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Quelle: Politische Berichte Nr. 9, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

Aus der Geschichte Schleswig-Holsteins:

Von der Aufklärung bis zur Abstimmung 1920

Der dritte Teil der Geschichte Schleswig-Holsteins befasst sich mit der „modernen“ Zeit ab dem Dreißigjährigen Krieg bis zur demokratischen Abstimmung über die Grenzziehung zwischen Dänemark und Deutschland im Jahr 1920. Die daran anschließende aktuelle Zeit bedürfte einer eigenen Untersuchung.

Durch Kriege und Verträge zum dänischen Gesamtstaat

Nach dem Krieg ist vor dem Krieg, so jedenfalls sieht es am Ende des Dreißigjährigen Krieges im Norden Europas aus. Die Königreiche Dänemark und Schweden und ihre angrenzenden Länder werden für ein halbes Jahrhundert lang zu politischen und militärischen Rivalen, die beide ein Großreich quer über die Ostsee anstreben: in den Kriegen von 1657–58, von 1675–1679 und im Nordischen Krieg zwischen 1700 und 1721 – mit wechselnden Erfolgen und stets neuen Verträgen und Friedensschlüssen. Der eigentliche Sieger ist am Ende – vor allem nach der siegreichen Schlacht an der Poltava 1712 – das zur Großmacht erstarkte Russland unter Peter dem Großen. Ihm gegenüber müssen Schweden und Dänemark ihre territorialen Ansprüche aufgeben.

In Schleswig-Holstein bestimmt parallel dazu der Konflikt zwischen dem dänischen König und dem Gottorfer Herzog die Politik. Letzterer ist mit seinen Besitzungen der einzig verbliebene souveräne Feudalherr, der selbständig neben dem König agieren kann. Dies nutzt Herzog Friedrich IV. wiederholt für ein Bündnis mit den Schweden aus. Für den „herzoglichen Verrat“ lässt König Friedrich IV. (beide sind in der Tat namensgleich) im Frieden von Frederiksborg 1720 mit Zustimmung der europäischen Mächte den Großteil von Schleswig-Gottorf annektieren. Nur ein minimaler Rest – zwei Fünftel des bisherigen Besitzes – verbleibt beim Herzog in zerstückeltem Zustand im südlichen Holstein übrig. Im „Erbhuldigungseid“ von 1721 geloben Ritter, Prälaten und Besitzer adliger Güter dem eh schon absolutistisch regierenden dänischen König als alleinigem Landesherrn die Treue. Unter den dauernden Kriegen hatte vor allem die bäuerliche und bürgerliche Bevölkerung zu leiden: durch Kriegssteuern, Kontributionen, Zerstörungen und Plünderungen. Bauernhöfe wurden niedergebrannt, Dörfer und Städte verwüstet. Und zu allem Übel grassierte ab 1713 auch noch die Pest im Land.

Trotz aller offiziellen Regelungen bleibt auch nach Ende der Kriege die „Gottorfer Frage“ ein politischer Unruheherd. Auf Grund von Erbschaftsrechten, die bis in das russischen Zarenreich zu Peter III. und Katharina der Großen reichen und im Kieler Schloss 1773 durch einen gemeinsamen Gebietstausch geregelt werden, und weil schließlich der letzte Herzog von Gottorf 1779 ohne Erben stirbt, fallen alle restlichen Besitzungen von Gottorf jetzt endgültig an das dänische Königshaus. Nun gehört das Land von der Elbe bis zum Nordkap komplett zu Dänemark: Norwegen, Island, Grönland, die Färöer-Inseln und Schleswig-Holstein.

Vorreiter in Europa für Aufklärung und Reformen

Im 18. Jahrhundert erfährt das Land Schleswig-Holstein unter der Herrschaft des absolutistischen Dänemark dennoch auch gute Zeiten. Die Könige installieren für ihre alten und neuen königlichen und herzoglichen Territorien aufgeschlossene und „aufgeklärte“ moderne Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Justizinstitutionen. Das Land wurde in Rücksicht auf gewachsene bäuerliche „autonome Landschaften“ (Dithmarschen, Friesland und Fehmarn) in Verwaltungsbezirke und Ämter eingeteilt. Die Städte erhielten oder behielten eigene Stadt- und Bürgerrechte (z.B. die Lübecker und Schleswiger). Die Ämter, Kirchspiele und Harden verwalteten sich selbst, erhoben Steuern und Abgaben, mussten aber ihre Überschüsse an die zentrale Staatskasse in Kopenhagen abliefern. Nach dem wirtschaftlichen Niedergang in dem kriegerischen Jahrhundert zuvor bildete sich ein wachsender Wohlstand heraus. In Rechtsfragen wurden niedere Magistratsgerichte und ein Obergericht in Gottorf/Schleswig eingerichtet. Man bemühte sich um eine genaue Untersuchung des Sachverhaltes und ein begründetes Urteil – auch gegenüber bisher außerhalb der Gesellschaft stehenden Personen, wie z.B. Obdachlosen, Bettlern oder Zigeunern.

Träger dieser neuen „aufgeklärten“ Vorstellungen waren vor allem die zahlreichen fortschrittlichen Minister und Statthalter aus dem deutschen und holsteinischen Adel und der bürgerlichen Bildungselite: Die Grafen Ernst (1712–1772) und Peter Bernstorff (1735–1797), der Kaufmann Carl Schimmelmann (1724–1782) und schließlich der durch die Filmindustrie besonders berühmt gewordene Leibarzt des Königs Johann Friedrich Struensee (1737-1772), der allerdings wegen seiner überstürzten Reformwütigkeit und seiner Liebesbeziehung zur Königin Mathilde 1772 des Amtes enthoben und hingerichtet wurde.

Es wurden ernsthafte Versuche unternommen, auch die feudal geprägte Agrarwirtschaft zu verändern, die sich als wirtschaftlich und moralisch überholt darstellte. Auf den königlichen Domänen in Schwansen und Angeln wurden Bauern und Kätner (Kleinstbetriebe) zu Eigentümern gemacht. Ihren Besitz grenzten sie durch die bis heute für Schleswig-Holstein typischen „Knicks“ ab. Das eigenverantwortliche selbständige Wirtschaften der Bauern erbrachte sehr bald eine Steigerung der Getreideerträge und eine Zunahme des gewinnbringenden Exportes. 1788 wurde durch zentralen Beschluss grundsätzlich die Abhängigkeit der Bauern von den Gutsherren durch eine Verordnung aufgehoben und trat 1804/05 in dem Gesetz zur Aufhebung der Leibeigenschaft in Kraft: Dienstzwang, Hofdienste, Bauernlegen und gutsherrliche Gerichtsbarkeit hatten in Dänemark vor allen anderen Staaten Europas ihr Ende gefunden.

Im Sinne des Merkantilismus förderte der Staat Schifffahrt, Handel und produzierendes Gewerbe mit einer eigenen Handelskammer, der ersten „Schleswig- Holsteinischen Bank“ in Altona (1788) und der ersten „Kieler Sparkasse“ (1796). Die vorteilhaft am Sund gelegene Hauptstadt Kopenhagen bildete die Zentrale für den Bau von Schiffen und Handelsflotten, mit denen das Königreich – trotz Seekriegen und Piraten – „neutral“ internationale Tonnagen im Mittelmeerraum, im Atlantik, an den Küsten Afrikas und in der Karibik beförderten (Waffen, Sklaven, Rohrzucker). Kaufleute und Reeder aus Eckernförde und Altona gründeten eigene Firmen für diesen weltweiten Kommissionsverkauf. Und als seekundige Matrosen und Kapitäne wurden besonders gerne die erfahrenen seekundigen Bewohner der Inseln Amrum und Föhr angeheuert. Ihre prächtigen Grabsteine kann man heute noch auf Friedhöfen der Inseln bewundern.

Von Napoleon zur „Nationalen Frage“

Nach den zermürbenden Kriegen gegen die Schweden zu Beginn des 18. Jahrhunderts betrieb Dänemark eine strenge Neutralitätspolitik, auch nach der Französischen Revolution von 1789 und den daran anschließenden Napoleonischen Kriegen. Nach der Errichtung der Kontinentalsperre durch den Franzosenkaiser gegen England war es nur noch schwer möglich, sich aus allem heraus zu halten, zumal Dänemark in der Seefahrt eine so wichtige Rolle spielte und Helgoland vor seiner Küste zur Schmugglerinsel wurde. Die feudalen Staaten wie Italien, Österreich, Preußen, Schweden und Russland hatten sich längst gegen Frankreich entschieden. 1801 überfielen deshalb die Briten die vor Kopenhagen liegende Flotte und vernichteten sie völlig. Eine Welle des Patriotismus ging durch das Land, auch bei den Schleswig-Holsteinern (Prof. Weber: „Auch wir sind brave Dänen!“). Die Stimmung schlug aber sehr bald in ihr Gegenteil um. Nachdem das „Heilige Römische Reich deutscher Nation“ im Jahr 1806 aufgelöst worden war, erklärte König Friedrich VI. ganz Holstein – das bisher nur durch „Personalunion“ zu dem König von Dänemark gehörte (es war rechtlich immer noch „deutsches Lehen“) – zum „ungetrennten Teil“ des Dänischen Reiches. In seinem „Inkorporationspatent“ verlangte er, dass die Schleswig-Holsteiner, die Bewerber für den Staatsdienst waren, dänische Sprachkenntnisse besitzen mussten und dazu in allen Landesteilen die Amts-, Schul- und Gottesdienstsprache statt in plattdeutsch, friesisch oder deutsch nur noch in Dänisch abgehalten werden sollten. Die Empörung sowohl der Ritterschaft, des konservativen „Emkendorfer Kreises“ als auch vieler modern denkender Intellektueller war groß und gab den Auftakt zu der das 19. Jahrhundert bestimmenden „nationalen deutschen“ Bewegung.

Nach einem erneuten britischen Angriff mit 50 000 Mann auf Kopenhagen, stellte sich Dänemark 1807 auf die Seite Frankreichs. Zu seinem Nachteil. Das Heeresaufgebot und die zunehmenden Niederlagen Frankreichs führten 1813 zum Staatsbankrott Dänemarks und zwang den König, 1814 in Kiel einen Friedensvertrag zu unterschreiben, in dem er das seit 450 Jahren zu Dänemark gehörende Norwegen an Schweden abtrat. Auf dem Wiener Kongress 1815 wurde es zwar mit dem im Süden Holsteins an der Elbe liegenden Lauenburg entschädigt und der König konnte die Herrschaft über ganz Schleswig-Holstein behalten, aber es war dennoch von einer nordeuropäischen Großmacht zu einem Kleinstaat degradiert worden.

Dänen, Deutsche und Preußen

Die Sprachgesetze von 1806 riefen nicht nur die deutschsprachigen Studenten und Professoren der Kieler Universität – wie z.B. Theodor Mommsen („Römische Geschichte“) – auf den Plan, es folgten ihnen im Laufe der Jahrzehnte auch die Dichter Theodor Strom („Schimmelreiter“) und Klaus Groth (plattdeutsche Erzählungen „Quickborn“). Auf der Grundlage der Ideen der Französischen Revolution forderten vor allem die Wissenschaftler wie auch in anderen Regionen Deutschlands das allgemeine Wahlrecht, sowie Presse- und Meinungsfreiheit. Dabei suchten sie den Anschluss an den 1815 gegründeten Deutschen Bund.

Nach der Julirevolution 1830 in Paris entwarf Uwe Jens Lornsen einen ersten (damals Europas fortschrittlichsten) Verfassungsentwurf für Dänemark und Schleswig-Holstein, auf den der König Friedrich IV. aber lediglich mit einer reaktionären an den Grundbesitz gebundenen „Provinzialständeordnung“ reagierte. Aus Protest trafen sich daraufhin ab 1835/6 wieder die seit 1675 nicht mehr einberufenen Vertreter der Ständeversammlungen in Itzehoe für Holstein und in Schleswig für das Land Schleswig. Überall im Lande bildeten sich Sänger-, Sport- und Sprachvereine, die ihre patriotischen Feste feierten und mit blau-weiß-roter Fahne und dem Lied „Schleswig-Holstein meerumschlungen“ auf den Lippen ein eigenes Herzogtum im zukünftigen „Deutschen Reich“ forderten. Auf der anderen Seite sammelte sich unter der Führung des Theologen Severin Grundtvig eine konträre dänisch-skandinavische Bewegung, die die Eider endgültig als Grenze des dänischen Reiches und seines Sprachraums sehen wollte, die so genannten „Eiderdänen“.

Nach der Februarrevolution von 1848 in Frankreich beschloss die Ständeversammlung eine eigene Verfassung und gründete eine provisorische Regierung in Kiel. Durch einen Staatsstreich gelangte König Friedrich VII. auf den dänischen Thron mit deutlicher Sympathie für die Eiderdänen. Eine kriegerische Auseinandersetzung war nicht mehr zu vermeiden. In den zwei folgenden Kriegen standen sich das königlich-dänische Militär und die schleswig-holsteinischen Freischärler gegenüber, sehr bald unterstützt von preußischen und österreichischen Truppen, im Namen des Deutschen Bundes. Der für Dänemark siegreichen Schlacht bei Idstedt von 1850 folgte 1865 seine Niederlage bei den Düppeler Schanzen. Im Hurraschritt zogen die Verbündeten bis in das nördlich gelegene schon allein sprachlich völlig dänische Jütland „bis an den Belt“, wie es im „schleswig-holsteinischen Nationallied“ gefordert und auch heute gelegentlich noch gesungen wird.

Nicht einig über die weitere Verwaltung des eroberten Landes, inszenierte Preußen 1866 unter Reichskanzler Bismarck gegen seinen Verbündeten Österreich eine erfolgreiche Schlacht bei Königsgrätz. So konnte der preußische Staat sich im so genannten „Annexionsgesetz“ das Gebiet von Schleswig und Holstein gänzlich allein unterwerfen und es bei der Gründung des „Deutschen Reiches“ in Versailles 1871 in das neue „Deutsche Reich“ eingliedern. Schleswig-Holstein wurde für 80 Jahre Provinz Preußens, bis es 1947 ein eigenes Land in der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland wurde.

Zunächst bereiteten einige preußische Reformen wenig Freude: weil z.B. alle Personen männlichen Geschlechtes nun eine allgemeine dreijährige Wehrpflicht zu absolvieren und für „Volk und Vaterland“ in den Krieg zu ziehen hatten, auch diejenigen, die sich als Dänen verstanden. Dennoch hatte das Land Schleswig-Holstein nach dem Vollzug dieses militärischen und politischen Gewaltaktes durch Bismarck viele Vorteile von seinem neuen Status. Radikal wurde mit der aus dem Mittelalter oder der frühen Neuzeit stammenden Buntscheckigkeit und den alteingesessenen Privilegien in Städten, Ämtern, Landschaften, Harden, Kirchspielen und bei den Gutsbesitzern aufgeräumt und durch noch heute meist bestehende zentral gelenkte Kreise, Städte und Gemeinden ersetzt. Vereinheitlicht wurde auch die Steuererhebung und das Zivil- und Strafrecht mit Berufungsinstanzen bis zum Obersten Gerichtshof in Berlin. Die Dänen hatten das ja schon strukturell vorbereitet. Dass nun allen Menschen des Landes – Bauern und Bürgern, kleinen Kätnern und Tagelöhnern, Frauen und Kindern, Armen und Arbeitslosen – in der Praxis das gleiche Recht zuteil wurde wie den Adligen, Eliten, dem Militär und den Beamten, wird kaum anzunehmen sein. Aber ein relativ gleiches Verwaltungsrecht brachte sicher für einen großen Teil der Bevölkerung wichtige Verbesserungen gegenüber ihrer bisherigen Lage.

Schleswig-Holstein konnte als Teil des Reiches von dessen wirtschaftlichen Aufschwung mit seinen wachsenden weltweiten Beziehungen profitieren. Schnell entwickelte sich auch in Schleswig-Holstein die Industrialisierung mit neuen Produktions- und Handelsstätten. Es entstanden die Textilfabrik in Neumünster, die Zementindustrie in der Carlshütte in Rendsburg, der Werft- und Maschinenbau in Kiel bei den Gebrüdern Howaldt und die Marinestützpunkte für die deutsche Flotte mit der Germania-, der Kaiserlichen und der Reichswerft. Ab 1887 wurde der bisherige, bereits von den dänischen Königen erbaute „Eiderkanal“ durch einen für größere Seeschiffe geeigneten „Kaiser-Wilhelm-Kanal“ (heute Nord-Ostsee-Kanal) ersetzt. Auch zu Lande wurde der Verkehr von Straßen und Eisenbahnen neu geregelt. Nun konnte man bis hin zu den kleinen nordfriesischen Inseln und Halligen und zu den Städten und Stränden an Nord- und Ostsee fahren. Das ließ einen lukrativen Fremdenverkehr entstehen.

Die Landwirtschaft wurde mechanisiert mit Hilfe von Düngemitteln, pflanzlicher Veredelung, Züchtung neuer Sorten von Getreide und Vieh, durch die Errichtung von Meiereien und Maßnahmen der Entwässerung. Bauern und Bürger gründeten eigene Vereine und bildeten Berufsverbände, aber auch Kriegervereine entstanden. Für landlose Bauern wurden Arbeitsplätze in der Industrie frei, aber auch das Handwerk war weiterhin gefragt. Obwohl von einem allgemein wachsenden Wohlstand gesprochen werden kann, mussten natürlich die entsprechenden Löhne und sozialen und politischen Interessen der Arbeiterschaft erst hart erkämpft werden. Neben den bisher konservativen entstanden nun auch liberale und sozialdemokratische Parteien. Bald gab es meist der SPD nahestehende Gewerkschafts- und Landarbeiterverbände, die 1889 und 1890 die ersten großen 44 Streiks organisierten.

Die im fremden preußischen Schleswig-Holstein wohnenden dänischen Bürger erfuhren wenig Anerkennung und Unterstützung. Preußen legte 1878 fest, dass – in genauso bornierter Weise wie einst der dänische König 1806 –, überall in Kirchen, auf Ämtern und vor allem in den Schulen deutsch gesprochen werden müsse. Widersetzliche Lehrer und Pastoren wurden entlassen. Schnell bildete sich eine dänische Gegenbewegung unter der Leitung des Journalisten H.P. Hansen heraus. In Nordschleswig erklärten sich Bürger staatspolitisch zu Dänen oder wanderten aus. Man gründete Schulvereine und Heimvolkshochschulen für den sprachlichen Erhalt des Dänischen. Mit dem „Nordschleswigschen Wählerverein“ wurde eine erste heute noch existierende dänische Gegen-Partei ins Leben gerufen.

Erster Weltkrieg und Volks-
abstimmung

Im Ersten Weltkrieg stehen sich Deutsche und Dänen als Feinde gegenüber. Die anfängliche Kriegsbegeisterung vieler Deutschen richtet sich jedoch vor allem gegen den Erzfeind Frankreich. Die Regierung unter Kaiser Wilhelm II. und die Heeresleitung unter Hindenburg versuchen, diesen Gegner in einem endlosen Stellungskrieg mit neuen mörderischen Waffen zu vernichten. Vergeblich. Durch die gelenkte Kriegswirtschaft gehen Produktion und Handel zurück, in der Landwirtschaft fehlen Arbeitskräfte, die durch Gefangene und Frauen ersetzt werden. Im Rübenwinter 1916/17 hungern bereits Millionen von Menschen, eine verheerende Grippewelle überfällt die geschwächten Menschen zu Tausenden. Es kommt zu Arbeitsniederlegungen und Streiks in Kiel, Flensburg, Neumünster und Itzehoe. 70 000 Unterschriften für eine „Friedenspetition“ gehen an den Reichstag in Berlin. Ohne Erfolg.

1918 weigern sich Marinemannschaften und Werftarbeiter in Kiel, ein letztes nutzloses Seegefecht auszuführen. Es kommt in der Stadt zum berühmten Matrosenaufstand und zur Bildung von Soldaten- und Arbeiter-Räten in den größeren Städten, aber auch zur Bildung von Bauernräten auf dem Lande und in kleineren Orten wie Elmshorn, Eckernförde und Heide. Unter dem dazu angereisten SPD-Abgeordneten Noske wird der Generalstreik ausgerufen und liefert damit das Signal zur Gründung der Weimarer Republik, die in Berlin ausgerufen wird. Der Kaiser muss abdanken. Das 1917 vom amerikanischen Präsidenten Wilson verkündete 14-Punkte-Programm soll zukünftig das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ garantieren. Darauf berufen sich jetzt vor allem die Dänen.

Der Forderung nach einer Neuregelung der Gebiete zwischen Dänemark und Deutschland wird auf europäischer Ebene durch die Bildung einer Internationalen Kommission (CIS) entsprochen. Am 10. und 14. Februar 1920 finden „en bloc“ in zwei Zonen Abstimmungen statt, in der Zone I, nördlich von Flensburg bis zur Königsau, und in der Zone II, südlich von Flensburg in Angeln und auf den Friesischen Inseln. Mit örtlich unterschiedlichen Ergebnissen geht die erste Zone mit 74,9% erwartungsgemäß an Dänemark, die zweite Zone mit 80,2 % an Deutschland. Auf beiden Seiten bleiben dänische und deutsche Minderheiten zurück. Aber die territorialen Grenzprobleme sind vorerst gelöst und an Dänemark wird mit Jütland sein großer nördlicher Teil und an Deutschland der stets umstrittene Landesteil Schleswig jeweils „zurück“ gegeben.

Ein europäisches Jahrtausendwerk, wenn man auf die erste Absprache über eine Grenzziehung zwischen dem fränkischen Kaiser Karl dem Großen und dem Dänenkönig Göttrik im Jahre 811 zurück blickt, wenn man an die Auswanderung, Vertreibung und Ansiedlung so vieler europäischer Volksgruppen – vor allem der Sachsen und Slawen – denkt, an die Zerrissenheit des mittelalterlichen feudalen Flickenteppichs, die Eigenwilligkeit, mit der „freie Bauern“ und Lübecker Bürger ihre Selbständigkeit und Sonderinteressen wahrgenommen haben, die vielfältigen sprachlichen und politischen Kulturen, die die Bevölkerung entwickelt hat, die schrecklichen feudalen Kriege nordischer Großmächte und die darauf folgenden kaum zu zählenden Verträge ins Auge fasst – dann kann man schon erfreut darüber sein, dass die demokratisch abgestimmte deutsch-dänische Gebietsregelung von 1920 erstmalig und hoffentlich endgültig eine vernünftige Lösung gebracht hat. Edda Lechner, Norderstedt

Abb.: Entwurf für ein Gemälde über die Ausrufung der „Provisorischen Regierung“ 1848 für das Kieler Rathaus von Hans Olde. Links sieht man Bürgerliche, Handwerker und Arbeiter.

Abb.:Ein Gemälde von Stefan V. Petersen, Kopenhagen: Nach der Abstimmung 1920 besucht König Christian X. auf einem Schimmel zu Ehren der Genforening (Wiedervereinigung) Orte in Dänemark.