstbestimmung massiv verletzt“, erklärte Onken. Maria B. sei in der Wohnung der Klägerin ein- und ausgegangen, habe durch sie Zugang zu politischen Gruppierungen und Freundeskreisen bekommen, sie hätten gemeinsam für antirassistische Gruppen Flüge gebucht, wodurch die VE umfangreiche Personaldaten erhalten habe. Ihr Vertrauen, ihre Zuneigung wurde ausgenutzt. Die Folge, so Onken, seien eine „emotionale Verwüstung“.
Ende November machte das Anwaltsbüro Schulterblatt 36 gemeinsam mit Christiane Schneider, Bürgerschaftsabgeordneter der Linken, dem Radiosender FSK und dem Arbeitskreis verdeckte Ermittlungen abschaffen die Anerkennung der Rechtswidrigkeit des Einsatzes der VE Maria B. auf einer Pressekonferenz öffentlich. Die mediale Resonanz war gering, die großen Hamburger Medien berichteten allenfalls mit Kurzmeldungen.
Die Polizei gab mit ihrem Eingeständnis, dass der gesamte Einsatz der VE Maria B. rechtswidrig gewesen sei, zwar der Klägerin formal Recht. Während die Klägerin aber an einer Aufarbeitung des konkreten Einsatzes interessiert war, an einer Benennung der Verantwortlichen, an einer Offenlegung der Akten und der – nicht nur über sie – gesammelten Daten, erreichte die Polizei mit ihrem Eingeständnis, dass eine detaillierte juristische Aufarbeitung vor dem Verwaltungsgericht nicht mehr stattfinden wird. Der Klägerin bleibt nur noch, auf Schmerzensgeld zu klagen, die Berichte, welche Maria B. über sie und aufgrund ihrer Informationen geschrieben hat, wird sie nie zu sehen bekommen. Das Ausmaß der Verletzung der Privatsphäre bleibt ungeklärt.
Zwei Wochen zuvor, Mitte November, war bekannt geworden, dass Hamburgs Polizei auch in einem Prozess gegen den Einsatz der VE Iris P. die Rechtwidrigkeit des gesamten Einsatzes von 2001 bis 2006 eingeräumt hatte. Auch hier hatte eine ehemalige Beziehungspartnerin geklagt: Iris P. habe ihren Computer genutzt, durch sie Zugang zu Veranstaltungen der queeren Szene bekommen. Die Klägerin schilderte, sie habe die VE auf zahlreiche politische Veranstaltungen mitgenommen, auf Bitten der VE auf Demonstrationen fotografiert und der VE Iris P. Speicherkarten mit Fotos überlassen. Dreimal verbrachten sie gemeinsam Urlaube auf Ibiza und Mallorca, ebenso die Freizeit in Hamburg. In diesem Verfahren hatte das Justiziariat der Polizeiführung zuerst abgestritten, dass es überhaupt eine Beziehung gegeben habe. Der hundertprozentige Umschwung hin zum Eingeständnis der Rechtswidrigkeit erfolgte hier wie im zweiten Prozess gegen den Einsatz der VE Iris P. im Juli.
Im zweiten Prozess hatte der Radiosender FSK gegen den Eingriff in die Pressefreiheit und den Quellenschutz geklagt: Die VE Iris P. schleuste sich im Rahmen ihres Auftrages als Redakteurin in verschiedene Radioredaktionsgruppen ein, führte Interviews, moderierte Sendungen. Folge des Eingeständnisses der Polizei war auch hier ein schnelles Prozessende ohne juristische Aufarbeitung der konkreten und massiven Rechtsverstöße. Die pauschale und folgenlose Erklärung der Rechtswidrigkeit der kompletten Einsätze ist einfach möglich durch ein Urteil des BVG vom 20. April: Darin wurde festgelegt, dass anders als im Bundeskriminalamtsgesetz festgelegt, für den Einsatz von VE nicht nur die Zustimmung der Staatsanwaltschaft, sondern eine richterliche Genehmigung nötig sei.
Hamburgs Senat und rotgrüne Koalition beeilten sich diese Vorgabe zu übernehmen. Das Landesgesetz zur Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG) wurde im Juli entsprechend geändert.
„ Mit der schnellen Neuregelung bleibt die Möglichkeit erhalten“, so Hamburgs Innensenator Andy Grote, SPD, „ein wichtiges Instrument zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung und der Abwehr von bestimmten Gefahren weiter einzusetzen.“ Während Hamburgs Justizsenator Till Steffen von den Grünen „die verfassungskonforme Absicherung durch einen Richtervorbehalt“ beim Einsatz von VE als neue Rechtssicherheit lobte, blieb der Abgeordnete und Innenexperte der oppositionellen CDU gelassen: „Es hätte keinen verdeckten Ermittler weniger gegeben“, so Dennis Gladiator, „wenn der Richtervorbehalt schon früher existiert hätte, weil die Anlässe immer überzeugend sind“.
So realistisch dies klingt, so gab die Gesetzesänderung Hamburgs Polizeiführung und der Staatsschutz beim LKA aber doch die Möglichkeit, sich einer juristischen Aufarbeitung der Rechtsverstöße bei den Verdeckten Ermittlungen von Iris P. und Maria B. zu entziehen. Im Fall der dritten nachträglich von Recherchegruppen aus dem Umfeld der bespitzelten Roten Flora enttarnten VE Astrid O. gibt es noch keine Klage. Aber auch hier ist es wahrscheinlich, dass sich Hamburgs Polizei einer juristischen Offenlegung und Aufarbeitung entziehen wird.
Radikale Linke rechnen damit, dass das operative Geschäft derweil weiterläuft: „Wir gehen davon aus, dass auch derzeitig mehrere Angehörige der Polizei in unseren Strukturen ermitteln“, so Stefan vom Arbeitskreis Verdeckte Ermittlungen abschaffen: „insbesondere bei großen Gipfeln wie jetzt dem OSZE und dem G 20“. Gaston Kirsche, Hamburg
Nach oben„Da wird ein Grundvertrauen in andere Menschen angegriffen“
Interview mit Christiane Schneider, Innen-, flüchtlings- und verfassungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft
Du forderst die Einrichtung einer unabhängigen Polizeikommission – was würde die an Kontrolle bringen? – Solche Kommissionen gibt es in der einen oder anderen Form, mehr oder weniger unabhängig, mit mehr oder weniger Kompetenzen ausgestattet, in vielen Ländern. In Deutschland zeigen alle Statistiken, dass Anzeigen gegen PolizistInnen bundesweit bis auf ganz weniger Ausnahmen erfolglos sind. Viele Menschen schrecken sogar davor zurück, PolizistInnen anzuzeigen, weil sie kein Vertrauen in die Ermittlungsbehörden haben und nach meiner Erfahrung praktisch immer mit einer Gegenanzeige rechnen müssen. Meist werden Ermittlungen ganz früh eingestellt, die Verurteilungsquote strebt gegen Null. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die ermittelnden Behörden auf gute Zusammenarbeit angewiesen sind und harten Konflikten untereinander eher aus dem Weg gehen. Deshalb muss es eine von der Polizei unabhängige Kommission oder Beschwerdestelle mit eigenen Ermittlungsbefugnissen geben, die auch strafrechtlich relevantes Handeln erfasst, die aber auch unterhalb dieser Schwelle tätig wird und Beschwerden nachgeht, Sachverhalte aufklärt, Konflikte erkennt und behandelt. Diese Kommission oder Beschwerdestelle muss ausreichend mit Personal und Sachmitteln ausgestattet sein.
Du forderst auch eine Beendigung des Einsatzes von Verdeckten Ermittlungen in linken Gruppierungen? – Ja, denn bei verdeckten Ermittlungen geht es ja keineswegs nur, wie die drei Fälle enttarnter Ermittlerinnen in Hamburg sehr deutlich machen, um passives Spitzeln. Der Staat, die Polizei greift vielmehr aktiv, lenkend und manipulierend in die politische Meinungs- und Willensbildung von Menschen ein. Betroffen sind auch nicht nur Zielpersonen strafrechtlicher Ermittlungen, sondern unzählige Menschen, die sich an bestimmten Orten zusammenkommen, etwa der Roten Flora, sich in bestimmten Zusammenhängen bewegen, wie in Strukturen der Flüchtlingssolidarität, sich für bestimmte politische Themen interessieren. Im Fall Astrid B. hat die Beamtin sich sogar monatelang in einem selbstverwalteten Jugendzentrum herumgetrieben, nur um ihre Legende aufzubauen. Das alles halte ich für inakzeptabel. Die Polizei ermittelt nach Angaben der Innenbehörde in Vergangenheit und Gegenwart nicht in rechten Strukturen, weil es da um Saufen und Straftaten gehe, das wolle man für die eigenen Beamten nicht. Tatsächlich wird für mich am Einsatz von VE in Hamburg deutlich, dass die Polizei ein linkes Feindbild pflegt. Angesichts der oft tiefen Grundrechtseingriffe müssen die verdeckten Ermittlungen in linken Strukturen beendet werden.
Im Falle Iris P. wurde das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdienst missachtet. Du hast erwähnt, das LfV hat noch 70 Berichte von Iris P.? – Die Polizei hat, das ist für den Fall Iris P. nachgewiesen und für Maria B. eindeutig rekonstruierbar, Berichte der VE an das LfV, das Landesamt für Verfassungsschutz gegeben. 70 Aktenstücke aus dem Einsatz Iris P. waren dort zum Zeitpunkt der Beratungen im Innenausschuss noch vorhanden, die bei der Polizei entsprechend ihren Löschfristen schon gelöscht waren. Das LfV arbeitet mit den von der Polizei verdeckt – und wie nun gerichtsnotorisch ist: rechtswidrig – erhobenen Daten arbeitet, z.B. um Leute als „linksextremistisch“ zu diskreditieren.
Darüber hinaus kritisierst Du auch die Verletzung der Privatsphäre der Klagenden? – Das Ausmaß ist für Dritte wahrscheinlich kaum richtig zu erfassen. Man muss es sich nur einmal vorstellen: Man glaubt sich in einer Liebesbeziehung und wird schamlos ausgebeutet für verdeckte Ermittlungen. Da wird ein Grundvertrauen in andere Menschen angegriffen und potenziell zerstört, auf das jeder Mensch in seiner sozialen Existenz angewiesen ist.
Ist der richterliche Vorbehalt für die Genehmigung eines, einer VE eine Verbesserung? – Ja, sie setzt die Hürde höher. Die Staatsanwaltschaft ist an einem guten Verhältnis zur Polizei interessiert, und mein Verdacht ist, dass sie im Fall dieser verdeckten Ermittlerinnen mehr oder weniger blind abgezeichnet hat, was ihr die Polizei vorgelegt hat. Aber meine Forderung bleibt, dass verdeckte Ermittlungen in linken Szenen ganz und gar eingestellt werden müssen.
Vielen Dank!
Die Fragen stellte Gaston Kirsche
Abb.(pdf) Pressekonferenz von Gegnern des Einsatzes verdeckter Ermittlerinnen bei der Hamburger Polizei: Links mit Brille: Rechtsanwalt Gerrit Onken, in der Mitte mit Brille: Christiane Schneider.