Quelle: Politische Berichte Nr. 3, April 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT

„Eine neue Transition in Spanien“

Kasten:„Rathäuser der Wende“

Im Vorfeld des zweiten nationalen Kongresses von Podemos (10./11. Februar) war es zu heftigen Auseinandersetzungen um die politische und organisatorische Ausrichtung gekommen. Drei Strömungen reichten eigene Listen zum 62-köpfigen Parteivorstand und Dokumente zu den inhaltlichen Entscheidungen (Politik, Organisation, Gleichberechtigung, ethische Grundsätze) ein.

456.725 Sympathisanten konnten zwischen dem 4. und 11. Februar in direkter Form auf der Podemos-Webseite über die Listen und die politischen Dokumente entscheiden.

Es bestand die Möglichkeit zwischen den Listen zu panaschieren und die Rangfolge der Kandidaten auf den Listen zu verändern. 155.190 beteiligten sich.

Bei der Wahl zum Parteivorstand erhielt die Liste um Generalsekretär Pablo Iglesias 50,8 % der Stimmen, die Liste um den bisherigen politischen Sekretär Iñigo Errejon 33,7 % und die Liste der Antikapitalisten 13,11 %. Iglesias wurde mit 87 % zum Generalsekretär wiedergewählt. Auch bei den vier Dokumenten errang die Strömung um Iglesias deutliche Mehrheiten (politisches Dokument 56 %).

„Plan 2020: Die PP schlagen, Spanien regieren“

Im folgenden einige Passagen aus dem 44-seitigen politischen Dokument „Plan 2020: Die PP schlagen, Spanien regieren“: „Wir müssen uns ab sofort vorbereiten, um das zweifache Ziel zu erreichen, die PP (und die Eliten, die sie repräsentiert) sozial und politisch zu schlagen und unser Land zu regieren; d.h. wir müssen uns zum einen darauf vorbereiten, 2019 die Wahlsiege in den ‚Rathäusern der Wende‘ zu bestätigen, diese auf weitere Gemeinden und auf autonome Regionen auszuweiten, und zum anderen, 2020 die spanischen Parlamentswahlen zu gewinnen.“

Die Politik der sozialen Kürzungen der Regierungen Zapatero (PSOE) und Rajoy (PP) habe zum Ausbruch der politischen Krise des Regimes geführt, vor allem zur dadurch hervorgerufenen enormen Enttäuschung der Erwartungen der Mittelklasse. Die Bewegung der Empörten (15 M) habe breite soziale Mobilisierungen angestoßen, wie z.B. die Kämpfe gegen die Zwangsräumungen von Wohnungen, gegen die Privatisierungen im Gesundheitswesen, gegen die Kürzungen im Erziehungswesen und so weiter. Ein breiter Konsens der Ablehnung der ökonomischen und politischen Eliten und der Einforderung demokratischer Rechte sei entstanden, der nicht einfach innerhalb des traditionellen Links-Rechts-Schemas begriffen werden könnte und die Formierung eines neuen politischen Raums ermöglichte.

Es sei nicht zu erwarten, dass ruhige Zeiten der „Normalität“ und eine Rückkehr zur Vergangenheit eintreten würden, im Gegenteil eine Transition zu etwas Neuem. Die Eliten und ihre Apparate wollten eine politische Blockade mit dem Ziel der Restauration errichten.

„Spanien wird kein Modell des Zusammenlebens errichten können, das auf der Prekarität als Norm der Arbeitsbeziehungen basiert, auf Hungerlöhnen, auf chronischer Nichtbeschäftigung (niemals unter 15 %), auf dem allmählichen Verfall der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Dienste, auf Renten, die Jahr für Jahr Kaufkraft verlieren und Millionen von Menschen bedrohen mit der Unmöglichkeit im Alter eine würdige Rente zu erreichen, auf der Zuzahlung zu Medikamenten, auf der Privatisierung des Gesundheitswesens, auf der beschleunigten Ungleichheit, auf der Umleitung öffentlicher Aufgaben an private Hände, auf einem nichtakzeptablen Armutsniveau, auf beschränkten bürgerlichen Rechten, auf der Auswanderung von Jugendlichen, auf dem fehlenden institutionellen Handeln gegen chauvinistische Gewalt und so weiter.“

„Wir können nicht zulassen, dass unser Volk resigniert und sich daran gewöhnt, unter diesen Bedingungen zu leben. Um dies zu verhindern, müssen Prozesse des ökonomischen, politischen und sozialen Wandels eingeleitet werden, mit dem Ziel auf die schwierigen Probleme zu antworten, mit denen heute eine große soziale Mehrheit sich konfrontiert sieht.“

Die ökonomische Agenda von Podemos muss sich daran orientieren, so schnell wie möglich die Kürzungen im Gesundheits- und Erziehungswesen, im kulturellen Bereich usw. rückgängig zu machen, die für 2017 vermittels des Abkommens zwischen PSOE und PP über die Deckelung der Haushaltsabgaben bereits abgesichert wurden. Wir müssen Priorität darauf legen, unser obsoletes, stagnierendes und abhängiges Produktivitätsmodell umzuwandeln (entworfen um unser Land in einen europäischen Randstaat zu Diensten der wirtschaftlichen Interessen der großen europäischen Machtzentren zu machen).

Podemos muss all seine institutionellen, politischen und organisatorischen Möglichkeiten bündeln, um ein neues Projekt für das Land zu formulieren. Das erfordert eine institutionelle und politische Übereinkunft mit den verschiedenen sozialen Sektoren, die den Wandel möglich machen wollen. Claus Seitz, Schweinfurt

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KASTEN: „Rathäuser der Wende“

Bei den Gemeinderats- und Regionalwahlen im Mai 2015 eroberten linke Bündnisse (lokale Organisationen, Podemos) die Rathäuser von vier der fünf größten spanischen Städte (Madrid, Barcelona, Valencia, Zaragoza), ebenso die von Cadiz, La Coruña, Santiago de Compostela, Ferrol und Pamplona.

In den autonomen Regionen Valencia, Castilla la Mancha, Extremadura, Balearen und Aragon konnten PP-Regierungen von der PSOE mit Unterstützung von Podemos und Compromis (Valencia) abgelöst werden. In Navarra regiert seither ein linkes Drei-Parteien-Bündnis. Zu den spanischen Parlamentswahlen im Dezember 2015 gelang es Podemos linke, stark in den jeweiligen Regionen verankerte Organisationen wie en Comun (Katalonien), Compromis und die Mareas (Galicien) in die Kandidatur einzubinden. Podemos teilt deren Auffassungen bezüglich eines pluralnationalen Spaniens, tritt für das Recht auf Selbstbestimmung und die Durchführung eines Referendums in Katalonien ein, empfiehlt aber den gemeinsamen Kampf für einen demokratischen Wandel innerhalb Spaniens. Mit 5,19 Millionen Stimmen (20,7 Prozent) wurde das Wahlbündnis knapp hinter der PSOE drittstärkste Partei. Zur zweiten Parlamentswahl am 20. Juni 2016 wurde das Wahlbündnis auf nationaler Ebene um die Vereinigte Linke und die ökologische Equo-Partei erweitert. Die hohen Erwartungen auf Stimmenzuwachs wurden allerdings enttäuscht, das Wahlbündnis Unidos-Podemos erreichte 5,09 Millionen Stimmen (21,1 Prozent).

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