Quelle: Politische Berichte Nr. 8, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

Der Kampf der AfD gegen die herrschende politische Kultur

AfD und Co. betreiben einen „Kulturkampf von rechts“, hieß es in der letzten Ausgabe der Politischen Berichte (Nr. 6-7/2017, S. 24). Was sind Inhalt und Stoßrichtung dieses Kampfes? Zu einem entscheidenden Punkt wurden im Sommer 2017 Ergebnisse einer Recherche „Für einen schwarzrotgoldenen Schlussstrich“ veröffentlicht. Sie untersuchte die bildungs- und kulturpolitischen Aktivitäten der AfD speziell mit Blick auf die politische Bildung, und zwar in den zehn Landtagen, in denen die Partei (bis März 2017) vertreten war. Das Fazit lautete: Movens des Engagements in Sachen Bildung und Kultur ist ein nationalistisches Denunziationsinteresse, passend zum Idealismus alternativer politisch-pädagogischer Indoktrination.

Dabei vertritt die AfD keine Positionen, die groß aus dem Rahmen fallen. Sie sammelt im Grunde nur ein, was sich in den letzten Jahrzehnten vom christlich-sozialen Konservatismus bis weit in die SPD und die Grünen hinein an Rechtstrend herausgebildet hat und was als Gesinnung in der legendären Mitte der Gesellschaft sowieso zuhause ist. Ein Alleinstellungsmerkmal in Merkels Land kann sie am ehesten bei den traditionellen Family Values verbuchen, die sie hochhält und gegen den Trend von Diversity und Gender Mainstreaming – bei gewissen Inkonsequenzen, siehe z.B. die AG Homosexueller in der AfD – wieder in der Familienpolitik verankern will. Alles andere, so etwa die Forderung nach einem Schlussstrich unter den ewigen „Kult mit der Schuld“, also nach Beendigung der NS-Vergangenheitsbewältigung, und der Betonung nationalen Selbstbewusstseins ist von Leuten wie Strauß oder Augstein abgeschrieben. Ja, es deckt sich mit Merkels Anliegen, Deutschland als weltoffene und zur Weltführung prädestinierte Nation zu präsentieren, die sich wegen ihres prinzipiellen Verantwortungsbewusstseins und ihrer tief greifenden Läuterung von keinem mehr etwas nachsagen lassen muss; die im Gegenteil alles Recht der Welt hat, moralisch aufzutrumpfen und auf dem Globus nach dem Rechten zu sehen.

Die AfD sieht in der regierungsoffiziellen Haltung gegenüber dem Ausland – ursprünglich der europäischen Währungsunion – und den Ausländern – speziell seit Merkels Flüchtlingspolitik 2015f – das entscheidende deutsche Politikversagen. Das soll nicht mehr allein vom oppositionellen Standpunkt einer besseren (Personal-)Alternative bekämpft, sondern als ein Verbrechen an Staat und Volk gebrandmarkt werden. In diesem Sinne fasst die Partei in der Präambel ihres Grundsatzprogramms ihren Gründungsimpuls zusammen: „Dem Bruch von Recht und Gesetz, der Zerstörung des Rechtsstaats und verantwortungslosem politischen Handeln gegen die Prinzipien wirtschaftlicher Vernunft konnten und wollten wir nicht länger tatenlos zusehen.“ In dieser Krisendiagnose spielt die politische Bildung eine zentrale Rolle. Die Partei eröffnet ihr Programm, bevor das runde Dutzend der einzelnen Politikfelder abgearbeitet wird, mit einem Grundsatzkapitel über Demokratie und Grundwerte. Dort wird in einem Vorspann die Krisendiagnose präzisiert. Die Deutschen leben demzufolge in einer Art Unrechtsregime, in dem sich die „unantastbare Volkssouveränität als Fundament unseres Staates als Fiktion herausgestellt“ habe.

Die AfD stellt diese Lage nicht nur fest, sie bietet auch eine Erklärung für den Demokratieverfall an, die eine eindeutige Schuldzuweisung an die politische Bildung enthält: „Heimlicher Souverän ist eine kleine, machtvolle politische Führungsgruppe innerhalb der Parteien. Sie hat die Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte zu verantworten. Es hat sich eine politische Klasse von Berufspolitikern herausgebildet, deren vordringliches Interesse ihrer Macht, ihrem Status und ihrem materiellen Wohlergehen gilt. Es handelt sich um ein politisches Kartell, das die Schalthebel der staatlichen Macht, soweit diese nicht an die EU übertragen worden ist, die gesamte politische Bildung und große Teile der Versorgung der Bevölkerung mit politischen Informationen in Händen hat.“ Das Staatsvolk der Bundesrepublik, lautet dann der Schluss, sei aufgerufen, den „illegitimen Zustand“ zu beenden. Man möchte also das sein, was Höcke in seiner Dresdener Rede als „inhaltliche Fundamentalopposition“ bezeichnete: eine quasi-aufständische Bewegung, die mehr will als die Normalität eines Regierungswechsels. Dieser Grundgedanke von der Rückeroberung der Staatsmacht durch das Volk verbindet ja die neue Internationale der Nationalisten. Ob Trump oder Le Pen, der Feind ist das „Establishment“ bzw. „L’Establishment“, in dem die politische Klasse und die Medien (die „Lügenpresse“) zu einer Einheit verschmolzen sind, die sich auf Kosten des Volkswohls bereichert.

Die AfD bringt in dieses Feindbild die spezielle Note der pädagogischen Indoktrinierung ein. Inhaltlich heißt das: Angriff auf alles, was links ist. Da kommen die gängigen Unterwanderungs- und Bedrohungsszenarien zu Zuge, wie sie etwa in den USA ein Pat Buchanan oder Andrew Breitbart, in Deutschland ein Thilo Sarrazin verbreitet. Da wird dem „Kulturmarxismus“ der Kampf angesagt. Dass die AfD heutzutage mit dem Indoktrinationsvorwurf auftritt und – zumindest in begrenztem Umfang – auf Resonanz stößt, ist ein fatales Erbe aus politischer Kultur und Selbstkritik des Bildungsbetriebs. Ende des 20. Jahrhunderts begann dort die Polemik gegen die „Belehrungskultur“ oder gegen die „missionarische Bildung“; die 68er wurden als selbstherrliche Aufklärer identifiziert, die sich ungeheuerlicher Weise anmaßten, gegen ein „falsches Bewusstsein“ vorzugehen; Aufklärung wurde als eine „oberlehrerhafte“ Attitüde diskreditiert, die die Adressaten für Gesellschaftsveränderung, für „Utopien“ in Beschlag nehmen wolle, statt ihnen „kundenorientiert“ die notwendigen Kompetenzen für den Daseinskampf im modernen Alltagsleben nahezubringen. Frauke Petry hat z.B. im Streitgespräch mit Katrin Göring-Eckardt (Die Zeit, 26.1.2017) diese Vorwürfe erneuert, und zwar an die Grünen als ehemalige Anti-Establishment-Partei adressiert. Diese wollten „Utopien verkaufen“ und die „Vision vom neuen Menschen fortschreiben“, wogegen Petry Protest einlegte: „Aber der Mensch ist, wie er ist. Eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft sollte ihn nicht umerziehen, sondern mit all seinen Facetten abbilden.“

Die AfD interveniert also gar nicht mit einer neuen Idee in den eingespielten Betrieb politischer Pädagogik, um die etablierten Verhältnisse umzukrempeln (ein Betrieb übrigens, der seine eigenen Schwierigkeiten mit dem Kampf „gegen rechts“ hat). Von einem Kampf um kulturelle Hegemonie im strengen Sinne – dem Ringen um Auswechslung eines herrschenden Paradigmas – kann man also nicht reden. Was wir aktuell, gerade nach den Hamburger Protesten und den Ansagen von de Maizière oder Maas, erleben, ist eher eine „Querfront aus CDU, CSU, SPD, AfD, FDP und NPD“, wie die Junge Welt (12.7.2017) schrieb. Die Nation schließt jede Kritik von links aus. Wer – wie dezidiert auch immer – an den Klassencharakter dieser Gesellschaft erinnert und die Lüge von der Volksgemeinschaft angreift, gehört nicht zu Deutschland, zum „besten Deutschland“, wie wir seit Gauck wissen, „das es je gab“. Johannes Schillo

Quellen: Johannes Schillo, Für einen schwarzrotgoldenen Schlussstrich. Außerschulische Bildung, Nr. 2/17, online: http://www.adbildungsstaetten.de/content/zeitschrift-ausserschulische-bildung-ausgabe-2-2017 • Johannes Schillo, Alternative politische Bildung für Deutschland. Auswege-Magazin, 16. Juni 2017, online: http://www.magazin-auswege.de/tag/schillo/ • Johannes Schillo, Pädagogik gegen rechts, ächz. IVA, Juli 2017, https://www.i-v-a.net/doku.php?id=texts17#dokuwiki__top.