Text ausPolitische Berichte Nr. 1/2017 - Link zum PDF

s24 Abendländischer Staat?

Dok.: Bayerisches Integrationsgesetz (BayIntG) – Präambel

Eines schien für die BRD dann doch geklärt: Durch demokratische Verfahren legitimiert hat die Staatsmacht die Befugnis, die Geltung des Rechts durchzusetzen. Persönliches Bekenntnis und Religionszugehörigkeit hingegen können frei gewählt werden. Diese Entkopplung von (Politik/Recht) | (Kultur/Lebensgestaltung/Religion) hatte sich eingelebt, wurde von den Bürgerinnen und Bürgern und den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften getragen sowie im Parteienspektrum und in der Rechtsdiskussion akzeptiert. Nun wird dieser Konsens erschüttert, und zwar nicht erst durch Attacken der randständigen *idas.

CDU: In der Polemik gegen den Doppelpass hatte die Union im hessischen Landtagswahlkampf 1999 einen nationalistischen Loyalitätsbegriff aufgebaut, der doppelte Staatsbürgerschaft logisch – was wäre im Kriegsfall? – ausschließt. (Die Antwort auf diese Fangfrage gibt das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung: Letzten Endes zählt das Gewissen.) Jetzt hat der CDU-Parteitag den Doppelpassstreit gegen den Willen der Bundeskanzlerin aufgewärmt. Ohne praktische gesetzgeberische Folgen, aber zum Schulterschluss mit der Schwesterpartei.

Die CSU, genau gesagt die Staatsregierung und Landtagsfraktion haben ebenfalls im Dezember trotz breiter gesellschaftlicher Kritik und erbitterten Widerstands der Oppositionsparteien ein Bayerisches Integrationsgesetz (BayIntG) beschlossen. Eine Verfassungsklage gegen dieses Gesetz ist auf dem Wege, liegt aber noch nicht vor.

Das Gesetz würde die Beziehung zwischen der Staatsmacht und der einzelnen Person in Richtung staatliche Vormundschaft verschieben. Die Befugnis des Staates, Geltung des Rechts zu erzwingen, würde auf das weite Feld von Meinungen und Deutungen ausgedehnt.„Brauchtum … Sitten und Traditionen“ aufleben, neu modellieren oder auch einschlafen zu lassen wäre nicht mehr Sache der zivilen Gesellschaft mündiger Einzelner, sie hätten staatliche Vorgaben zu erfüllen.

Tendenzen von Religionen und Gesinnungsgemeinschaften, ihren Glauben als Gesetz verbindlich zu machen, schiebt die Verfassung einen Riegel vor. Sie sichert den Bekennnissen Freiheiten zu und zieht ihren Geltungsansprüchen Grenzen. Wenn aber Exekutive und Parlamentsmehrheit ein Bekenntnis stiften und den ganzen Apparat der staatlichen Daseinsvorsorge zu dessen Propaganda einsetzen wollen? Es bleibt Hoffnung auf die dritte Gewalt, die Rechtsprechung. Die Aussichten dafür sind gut. Denn die Diffferenzierung von Recht und Bekenntnis folgte aus bitteren, wiederholten Erfahrungen. Sehnsucht nach Harmonie von Staat und Bekenntnis kann mit den tatsächlichen Unterschieden des sozialen Lebens nicht umgehen. Sie führt zur Vertragsunfähigkeit zwischen den Staaten und zwischen den Zivilpersonen. Lähmung sozialer und kultureller Entwicklung und auch langwierige und grausame Bürgerkriege waren geschichtliche belegte Folgen. Auch aktuelle Versuche der Engführung von Staatsmacht und Lebensgestaltung lassen nichts besseres erwarten. Martin Fochler, München

Nach oben

Dok.: Bayerisches Integrationsgesetz (BayIntG) – Präambel

1Bayern ist Teil der deutschen Nation mit gemeinsamer Sprache und Kultur. 2Es ist tief eingewurzelt in Werte und Traditionen des gemeinsamen christlichen Abendlandes und weiß zugleich um den jüdischen Beitrag zu seiner Identität. 3Die Würde des Menschen, die Freiheit der Person, die Gleichheit und Gleichberechtigung aller Menschen und das Recht jedes Einzelnen auf ein selbstbestimmtes, aber auch selbstverantwortliches Leben sind als Frucht der Aufklärung tragende Grundlage unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung. 4Die nationalsozialistische Willkürherrschaft, die Verbrechen des Dritten Reichs und die Schrecken des Zweiten Weltkrieges haben gelehrt, dass allein eine grundrechtlich ausgerichtete Herrschaft des Rechts vor Terror, Diktatur und Spaltung bewahrt und Voraussetzung für Frieden und Freiheit ist. 5Jeder Einzelne ist daher zur Wahrung des Rechts und zur Loyalität gegenüber Volk und Verfassung, Staat und Gesetzen verpflichtet. 6Die demokratische Verfasstheit des Gemeinwesens bindet umgekehrt alle Staatsgewalt an die Stimme des Volkes. 7Die Solidarität mit den Schwächeren und Hilfsbedürftigen ist Gebot der Gemeinschaft wie jedes Einzelnen, setzt aber zugleich voraus, dass in erster Linie jeder zunächst selbst verpflichtet ist, Verantwortung für sich und die Seinen zu übernehmen und sein Möglichstes dazu beizutragen. 8Die Gemeinschaft kann nur leisten, was gemeinsam von allen erwirtschaftet wird, und darf daher von jedem seinen Beitrag erwarten. 9Ganz Bayern ist geformt von gewachsenem Brauchtum, von Sitten und Traditionen. 10In den zurückliegenden Jahrzehnten ist es so zur neuen Heimat für Viele geworden, die sich hier eingebracht und eingelebt haben. 11Das lange geschichtliche Ringen unserer Nation und unseres ganzen Kontinents um Einheit, Frieden und Freiheit verpflichtet auf das errungene gesamteuropäische Erbe und das Ziel eines gemeinsamen europäischen Weges. 12Diese identitätsbildende Prägung unseres Landes (Leitkultur) im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zu wahren und zu schützen ist Zweck dieses Gesetzes.

https://integrationsgesetz.bayern/category/aktuelles/

Politische Berichte Nr. 1/2017 - Nur.TXT-Ausgabe - Link zum Inhaltsverzeichnis