Text ausPolitische Berichte Nr. 1/2017 - Link zum PDF

Die Landesarbeitsgemeinschaft „Kommunistische Politik von unten“ (KPvu) bei der Linken in Schleswig-Holstein, die sich regelmäßig drei- bis viermal im Jahr zu einer Diskussion über ein grundlegendes politisches Thema trifft, hat sich auf ihrer letzten Sitzung im Dezember 2016 mit der „Geschichte Schleswig-Holsteins“ befasst, zunächst „Von den Anfängen bis ins Mittelalter“. Dabei spielt der Nachbar Dänemark eine nicht zu unterschätzende Rolle, in den ersten Jahrtausenden der Stein- und Bronzezeit bis zur Völkerwanderung vor allem in kultureller Hinsicht, ab dem Frühen Mittelalter auch im politischen, militärischen und religiösen Bereich. Wir wollen diesen Diskurs im März dieses Jahres vom Mittelalter bis in die Neuzeit fortsetzen. Dazu gibt es je eine Kurzfassung, deren erster Teil hier abgedruckt ist. Sie soll dazu dienen, die Kenntnisse über diese sehr europäische Geschichte zwischen dem Land Schleswig-Holstein und dem dänischen Staat auch weiteren Interessenten zugänglich zu machen.

s21 Eine sehr europäische Geschichte

Aus der Geschichte Schleswig-Holsteins: Die Steinzeit, die Sachsen und die Slawen

Die Geographie des Landes weist einige gravierende Besonderheiten auf, die die Geschichte entscheidend mit geprägt haben: Schleswig-Holstein ist ein Land zwischen zwei Meeren. Im Westen offen zur Nordsee und zum Atlantik, im Osten durch die Ostsee verknüpft mit den Ländern Skandinaviens, dem Baltikum und Russland. Im Süden fließt ein breiter trennender und zugleich verbindender Fluss: die Elbe. Sie wurde in der Frühzeit zwar von gleichen Stämmen und Völkern besiedelt und zu Handelskontakten genutzt, aber in der Zeit des „Heiligen Römischen (Deutschen) Reiches“ ab 800 eher am Rande liegen gelassen. In der Mitte von Schleswig-Holstein haben zwei kleine Flüsse große Bedeutung gehabt: die Eider und die Schlei. Hier spielten sich dauerhaft seit den letzten 1000 Jahren entscheidende historische Ereignisse und politische Konflikte zwischen Dänemark und den Herzogtümern Schleswig und Holstein ab, „in guten wie in schlechten Tagen“.

Auch das Klima hat Schleswig-Holstein entscheidend geprägt. Während der letzten zwei Millionen Jahre lagerte wiederholt eine kilometerdicke Eisschicht über dem Land. Die letzte Eiszeit verschwand erst vor rund 20 000 Jahren und hinterließ eine Landschaft mit typischer geologischer Formation: im Westen eine flache, überschwemmungsgefährdete Watt- und Meeresküste, der man den Wohlstand abtrotzen musste, in der Mitte ein von Moränen aufgeschütteter sandiger Geestrücken, bestens geeignet für Besiedlung und im Osten ein von Moränen gebildete teils sumpfiges, seenreiches und fruchtbares Hügelland. Da Dänemarks Landschaft von derselben Art beschaffen ist – abgesehen von seiner Inselwelt in der Ostsee – gibt es in der Frühzeit der Geschichte wiederum eine vielfältige ähnliche oder gar gemeinsame Kulturentwicklung beider Länder.

Gab es in der letzten Eiszeit und der Altsteinzeit etwa um 120 000 vor unserer Zeitrechnung (v. u. Z.) schon Menschen, die das Land nördlich der Elbe besiedelten? Nur ein einziger großer Steinzeit-Faustkeil, in Drelsdorf in Nordfriesland gefunden, weist darauf hin. Erst ab etwa 12 000 v. u. Z. lassen sich umherziehende Jäger und Sammler nachweisen, weil ihre Pfeilschäfte in Tierknochen stecken geblieben sind. Sie jagten nördlich der Elbe als sogenannte „Hamburger Gruppe“ und „Ahrensburger Kultur“ am Rande des abschmelzenden Eises in der Tundra vor allem Rentiere, die sie mit „Haut und Haar“ verwerteten.

Ab etwa 8 000 v. u. Z. streifen in der Mittleren Steinzeit ebenfalls Jäger und Sammler entlang den Küsten Dänemarks und Schleswig-Holsteins. Sie leben von Muscheln und Fischen (gefunden wurde ein Paddel bei Gettorf) oder suchen mit Mikrolithen und Birkenpech bewaffnet ihr Wild auf dem Geestrücken. Nach der „Neolithischen Revolution“ spezialisieren sie sich auf den landwirtschaftlichen Anbau von Weizen und Gerste und betreiben Viehzucht (Rind, Schaf und Ziege), wie es im Orient schon 3 000 Jahre vorher „erfunden“ wurde. Aus dieser Nordischen Jungsteinzeit zwischen 4 000 und 1800 v.Z. liegen allein fünf Millionen Artefakte in Form von Steingeräten vor. Die vorhandene Keramik deutet eine Beziehung zur „Trichterbecher-Kultur“ (Krug aus Gadeland bei Neumünster) und die „Glockenbecher-Kultur“ (Tasse aus Barsbüttel in Stormarn) hin. Ihre kleinen Familien- und Stammesgruppen bauten hier immerhin an die 5 000 aus Megalithen gebildete Dolmen-, Gang- und Galerie-Steingräber (auf Amrum, in Sprove oder Meldorf), die in solcher Fülle nur im nördlichen Europa zu finden sind.

Die erste europäische Hochkultur ist die Bronzezeit – vom Europarat 1994 als „Goldenes Zeitalter“ gewürdigt. Ab 2.200 v. u. Z. werden erstmals Metalle systematisch in Bergwerken abgebaut und zu Schwertern, Geräten und Schmuck verarbeitet. Länderübergreifende Handelsbeziehungen von Ägypten über die Alpen bis an die Ostsee entstehen, wobei Gold, Kupfer und Zinn gegen den begehrten baltischen Bernstein eingetauscht werden. Natürlich werden dabei auch neue geistige Vorstellungen transportiert, was die berühmte Himmelsscheibe von Nebra für den Bereich der Astronomie dokumentiert. Reste von Fahrspuren von Pferdewagen aus dieser Zeit sind bei Eckernförde gefunden worden. Und die „Nordische Bronzezeit“ ab 1.800 v. u. Z. lieferte uns einen besonders attraktiven Fund: ein gut erhaltenes T-Shirt und der Schnurrock eines Mädchens aus Egtved in Jütland.

In der darauf beginnenden Eisenzeit spielt der Norden eher nur am Rande mit. Die Kelten – aus Kleinasien kommend – ziehen seit 800 v. u. Z. bis 200 nach unserer Zeitrechnung (n. u. Z.) weiter südlich quer durch Ost- und Mitteleuropa. Stark und reich geworden an ihren stahlharten aber biegsamen Schwertern und dem Abbau von Salz hinterlassen sie im Norden einige beeindruckende Handels- oder vielleicht auch Geschenk-Trophäen, den Silberkessel von Gundestrup in Dänemark und den eher blechernen Bronze-Eimer von Pansdorf bei Lübeck.

Auch das Römische Weltreich bleibt eher am Rande des Nordlands. Es stößt auf erheblichen Widerstand der dort ansässigen „Germanen“, wie Tacitus sie generalisierend nennt. Jedem ist die Niederlage durch Arminius im Teutoburger bei Kalkriese im Jahr 9 n. u. Z. bekannt. Danach hat sich Rom an den Rhein und an den Limes zurückgezogen. Viel römischen Hausrat oder gar römische Schriftkultur lässt sich deshalb jenseits der Elbe nicht finden. Einige wenige Münzsammlungen lassen darauf schließen, dass aus den dort wohnenden Stämmen gelegentlich Soldaten in den römischen Militärdienst eingetreten sind.

Ab dem 3. Jahrhundert ändert sich das Klima in Europa, es wird nass und kalt und gute Ernten bleiben aus. Auch das vorherige Bevölkerungswachstum zwingt die Völker der nordischen Länder dazu, ihr Land zu verlassen und im Süden und Westen in Italien, Spanien und auch Afrika dauerhaft neues Siedlungsland zu suchen. Die ersten Auswanderer, die Kimbern und Teutonen, sind schon 130 v. u. Z. aus Jütland in Dänemark, abgezogen, aber von römischen Heeren vernichtend geschlagen worden. Als ab dem 4. Jahrhundert n. u. Z. das Römische Reich geschwächt ist, nutzen Ost- und West-Goten, Vandalen, Alemannen, Burgunder und Langobarden die Gelegenheit zur intensiven Landnahme und zur Gründung teils langlebiger Staatsgebilde. Es beginnt die Völkerwanderung. Daran nehmen wiederum die Stämme der Jüten und aus Schleswig-Holstein die Angeln und Sachsen teil. Mit ihren Ruderbooten (Schiff aus Nydam in Dänemark) fahren sie entlang der Nordseeküste nach Westen und besiedeln Essex, Sussex, Wessex und Anglia in England. Sie hinterlassen dort ihre Kultur und Sprache, die über das Englische zur Weltsprache geworden ist. Im Gegenzug füllen ab dem 7. Jahrhundert (Jhd.) die Friesen von der südlichen Nordsee kommend die Siedlungslücken auf den Inseln und dem Geestrücken im nördlichen Schleswig-Holstein, heute noch Friesland genannt.

Der antike Schriftsteller Ptolemäus von Alexandria erwähnt Mitte des 2. Jhd. in seiner „Erdbeschreibung“ erstmals die „Saxen“, was sprachlich auf Sax = Kurzschwert hinweist. Sie sind seit Jahrhunderten die eigentlichen Bewohner der Nordseeküsten bis hinauf nach Schleswig. Um der Gewalt der Meeresfluten zu entgehen, errichten sie ihre Siedlungen auf Wurten und wohnen dort zusammen mit ihrem Vieh in behaglichen Langhäusern aus Holz und Lehm. Ihr Wohlstand ist wechselhaft, abhängig vom Klima, der wechselnden Höhe des Meersspiegels, von ihren landwirtschaftlichen Ressourcen an Getreide und Gemüse, sowie ihren einfachen handwerklichen Tätigkeiten und gelegentlichen Handelskontakten. Auch kriegerische Unternehmungen sind an der Tagesordnung. Sie hinterlassen uns erstmalig auch menschlich vollständige Skelette, die gut erhalten im Moor versenkt wurden, so z.B. die berühmte Frauen-Moorleiche von Windeby bei Eckernförde. War das gefundene Mädchen mit einer Augenbinde (118 n. u. Z.) vielleicht ein Menschenopfer, das wie die Gold-Horte in schlechten Zeiten den Göttern zum Opfer dargebracht wurde? Die Wissenschaft rätselt darüber.

Ab dem 4. Jahrhundert bildet sich in der Mitte Europas das Frankenreich heraus, indem es die umliegenden Völker militärisch besiegt und sie unter ihre feudale Herrschaft stellt. Sie übernehmen das katholische Christentum und der Papst in Rom macht sie zu direkten Nachfolgern des einstigen „Heiligen Römischen Reiches“. Ihr Kaiser Karl der Große besiegt 798 auf dem Schwentinefeld bei Kiel nun auch die Sachsen und lässt ihre Burgen schleifen (z.B. Stelle bei Heide in Dithmarschen). Das Land wird unterworfen und erstmalig in drei Regionen aufgeteilt: Dithmarschen, Holstein und Stormarn. Die Grenze nach Norden handelt Karl der Große 811 mit dem dänischen König Göttrik aus: die Eider wird als Grenze zwischen ihren beiden Reichen festgelegt. Und diese Trennlinie zwischen zwei Lehnsherrschaften bleibt – wenn auch nicht immer akzeptiert und stets umkämpft – für gut ein Jahrtausend bis 1806 gültig.

Die im Tourismus und in der Werbung aber auch in politisch linken Organisationen so beliebten Wikinger haben etwa zwischen 800 und 1050 als fähige Seeleute und hervorragende Handwerker mit ihren ausgezeichneten Segelschiffen in der Nordsee, dem Atlantischen Ozean, der Ostsee und sogar im Mittelmeer Raubzüge veranstaltet, Handel getrieben, Siedlungsland erobert und schließlich feste Staatsgebilde von Norwegen bis in die Normandie geschaffen. 1066 wurde die Siedlung von den slawischen Abotriten zerstört.

Zeitgleich mit der Etablierung des „Heiligen Römischen Reiches“ begann ab 800 eine aggressive Christianisierung der nördlichen Regionen durch die Fränkischen Kaiser, allen voran Ludwig der Fromme. Ihr bekanntester Missionar war Ansgar, der in den Jahren 831-865 von Haitabu (wo eine Glocke gefunden wurde) über Dänemark bis nach Birka in Schweden vordrang. Die Erfolge waren zunächst gering und er fand schließlich auch den „Märtyrertod“. Zu sehr standen hinter dieser Christlichkeit erkennbare dynastische Ansprüche. Als Erzbischof von Hamburg und später Bremen etablierte er die katholisch-fränkische Oberhoheit gegenüber den nordischen Ländern. Nach und nach schufen die Herrscher von Norwegen, Dänemark und Schweden eigene Staaten, übernahmen das Christentum und schufen eigene unabhängige nationale kirchliche Organisationen. Die holsteinischen Gebiete blieben den Hamburg-Bremischen Erzbischöfen unterstellt und mit Adam von Bremen, Adalbert und Vicelin wurde die Missionierung nun auch erfolgreich fortgesetzt. Dazu wurde das Land mit zahlreichen Kirchen, Klöstern, z.B. in Neumünster, und Bistümern, z.B. in Oldenburg, versorgt.

Nachdem sich in der Völkerwanderung die Gebiete im Norden stark entvölkert hatten, besiedelten die Slawen ab 400 n. u. Z. – aus Zentralrussland kommend – diese Bereiche an der Ostsee. Sie besaßen ein weit verzweigtes Netz von Burgen, auf Hügeln oder in Seen ideal abgesichert, so z.B. in Lübeck, Plön, und Strenglin. Ein natürlicher Limes entlang den Flüssen und Sümpfen zwischen Kiel und der Elbe trennten die drei Stämme der Abotriten, Wagrier und Polaben von den Sachsen und Holsteinern. Ab Mitte des 10. Jhd. begannen die Kaiser Otto I. und II. eine expansive Kolonialpolitik nach Osten zu betreiben. Dazu gründeten sie Marken, z.B. die Mark Schleswig, um mit militärischer und missionarischer Gewalt die slawischen Gebiete an sich zu reißen. Der Widerstand der Slawen und ihrer Fürsten, die eigene dynastische Interessen hatten, war enorm. Es dauerte über 200 Jahre, bis dieser erbitterte Kampf entschieden werden konnte. Allen voran waren es ab 1142 der Bayern- und Sachsen-Herzog Heinrich der Löwe, für den ein großes Denkmal vor dem Ratzeburger Dom errichtet wurde, und der 1110 zum Grafen von Holstein und Stormarn ernannte Schauenburger Adolf I., die um 1160 im Verbund mit Dänemark die Slawen endgültig schlagen und unterwarfen konnten.

Sofort nach dem militärischen Sieg gingen Graf Adolf I. und seine Nachfolger daran, das eroberte Land neu zu besiedeln, indem sie Westfalen, Holländer, Flandern und Friesen ins Land riefen. Die Bauern rodeten und kultivierten das Land, schufen neue Rund- oder Langdörfer mit geregelter Hufeneinteilung und einem zentralen Ortskern, während die Grafen das System der Wehrkirchen wie z.B. in Pronsdorf, Warder und Süsel ausbauten und zahlreiche Klöster und Stifte wie Segeberg und Preetz wieder belebten oder wie in Reinfeld neu gründeten. Nach der anfänglichen Steuerfreiheit mussten Abgaben gezahlt und zunehmend auch Hand- und Spanndienste geleistet werden. Die Slawen wurden wirtschaftlich und kulturell an den Rand gedrängt. Für alle aber wurde eine strikte Rechts-, Gerichts- und Lehns-Verfassung geschaffen. Noch heute sind zahlreiche Gutsbesitzer mit großen Ländereien typisch für Ostholstein im Gegensatz zu den „freien Bauern“ mit eigenem Besitz an der Nordseeküste in Dithmarschen und Friesland.

Edda Lechner, Norderstedt

Abb.(pdf) Überlebensgroßes Götterpaar aus dem 4. Jhd. aus Braak, Ostholstein

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