Quelle: Politische Berichte Nr. 10, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

Britische Regierung und Brexit

May in Florenz: „Ich möchte unseren Partnern keine Veranlassung zur Befürchtung geben, dass sie für den laufenden Haushaltsplan mehr bezahlen müssen oder weniger erhielten als Folge unserer Entscheidung, die EU zu verlassen. Großbritannien wird seine Verpflichtungen einhalten, die wir in der Zeit unserer Mitgliedschaft eingegangen sind.“ – So freuen sich zwar einige Banken auf bessere Geschäfte am Standort Frankfurt („40000 Stellen in London auf der Kippe“, „15 Banken wollen ihr Geschäft von London nach Frankfurt verlegen“, FAZ 1.9.), und der Standort Frankfurt sei gut aufgestellt im Vergleich zu den Konkurrenten Paris und Dublin. Der Verband der Auslandsbanken aber sieht die systemischen Folgen des Brexits eher kritisch für die Geschäfte der EU-Banken. Auch die britische und deutsche Industrie- und Handelsvereinigungen BCC und DIHK wollen schnelle Klarheit z.B. über Zölle nach einem Brexit, um schwerwiegende Verwerfungen zu vermeiden.

Nach der zweiten Verhandlungsrunde war klar, dass von britischer Seite konkretere Vorschläge kommen müssen zu den drei Basis-Fragen: (1) Status der EU-Bürger, auch mit Hinblick auf Gültigkeit der europäischen Rechtsprechung (EuGH); (2) Zahlungsverpflichtungen Großbritanniens gegenüber der EU; (3) Grenze zwischen Irland und Nordirland. Zu diesen Fragen hat sich Theresa May in Florenz geäußert, um aus der neuen Verhandlungsrunde am 9. Oktober mit handfesten Ergebnissen nach London zurückkehren zu können. Wirklich neu war, dass Großbritannien eine Übergangszeit von zwei Jahren möchte nach 2019, auch dass May konkret 20 Milliarden Euro als Zahlung von Großbritannien an die EU, verteilt über mehrere Jahre, nannte. Das Europäische Parlament in Straßburg beurteilte am 3. Oktober den Stand der Verhandlung als „unzureichend“. Der Europäische Rat sollte daher die Kommission zu Offenheit in der Frage der Übergangsphase ermutigen. So könnte ein „sufficient“, also zufriedenstellender Fortschritt festgestellt und die zweite Phase der Verhandlungen eingeleitet werden, diese wären für den 19./20. Oktober vorgesehen. May möchte Großbritannien als „co-equal partner“ der EU verstanden wissen und greift auf die 1950er Jahre und Anthony Eden zurück. Als britischer Außenminister war Eden im Prinzip zwar für ein föderales Europa, aber gegen eine europäische Armee, wie auch gegen eine Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. May scheint sich diesem Politiker eh nah zu fühlen: wie er hat sie einige Reformen angestoßen, z.B. die Transparenz der Vorstandsgehälter im Vergleich zu dem Gehalt eines durchschnittlichen Mitarbeiters. May: „Gehaltsexzesse sind ein inakzeptables Gesicht des Kapitalismus.“ Die Reformen gehen den Gewerkschaften natürlich nicht weit genug, manchen Tories zu weit.

Für den soeben beendeten Parteitag der Tories in Manchester wurde Mays Sturz prophezeit, es kam anders. Die Anwärter auf die Nachfolge – die FAS vom 8.10. nennt Jacob Rees-Mogg (ein konservativer Abgeordneter, der einst für ein Bündnis der Konservativen mit UKIP warb), David Davis (der britische Verhandlungsführer mit der EU-Kommission) und Boris Johnson (Außenminister und illustre Gestalt in der politischen Landschaft von Großbritannien). Sie greifen May aber nicht offen an: gelingt der Brexit, dann können sie immer noch zum günstigen Zeitpunkt nach vorne treten; wird es ein Desaster, kann man alles mit dem Namen May verbinden, sie loswerden und damit auch der Sache eine Wendung geben. Angriffe auf Mays Führungsvermögen gibt es viele – es scheint aber keinen wirklich realistischen Plan zu geben, wie das Auseinanderbrechen der britischen Union und auch der Binnengesellschaft anders als mit May als Premierministerin verhindert werden kann. Es ist ausgemacht, dass egal wie der Brexit gestaltet sein wird, es eine Menge Verlierer und zumindest eine längere Zeit Unsicherheit und unangenehmen Wandel geben wird.

Schon die Wahl der Brexitgegnerin May 2015 zum Nachfolger von David Cameron nach dessen Rücktritt hat das Dilemma angedeutet: Cameron hat mit dem Referendum Positionen zur Disposition gestellt, die bis dahin von einer Mehrheit im Land getragen wurden und auch Programm der Konservativen war. Eigene Positionen aufgebend hat er sich von der rechts-nationalen UKIP dorthin treiben lassen. Es zeigt sich eine gespaltene Gesellschaft, auch auf der Landkarte nachzuzeichnen. Ob May mit dem Ansatz der sozialen Reformen hier in die britische Gesellschaft einwirken kann, ist völlig offen. Die politische Gegenseite, die Labour-Partei mit Jeremy Corbyn an der Spitze greift sie genau hier an. Selbst ein Tony Blair bringt sich wieder in Stellung. Die soziale Bewegungen z.B. für höhere Löhne, für Abschaffung oder zumindest Absenkung von Studiengebühren, Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit, Förderung des wirtschaftlich schwachen Nordens sind real und drängen auf Lösung. Die Antworten darauf sind nicht einfach zu bewerten, aber eines scheint immer deutlicher: Versäumnisse auf dem politischen Feld der Europäischen Sozialunion tragen hier zur Gemengelage bei.

Es ist jetzt eben so, dass diese Verhandlungen konkrete Ergebnisse zeigen müssen, jedes Ergebnis und auch Nichtergebnis wird Signale in die EU-Mitgliedsstaaten und in die Welt aussenden. Bislang hält sich der Eindruck, dass es sowohl der EU als auch den Briten um faires Aushandeln geht. Unter anderem muss die einschlägige Stimmung in den einzelnen Mitgliedsstaaten von der EU-Kommission mit berücksichtigt werden. Keine leichte Aufgabe, zudem wird es eine Feuerprobe auch für den neuen deutsch-französischen Motor sein.

Eva Detscher, Karlsruhe