Quelle: Politische Berichte Nr. 8, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

„Die Erinnerung ist die Voraussetzung für eine Versöhnung.“ Zum Tode von Simone Veil

Der Name Simone Veil ist mit vielen Strängen der französischen und europäischen Geschichte verbunden, er steht für eine Kämpferin: für die europäische Einigung, für das Erinnern an die Verbrechen der Nazis und ihrer Anhänger in allen Ländern, für die Rechte von Frauen.

„1927 in Nizza als jüngste Tochter des Architekten André Jacob und seiner Frau Yvonne geboren, wächst sie republikanisch-laizistisch und strikt antireligiös auf. Anfang 1944 wird sie aus dem Lyceum vertrieben“ (1) die ganze Familie von der Gestapo verhaftet und mit Mutter und Schwester nach Ausschwitz deportiert. Mit Glück und Unterstützung von anderen Mitgefangenen überlebt sie. „Immer wieder gefragt, was von Auschwitz geblieben sei, antwortet sie: ‚Die Lust am Leben und das Wissen darum, was wirklich wichtig ist‘.“(1)

Nach 1945 wollte in Frankreich niemand etwas wissen von zurückgekehrten Juden, im Gegenteil, es wurde ihnen mangelnder Widerstand und verdächtiges Verhalten beim Überleben vorgeworfen. „Erst mit der Arbeit von Serge Klarsfeld in den 1970er Jahren wurde die Verfolgung der Juden in Frankreich thematisiert. Und erst 1995 mit der Rede von Jacques Chirac zum Jahrestag der Rafle de Velodrôm d’Hiver wurde die Massenverhaftung von Pariser Juden offiziell anerkannt.“ (1)

Gegen große Widerstände wurde Veil – inzwischen Rechtsanwältin – 1974 Gesundheitsministerin in Frankreich. Für ihren Kampf für Frauenrechte, insbesondere die Freigabe von Verhütungsmitteln und die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen, sah sie sich bis ins hohe Alter von vielen Seiten schärfsten Angriffen ausgesetzt. „Im Zuge der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments 1979 wurde Simone Veil als Europaabgeordnete gewählt und bekleidete bis 1982 als erste Frau das Amt des Parlamentspräsidenten. Sie war somit die erste Präsidentin des erstmals direkt gewählten Europäischen Parlaments. Veil war 14 Jahre lang als Abgeordnete im Parlament tätig, außerdem war sie Vorsitzende bzw. stellvertretende Vorsitzende der Liberalen und Demokratischen Fraktion.“ (2) Simone Veil wurde 1981 mit dem renommierten Karlspreis zu Aachen ausgezeichnet. 2011 wurde der von der Promenade eingerahmte Platz vor dem Europäischen Parlament in Brüssel nach Simone Veil benannt. 1993 kehrte Simone Veil in die französische Politik zurück. 2008 wurde sie – eine hohe Anerkennung in Frankreich – Mitglied in der Académie Française.

Das Europäische Parlament würdigte Simone Veil in einer Trauerstunde: „Mit der Energie einer Überlebenden, die den Preis des Friedens kennt, hat Simone Veil in Frankreich und im Europäischen Parlament zahlreiche Kämpfe ausgefochten. Mit ihrem Einsatz hat sie Fortschritte für die Rechte aller Bürger erzielt“, betonte EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani bei der Gedenkfeier im Parlament.

Er fügte hinzu: „Im Bewusstsein der historischen Aufgabe, die sie ausführte, begleitete sie das junge Parlament bei seinen ersten Schritten, leitete es in die richtige Richtung und schuf die Grundlagen für seine künftige Entwicklung.“

Am 30. Juni 2017 im Alter von 89 Jahren starb Simone Veil. Mit einem Staatsbegräbnis wurde sie im Pariser Panthéon neben 70 anderen wichtigen Vertretern Frankreichs (wie Victor Hugo, Jean Moulin oder Voltaire) beigesetzt – eine von insgesamt jetzt fünf Frauen. Eva Detscher, Karlsruhe

Literaturhinweis: „Und dennoch leben: Die Autobiographie der großen Europäerin“, 2009 Aufbau Verlag

(1) Jüdische Allgemeine, http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/4272

(2) Aktuelles Europäisches Parlament. http://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/eu-affairs/20170703STO78828/eu-parlament-wurdigt-simone-veil (dort auch weitere Links)

Abb.(PDF): Bildquelle: http://audiovisual.europarl.europa.eu/Asset.aspx?type=nl&id=4e7c4bbb-d1ad-4ac2-9a58-a453008f4b5c