Quelle: Politische Berichte Nr. 6-7, Juni/Juli 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

CDU und FDP gewinnen NRW-Wahl – Die Linke verfehlt den Einzug in den Landtag denkbar knapp

8435 Stimmen fehlten der Partei Die Linke in NRW zum Einzug in den Landtag, das sind knapp 0,1 %. Das ist eins der wichtigsten Ergebnisse der Landtagswahl in NRW. Es hat weitreichende Folgen, denn erst der Nichteinzug der Partei Die Linke ermöglichte die Bildung einer schwarz-gelben Koalition, die mit ihrer einen Stimme Mehrheit Armin Laschet (CDU) inzwischen zum Ministerpräsidenten gewählt hat. Die Regierung Rüttgers, die die seit 1965 SPD-geführten Regierungen in NRW von 2005 bis 2010 abgelöst hatte, bleibt also nicht nur eine kurze Episode im größten Bundesland, das ansonsten seit Mitte der 60er Jahre SPD-geführt regiert wurde. Gleichzeitig sind die Vorzeichen für eine Koalition links von der „Mitte“ bei der Bundestagswahl im September in noch weitere Ferne gerückt.

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Die Landtagswahl in NRW macht eine weitere Rechtsverschiebung der politischen Landschaft deutlich. Die Linke gewann gegenüber 2012 zwar mehr als 220 000 Stimmen hinzu. SPD und Grüne verloren jedoch knapp 750 000 Stimmen, während CDU und FDP mehr als 1.140 000 Stimmen hinzu gewannen. Hinzu kommt das Ergebnis der AfD, die aus dem Stand heraus 626725 Stimmen (7,4 %) erhielt und damit zwar schwächer abschnitt, als befürchtet, aber dennoch glatt in den Landtag einzog.

Ein solches Ergebnis hätte vor einigen Monaten kaum jemand für möglich gehalten. Hannelore Kraft galt als integre „Landesmutter“, die Umfragen für SPD, Grüne und auch für Die Linke, die seit mehr als einem Jahr stets über 5 % „gehandelt“ wurde, sahen nicht schlecht aus. In den letzten Monaten rückten die Fehler von Rot-Grün jedoch in den Vordergrund, NRW wurde in den Augen vieler Wählerinnen und Wähler schlecht regiert. Laschets Strategie, Hannelore Kraft nicht persönlich anzugreifen, sondern den Finger in die sachlichen Schwachstellen zu legen, war erfolgreich. Diese Schwachstellen waren das Versprechen, allen Kindern solle es besser gehen, und die empörende Schulpolitik von Silvia Löhrmann (Grüne), die wirtschaftliche Situation und das Thema Sicherheit, das die CDU nach den Vorfällen auf der Kölner Domplatte Silvester 2015 u.a. mit einem Untersuchungsausschuss und immer wieder heftigen Angriffen auf Innenminister Ralf Jäger (SPD) im Bewusstsein hielt.

Hannelore Kraft leugnete im Gegensatz zu allen Untersuchungen z.B. der Wohlfahrtsverbände kurz vor der Wahl sogar, dass die Kinderarmut in NRW zugenommen habe. Die „Rote-Socken-Angriffe“ der CDU konterte Kraft vier Tage vor der Wahl mit einer deutlichen Absage an Rot-Grün-Rot – das in den Umfragen zu dem Zeitpunkt kaum möglich schien. Genützt hat es ihr nicht, der Partei Die Linke hat es wahrscheinlich schon geschadet.

Linke besser als 2012, schlechter als 2010

In der Linken NRW wurde nach der Wahl vor allem auf den deutlichen Stimmenzugewinn gegenüber der Landtagswahl 2012 verwiesen, dass sie nicht reingekommen ist, mehr als Pech interpretiert. „Knapp daneben ist auch vorbei“, heißt jedoch ein altes Sprichwort und in einigen Monaten wird niemand mehr davon reden, dass Die Linke NRW den Einzug in den Landtag nur äußerst knapp verfehlt hat.

Die Linke hat in NRW überwiegend einen engagierten Wahlkampf geführt, um die 700 Mitglieder wurden in den letzten Monaten neu aufgenommen. Das soll nicht in Abrede gestellt werden. Trotzdem macht die Niederlage nicht nur deutlich, wie schwierig der Einzug der Linken in die Landtage der alten Flächenbundesländer ist. Vergleicht man die Ergebnisse 2017 mit denen von 2010, als Die Linke den Einzug in den Landtag mit 5,6 % geschafft hat, zeigt sich vielmehr, dass sie bei einer niedrigeren Wahlbeteiligung rund 20 000 Stimmen mehr hatte als diesmal. Sie hat das schon einmal bei einer Landtagswahl erreichte Potential also nicht ausgeschöpft – bei Bundestagswahlen lagen die Ergebnisse der Linken in NRW ohnehin immer höher als bei Landtags- und Kommunalwahlergebnissen.

Özlem Alev Demirel, Landessprecherin und Spitzenkandidatin der Partei Die Linke, hat bei verschiedenen Gelegenheiten darauf hingewiesen, dass es nicht nur eine Ursache gibt, warum die wenigen Stimmen fehlten. Das ist sicherlich richtig, allerdings sollte man unterscheiden zwischen der Gemengelage einzelner Punkte, die zu der konkreten Situation beigetragen haben und tiefergehenden Verschiebungen bei den Wählerinnen und Wählern.

Als Ursachen für das Fehlen der wenigen Stimmen wurden in den Diskussionen im Landesverband verschiedene Punkte genannt:

Das Wahlprogramm: Manchen Wählerinnen und Wählern waren – und dies soll nur ein Beispiel sein – Forderungen wie die 30 Stunden-Woche zu fern und zu unrealistisch. In der gewerkschaftlichen Diskussion spielt sie keine große Rolle, auch wenn Arbeitszeitfragen zunehmend in den Fokus rücken, zudem ist sie vor allem tariflich zu regeln und nicht durch politische Entscheidungen des Landes. Es gab andererseits auch linke Wählerinnen und Wähler, denen die im Wahlkampf dann doch eher positive Positionierung der Spitzenkandidaten zu rot-grün-rot nicht gefiel, die wählten jedoch sowieso lieber DKP, MLPD oder Die Partei.

Unklares Profil in der Flüchtlingspolitik: Das Landtagswahlprogramm lässt zwar keine Einfallstore für „Obergrenzen“ oder ähnliches zu, die Irritationen, die die Gesamtpartei vor einiger Zeit in der Öffentlichkeit zugelassen hat, machten sich aber auch im Wahlkampf bemerkbar. Ein gutes Plakat zu Flüchtlingen wurde vom Landesvorstand nicht in Auftrag gegeben und nur in Köln und in Essen auf eigene Rechnung geklebt.

Die Landesliste: Hierum gab es im Vorfeld erhebliche Rangeleien. Ein bekannterer Gewerkschafter, dessen Kandidatur von Teilen des Landesverbandes gewünscht wurde, wurde „weggemobbt“, der Dachverband kurdischer Vereine, der einen Kandidaten ins Rennen schicken wollte, wurde auf die Bundestagsliste vertröstet und dort bei der Aufstellung ausgetrickst, was zu heftiger Kritik in den Reihen der kurdischen Vereine geführt hatte.

Die Piraten: Vom Landesverband gab es keine wirklichen Signale, dass die Themen und Personen bei der Partei Die Linke gut aufgehoben sind, die Piraten erhielten immerhin noch knapp 80 000 Stimmen – sie kamen von 610 000, von denen Die Linke nur wenig profitiert hat. Daniel Schwerdt, ehemaliger Landtagsabgeordneter der Piraten, musste sich in einer Kampfkandidatur auf dem eher unsicheren Listenplatz 12 durchsetzen – in Köln erhielt er als Direktkandidat mit 12,1 % das bester Erststimmenergebnis im ganzen Land NRW.

Die Plakate: Die Plakatkampagne knüpfte bewusst an einer martialischen Werbekampagne aus den USA der 40er Jahre an, „Rosie the Riveter“ („Rosie, die Nieterin“). Sie warb um Frauen ausgerechnet für die Rüstungsindustrie. Das wussten nicht viele, aber der Slogan „Zeig Stärke“ ging an der Lebenswelt vieler vorbei oder wurde schlicht nicht verstanden.

Personen: In einem gewissen Gegensatz dazu warb die Wahlkampfzeitung des Landesverbandes mit einem großen Foto und Leitartikel von Sahra Wagenknecht – nicht gerade ein Zeichen eigener „Stärke“ und eigenen Selbstbewusstseins.

Trotz des im Großen und Ganzen sehr hohen Engagements führten die genannten Punkte auch dazu, dass manche Kreisverbände eher lustlos an den Wahlkampf gingen und daraus auch keinen Hehl machten.

Ärmere Menschen gehen weniger zur Wahl

Von grundlegenderer Bedeutung sind dagegen die tiefer gehenden Veränderungen beim Wahlverhalten – nicht nur der Partei Die Linke. Ich habe oben bereits darauf hingewiesen, dass das bürgerliche Lager deutlich gestärkt wurde, ebenso rechtspopulistische Parteien wie die AfD. Wenn man die Ergebnisse mit 2010 vergleicht, hat Die Linke bei den Wahlkreisergebnissen in den eher von Universitäten und einer breiteren, liberalen Mittelklasse geprägten Großstädten Köln, Bonn, Aachen, Bielefeld, Münster, Düsseldorf und sogar Paderborn sowie den südlichen Wahlkreisen von Bochum und Dortmund gewonnen hat. Auf dem Lande und in den nördlicheren, ärmeren Wahlkreisen im Ruhrgebiet hat sie verloren. Dabei gibt es bei diesen Wahlkreisen einen gravierenden Unterschied: Die Linke war auf dem Lande auch 2010 sehr schwach und meist deutlich unter 5 %. Im Ruhrgebiet hatte sie ihre besten Ergebnisse jedoch gerade in den ärmeren, sozial abgehängten Stadtteilen und nicht in Köln oder Bielefeld. Diese Verluste in den armen Stadtteilen lassen sich auch in den Großstädten wie Essen gut nachvollziehen. Ärmere Leute gehen immer weniger zur Wahl, während die sozial einigermaßen abgesicherten sich wieder stärker beteiligt haben – zugunsten von CDU und FDP.

Die AfD hatte dagegen bei dieser Landtagswahl ihre besten Ergebnisse in den ärmeren Stadtteilen des nördlichen Ruhrgebiets, dort war sie meist zweistellig. Die direkte Wählerwanderung von der Partei Die Linke zur AfD war allerdings nicht sehr hoch, Die Linke hat mit 10 000 Stimmen mit am wenigsten an die AfD abgegeben. Die AfD hat in den ärmeren Stadtteilen also offensichtlich andere Wähler mobilisiert als vorher Die Linke. Die armen Wähler gehen völlig desillusioniert meist gar nicht mehr zur Wahl.

Vor allem auf dem Lande wird deutlich, dass Die Linke dort meist besser abgeschnitten hat, wo sie auf eine lange, gute kommunalpolitische Arbeit zurückblicken kann und dadurch konstant in Erscheinung tritt und Politik macht. Hier dürfte auch ein Schlüssel für die künftige Arbeit liegen: Es muss darum gehen, das junge, bürgerlich-akademische Milieu zu halten – Die Linke hat hier viele Stimmen auch von den Grünen erhalten – und gleichzeitig in den sozialen Brennpunkten versuchen, durch eine präsente kommunale Interessenvertretungspolitik Boden gut zu machen. Anders wird Vertrauen nicht aufzubauen sein. Damit abfinden, dass die Ärmeren gar nicht mehr wählen gehen, sollten wir uns nicht. Wolfgang Freye, Essen

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