Quelle: Politische Berichte Nr. 2/2017 - Zur Gesamtausgabe als:PDFNur-TXT

s18 Das NPD-Urteil ist ein Bärendienst für die Demokratie!

Seit Jahrzehnten hat die Antifa-Bewegung, die VVN-BdA, die PDS/Die Linke, die Antifaschistischen Nachrichten, aber auch die vielen örtlichen Antifa-Gruppen immer wieder die Forderung nach einem Verbot der NPD erhoben. In den örtlichen Auseinandersetzungen spielte und spielt dabei immer wieder eine Rolle, ob eine Nazi-Demonstration durch die Polizei verboten werden kann und ob die Gerichte dann ein solches Verbot überhaupt akzeptieren.

Die Ablehnung des Verbotsantrages der Bundesländer durch das Bundesverfassungsgericht ist eine herbe Niederlage für alle diese zahlreichen Bemühungen, Verbote zu erwirken. Das Urteil ist auch eine Legitimation für alle extrem rechten Kräfte.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes resümiert am Schluss des Urteiles, dass auf „Einschüchterungen und Bedrohung“ durch Rechtsextreme mit den „Mitteln des präventiven Polizeirechts und des repressiven Strafrechts rechtzeitig und umfassend reagiert werden“ muss. Das war ja gerade das Problem, dass es nicht reichte und dass ein Verbot zur Auflösung und Ächtung dieser Organisationen beitragen sollte, um Anschläge, Übergriffe und Gewalt zu verhindern. Hunderte Menschen sind von Rechtsextremen in den letzten Jahrzehnten ermordet worden. Nach dem NSU-Skandal nun der NPD-Skandal, der diesmal einfach weggedrückt wird.

Es gab bei der Verkündung des Urteils zahlreiche kritische Kommentare. Eine umfassende kritische rechtliche Bewertung ist dem Autor nicht bekannt. Da es das bisher umfangreichste Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist, ist dieser Artikel ein Einstieg in eine kritische Diskussion.

„Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus“, aber kein Verbot

Für das Bundesverfassungsgericht ist die NPD verfassungsfeindlich, sie bekämpft den Staat und ist mit dem Nationalsozialismus nicht nur verbunden, sondern steht in dessen Tradition:

„Ist die Wesensverwandtschaft einer Partei mit dem Nationalsozialismus feststellbar, rechtfertigt dies für sich genommen die Anordnung eines Parteiverbotes nicht.“ (591)1

„Die Antragsgegnerin (NPD, d. Red) arbeitet im Rahmen ihrer organisatorischen Möglichkeiten und auf Grundlage eines strategischen Konzepts planmäßig auf die Umsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele hin.“ (846)

Im Urteil gibt es sogar einen sehr ausführlichen illustrativen Teil, der aber so unscharf ist und keinen Nachweis erbringt, dass die NPD und deren Mitglieder Gewalt anwenden und mordend durch das Land ziehen. Die Frage, wie es kommen kann, dass in den letzten Jahren Hunderte von Menschen ermordet wurden, stellt sich das Gericht nicht. Vielleicht war auch die Klageschrift der Bundesländer unscharf.

Auf jeden Fall kommt das Bundesverfassungsgericht zu dem Urteil:

„Eine Durchsetzung des verfassungsfeindlichen politischen Konzeptes der Antragsgegnerin mit parlamentarischen oder außerparlamentarischen demokratischen Mitteln erscheint ausgeschlossen.“ (897)

Das Gericht beschreibt im Urteil ausführlich, wie wenig erfolgreich die NPD bei parlamentarischen Wahlen ist. Aber hat nicht die NPD über Jahrzehnte einen maßgeblichen Beitrag dazu geleistet, dass es inzwischen eine rechtspopulistische AfD gibt, die Wahlergebnisse bis über 20 Prozent bei Landtagswahlen erfährt und in der öffentlichen Diskussion zum Teil dominant agiert? Haben nicht inzwischen die NPD und die Kameradschaften eine ganz andere Rolle eingenommen, nicht die außerparlamentarische Opposition, sondern der schlagende, gewalttätige Arm der extrem Rechten in den Parlamenten?

Der Rechtsextremismus-Experte Fabian Virchow bringt es auf den Punkt: „Viele Nationalsozialisten, die in Kameradschaftsstrukturen ausgewichen waren, werden nun erkennen, dass es viel besser ist, sich als Partei zu organisieren und das Parteienprivileg in Anspruch zu nehmen.“2 Kürzlich erklärte Fabian Virchow: „Die Herausforderung liegt ohne Zweifel bei der AfD.“ Die AfD-Akteure wollten nicht nur parlamentarische Titel, sondern auch auf den Straßen präsent sein.

Virchow warnt „Es gibt eine Entgrenzung von Gewalt und auch deren Qualität verändert sich“, sagte Virchow. Außer Flüchtlingen in ihren Unterkünften würden zunehmend auch „Repräsentanten einer gemäßigten Asyl- und Betreuungspolitik“ Opfer rechtsextremer Gewalt, sagte der Forscher auf einer Veranstaltung des DGB in NRW.3

Das Bundesverfassungsgericht sieht das nicht und urteilt:

„Ein Parteiverbot kommt vielmehr nur in Betracht, wenn eine Partei über hinreichende Wirkungsmöglichkeiten verfügt, die ein Erreichen der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheinen lassen, und wenn sie von diesen Wirkungsmöglichkeiten auch Gebrauch macht. Dies ist nicht der Fall, fehlt es an einem „Drauf Ausgehen“ im Sinne des Art. 21, Abs. 2 GG.“ (586)

Neue Rechtsprechung nach dem KPD-Urteil

Das obige Zitat geht noch mit einer überraschenden Feststellung weiter:

„An der hiervon abweichenden Definition im KPD-Urteil, nach der es einem Parteiverbot nicht entgegenstehe, wenn für die Partei nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrigen Absichten in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können (vgl. BVerfGE 5, 85<143>) hält der Senat nicht fest.“

Das Bundesverfassungsgericht hatte 1956 geurteilt:

„Eine Partei ist schon dann verfassungswidrig, wenn sie eine andere soziale und politische Ausprägung der freiheitlichen Demokratie als die heutige in der Bundesrepublik deshalb erstrebt, um sie als Durchgangsstadium zur leichteren Beseitigung jeder freiheitlichen demokratischen Grundordnung überhaupt zu benutzen, mag diese Beseitigung auch erst im Zusammenhang mit oder nach der Wiedervereinigung stattfinden sollen.“ 4

Diese Kehrtwende des Gerichtes ist überraschend. So greift das Gericht die jahrzehntelange Kritik gegen das KPD-Urteil auf, und wendet sie zur Legalisierung der NPD. Bitter für linke Kritik.

Die KPD hat in den 50er Jahre Fehler gemacht: Es war falsch eine „nationale Lösung“ anzustreben, es war aber fahrlässig, als KPD einen Sitz im ZK der SED zu haben und damit eine Angriffsfläche für ein Verbot zu liefern.

Die KPD war aber keine menschenverachtende, nationalistische und völkische Partei. Das KPD-Urteil reichte aber weit und war die Grundlage der Berufsverbote gegen Hunderte von Lehrerinnen und Lehrern sowie anderen Beamten.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit diesem Urteil der Demokratie einen Bärendienst erwiesen und die Gefahr von Rechtsextremismus und Rechtspopulismus verharmlost. Jörg Detjen, Köln

1 NPD-Urteil des Bundesverfassungsgerichte vom 17.1.2017. Die Nummern in Klammern sind die Randnummer des Urteiles

2 www.migazin.de/2017/01/18/experten-zum-npd-urteil-rechtsextremisten-jetzt-noch-gefaehrlicher/

3 www.evangelisch.de/inhalte/142011/01-02-2017/rechtsextremismus-forscher-afd-gefaehrlicher-fuer-deutschland-als-npd

4 KPD-Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 17.8 1956

www.linkekritik.de