Quelle: Politische Berichte Nr. 6-7, Juni/Juli 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

Brexit und EU: Ergebnis der Unterhauswahl

2015 konnten neben den Conservatives und Labour vor allem UKIP und die Schottische Nationalpartei viele Stimmen auf sich ziehen. 2017 haben über 80% der Briten Labour und Conservatives gewählt. Die Wahl war explizit mit der Konkretisierung des Brexits gekoppelt. Mit 50 Parlamentssitzen Vorsprung – bei einer Gesamtzahl von 650 – haben die Conservatives zwar einen Vorteil, das Wahlvolk will aber, dass die beiden großen Parteien den Brexit verantworten, den Schreihälsen von UKIP wird das nicht zugetraut, ein neues schottisches Referendum wird es ebenfalls so schnell nicht geben (2015 hatte UKIP noch über vier Millionen Stimmen, die schottische Nationalpartei hat zwei Drittel ihrer Sitze verloren). Beiden Spitzenkandidaten wurde Tauglichkeit bescheinigt; in den beiden kurzen Wahlkampfmonaten ist Bewegung in Richtung Gleichstand gekommen (siehe Grafik 1).

Das Wahlergebnis hat zwei Konsequenzen: Erstens kann die britische Seite bei den Brexit-Verhandlungen von einer taktisch komfortablen Position aus agieren: es muss einen eher milden denn einen Blut-und-Tränen-Brexit geben mit einer verlässlichen, wenn auch losen Kopplung mit der EU. Die Hinweise auf die neue Positionierung mit Rücksicht auf die verschiedenen Interessen der Akteure und Betroffenen mehren sich: z.B. ruft der zuständige Minister David Davis jetzt zum ersten Mal inländische Konzernchefs zu einer Konferenz nach London zusammen, um sie in den Brexit-Prozess einzubinden. Als weiteres Indiz für die Richtungskorrektur werten manche den Hut der Queen in den Farben der EU-Flagge, den sie bei der Vorstellung des Regierungsprogramms gezeigt hat.

Zweitens muss die konservative Regierung, die nur mit der eigentümlichen nordirischen DUP zustande gekommen ist, Labours Zugewinne berücksichtigen, um den britischen Laden zusammenzuhalten: sowohl in der Wahlbeteiligung als auch in der Wahlentscheidung zeigt sich eine Dynamik bei der Altersaufteilung zugunsten von Labour in den jungen Generationen (siehe zweite Grafik). Andere Statistiken weisen darauf hin, dass Labour zwar bei den niedrigsten sozialen Klassen am meisten punkten konnten, die Conservatives dort aber höhere Zugewinne verzeichnen: Labour hat weniger bei den klassischen Arbeitern dominierten, dafür mehr in den besser situierten Gebieten mobilisiert.

Schon beim ersten Termin unter Führung von Michel Barnier (für die EU) und David Davis (für UK) hat sich das Dilemma gezeigt, und zwar an der Frage des Status von EU-Bürgern im Gebiet des UK: was Großbritannien als großzügiges Angebot darbietet, wird von EU-Seite als nicht verhandlungswürdig abgelehnt. Wie wird das bei Fragen des bisherigen Binnenmarktes, einer Zollunion, einer Freihandelszone? Was wird aus der Anerkennung des Europäischen Gerichtshofes? Was passiert mit der Umweltpolitik, mit der Politik gegenüber den afrikanischen Staaten? – Die Antwort auf diese Fragen sind auch für andere inter- und transnationale Beziehungen wie z.B. zwischen Norwegen, Schweiz, Ukraine, Türkei, Kanada und der EU von großer Bedeutung. Mit diesen Ländern bestehen spezielle Verträge, mit und ohne Freizügigkeit, mit und ohne Zollunion.

Interessant ist, dass die Brexit-Befürworter die Migrations- und Fluchtbewegung aus Ländern wie Syrien völlig entgegen der tatsächlichen Situation der EU angelastet und mit der Frage der Arbeitnehmerfreizügigkeit vermengt haben. Dabei ist Großbritannien ja nicht einmal im Schengen-Abkommen (was ausweisfreies Reisen innerhalb der EU ermöglicht), hat aber z.B. mit Irland, den USA und Australien derartige bilaterale Abkommen.

Spannend sind die Verhandlungen aber auch in einem anderen Zusammenhang: „Wie kein zweites Gebilde steht die EU für den Transnationalismus, weshalb sie von der nationalistischen Ideologie existenziell herausgefordert ist.“ (NZZ, 17.6.17) Diese Herausforderung kommt von innerhalb der EU und ist eng verknüpft mit der Gestaltung der zukünftigen Beziehungen der EU zu Großbritannien. Eva Detscher, Karlsruhe

Grafiken: (Nur im PDF) Vortrag Dr. Jan Eichhorn, 22.6.17 (dort: Ipsos Mori / The Guardian)

Grafik 1: Die Dynamik der Kandidateneinschätzung zwischen April und Wahltermin im Juni. Die Umfrage lautete: Wer, meinen Sie, wäre der am besten taugliche Premierminister, Theresa May von den Conservatives (links, dunkel) oder Jeremy Corbyn von Labour (rechts,hell)?

Grafik 2: Die Pfeilspitze deutet auf die Richtung Zu- bzw. Abnahme, die Länge der Pfeile auf die Prozentpunktanzahl hin: Labour konnte bei den 18- bis 24-Jährigen, die Conservatives bei den über 65-Jährigen zulegen im Vergleich der Wahlen 2015 mit 2017.

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