Quelle: Politische Berichte Nr. 8, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

Kalenderblatt: 9. Oktober 1981 – Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich

01 Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich

02 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Europäische Menschenrechtskonvention

03 Victor Hugo „Der letzte Tag eines Verurteilten

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01 Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich

Die Abschaffung der Todesstrafe durch das Gesetz 81.908 vom 9. Oktober 1981 markierte das erfolgreiche Ende eines 190-jährigen Kampfes gegen diese Rechtspraxis in Frankreich. Nachdem Francois Mitterand mit dem erklärten Ziel ihrer Abschaffung zum Präsidenten gewählt worden war, wurde dies im September nach aufsehenerregenden Debatten in der Nationalversammlung (mit Dreiviertelmehrheit) und im Senat beschlossen. Federführend und treibende Kraft war der „Garde des Sceaux“ (Siegelbewahrer) und Justizminister Robert Badinter, der zuvor als Anwalt bereits viele Jahre gegen die Todesstrafe gekämpft hatte.

Seinen Ursprung hatte die Kritik an der inhumanen Strafpraxis im 18. Jahrhundert in Schriften des Italieners Cesare Beccaria, die u.a. von d’Alembert und Voltaire rezipiert und kommentiert wurden.

In der Debatte der Constituante 1791 trat u.a. Maximilien Robespierre gegen die Todesstrafe auf:

„Ein Gesetzgeber, der den Tod und grausame Strafen weicheren Mitteln vorzieht, die in seiner Macht liegen, beleidigt das Gefühl des Volkes und schmälert sein moralisches Empfinden.“

Die Versammlung beschloss jedoch mit großer Mehrheit, diese beizubehalten, sie jedoch einheitlich durch Enthauptung durchzuführen und die Folter abzuschaffen. Der Hinrichtung von Louis XVI. („Bürger Louis Capet“), der auch Robespierre zustimmte, folgte die Periode des Terrors 1793–94, in der über 35 000 Menschen guillotiniert wurden. Am Ende fielen ihr auch Robespierre und St. Just zum Opfer. Danach beschloss der Konvent 1795 erstmalig, die Todesstrafe abzuschaffen, allerdings erst „am Tage, da der allgemeine Frieden verkündet werden würde.“ Diese bedingte Abschaffung wurde in der napoleonischen Gesetzgebung 1810 wieder aufgehoben, ohne jemals eingetreten zu sein.

Nachdem in der Zeit der „Juli-Monarchie“ von 1830–38 zahlreiche Parlamentsinitiativen und Petitionen gegen die Todesstrafe ergebnislos geblieben waren, wurde die Todesstrafe von der Provisorischen Regierung der 2. Republik 1848 für politische Vergehen abgeschafft. Im Herbst desselben Jahres scheiterte eine Initiative für die vollständige Abschaffung, deren Wortführer Victor Hugo war, in der verfassunggebenden Versammlung. Er appellierte an die Versammlung:

„Sie haben soeben die Unverletzlichkeit der Wohnung proklamiert, wir fordern Sie auf, eine noch höhere und heiligere Unverletzlichkeit zu verkünden: die Unverletzlichkeit des menschlichen Lebens! (…) Seit dem Februar hat das Volk einen großen Gedanken: Am Tage, nachdem es den Thron verbrannt hat, will es auch das Schafott verbrennen!“

Der spanische Politiker und katholische Royalist Juan Donoso Cortés, der Gesandter seines Landes in Berlin und später in Paris war, fasste die Ansichten der Reaktion zur Todesstrafe zusammen:

„Überall, wo die Todesstrafe abgeschafft wurde, hat die Gesellschaft aus allen Poren Blut geschwitzt. Ihre Abschaffung im Königreich Sachsen folgten jene großen und erbitterten Maikämpfe, die den Staat bis an den Rand des Todes brachten, bis zu dem Punkt, an dem zu seiner Rettung eine auswärtige Intervention notwendig war.“ (Anm. d. Verf.: Gemeint ist die „Dresdener Mairevolution“ von 1849, die von preußischen Truppen niedergeworfen wurde.)

„Ihrer Abschaffung durch die provisorische Regierung der französischen Republik folgten jene furchtbaren Juni-Tage, die mit all ihren Schrecken ewig fortleben werden im Gedächtnis der Menschen, (gemeint ist der Massenaufstand in Paris 1848, der blutig unterdrückt wurde) (…) Nun, wenn eine Sache für mich offenkundig ist, dann die, daß die Abschaffung der einen Todesstrafe (für politische Vergehen) die Abschaffung der anderen in mehr oder minder kurzer Zeit nach sich zieht (…) Wer die Todesstrafe in dem einen wie dem anderen Falle als übertrieben beseitigt, der hebt damit auch jegliche Strafbarkeit für geringere Verbrechen auf.“

In den Jahren des zweiten Kaiserreichs unter Louis Napoléon werden alle Initiativen und Petitionen gegen die Todesstrafe abgewiesen. Die Abschaffung der Strafe aus politischen Gründen wird jedoch bestätigt. In der Zeit der Dritten Republik (1870-1940) bleiben Gesetzesinitiativen erfolglos. Allerdings begnadigte Präsident Armand Fallières im ersten Jahr seiner Amtszeit (1906-1913) systematisch alle zum Tode Verurteilten. Ein spektakulärer Mordfall und eine heftige Pressekampagne vereitelten den Erfolg der Gesetzesinitiative des Justizministers Aristide Briand, die vom Sozialistenführer Jean Jaurès unterstützt wurde. Haupt-Gegenredner war Maurice Barrés, ein nationalistischer Politiker und Schriftsteller, der in der Kampagne gegen Dreyfus führend gewesen war. Ab 1909 setzte die Hinrichtungspraxis wieder ein. Nach der Hinrichtung des deutschen Mörders Weidmann im Juni 1939, als es zu Exzessen der Schaulustigen und der Presse kam, wurde die Praxis der öffentlichen Exekutionen beendet.

Zur Zeit des Vichy-Regimes wurden erstmals seit 1887 auch Frauen wieder hingerichtet, darunter solche, die abgetrieben hatten, da General Pétain sie nicht begnadigte. Einer dieser Fälle bildete die Grundlage für den Film „Eine Frauensache“ von Claude Chabrol. Während der Vierten Republik von 1946 bis 1958 bleiben acht Gesetzesinitiativen zur Abschaffung ohne Erfolg. Während der Fünften Republik seit 1958 verstärkte sich die Kritik an der Todesstrafe, konnte aber gegen die Mehrheiten der Gaullisten und konservativen Parteien nicht durchgesetzt werden. Einflussreich war die Schrift „Die Guillotine“ von Albert Camus, in der er die Todesstrafe kritisiert.

„Die Vergeltung gehört in den Bereich der Natur und des Triebs, nicht in den des Gesetzes. Das Gesetz kann seinem Wesen nach nicht den gleichen Regeln gehorchen wie die Natur. Wenn der Mord in der Natur des Menschen liegt, ist das Gesetz nicht dazu da, diese Natur nachzuahmen. Es ist dazu da, sie zu bessern. Die Vergeltung aber beschränkt sich darauf, eine bloße Regung der Natur zu bestätigen und ihr Rechtskraft zu verleihen.“

Nachdem der Anwalt Robert Badinter 1972 miterleben musste, wie sein Mandant Bontems hingerichtet wurde, obwohl er die ihm und seinem Komplizen zur Last gelegten Morde nicht begangen hatte, wurde er zum entschiedenen Streiter gegen die Todesstrafe. In einem aufsehenerregenden Prozess gelang es ihm 1977, die Geschworenen davon zu überzeugen, den überführten Kindesmörder Patrick Henry nicht der Guillotine zu überantworten. Nachdem er weitere Angeklagte vor der Todesstrafe bewahrt hatte, sah er sich wachsenden Anfeindungen, auch antisemitischer Art ausgesetzt. (Sein Vater war während der Besatzungszeit deportiert und 1944 im KZ Sobibor ermordet worden, der Rest der Familie konnte sich retten.) Erst 1981, nach der Wahl Mitterands konnte er als Justizminister der sozialistischen Regierung Mauroys die „Abolition“ endgültig durchsetzen. Frankreich war zu diesem Zeitpunkt nach dem Ende des Franco-Regimes das letzte westeuropäische Land gewesen, in dem die Todesstrafe noch existierte. 2002 unterzeichnete Frankreich das Protokoll Nr. 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention bezüglich der bedingungslosen Abschaffung der Todesstrafe. 2005 wurde das Verbot der Todesstrafe in die französische Verfassung aufgenommen. Ulli Jäckel, Hamburg

Abb. (PDF):„Théodore Géricault verabscheute die Todesstrafe. Seine Porträts von bei Hinrichtungen abgetrennten Köpfen bannen den unwirklichen Moment zwischen Leben und Tod.“ www.schirn.de/magazin/kontext/die_koepfe_rollen/

Zu den Werken Jean-Louis André Théodore Géricault (* 26. September 1791 in Rouen, Frankreich; † 26. Januar 1824 in Paris) zählt auch das berühmte Bild „Floß der Medusa“.

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02 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Europäische Menschenrechtskonvention

Am 4. November 1950 beschloss der Europarat mit ausdrücklichem Bezug zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verkündet worden ist, die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten. (Europäische Menschenrechtskonvention). Artikel 2 formuliert das Recht auf Leben, und ab 2002 mit entsprechenden Anpassungen explizit die Abschaffung der Todesstrafe.

„Die Erzählung von der Abschaffung der Todesstrafe funktioniert als Narrativ von der schmerzhaften Wiedergeburt Europas, das seine moralische Führungsrolle zurückgewonnen habe und den so leidvoll erworbenen Erkenntnisgewinn niemals aufgeben dürfe,“ führt Armin Heinen in einer Untersuchung aus. „Ihre eigentliche Bedeutung erhielt die Vereinbarung 1989 mit dem Umbruch im Osten Europas. Kein anderer gesetzgeberischer Akt vermochte die neue Zeit und den Vorrang des Einzelnen gegenüber staatlicher Willkür in ähnlicher Weise auszudrücken wie der Verzicht auf die Todesstrafe.“ „Nach außen symbolisierte der Verzicht auf die Todesstrafe jedenfalls den Bruch mit der totalitären Vergangenheit, die begrenzte Macht des Staates, akzeptierte nun das Rechtssystem die Fehlbarkeit des Menschen, sowohl des Verbrechers wie der Gerichte, und stand das Verbot der Kapitalstrafe für den Willen, Europa zugehören zu wollen.“ Eva Detscher, Karlsruhe

Quelle:Armin Heinen: Das „neue Europa“ und das „alte Amerika“. Die Geschichte der Todes strafe in Deutschland, Frankreich und den USA und die Erfindung der zivilisatorischen Tradition Europas. In: Themenportal Europäische Geschichte (2007), URL: http://www.europa.clio-online.de/essay/id/artikel-3313

DOK:„Die Mitgliedstaaten des Europarats, die dieses Protokoll unterzeichen (…) haben Folgendes vereinbart: Artikel 1 – Abschaffung der Todesstrafe. Die Todesstrafe ist abgeschafft. Niemand darf zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet werden. Artikel 2 – Verbot des Abweichens. Von diesem Protokoll darf nicht nach Artikel 15 der Konvention abgewichen werden. Artikel 3 – Verbot von Vorbehalten. Vorbehalte nach Artikel 57 der Konvention zu diesem Protokoll sind nicht zulässig.“

www.menschenrechtskonvention.eu/protokoll-nr-13-ueber-die-vollstaendige-abschaffung-der-todesstrafe-9281/

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03 Victor Hugo „Der letzte Tag eines Verurteilten

1829 veröffentlicht Victor Hugo die Schrift „Der letzte Tag eines Verurteilten“. Sie besteht aus einer Einleitung, die Hugo erst am 15. März 1832 hinzufügt und der Ich-Erzählung des zum Tode Verurteilten.

Über seinen Namen und die Tat erfährt der Leser nichts. Seit mehr als fünf Wochen sitzt er ein in Bicetre – einem Gefängnis in der Nähe von Paris. Das Zeitgefühl hat er verloren. In der sechsten Woche soll die Hinrichtung erfolgen. So sehen es die Regeln vor. Dramatisch die eindrucksvolle, fesselnde Schilderung, die Gedanken des Verurteilten: die immer wiederkehrenden Hoffnungen auf Umkehr, auf Begnadigung; die Träume und Erinnerungen, die ihn in der Zelle ständig befallen.

In der 1832 verfassten Einleitung schreibt Victor Hugo: „‚Der letzte Tag eines Verurteilten‘ ist nichts anderes als eine Schrift gegen die Todesstrafe … Ich kenne kein ehrenvolleres, kein edleres Ziel als dieses, die Abschaffung der Todesstrafe.“ Er bedauert zutiefst, dass die Julirevolution 1830 die Abschaffung der Guillotine nicht durchsetzen konnte. „Der soziale Bau der Vergangenheit ruhte auf drei Säulen: dem Priester, dem König, dem Henker. Schon vor langer Zeit rief eine Stimme: Die Götter gehen davon! Kürzlich rief es: Die Könige gehen davon! Es ist an der Zeit, dass eine dritte Stimme sich erhebt und spricht: Der Henker geht davon!“ Fast eineinhalb Jahrhunderte Auseinandersetzungen mussten noch vergehen bevor die Todesstrafe in Frankreich abgeschafft wurde. Matthias Paykowski, Karlsruhe

* Victor Hugo, Der letzte Tag eines Verurteilten, In der Fassung Edition Thomas Anker 2015.

Victor Hugo: „Mit Freuden greife auch ich zur Axt, um die Kerbe zu vertiefen, die vor 66 Jahren Beccaria in das Schandgerüst geschlagen hat.“

Abb. (PDF): Cesare Beccaria, Dei delitti e delle pene – Über Verbrechen und Strafen. 1764. /Titelblatt). Quelle: wikiwand.com/de/Todesstrafe#/Frankreich