Quelle: Politische Berichte Nr. 8, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

Dr. Harald Pätzolt, Berlin 25. Juli

Die Parteien am Point of Sale

Ach, Volk, du obermieses,

Auf dich ist kein Verlaß.

Heute willst du dieses.

Morgen willst du das.

Peter Hacks*

Die Parteien haben, bis auf die SPD, ihre Wahlkampagnen präsentiert, die Werbung beginnt. Es muss sich nun beweisen, was sie im Kundenkontakt (um nur kurz im Wirtschaftsjargon zu bleiben) zu bieten haben. Folgende Analyse beschäftigt sich allein damit. Sonntagsfrage, Wählervolatilität usw. seien mit dem vorangestellten Zitat von Peter Hacks für diesmal erledigt.

CDU/CSU und SPD – Kreuzfahrt oder Passage?

Es scheint mir unmöglich, die Wahlstrategien und die Kampagnen der beiden großen Parteien unabhängig voneinander zu beschreiben. Sie sind so fundamental verschieden voneinander, dass in deren Gegenübersetzung die Qualität der einzelnen Positionierung erst recht hervortritt.

Die CDU unter Führung der Kanzlerin hat sich auf eine Kampagne von großer Stimmigkeit, Klarheit und Stärke festgelegt. Sie ist deutlich konservativ, allerdings nicht in diesem schlechten, herabsetzenden Sinne, der im in Deutschland üblichen Gebrauch dieses Wortes steckt. Ich will das in drei Punkten erläutern.

Der erste Punkt betrifft, was man den „aufgeklärten Menschenverstand“ nennt, also den Blick für Zeitgeist und die mentale Lage der eigenen Klientele, ja großer Teile der Bevölkerung. Den muss man Angela Merkel resp. ihren Beratern zubilligen. Es gibt in Deutschland eine stabile wirtschaftliche Lage unter instabilen äußeren Bedingungen. Den allermeisten Menschen geht es gut und so solle es auch bleiben. Besitzstandswahrung ist die erste Sorge. Wenn im gemeinsamen Wahlprogramm der Union davon die Rede ist, man lebe heute im schönsten und besten Deutschland, das wir je hatten, so beschreibt es genau jene Kollektivwahrnehmung der älteren Teile der Bevölkerung (ü45!) – und das sind die weitaus zahlreichsten Jahrgänge. Aber der Satz ist tiefgründiger, er greift nicht nur die „goldene“ Gegenwart auf, die es zu bewahren gilt (Motto der Kampagne: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“), er formuliert zugleich den Zeitgeist einer Gesellschaft, die keine Hoffnung mehr in die Zukunft zu haben scheint.(1)

Der zweite Punkt betrifft Merkels Antwort, ihren Politikstil. Angela Merkel entspricht in vielen Zügen dem Bild eines konservativen Politikers, wie ihn Halifax in seinem Essay „The Character of a Trimmer“ (1688) beschrieben hatte: Ein Trimmer setzt sein Gewicht ein, um das Schiff in ruhigem Gleichgewicht zu halten. Dazu braucht es Wissen um das Spannungsfeld der Politik, in dem er sich bewegt, und Urteilskraft, um die passende Gelegenheit und Richtung für ein Manöver zu erkennen.(2)

Genau das prägt Wahlprogramm und Kampagne der Union, es werden politische Untiefen, Klippen und Passagen benannt: Europa muss gestärkt werden, Orban hin, Erdogan her. Die Wirtschaft muss ganz vorn sein im globalen Wettbewerb, sonst gibt es keine sichere Arbeit. Die Familie ist der Kern der Gesellschaft, der Mannschaft. Und es muss Ordnung herrschen an Bord, sonst wird die Fahrt unsicher.

Angela Merkel entspricht, dritter Punkt, der großen Sehnsucht nach Autorität, wie sie weithin grassiert. Und sie hat wie niemand sonst in der deutschen Politik bewiesen, dass sie zu jähen Wendungen fähig ist, wenn es gilt, das Schiff zu sichern. Zuletzt in Sachen gleichgeschlechtlicher Ehe, vorher beim Atomausstieg oder in der Russlandpolitik.

Bedeutsam im Vergleich mit der Strategie der SPD und ihres Kandidaten Martin Schulz ist, dass es im konservativen Politikverständnis für die Reise kein Ziel gibt, keinen Hafen. Der Weg ist das Ziel, man will gut und gerne leben. Martin Schulz trat auf und an mit der harschen Kritik am Kurs der Kanzlerin. Er und die SPD redeten davon, wohin die Reise gehen sollte, nämlich in das Land der sozialen Gerechtigkeit. Aber diejenigen, die ihm zujubelten, wollten da ja nicht hin, sie wollten auch nur „gut und gerne“ in Deutschland leben. Und weil Schulz dann allerlei Ideen produzierte, wie das Land denn aussehen sollte und was alles da zu ändern sei, Europa demokratisieren, Digitalisierung sozial gestalten usw., da folgten ihm die Leute nicht länger. Veränderungen mochten sie nicht.

Daraufhin schwenkte die SPD um und beschrieb ein anderes Land, wo es hingehen sollte, die Zukunft. Auch für dieses künftige Land sollte das jetzige umgestaltet werden, vor allem durch staatliche Investitionen. Aber, wie wir wissen, die Hoffnung in die Zukunft ist nicht unbedingt sehr stark verbreitet in Deutschland.

Man kann es geradezu als tragisch empfinden, dass der Kandidat, der kein konservatives Politikmodell anbietet, dessen Politik eine Richtung, ein Ziel kennt, gegen den Zeitgeist und deren Inkarnation nicht ankommt. Woran liegt das? Meines Erachtens an dem gänzlichen Mangel an Utopie, natürlich bräuchten wir einen gründlichen Kurswechsel des Gesellschaftsschiffes – aber da meutert noch jede Mannschaft in Europa bei Wahlen.

Entschieden ist in dieser Konstellation noch nichts. Angela Merkel kann jederzeit an unerwarteten Hindernissen scheitern, der äußeren Krisen sind viele. Auch häufen sich die inneren Bedrohungen, die Automobilkrise, die Gewaltexzesse und das Staatsversagen, was zu Unzufriedenheit unter der Mannschaft führt, der Verwaltungen, der Polizei und Justiz, der Bundeswehr, dem Bildungssektor und so weiter. Angela Merkel ist nur solange sicher auf der Brücke, wie sie liefert.

Zur Kampagne der SPD ist noch nichts zu sagen. Die der Union ist bekannt: 5 Themenplakate, 1 Merkel-Plakat, konzentriert auf die Topthemen der aktuellen Agenda. „Für Sicherheit und Ordnung“, „für eine starke Wirtschaft und sichere Arbeit“, „für mehr Respekt vor Familien“, „Europa stärken heißt Deutschland stärken“, „für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“.

Die Beziehungsebene stimmt. Die Typographie ist gut lesbar; in der Form ist die Graphik modern, aber solide. Die deutschen Farben nicht kompakt als Flaggenhintergrund, sondern spielerisch.

Wichtig das Grau: es ist Platz für alle, die sich nicht schwarzrotgold definieren. Und es ist kein Logo darauf, es geht um das Land, nicht die Partei.

FDP – freie Fahrt dem Einzelnen!

Die FDP hat einen starken Messenger, Christian Lindner positioniert die Partei als eigenständig und interessant für das breite Unternehmertum; klassisch marktmonoton und neoliberal, mit kalter Schulter für alles, was kostet und nix bringt, auch für Flüchtlinge. Beispielsweise will die FDP die Leiharbeit deregulieren, mehr Wettbewerb der Krankenkassen, Steuergeschenke für Besserverdienende, mehr private Altersvorsorge, viel ÖPP bei Investitionen in Infrastruktur usw. usf. Das ist eine klare Botschaft, ein klares Agenda Setting, was die Partei in den Bundestag zurück bringen könnte.

Soweit, so gut. Aber da ist, das verrät die nun vorgestellte Kampagne, noch etwas mehr zu erkennen. „Wir sind ein Stück weit Weltmeister im Weiterwurschteln geworden und wir sind nicht immer gut darin Probleme zuzugeben. Wir sind viel besser darin zu sagen, dass eh alles super ist: Bestes Sozialsystem, super Wirtschaftsstandort, wir schaffen das. Und: Veränderungsbereitschaft. Die ist oftmals bei uns nicht wirklich gegeben“. Ein Zitat von Christian Lindner? Nein, das ist von Sebastian Kurz, er wurde mit dieser Rede unlängst zum Chef der ÖVP gewählt. Sein Motto: „Zeit für Neues“.(3) Das Bemerkenswerte ist, dass Kurz seine Partei zur Wahlpartei umformiert hat, sie heißt jetzt „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“. Er folgt damit einem Trend, wie wir ihn jüngst in Frankreich beobachten konnten.

Christian Lindner verfolgt eben diesen Kurs, seine Partei als Bewegungspartei aufzustellen, nicht nur darin, die bestehende Regierungspraxis frontal anzugreifen und dagegen etwas vermeintlich ganz Neues zu setzen (Sein Motto ist: „Denken wir neu“). Auch die ausschließliche Fokussierung auf die eigene Person, jung, smart, unternehmerisch und politisch unverbraucht, gehört dazu. Veränderung und Bewegung, Wettbewerb ohne Fesseln und Leistung als alleiniger Maßstab sozialer Geltung (die FDP will schon unter Zuwanderern nach den „starken Personen“ suchen lassen!) als politischer Kult einer Generation, einer Schicht, von Menschen – das ist das Programm der FDP. Und Lindner treibt diese Art von Neo-Liberalismus auf die Spitze, er verkörpert den Einzelnen, der sich, wie auf den Großflächen, narzisstisch darstellt.

6000 Großflächen haben die FDP-Kreisverbände (!) gekauft. Mehr als doppelt so viele, wie die Bundespartei Die Linke bezahlen kann.

Die ersten vorgestellten Motive sind grenzwertig werberisch, vielleicht etwas zu posh (edel).

Generell setzt man auf den werberischen Blitz, höchste Aufmerksamkeit in kürzester Zeit durch CMYK.(4) Der FDP sind sie schwer zuzuordnen, leicht aber dem Lindner …

Dazu gibt es viel kleinen Text, das signalisiert Dialogbereitschaft, den Anspruch, noch viel mehr zu sagen zu haben und damit die Wählerschaft ernst zu nehmen. Das ist nicht neu, auch die Idee mit dem ganzen Wahlprogramm auf einer Großfläche ist aufgewärmt, funktioniert aber immer noch.

Und die Kampagne selektiert unverzüglich im programmatischen Sinne: Digitalisierung, Dynamik und Schnelligkeit. Aber eben selbstverliebt, das Richtige für selbstbewusste Leistungsträger. Alle anderen, besonders die Alten dürften eher Angst bekommen, den Anschluss zu verlieren. Die nimmt die FDP nicht mit. Will sie aber auch nicht.

Bündnis 90/Die Grünen – zurück auf dem Ökotrip

Den Grünen sollte es eigentlich vor der Bundestagswahl im Herbst 2017 nicht bange sein. Regieren sie doch in 10 Bundesländern, die Union kommt nur auf 9 Regierungsbeteiligungen. Doch die Umfragen sanken in zwei Wellen: Im November 2016 kam man auf 10% herunter und im Januar 2017 landete man dann bei den 8%, die bis heute gemessen werden. Zum ersten Abschwung dürfte die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten beigetragen haben, sie war das Mega-Thema und damit rückte der Klimawandel gegenüber den außenpolitischen/globalen Unsicherheiten zurück. Im Januar 2017, die Unsicherheiten ließen die Frage, wer damit, auch mit Trump, am besten umgehen könnte, bedeutsamer werden. Mit der Nominierung von Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt als Spitzenkandidaten sowie dem sogen. Schulz-Hype, Angela Merkel stand als erneute Kandidatin der Union fest, gerieten die Grünen dann ins Hintertreffen.

Koalitionsstrategisch sind die Grünen seit langem auf Äquidistanz zu SPD und CDU: Egal, mit wem man regiere, die Hauptsache sei, grüne Politik zu implementieren. Das lebt die Partei auch in den verschiedenen Regierungsbeteiligungen recht erfolgreich vor. Allerdings bereitet die damit verbundene programmatische Spreizung für eine Bundestagswahlkampagne einige Probleme, die Wählerschaft möchte bei einer Bundestagswahl dann doch gern wissen, woran sie bei den Grünen ist.

Die Partei hat darum ein Wahlprogramm großer Flexibilität beschlossen, voller Bekenntnisse und Appelle, die dann nur teilweise in 75 Projekten wieder auftauchen und von denen in den 10 Punkten des Regierungsprogramms, also der Verhandlungsbasis für eine mögliche Koalition, zwar wenig bleibt.(5) Aber es ist in der Tat ein verbindliches Angebot, für die Wählerschaft gut überschaubar.

Doch dieser 10-Punkte-Plan hätte, so wohl die Einschätzung der Kampagnenmacher, die Partei auch nicht aus der Defensive heraus gebracht. Darum wurden (1) die Themen für die Plakate und Großflächen noch einmal selektiert und (2) Botschaften auf einem noch höheren Abstraktionsniveau formuliert.

Die Positionierung wird sehr deutlich: Mit den Großflächen werden die Begriffe „Zukunft“ und „Umwelt“ ganz nach vorn gebracht. Die zweite Ebene bilden die Themenplakate mit drei klassisch grünen Themen „Gesundes Essen“, „Schluss mit Kohle“ und „Umwelt“, zwei Themen zum Image der Partei als weltoffen, tolerant und libertär: „Europa“ und „Integration“ sowie zwei sozialen Themen: „Lohngleichheit“ und „Kinderarmut“.

Die dritte Ebene bilden die Plakate der zwei Spitzenkandidaten, von denen Cem Özdemir das Thema „Wirtschaft und Umwelt“ und Katrin Göring-Eckardt das Thema „Klimaziel“ besetzen.

Interessant ist, welche der zehn Punkte des Regierungsplans es nicht auf die Plakate geschafft haben: „Soziale Sicherheit“, „Freiheit sichern“, „Familie“ und „Fluchtursachen bekämpfen“. Die Grünen lassen also Sicherheit i.w.S., das soziale Kernthema Familie sowie das umstrittene Thema Flucht werberisch außen vor.

Graphisch dominieren die Farben Grün für die Wiedererkennung und Magenta für die Aufmerksamkeit. Das Symbolische, die Taube, die Erde, der Eisbär oder ein Apfel signalisieren, worum es geht. Das muss auch sein, denn für grüne Verhältnisse gibt es viel Text. Der ist zudem mit vielen „nicht“, „kein“ und „nichts“ gespickt, ein Kommentar in der „Welt“ vermutete als Absicht die „Betörung durch Verneinung“ dahinter.(6) Die Kampagne erscheint mir als etwas melancholisch, man versucht, die grünen Themen zu retten, das ist m. E. etwas defensiv; da ist wenig Spaß oder Optimismus, die Spitzenkandidaten stehen so da, sicher entschlossen und optimistisch, die Hände in den Taschen oder in der Hüfte, lächelnd, doch die Lippen schmal. Irgendwie auch ein Ausdruck des bohrenden Selbstzweifels.

AfD – auf dem KdF-Dampfer/unterwegs im christlichen Abendland

Die Partei ist nach wie vor von Macht- und Führungskonflikten sowie Richtungskämpfen gezeichnet. Da ihre (einzige) Stärke darin liegt, in politischen Krisensituationen Konflikte aufzunehmen, die andere Parteien liegen lassen und sie als kulturelle Konflikte, als Wertekonflikte zu präsentieren, ist der Zuspruch, den sie erfährt, eben auch davon abhängig, ob derartige Konflikte akut ausbrechen. Aktuell ist das nicht der Fall, die AfD ist gewissermaßen im Standby-Modus.

Programmatisch dominiert im Wahlprogramm wie im Wahlkampf der Trend nach rechts, auch zum Völkisch-Nationalen. Allerdings kommt, was ja zu erwarten gewesen wäre, das Staatsversagen und die Forderung nach einem starken nationalen Staat in der Kampagne der Bundespartei nicht zum Ausdruck. Man weiß, dass die „liberale“ Spitzenkandidatin Alice Weidel für weniger, für den „schlanken“ Staat eintritt, wohingegen ihr Partner im Amt Alexander Gauland eher national etatistisch tickt.

Man hat sich für eine andere Stoßrichtung der Kampagne entschieden. Es werden die Themen auf Plakaten und Großflächen erscheinen, die am stärksten polarisieren. Das sind, nach Aussage einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung, die Themen „mehr Europa“, „mehr Umverteilung“ und „weniger Flüchtlinge“, während „Umweltschutz“ und „Wirtschaftswachstum“ dagegen zurück bleiben.(7) Die AfD hat sich für drei islamfeindliche Motive („Burka?“ – Ich steh‘ mehr auf Burgunder! „Burkas?“ – Wir steh‘n auf Bikinis. „Der Islam?“ – Passt nicht zu unserer Küche.), weitere gegen Zuwanderung und Asyl gerichtete Motive („Bunte Vielfalt?“ – Haben wir schon. „Neue Deutsche?“ – Machen wir selber) sowie das Europathema („Euro-Rettung?“ – Nicht um jeden Preis!) entschieden.

Auf den Großflächen kommen ein Familienmotiv und die direkte Demokratie hinzu.

Streit gibt es um die Umsetzung der Themen, die Kampagnenmacher wollten positiv und witzig sein, heitere Stimmung verbreiten, ohne dabei an Aggressivität zu verlieren. Sie mussten lernen, dass Politik, Parteipolitik zumal und noch mehr der Wahlkampf in Parteikreisen als eher spaßfreie Angelegenheit gilt. Breite Teile der Partei verweigern die Nutzung der Plakate, sie dürfen sich offiziell anderer Motive bedienen, der Landesverband Bayern hat trocken daherkommende alternative Plakate im Angebot. Aber die sind eben nicht nur in der Tonalität unterschieden von denen der Bundespartei, sondern auch thematisch. Familie („Kinder! Machen! Spaß!“), Frauenrechte („Die Freiheit der Frau ist nicht verhandelbar!“) und Staat/Grenzkontrolle („Grenzen schützen!“) werden angeboten. Die Bundeskampagne zielt eher auf ein männliches Publikum, die der Bayern-AfD auf ein stärker weibliches.

Die große Frage ist für die AfD, ob eine neue Flüchtlingskrise bis zum Herbst kommt oder nicht. Wenn nicht, dann fehlt ihr das notwendige mobilisierende Leitthema für ihren Wahlkampf. Zwar ist es richtig, dass die AfD aktuell kein Alleinstellungmerkmal mehr hat, Europa, Flüchtlinge und Nationales wurden von der Union ja aufgegriffen und ohne Leitmotiv und Alleinstellungsmerkmal bleibt die AfD möglicherweise unter der 10%-Marke. Wir sollten jedoch nicht verkennen, dass die massenhafte Verbreitung der genannten Reizthemen(8) eine polarisierende Wirkung auch ohne akute Krise haben kann. Man kann auch für eine AfD im Standby-Modus von einer doppelten Mobilisierung, der eigenen Anhängerschaft und der eher bürgerlichen Unionwählerschaft, ausgehen.

Die Linke – das volle Programm für die ganze Mannschaft

Im Westen, so fand die Partei in Fokusgruppen heraus, zweifelt man daran, dass die Reederei sich um ihr Schiff noch kümmert, im Osten rechnet man damit noch weniger und wirft die Prospekte ungelesen weg. So sah man sich darin bestärkt, wie bereits bei der letzten Bundestagswahl sich selbst als politische Mannschaftsvertretung anzubieten. Die Liste der Forderungen ist ebenfalls nicht neu und stand auf den Plakaten 2013 zu lesen. Neben den sogenannten Brot- und Butter-Themen „Sichere Jobs“, „Kinderarmut“, „Renten mit Niveau“, „Bezahlbare Mieten“ und „Mehr Personal in Gesundheit und Pflege“ sollen die Superreichen zahlen, die Nazis die Fresse halten und Deutschland keine Waffen verhökern.

Interessant ist, was von den Aufregerthemen der Zeit nicht vorkommt: Flüchtlingsfrage, Europa und Sicherheit. Auch die Wirtschaft ist der Partei kein eigenes Plakat wert.

Man wird mit den Brot- und Butter-Themen sicherlich in direkte Konkurrenz mit der SPD geraten, aber das nimmt die Partei in Kauf. Bei den linken Seelen-Themen Reichensteuer, Waffenexporte und Antifaschismus ist keine Konkurrenz zu befürchten. Die Mischung von beidem könnte attraktiv sein, weil die Linke nicht das Problem der SPD, den nagenden Zweifel an Martin Schulz, hat.

Das Problem der Partei ist sicherlich, dass, ohne wirkliche Machtoption und auch vom Resonanzverlust der Parteien, der Politik betroffen, Aufmerksamkeit für die Werbung erst wieder hergestellt werden muss. Daher die Abkehr vom Typo-Plakat und das Prinzip, auf den Themenplakaten mit Begriffen positiver Valenz auf das Thema hin zu führen. Auch der personale Einsatz der Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht und des Spitzenkandidaten Dietmar Bartsch sollen für eine positive Resonanz der Kampagne sorgen.

Die Botschaft ist deutlich: Es darf kein Weiterso geben und die Missstände müssen beseitigt werden.

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* https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Hacks. Peter Hacks (* 21. März 1928 in Breslau; † 28. August 2003 bei Groß Machnow) war ein deutscher Dramatiker, Lyriker, Erzähler und Essayist. Er begründete in den 1960er Jahren die „sozialistische Klassik“ und gilt als einer der bedeutendsten Dramatiker der DDR. Hacks war der einzige deutsche Bühnenautor, dessen Stücke sowohl in der DDR als auch in der BRD oft gespielt wurden. Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe war sein größter Erfolg.

Abb. (PDF): Wahlplate von FDP, Grünen, AFD und Linken (Plakate der Union bbereits in PB 07-09 abgebildet).

KORREKTUR (18.8.) : Durch ein technisches Versehen sind in der Druckfassung dieses Beitrags sowie in der vor dem 19.8. verbreiteten e-Fassungen(pdf u. html) die Fussnoten nicht enthalten.

1 Blom, Philipp: Was auf dem Spiel steht, Carl Hanser Verlag, München 2017

2 Oakesshott, Michael: Zuversicht und Skepsis, Alexander Fest Verlag, Berlin 2000, S. 228ff.

3 http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-07/oesterreich-sebastian-kurz-wahl-parteichef-oevp-volkspartei-bundesparteiobmann

4 CMYK steht in der Werbung für Cyan, Magenta, Yellow und den Schwarzanteil Key.

5 Meves, Helge/Krüger, Marian: Ein Regierungsprogramm gegen Selbstzweifel, Sozialismus 7-8/2017, S. 38 -40.

6 Kaman, Matthias: Grüne Negativ-Botschaften gegen den Zeitgeist, https://www.welt.de/politik/deutschland/article166891885/Gruene-Negativ-Botschaften-gegen-den-Zeitgeist.html

7 https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2017/juli/vor-der-bundestagswahl-mehrzahl-der-deutschen-lehnt-populistische-positionen-ab/

8 Aus dubiosen Quellen europaweiter rechter Netzwerke werden wieder Millionen in Massenverteilmaterialien zur Unterstützung der AfD fließen (siehe den Bericht in der TAZ „Rechter, als die „Bild“ erlaubt“ vom 13.07.2017).