Quelle: Politische Berichte Nr. 8, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

IAO-Empfehlung zu Krisen und Migration

01-Dok.: Kapitel der IAO Empfehlung 205

02 Blick in die Presse- Mobilitätspartnerschaften erleichtern Abschiebungen aus Europa.

Ein zentrales Dokument hat die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) auf ihrer 106. Arbeitskonferenz (5. bis 16. Juni in Genf) verabschiedet. Die neue IAO-Empfehlung 205* ersetzt die Empfehlung Nr. 71, Menschenwürdige Arbeit für Frieden, Sicherheit und Katastrophenresilienz von 1944, die Antworten auf durch Konflikte, Katastrophen und (kriegerische) Konflikte ausgelöste Krisen geben sollte. Die Staaten sind aufgefordert, die neue Empfehlung umzusetzen, die IAO-Strukturen sollen einen Umsetzungsplan erarbeiten.

Vorgelegt wird mit der Empfehlung ein relativ umfassendes Programm für die Bearbeitung von Krisen und (kriegerischen) Katastrophen im Bereich der wirtschaftlichen Tätigkeiten, einschließlich der industriellen Beziehungen, der Arbeitsmarktorganisation und der Antidiskriminierung im Wirtschaftsleben. Immer wieder finden sich in dem Text Bezüge zu einzelnen IAO-Übereinkommen. Die Bandbreite der behandelten Phänomene reicht von allgemeiner Migration, die Rolle der Beschäftigtenorganisationen und der Arbeitgeberverbände, Antidiskriminierungspolitiken, Arbeitsmarktzugang und Ausbildung, die Einbeziehung von Migranten und Flüchtlingen in die sozialen Sicherungssysteme bis zu den besonderen Bedingungen von Frauen etwa in Kriegsgebieten, wo sie häufig alle Rollen der Männer übernehmen, dann aber nach deren Rückkehr wieder aus dem ökonomischen Leben gedrängt werden. Zwangsarbeit wird ebenso behandelt wie die Arbeitsmarkintegration von Flüchtlingen oder Bedingungen für deren sichere Rückkehr in die Heimat nach Beendigung gewalttätiger Konflikte. Ein deutlicher Schwerpunkt bildet der Schutz der am meisten gefährdeten Gruppen (Frauen, Kindern, Vertriebene und jungen Menschen).

In einer ebenfalls von der Konferenz verabschiedeten Resolution zu einer fairen und effektiven Steuerung von Arbeitsmigration geht es um die aktuelle Operationalisierung der beiden Übereinkommen Nr. 97 (Über Wanderarbeiter 1949 – Revidiert) und Nr. 143 (ergänzende Bestimmungen zum Wanderarbeiterübereinkommen – 1975). Die Resolution formuliert künftige Aktivitäten, die die IAO vorantreiben und fördern will. Dies sind unter anderem:

- Die bessere Verbreitung von nutzerfreundlichen Materialen bezüglich der IAO-Übereinkommen.

- Erleichterung einer sicheren, regulären und verantwortungsvollen Migration und Freizügigkeit von Personen, auch unterstützt durch entsprechende Migrationspolitiken der Mitgliedsstaaten.

- Die Förderung von bilateralen und multilateralen Vereinbarungen zwischen den Herkunfts-, den Transit- und den Zielländern von Arbeitsmigranten unter Einbeziehung der Sozialpartner.

- Unterstützung zu organisieren, damit Wanderarbeiter Qualifikationen erwerben können und ihre formal oder informell erworbenen Qualifikationen anerkannt bekommen.

- Stärkung der sozialen Absicherung von Wanderarbeitern durch bilaterale oder multilateral Vereinbarungen zur Integration von Wanderarbeitern in die sozialen Sicherungssysteme.

- Ermitteln, wo das Koalitionsrecht beschnitten wird, und die bestmöglichen Maßnahmen und Strategien zur Durchsetzung dieses Rechts entwickeln.

- Eine stärkere Kooperation mit internationalen Organisationen, die sich mit Migration und Menschenrechten befassen und die Rechte von Migranten unterstützen.

Beide Dokumente verzichten auf Herleitungen und Problembeschreibungen und sind in einer sehr abstrakten Sprache abgefaßt. Die formulierten Ziele und Vorschläge sind ebenfalls abstrakt formuliert. Eine Operationalisierung konkreter Tätigkeiten und Programme werden über die Strukturen der IAO in der Zukunft zu erwarten sein. Was bei der Lektüre auffällt, ist die etwas sparsame Beschreibung des Kapitels zur internationalen Kooperation. Dort werden kaum andere Strukturen und Organisationen benannt, die eine Umsetzung fördern und unterstützen könnten. Addressaten bleiben meist die Mitgliedsstaaten, einmal werden multinationale Unternehmen genannt. Gleichwohl, die Dokumente könnten in vielen Politikbereichen ein Bezugspunkt werden. Etwa in Handelsabkommen, den Diskussionen zur europäischen Flüchtlingspolitik oder auch in internationalen Rahmenvereinbarungen die Gewerkschaften mit multinationalen Konzernen abschließen. Rolf Gehring, Brüssel

* Derzeit verfügbar in Englisch, Französich und Spanisch: http://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=NORMLEXPUB:12100:0::NO::P12100_INSTRUMENT_ID:3330503 (Englisch)

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01 Dok.: Kapitel der IAO Empfehlung 205

I. Ziele und Geltungsbereich

II. Leitende Prinzipien

III. Strategische Ansätze

IV. Beschäftigung und Einkommensmöglichkeiten

V. Rechte, Gleichheit und Antidiskriminierung

VI. Bildung, Berufsbildung und Beratung

VII. Soziale Sicherheit

VIII. Arbeitsrecht, Arbeitsverwaltung und Arbeitsmarktinformationen

IX. Sozialer Dialog, Rolle der Arbeitgeber und Arbeitnehmerorganisationen

X. Von Krisen betroffene Migranten

XI. Flüchtlinge und Rückkehrer

XII. Prävention, Mitigation und Vorbereitung

XIII. Internationale Kooperation

XIV. Schlussbestimmungen

Abb. (PDF): Im italienische Süden, aber nicht nur dort, hat sich in der Landwirtschaft basierend auf völliger Abhängigkeit eine eigene ökonomische Struktur der sklavenähnlichen Ausbeutung von über das Mittelmeer angekommenen Flüchtlingen ohne legalen Aufenthaltsstatus entwickelt. Allein in der Region um Foggia/Apulien haben sich sechs Gettos gebildet, in denen bis zu 3000 Menschen leben. Insgesamt schätzt die Branchengewerkschaft FLAI-CGIL, dass etwa 430 000 Menschen in das System, dass auch „Caporalato“ (traditionelles, später verbotenes System, in dem Mittelsmänner, die alles entscheiden, Menschen an Arbeitgeber vermitteln) genannt wird, eingebunden sind. https://idjournal.co.uk/2017/03/09/modern-slavery-in-italian-agriculture/

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02 Blick in die Presse- Mobilitätspartnerschaften erleichtern Abschiebungen aus Europa.

Medico international – Schwerpunkt Migration und Flucht, Mi., 5.7.17. Ein relativ neues Element der EU-Migrationspolitik sind „Mobilitätspartnerschaften“, von denen schon einige geschlossen wurden, um migrations- und entwicklungspolitische Ziele zu verbinden. Auch Mali wird zu einer solchen „Partnerschaft“ gedrängt, die Rückübernahmemodalitäten beinhaltet. Kommt es zur Unterzeichnung, können EU-Staaten Eingewanderten ohne Papiere Ersatzdokumente („Laissez Passer“ = Passierscheine) ausstellen, die Abschiebungen auch ohne Zustimmung der Botschaften ermöglichen. Auch ohne Zustimmung Malis wurden seit 2016 Personen aus Frankreich und Schweden mit EU-Laissez-Passer-Papieren nach Mali abgeschoben.

Ein Praxisbericht:Erzwungene Rückkehr nach Afrika. Ousmane Diarra von der Abgeschobenenselbstorganisation AME sprach mit Medico International: „Die Idee der Laissez-Passer-Papiere entstand auf dem Gipfeltreffen europäischer und afrikanischer Staaten 2015 in Valletta. Ein Ziel des Treffens war die „Verbesserung der Zusammenarbeit bei Rückführung und Rückübernahme“. Die Länder des Südens waren mit den Beschlüssen nicht einverstanden. Unsere Regierungen sagten, sie akzeptierten Abschiebungen mit diesen europäischen Passersatzdokumenten nicht. Ein Migrationssteuerungs-Fonds (ca. 2,5 Mrd. Euro) wurde eingerichtet, um den enorme Konkurrenz entstand. Die afrikanischen Regierungen machen sich Sorgen um ihre Bevölkerung, die stark auf Migration angewiesen ist. Der Druck wächst, den Forderungen der EU nach Abschiebeerleichterungen nicht nachzugeben. Wir als AME sind angetreten, um die Rechte der MigrantInnen zu verteidigen und verurteilen erzwungene Rückkehr in jeder Form. Bei einem Großteil der Rückführungen kann nicht von Freiwilligkeit gesprochen werden. Die Menschen werden sogar belogen, man erzählt von Reintegrationsmaßnahmen nach ihrer Rückkehr. Es wird ihnen vorgegaukelt, dass sie über längere Zeit Unterstützung bekämen. Wir haben ein Programm für MigrantInnen entwickelt, die von der „freiwilligen“ Rückkehr enttäuscht wurden, die daran zerbrechen und psychosoziale Schäden davontragen, um ihren Fall ins ‚Nichts‘ aufzufangen. Durch Hausbesuche unterstützen wir die Wiederaufnahme in das soziale Umfeld. Wir entwickeln ein Projekt, das sich mit Agrarwirtschaft und Viehhaltung beschäftigt.

Quelle: www.medico.de, Interview: Ramona Lenz und Sabine Eckart, gekürzt von Rosemarie Steffens, Langen (Hessen)