Quelle: Politische Berichte Nr. 10, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

Ursachen des Wahlerfolgs und der Umgang mit der AfD

Die AfD hat ihr Wahlziel von 15 % bei der Bundestagswahl mit 12,6 % nur knapp verfehlt. Viele zuvor Nichtwählende haben diesmal die AfD gewählt und zur gestiegenen Wahlbeteiligung beigetragen. In den Bundestag eingezogen sind dadurch zum erstenmal viele Rechtsextreme des völkisch-nationalen Flügels der Partei: Anhänger Höckes und von Storchs, Unterzeichnende der Erfurter Resolution und Personen mit Verbindungen zu den Identitären, der Burschenschaften, der NPD, der Partei „Die Freiheit“, Vertreter des offenen Terrors gegen Geflüchtete, der NS-Ideologie, der Mobilisierung sozialer, rassistischer, kultureller und religiöser Ressentiments und Angriffe auf die sozialen Grundlagen der Demokratie. 55 % der AfD-Wählerinnen und Wähler sind laut Analyse von Infratest dimap der Meinung, dass sich die AfD nicht genügend von Rechtsextremen distanziere. Die Nähe vieler AfDler zu Rechtsaußen wird sich jetzt, wo die Partei im Rampenlicht steht, noch weniger verhüllen lassen. Auch das Hinausdrängen als gemäßigt geltender Mitglieder wie Frauke Petry nach der Wahl stärkt den rechtsextremen Charakter der AfD.

Welche politischen Erklärungen gibt es für den AfD-Wahlerfolg?

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) stellt in ihrem Wahlnachtbericht den Erfolg der AfD in Zusammenhang mit politischen Entheimatungsprozessen ihrer Wählerinnen und Wähler. Die Haupt-Wahlmotive der AfD-Anhängerschaft sind „Angst vor Verlust der deutschen Kultur (95 %)“, „große Sorgen, dass sich unser Leben in Deutschland zu stark verändern wird“ (94 %), „dass unsere Gesellschaft immer weiter auseinanderdriftet (91 %)“ und damit verbundene Fremdenfeindlichkeit. Horst Kahrs erklärt in der RLS-Studie: „Der Erfolg lässt sich nur sehr begrenzt sozioökonomisch mit ,Verlierern‘ und ,Abgehängten‘ erklären. Er offenbart vielmehr das Dilemma des kulturellen und sozialen Konservatismus, der keineswegs auf die Union begrenzt ist. Die Dynamik der (transnationalen) kapitalistisch getriebenen Veränderung … treibt Veränderungen in der Arbeitswelt, in der Lebenswelt, in den sozialstaatlichen Institutionen und fordert entsprechende Anpassungsprozesse. Politisch erscheinen sie zuweilen als Rückschritt hinter einen historisch errungenen Kompromiss zwischen Arbeit und Kapital, also hinter bestimmte sozialstaatliche Standards, Auffassungen von Solidarität, Leistungsgerechtigkeit usw.; ein andermal als kulturelle Modernisierung im Sinne der Auflösung traditionaler, patriarchaler Bindungen an Religion, Rollenverständnisse, Familienbilder. Die SPD hat sich unter Schröder einem solchen – parteipolitisch fehlgeschlagenen – Anpassungsprozess der sozialstaatlichen Institutionen unterzogen. Die Union hörte, zumindest aus diesem Blickwinkel, unter Merkel zwecks Machterhalt auf, konservativ zu sein und begann den zweiten Anpassungsprozess auf der kulturellen und gesellschaftspolitischen Ebene (Abschaffung des obligatorischen ,Dienstes am Vaterland‘, des wertkonservativ-patriarchalen Frauen- und Familienbildes, Ausstieg aus der Atomkraft u.a.m.).

Vormals in dieser Partei gebundene Deutsch-Nationale und Wertkonservative, politisch Erfahrene, fühlten sich politisch entheimatet und bildeten zusammen mit ebenso ins politische Abseits gestellten Ordoliberalen eine neue Partei.“

Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer nennt als Ursache für den Erfolg der AfD gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit des autoritärem Kapitalismus und der von ihm abhängigen Politik. Er beschreibt die Auswirkungen der ökonomischen und politischen Prozesse auf betroffene Gruppen und Individuen genauer: „Dadurch werden bestimmte Gruppen abgewertet und diskriminiert, nach ökonomischen Kriterien bewertet, also nach ihrer Verwertbarkeit, ihrer Nützlichkeit und Effizienz. Betroffen sind Langzeitarbeitslose, niedrig qualifizierte Migranten, Flüchtlinge, Obdachlose, Behinderte. Die sozial Schwachen sehen dann auf die noch Schwächeren herab. Die Solidargemeinschaft erodiert unter dem massiven Druck der Durchsetzungs- und Konkurrenzlogik des Kapitals, dem die herrschende Politik folgt. Integriert sein bedeutet, dass Menschen Zugang zu den Institutionen der Gesellschaft wie dem Arbeitsmarkt, dem kulturellen und politischen Leben haben, und auch – das ist sehr wichtig – dass sie sich als anerkannt wahrnehmen. Das Wahrgenommenwerden und die Anerkennung sind für viele aber nicht gewährleistet. Das gilt nicht nur für Zugewanderte und Flüchtlinge, sondern auch für Einheimische, vor allem für viele Menschen im Osten. Nach der Wiedervereinigung wurde bei vielen die Leistung eines ganzen Lebens entwertet. Wenn damit gedroht wird, Arbeitsplätze auszulagern, lassen sich nationale Regierungen erpressen und geben einen Teil ihrer Kontrolle über die Wirtschaft preis. Finanzkrise, Bankenskandal, Dieselskandal – In allen diesen Beispielen gab es nur Anpassungen an die Forderungen des Kapitals, die sich eben der Deregulierung bedient haben.“ (Quelle: Interview mit Wilhelm Heitmeyer in der SZ, 4.10.17)

„Die AfD darf kein normaler Akteur in Parlament, Medien und Gesellschaft sein“

Die Partei Die Linke weist darauf hin, es gäbe keinen Konsens der demokratischen Parteien über den Umgang mit der AfD, aktuelles Beispiel ist die Diskussion um die Wahl von AfD-Glaser zum Bundestagsvizepräsident.

Sie stellt fest, dass die Übernahme sicherheits- und migrationspolitischer Positionen der AfD durch andere Parteien nicht zu einer Schwächung, sondern zu einer weiteren Stärkung der AfD führe.

„Das Handeln gegenüber der AfD, die von uns nicht als politischer Konkurrent sondern als Gegner charakterisiert wird, muss sich weiter daran orientieren, der fortschreitenden „Normalisierung“ der Partei entgegen zu wirken. Mit unserer öffentlichen Argumentation, … müssen wir immer wieder darauf hinweisen, dass die AfD keine demokratische Alternative ist. Wir kritisieren – und skandalisieren, wenn möglich – ihre politischen Positionen, ihre Funktion als Akteur der extremen Rechen und ihre politischen, organisatorischen und personellen Überschneidungen ins Milieu der „Neuen Rechten“.

Um die AfD in ihre Schranken zu weisen, die Etablierung einer zugleich parlamentarisch und auf der Straße verankerten Partei zu verhindern und die akute Bedrohung von rechts zu bekämpfen, braucht es breite gesellschaftliche Bündnisse, die eingeübte Bündnis-Rituale in Frage stellen. Solche Bündnisse müssen nicht nur von der radikalen Linken bis hin zu demokratischen Konservativen reichen, sondern müssen vor allem real das mobilisieren, was unter dem Begriff der Zivilgesellschaft zu verstehen ist – und nicht allein deren hauptamtlich Beschäftigten: Kirchen und Religionsgemeinschaften, Schulen und Schülerinnen und Schulen, Mitglieder aus Gewerkschaften und Sozialverbänden, Künstlerinnen und Künstler sowie Medienschaffende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Studierende, Nachbarschaften, Vereine und Communities von Migrantinnen und Migranten, die zehntausende Helferinnen und Helfern der Geflüchteten, … Diese Bündnisse müssen politisch (Stopp-) Zeichen setzen, im Alltag rechtes Denken und rechte Propaganda zurückweisen und zugleich für eine mitmenschliche Gesellschaft, für das Recht auf Asyl und Werte der Humanität werben.“ (Zum Umgang der Partei Die Linke mit der Rechtspartei AfD, Beschluss des Parteivorstandes vom 20. Februar 2016 )

Rosemarie Steffens, Langen (Hessen)