Quelle: Politische Berichte Nr. 6-7, Juni/Juli 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

Gegenwehr gegen Trumps Politik

Konturen einer Erneuerung der Zivilgesellschaft wie auch ihrer staatlichen Eingefasstheit werden sichtbar

Wenn man der Frage nachgeht, warum das Niederzwingen der Schutzzonen-Kommunen für US-Präsident Trump eine erkennbar überragende Bedeutung hat, stößt man im Kern auf eine existentielle, die Lebensverhältnisse vieler Menschen vor Ort betreffende soziale Auseinandersetzung, die auf dem Gefechtsfeld der US-Verfassung ausgetragen wird. Dieser Zusammenprall hat im öffentlichem Raum eine intensive und weitreichend vernetzte Diskussion hervorgerufen, die zum einen nicht nur am multikulturellen Charakter der US-amerikanischen Zivilgesellschaft solidarisch festhalten will, sondern die diesen Charakter eher noch verstärkt wissen will unter dem Motto: Bereicherung durch Vielfalt. Und die zum andern eine aus beiden politischen Lagern getragene Neubestimmung der föderativen Bundesebene sucht, welche diese Ebene zurückschneidet auf lediglich zwei Funktionen: Ausgleich und Ergänzung.

Trumps Behauptungen über Schutzzonen-Städte finden in der Wirklichkeit keine Bestätigung

In zwei besonderen Erlässen hat Präsident Trump gleich zu Beginn seiner Amtszeit, am 25. Januar 2017, die Sanctuary Cities und Sanctuary Counties (Schutzzonen-Städte und -Landkreise) als Bedrohung für die innere Sicherheit bewertet: Schutzzonen mit eigener Rechtshoheit, verteilt über die gesamten Vereinigten Staaten, würden die Bundesgesetzgebung willentlich verletzen, wenn sie versuchen, illegale Immigranten vor der Abschiebung aus den USA zu schützen. Diese rechtshoheitlichen Körperschaften hätten ‚dem amerikanischen Volk und dem Gefüge unserer Republik‘ unermesslichen Schaden beigefügt. Etwa dadurch, dass sie zu einem Freiraum für Kriminalität geworden seien, und dadurch, dass sie wirtschaftlich Stagnation und Niedergang in Kauf nehmen. Sie hätten vor allem, so Trump, die Zusammenarbeit ihrer Polizeiorgane mit den Bundesbehörden für Immigration eng begrenzt. Er fordere sie daher auf, dies zu unterlassen. Andernfalls würden sie die zustehenden Bundeszuwendungen verlieren.

Diese Behauptungen finden in der Realität keine Bestätigung. Wie eine neuere Analyse – veröffentlicht vom Center for American Progress und vom National Immigration Law Center – verdeutlicht, weisen die Schutzzonen-Kommunen eine niedrigere Kriminalität und ein höheres wirtschaftliches Wohlergehen aus. Diesem Befund, der auf einer entsprechenden Statistik der Bundesbehörde für Immigration fußt, liegt ein Abgleich der Verhältnisse in den Kommunen zugrunde, die sich als Schutzzonen ausweisen, und solchen, die sich ausdrücklich nicht als solche Zonen verstehen. Von 2492 in der Untersuchung erfassten Kommunen hat die Bundesbehörde 602 als Schutzzonen-Gebilde identifiziert.

Der Abgleich ergab, dass in den Schutzzonen-Kommunen auf 10 000 Einwohner 35,5 weniger Gewalt- und Eigentumsdelikte entfallen wie in den Kommunen ohne solches Selbstverständnis. Bei den Kommunen in den Metropolregionen fällt dieser Abgleich mit 65,4 weniger erfassten Straftaten noch drastischer aus. Dieser Abgleich ergab auch bessere wirtschaftliche Verhältnisse bei den Schutzzonen-Kommunen. Im Durchschnitt weisen sie höhere Einkommenswerte aus sowie niedrige Armutszahlen und etwas geringere Arbeitslosenzahlen. Diese positiven Effekte werden in kleinen Kommunen noch deutlich übertroffen. Das heißt dort, „wo angenommen werden kann, dass die Beiträge eines jeden einzelnen Immigranten größere Auswirkungen haben“.

Am 24. April hat ein Distriktgericht in San Francisco die Absicht der Trump-Administration, die regelmäßigen Bundeszuwendungen zu einer Waffe in ihrer Auseinandersetzung mit den Schutzzonen-Kommunen zu machen, vorläufig durchkreuzt. Richter William Orrick befasste sich mit dem von der Stadt San Francisco und dem umliegenden Landkreis vorgebrachten Klagepunkt Verstösse gegen die Bestimmungen des 10. Zusatzartikels (Tenth Amendment) zur US-Verfassung. Orrick musste zunächst untersuchen, ob dieser Klagepunkt berechtigt ist und bei den nächsthöheren Gerichten auch Aussicht auf Erfolg hat. Orrick hat festgestellt, dass die angedrohte Vorenthaltung von Zuwendungen vor allem Bundesmittel betrifft, die für die öffentliche Gesundheitsfürsorge eingesetzt werden, Medicare, Medicaid, Transportdienstleistungen, Wohlfahrtdienste für Kinder, Schutzimpfungsprogramme und die Notfallbereitschaft.

Die Gegenwehr der Sanctuary Cities gegen Trumps Politik stützt sich auf die US-Verfassung

Unter Bezugnahme auf frühere Entscheidungen des höchsten Bundesgerichts (Supreme Court) kommt Distriktrichter Orrick zu dem Ergebnis, dass die Anklage einreichende Seite durch das harsche Risiko beim Wegfall der Bundesmittel im Verfahrensweg erfolgsbegünstigt ist. Das Erzwingen von Zusammenarbeit bei der Immigrationspolitik mit der Bundesadministration komme einer verfassungswidrigen Gewaltandrohung gleich. Sie stelle eine „Pistole auf die Brust“ (gun to the head) dar. Distriktrichter Orrick kommt zu dem Schluss, dass es sich hier, „wo Hunderte Millionen von Dollars auf dem Spiel stehen“, um die Herbeiführung einer verfassungswidrigen besonderen Härte für die betroffenen Kommunen handelt. Auch hier habe der Verfahrensweg der Kläger Aussicht auf Erfolg. Diese Erfolgsaussichten seien vor allem unter dem Gesichtswinkel früherer Entscheidungen des höchsten Bundesgerichts zu ähnlich gelagerten Fällen gegeben. Der Gerichtshof hatte damals festgestellt, dass die Bundesregierung die Bundesstaaten nicht zwingen dürfe, ihre eigenen Verpflichtungen, die sie aus dem Immigrationsgesetz ableitet, auszuführen. Orrick hält eine bundesweite Unterbindung der Maßnahmen für gerechtfertigt, weil die betroffenen Kommunen wegen der bedeutenden Unsicherheit für ihre Haushaltsplanung ein sehr starkes Interesse haben, die angedrohten Zwangsmaßnahmen zu verhindern.

„Das wirkliche Ziel der Trump-Order ist die Neugestaltung der amerikanischen Demografie“

In der US-Zeitschrift „The American Mirror 2017“ vom 24. Mai wird darüber berichtet, dass das Oberhaupt der Living Water United Church of Christ in Philadelphia, Bischof Dwayne Royster, die geplanten Bundeshaushaltskürzungen des derzeitigen US-Präsidenten in einer öffentlichen Stellungnahme als den Versuch einer „ethnischen Säuberung“ (ethnic cleansing) angeprangert hat:

Der aktuelle Haushalt der Trump-Administration stelle den Versuch dar, eine ethnische Säuberung in der US-Bevölkerung einzuführen – eine Säuberung von Farbigen aber auch von armen Weißen, die auf staatliche Dienste angewiesen sind und deshalb am meisten von diesen Kürzungen betroffen sind. Es sei „Realität, dass viele arme afroamerikanische Familien und Latino-Familien und asienstämmige Familien und indianische Familien durch diesen Haushalt vernichtet werden“. Es sei außerdem „Realität, dass ebenso auch arme weiße Familien durch diesen Haushalt zugrunde gerichtet werden“. In seinem Versuch, die farbigen Familien mit seinen Haushaltskürzungen zu treffen, füge er ebenso auch vielen armen weißen Familien Schaden zu. Diese Kürzungen würden zum Wegfall von dringend benötigten Jobs im staatlichen Dienstleistungsbereich führen, sie würden dort bislang Beschäftigte arbeitslos machen und würden somit zum Anwachsen der Armut innerhalb der US-Bevölkerung führen. Trumps übergreifendes Ziel sei es, Menschen dadurch in Armut zu treiben, dass er das für sie bestimmte Geld an die Reichen gibt. Wegen des beabsichtigten Bundeshaushalts würden, so der Bischof, Menschen, bildlich gesprochen, tot umfallen.

„Wir werden bei den betroffenen Bevölkerungsteilen einen Anstieg von frühem Tod und von Leiden erleben als Resultat des Wegfalls der Gesundheitsfürsorge von Medicaid. Wir werden erleben, dass ältere Menschen sterben wegen des Wegfalls von Essen auf Rädern (Meals on Wheels). Wir werden einen Anstieg der Kindersterblichkeit erleben wegen des Wegfalls von vorgeburtlicher Gesundheitsvorsorge und von Verhütungsvorsorge für Frauen.“ Wie der Bericht abschließend mitteilt, ist Bischof Royster gegenwärtig der Politische Direktor von PICO (People Improving Communities through Organizing – Menschen stärken Gemeinden durch Organisierung) – einer Vereinigung, die sich für eine unvoreingenommene Politik in Sachen Gesundheitsfürsorge, Immigration und soziale Gerechtigkeit einsetzt.

Die „Los Angeles Times“ hatte bereits am 24.2.2017 einen Leitartikel veröffentlicht, der sich mit „dem wirklichen Ziel der Trumpschen Politik“ befasst. Das beträfe die „Neugestaltung der US-amerikanischen Demografie“. Die Berater des Präsidenten würden hierzu auf die Veränderungen bei den Einwanderungswellen hinweisen, um ihre Zielsetzung zu rechtfertigen. In derselben Zeit, in der der europäische Einwanderungsanteil stetig sank, habe sich der Anteil der US- Bürger, die im Ausland geboren wurden, vervierfacht. 1960 lag ihr Anteil bei 9,7 Millionen. 2014 lag er bei 42,2 Millionen. Diese Veränderungen hätten den nationalistischen Teil des konservativen Lagers alarmiert. Trumps Berater Steve Bannon sähe in zu großer Vielfalt eine „Unterhöhlung der Nation“. Wie er mitgeteilt habe, sei ihr monokultureller Charakter das Herzensanliegen der Trump-Administration. Damit bekräftigt Bannon die Leitidee seines erzkonservativen Lehrmeisters Patrick Buchanan, der innerhalb der Republikanischen Partei schon immer die Hinnahme einer steten „Überfremdung der USA“ angeprangert hat.

•••

Distriktrichter Orrick hat sich in seiner Entscheidung ganz bewusst auf die Auslegung des 10. Zusatzartikels zur US-Verfassung gestützt, die der Oberste Bundesgerichtshof in einigen berühmt gewordenen Rechtsstreitfällen entwickelt hat. In diesem Kontext kam es zur Formulierung der sogenannten Anti-Commandeering Doctrine (laut Tenth Amendment Center. States Don’t Have to Comply: The Anti-Commandeering Doctrine). Hiernach reicht die bundestaatliche Macht lediglich in einige wenige zivilgesellschaftlichen Bereiche. „Die meiste Macht und Autorität hat bei den Bundesstaaten und beim Volk zu verbleiben.“ Aber auch innerhalb des eigenen Machtbereichs kann die Bundesregierung nicht die Bundesstaaten und die sonstigen kommunalen Hoheiten zur Kooperation bei der Durchführung eigener Aufgaben zwingen. Die Bundesregierung kann sie nicht gegen ihren Willen zur Kooperation nötigen. Der Status der Bundesstaaten als unabhängige Souveräne im föderativen US-System verdankt sich der Einsicht, „dass die Freiheit durch die Etablierung zweier Regierungen vergrößert wird und nicht bloß durch eine“. In der US-Verfassungslehre gilt dieser Zusammenhang als „Zwei-Regierungen-System“. Das konservative Lager, dem sich diese spezifische Verfassungslehre hauptsächlich verdankt, steht nunmehr zunehmend vor der Frage, wie weit es aus faktisch rassistischen Motiven nach dem Motto: Make America white again! den Kurs der Trump-Administration noch unterstützen will. Immerhin zielt dieser Kurs faktisch auf ein „Ein-Regierungs-System“. Hunno Hochberger, Bohmte

Abb.:

Einbürgerungsfeier an der Oakton High School in Vienna, Virginia, Dezember 2015

Einwanderer aus Polen 1909 bei der Arbeit als Beerenpflücker. Es gab noch keinerlei Sozialgesetze, die Armut zwang zur Kinderarbeit. (Bilder: wikipedia)

nach oben