Quelle: Politische Berichte Nr. 10, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

Großbritannien: Umkämpfter Lebensstandard

Nachrichten – Zusammengestellt und übersetzt von Rolf Gehring, Brüssel

01 Erster Streik bei McDonalds in Großbritannien

02 Keine Gebühren mehr für Arbeitsgerichtsprozesse

03 Mindestlohn und Scheinselbständigkeit

04 Streik bei der Bank of England

05 Geringere Einkommensungleichheit

Blick in die Presse. Auswahl Rosemarie Steffens, Langen (Hessen)

06 Biegt Großbritannien nach links ab?

07 Deutsche Wirtschaft rechnet wegen zähen Brexit-Verhandlungen mit dem Schlimmsten.

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01 Erster Streik bei McDonalds in Großbritannien

Erstmalig haben Beschäftigte des McDonalds-Konzerns am 4. September, dem Datum des amerikanischen Labour Day zu einem Streik aufgerufen. In zwei Fillialen, in Cambridge und in Crayford, haben etwa 40 Beschäftigte die Arbeit niedergelegt, um vor allem gegen die geringe Bezahlung zu protestieren. Daneben wehren sich die Beschäftigten vor allem gegen die Praxis der Nullstundenverträge, bei denen die Beschäftigten keinen Anspruch auf eine Mindestzahl von Arbeitsstuden haben. Nach Aussagen der zuständigen Branchengewerkschaft (BFAWU – Bakers, Food and Allied Workers) wollen die McDonalds-Arbeiter die Kooperation mit Beschäftigten aus anderen Ländern entwicklen. Zum Streiktag waren Kollegen aus Neuseeland zur Unterstützung anwesend.

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02 Keine Gebühren mehr für Arbeitsgerichtsprozesse

Ende Juli entschied der oberste Gerichtshof in England, dass die sogenannte Fees Order (Gebührenordnung) für Arbeitsgerichtsprozesse aufgehoben wird, die 2013 auf Basis eines allgemeineren Gesetzes zur Erhebung von Beiträgen für Gerichtskosten verabschiedet wurde. Der Effekt dieser Gebührenordnung war eine drastischer Rückgang von Arbeitsgerichtsprozessen, die in England noch einmal aufgrund der starken Individualisierung der Arbeitsbeziehungen und der geringeren Regelungsdichte durch Tarifverträge eine größere Bedeutung haben. Insbesondere Geringverdienern und Frauen wurde so praktisch das Recht auf gerichtliche Klärung verwehrt. Die jetzige Entscheidung des obersten Gerichtshofes beinhaltet auch, dass bereits erhobene Gebühren zurückgezahlt werden müssen.

Quelle: https://publiclawforeveryone.com/2017/07/26/unison-in-the-supreme-court-employment-fees-constitutional-rights-and-the-rule-of-law/

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03 Mindestlohn und Scheinselbständigkeit

Der Mindestlohn in Großbritannien spielt eine wichtige Rolle bei der Verhütung von Einkommensarmut. Allerdings mehren sich die Berichte von Gewerkschaften über dessen Unterlaufen durch Selbständigkeit oder Scheinselbständigkeit. Aktuell soll einer von sieben Beschäftigten den Status der Selbständigkeit haben. Vor allem in einigen Branchen, wie der Bauindustrie, wo mittlerweile über 50% der Beschäftigten als Selbständige firmieren, aber wesentlich oder ausschließlich von einem Arbeitgeber abhängen, findet hierüber Lohndrückerei statt. Normalerweise fallen diese Beschäftigten auch aus den Arbeitsschutzaktivitäten der Firmen und aus allen Formen der Qualifizierung heraus.

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04 Streik bei der Bank of England

Die Gewerkschaft Unite, die Beschäftigte in diversen Sektoren organisiert, hat erfolgreich den ersten Streik seit 50 Jahren bei der Bank of England organisiert. Nach mehrtägigen Streikaktionen im August, an denen sich vor allem Beschäftigte aus dem Bereich der Wartung und der Sicherheit beteiligten, wurde Anfang September eine Einigung zwischen Unite und dem Bankmanagement erzielt. Aus Sicht von Unite wurden erhebliche Verbesserungen für die Beschäftigten erreicht. Vor allem die unteren Lohngruppen erhalten mehr Lohn und ein zusätzlicher Urlaubstag wurde vereinbart.

Quelle: http://www.independent.co.uk/news/business/news/bank-of-england-striking-workers-pay-agreement-public-sector-pay-cap-staff-maintenance-security-a7930806.html

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05 Geringere Einkommensungleichheit

In einem kürzlich vom englischen Institute for Fiscal Studies herausgegebenen Bericht werden die Ergebnisse einer Untersuchung zu den Einkommensungleichheiten in Großbritannien vorgestellt. Demnach hat die Einkommensungleichheit in der Zeitspanne von der in 2008 beginnenden Krise bis 2015-16 abgenommen. Die durchschnittlichen Einkommen sind um etwa 5% gefallen, die Beschäftigungsquote um 1,5 Prozentpunkte getiegen. Die größten Ungleichheiten bei den Einkommen sind in London festgestellt worden. Allerdings haben die untersten 10% der Einkommen seit 2007 etwa 10% höhere Einkommen wohingegen die obersten 10% einen Verlust von ebenfalls 10% zu verzeichnen haben. Insgesamt sind laut der Studie die Einkommen in London in dem Untersuchungszeitraum um ebenfalls 10% gefallen. Ähnlich ist die Entwicklung in anderen Landsteilen, allerdings auf niedrigerem Niveau. Insgesamt sind die Einkommen um etwa 5% gefallen. Die Einkommen im Südwesten sind etwa 25% Prozent höher als in den West Midlands, den Regionen mit den niedrigsten Durchschnittsverdiensten.

Quelle: https://www.ifs.org.uk/publications/9541

Abb.(PDF): Oben: Entwicklung der Realeinkommen 2007/08 bis 2015/16 nach Perzentilen (Ablesebeispiel: 10 Perzentilpunkte = 10% aller Einkommensbezieher liegen darunter), helle Linie: vor Abzug der Wohnungskosten; dunkle Linie: nach Abzug. – Unten: Prozentuale Unterschiede bei den Medianeinkommen im Zeitraum 2013 bis 2016 in den verschiedenen Regionen von Großbritannien, dunkel vor Abzug der Wohnungskosten, helle Säulen nach Abzug.

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Blick in die Presse. Auswahl Rosemarie Steffens, Langen (Hessen)

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06 Biegt Großbritannien nach links ab? FAZ, Mi., 4.10.17.– Eine Umfrage von Legatum zeigt, dass mehr als drei von vier Briten die Pläne des Labour-Vorsitzenden Corbyn zur Verstaatlichung von Wasserwerken, Energieversorgern und Eisenbahnen unterstützen, jeder zweite die Verstaatlichung der Banken. Eine große Mehrheit will, dass die britische Wirtschaft vom Staat deutlich stärker reguliert wird. Während die Regierung nur signalisiert, die hohen Studiengebühren an den Universitäten nicht weiter zu erhöhen, verspricht Labour, diese komplett abzuschaffen. Familien, die sich kein Eigenheim leisten können, sollen von einer gesetzlichen Mietpreisbremse profitieren. Alten und Kranken verspricht Corbyn, viele Milliarden Pfund zusätzlich ins staatliche Gesundheitssystem NHS zu investieren. Finanzieren will Labour diese und weitere Ausgaben mit höheren Steuern für Besserverdiener und Unternehmen. Ein aktueller Kommissionsbericht zur „ökonomischen Gerechtigkeit“ in Großbritannien listet die Fakten schonungslos auf: die Arbeitnehmer durchlitten die längste Phase stagnierender Löhne seit 150 Jahren. Die Region um London prosperiere, aber der große Rest des Landes habe die während der Finanzkrise 2008 erlittenen Einbußen nicht wettgemacht. Die Arbeitsproduktivität liege um 13 Prozent unter dem Durchschnitt der G7-Staaten. Öffentliche und private Investitionen seien im internationalen Vergleich niedrig und seit drei Jahrzehnten rückläufig. Großbritanniens Leistungsbilanzdefizit sei das höchste im Kreis der G7-Staaten.

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07 Deutsche Wirtschaft rechnet wegen zähen Brexit-Verhandlungen mit dem Schlimmsten. NTV, Do., 5.10.17. – „Deutsche Unternehmen mit einem Standbein in Großbritannien und Nordirland müssen Vorsorge für den Ernstfall eines sehr harten Ausscheidens treffen“, sagte der Hauptgeschäftsführer der BDI, J. Lang. Die Fragezeichen über den Ablauf des Brexits belasteten die Unternehmen mit Großbritannien-Geschäften schwer. Viele Aktivitäten seien nicht nur unsicher, sie seien auch der Gefahr massiver Entwertungen ausgesetzt, warnte Lang. „Der Brexit, wie auch immer geartet, wird zuerst das Vereinigte Königreich treffen. Doch er wird auch Deutschland treffen.“ Lang verwies auf ein bilaterales Handelsvolumen von mehr als 170 Mrd. und einen wechselseitigen Bestand von Direktinvestitionen von mehr als 140 Mrd. Euro. Rund 400 000 Arbeitsplätze in Großbritannien würden von deutschen Firmen bereitgestellt.

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