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Quelle: Politische Berichte Nr. 9, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

Neue Verhandlungsrunde Brexit steht an – neue Vorschläge sind im Umlauf

Die Uhr tickt: von den 24 Monaten, die bis zum Vollzug des Brexits vorgesehen sind, sind bereits fünf vergangen. Keines der anstehenden Kapitel der Verhandlungen kann als isoliertes gelöst werden, die wechselseitigen Auswirkungen werden als Szenarien diskutiert. Es dämmert vielen, dass die Verhandlungen schwierig sind, es vielleicht aber noch schwieriger werden könnte, innerhalb Großbritannien Konsens herzustellen.

Warenverkehr und europäische Gerichtsbarkeit

Auf „Norwegen-Status“ will die britische Regierung nicht setzen, sofern damit eine Art Eintritt Großbritanniens (GB) in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gemeint ist. Der EWR besteht aus der EU und den EFTA-Staaten Island, Norwegen und Liechtenstein (also ohne die Schweiz). Denn für den EWR wird das einschlägige von der EU beschlossene Sekundärrecht übernommen, was die britischen Hardliner für den Brexit nicht akzeptieren können, sie wollen ein neues Modell, eine spezielle EU–GB-Gerichtsbarkeit. – Tatsache ist jedoch, dass noch lange Jahre in Großbritannien europäisches Recht als nationales Recht fortgelten wird, das britische Parlament muss EU- in britisches Recht umwandeln. Das wird oft auf Berücksichtigung von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes hinauslaufen, von dem sich die Brexiters vollständig abkoppeln wollen. Dies wird bei Konfliktregelungen nicht so einfach gehen, wenn bei Verträgen nach europäischem Recht unvermeidlich ein Bezug zu EuGH-Entscheidungen hergestellt werden muss.

„Neue Zollpartnerschaft“, „stark gestrafftes Zollarrangement“

Das Ministerium für den Austritt aus der Europäischen Union (britisches Kürzel DeXEU, Department for Exiting the EU) legte zwei Positionspapiere zur Zollunion und zur künftigen Grenzregelung zwischen der Republik Irland und Nordirland vor. Es wird eine „transition phase“ (Übergangsphase) mit einer temporären Zollunion gefordert. Dies würde bedeuten, dass Verhandlungen für bilaterale Handelsverträge zwischen GB und anderen Staaten nicht mehr möglich seien. Weltweiter Handel ohne Rücksicht auf „Brüssel“ ist aber eines der wichtigsten Ziele der Brexit-Befürworter. Es kursiert das Modell, dass britische Zollbehörden als Dienstleister für die EU für Einfuhren, die via GB in die EU gehen, tätig werden. Mittels einer „neuen Zollpartnerschaft“ soll somit das enorme wirtschaftliche Volumen, das gegenwärtig über britische Seehäfen für den Weitertransport innerhalb der EU abgewickelt wird, für die britische Wirtschaft erhalten bleiben.

Der britische Austrittsminister David Davis hat die beiden Papiere mit dem Satz kommentiert, sein Land gehe mit einer „starken Position“ in die Verhandlungen. Die Europäische Kommission teilte mit, sie habe den Vorschlag „zur Kenntnis genommen“, stellte aber fest, der erhoffte „reibungslose Handel“ sei außerhalb des Binnenmarktes und der Zollunion schlicht „nicht möglich“.

Angeblich hat das DeXEU 50 Wirtschaftssektoren auf die Brexit-Auswirkungen hin untersuchen lassen und die Ergebnisse nicht veröffentlicht. Daneben kursieren viele Zahlen – z.B., dass bis 2026 an die 40 000 Beschäftigte im Pflegedienstleistungssektor Großbritannien verlassen würden. Aber wirklich kann keiner die Auswirkungen vorhersehen, und vor allem hat der Brexit nicht nur Auswirkungen in GB, sondern auch für die EU und deren einzelne Staaten. Von daher können die Vorschläge aus GB nicht einfach abgetan werden, sondern werden vor allem auch auf den geringstmöglichen Schaden für die EU geprüft werden müssen.

Energiehandel und Energieversorgung

Auf der irischen Insel wird derzeit der sogenannte Single Electricity Market (SEM) betrieben, über den die Republik Irland und Nordirland Stromflüsse über ihre Grenzen hinweg koordinieren. Das System wird voraussichtlich ab März 2018 durch den Integrated Single Electricity Market (I-SEM) ersetzt, der auch nach dem Brexit für gute Zusammenarbeit sorgen soll. Eine Studie von Insight-E – ein britischer Think-Tank für Energiefragen – warnt allerdings, dass auch der I-SEM nicht komplett vor Folgeeffekten des Brexit gefeit sei. Zudem unterstützt die EU die direkte Verbindung der französischen und irischen Stromnetze über ein Unterwasserkabel. Das sogenannte Celtic Interconnector Project ist ein geplantes 600 Kilometer langes Unterwasserkabel, das die Südküste Irlands mit der nordwestlichsten Spitze Frankreichs verbinden würde. Über das Kabel könnte genug Energie für 450.000 Haushalte transportiert werden. Die Europäische Kommission entschied vergangene Woche, ungefähr 4 Millionen Euro für weitere detaillierte Planung, eine öffentliche Anhörung sowie für die Vorbereitung zum tatsächlichen Bau der Leitung beizusteuern. Die beteiligten Energieunternehmen RTÉ France und EirGrid teilten mit, sie hoffen, dass das Projekt nicht nur mehr Energiesicherheit für Irland bringt, sondern auch die Kosten reduziert und die erneuerbaren Energien fördert. Die irischen Windenergie-Kapazitäten z.B. sind von 1000 MW im Jahr 2008 auf 2500 MW im Jahr 2015 gestiegen.

Innenpolitisch macht Boris Johnson, der frühere Bürgermeister von London, jetzt Außenminister von GB, von sich reden: er erkennt die finanziellen Forderungen der EU im Prinzip an und signalisiert damit Unterordnung unter den Kurs der geschwächten Theresa May. Im Oktober ist Parteitag – vielleicht will er sich für die Nachfolge von May positionieren. Eva Detscher, Karlsruhe