Quelle: Politische Berichte Nr. 11, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

Katalonien: Keine Republik nirgends

Nachdem das katalanische Regionalparlament am 27. Oktober mit seiner separatistischen Abgeordnetenmehrheit zu Maßnahmen zur Konstitution einer Republik Katalonien aufgerufen hatte, erklärte die zweite Kammer des gesamtspanischen Parlamentes, der Senat, das katalanische Parlament für aufgelöst und beschloss die Anwendung des Artikels 155 der Verfassung Spaniens.

Die Mehrheit im katalanischen Parlament für die Ausrufung einer von Spanien unabhängigen Republik Katalonien besteht seit den letzten Regionalwahlen 2015. Sie setzt sich zusammen aus der Fraktion des Wahlbündnisses „Gemeinsam für das Ja“ (JxSí) , welches auch die Regionalregierung stellte, und der sie tolerierenden antikapitalistischen Kandidatur der Volkseinheit (CUP).

Das Wahlbündnis JxSí besteht aus der liberal-konservativen Demokratisch Europäischen Partei Kataloniens (PDeCAT) und der sozialdemokratischen Republikanischen Linken Kataloniens (ERC). Beide Parteien sind traditionell katalanistisch orientiert. Die Vorläuferpartei der PDeCat hat Katalonien seit den ersten freien Wahlen 1977, dem Ende der Francodiktatur, nahezu ununterbrochen regiert und geprägt. Zum einen mit knallharter kapitalfreundlicher Standortpolitik, welche die Region Katalonien innerhalb Spaniens als eine der drei wirtschaftstärksten ausgebaut hat – neben der Hauptstadtregion und dem Baskenland – zum anderen mit einer kulturalistischen Sprach- und Brauchtumspolitik, welche die eigenständige romanische Sprache Katalanisch gegenüber Spanisch positiv diskriminierte. Die Bourgeoisie der Handelsregion ist weltoffener und liberaler als die strukturell noch oligarchisch geprägte Bourgeoisie Zentralspaniens mit ihren engen Verbindungen zu Militär und Hochklerus, in welcher der reaktionäre Opus-Dei-Orden bis heute einflussreich ist.

Obwohl in Katalonien von 16 % der Bevölkerung Spaniens 19 % des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet werden, ist die Infrastruktur der Region teilweise sehr marode und im Vergleich zur Hauptstadt Madrid weniger ausgebaut. 2016 kamen aus Katalonien 25,9 % des Warenexports Spaniens und 22,9 % der Produktion des Landes. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei 13,2 % gegenüber 17,2% in ganz Spanien. Das Bruttoinlandsprodukt pro Person ist nur in den Regionen Madrid und im Baskenland höher. In Katalonien liegt das BIP je Einwohnendem bei 30.900 Euro, in ganz Spanien bei 25.900 Euro, in der ärmsten südlichen Region Extremadura bei 17.800 Euro. Das gesamte BIP Kataloniens beträgt mit 228 Milliarden nur eine weniger als das Portugals.

Der Wirtschaftskraft der traditionell stark industrialisierten Region, in der überdies auch 16, 8 % der Tourismuseinnahmen Spaniens erwirtschaftet werden, steht in einem starken Kontrast zu ihrer Berücksichtigung bei Investitionsentscheidungen, die zentralistisch in Spanien getroffen werden. Dabei gibt es keine klaren Regeln wie etwa einen Länderfinanzausgleich oder Rechtsansprüche, sondern für Außenstehende intransparente Einzelfallentscheidungen. So ist etwa die Mittelmeertrasse, mit welcher der größte und der drittgrößte Hafen Spaniens – der von Valencia und der von Barcelona – eine effiziente Güterzuganbindung nach Mitteleuropa erhalten, jahrelang verzögert worden, ohne dass es hierfür offizielle Gründe gab. Wer sich in Barcelona oder der ebenfalls über einen bedeutenden Exporthafen verfügenden Stadt Terrassa abseits der touristischen Hotspots bewegt, wird nicht denken, wie hoch die in diesen beiden Städten erarbeitete Wertschöpfung ist.

Seit die Finanzkrise 2007 in Spanien durchschlug, deren Folgen bis heute der proletarischen Bevölkerung das Leben erschweren, insbesondere durch die fortgesetzte brachiale Austeritätspolitik, erscheint es für immer mehr Bewohnende der Region um Barcelona verlockend, sich von Spanien loszusagen und damit auch die Austeritätspolitik abzuschütteln. Und die Korruption, die in Spanien so große Ausmaße angenommen hat, dass Kommunalpolitiker der konservativen, das Land seit 2011 regierenden Volkspartei (PP), erst dann ihren Posten räumen müssen, wenn sie rechtskräftig verurteilt sind – der Verdacht, selbst der Nachweis der Korruption alleine reichen nicht aus für die Erzwingung eines Rücktritts. Die Verbindungen zwischen der PP und der Bauwirtschaft auf Kommunalebene sind sprichwörtlich, wobei auch die zweite große Partei, die sozialdemokratische PSOE, viele Korruptionsfälle aufweist, ebenso die Regionalparteien wie PdeCat oder die baskisch-nationalistische Partei (PNV). Bei der PdeCat geht dies soweit, dass der langjährige, von ihrer Vorläuferformation CiU gestellte Regionalpräsident Jordi Pujol, auch „Mister drei Prozent“ genannt wurde: Bei Auftragsvergabe an eine Firma hatte diese drei Prozent des Auftragsvolumens an seine Partei bzw. Pujol zu überweisen. Ein großer Teil dieses Geldes landete auf privaten Kontos der Familie Pujol, gerne bei Banken in Andorra. Auch davon lenkt die PdeCat mit ihrer Vorwärtsstrategie für die Unabhängigkeit Kataloniens ab. Ebenso wie von ihrer früheren Unterstützung der Austeritäts- und Sparpolitik zulasten sozial Bedürftiger.

Nachdem 2010, noch zu Zeiten der sozialdemokratischen Vorgängerregierung, die konservative PP unter dem heutigen Präsidenten Spaniens, Mariano Rajoy, gegen ein erweitertes Autonomiestatut für Katalonien geklagt hatte, erreichte die PP, dass der Verfassungsgerichtshof das Statut annullierte. Die entscheidenden Richter waren in ihrer Mehrheit, wie bei den höchsten Gerichten des Landes üblich, Parteigänger der PP. Nachdem die PP so erfolgreich den Versuch der Sozialdemokraten torpediert hatte, die Region Katalonien über eine Föderalisierung in Spanien einzubinden, verschärfte sie diesen Kurs nach ihrer Regierungsübernahme im Dezember 2011 noch: Absprachen über einen transparenteren Finanzausgleich wurden abgeblockt, stattdessen reihenweise Regionalgesetze Kataloniens für verfassungswidrig erklärt und aufgehoben, welche die Austeritätspolitik oder die ultrakatholischen Normen der PP in Frage stellten. Während sich die katalanischen Konservativen auf die regionalistischen Linksrepublikaner zu bewegten, und so bei abnehmender Wählerschaft an der Regierung blieben, gab es auf gesamtspanischer Ebene eine entgegengesetzte Bewegung: Die PP verstärkte ihre kapitalfreundliche Austeritätspolitik für den nationalen Wettbewerbsstaat Spanien und ihren spanisch-nationalen Zentralismus, während sich die spanische Sozialdemokratie der PSOE hierbei aus vermeintlich staatsmännischen Überlegungen unterordnete und anschloss. Bis zu dem tragischen Tiefpunkt, dass der Oppositionsführer Pedro Sánchez von der PSOE zwar gegenwärtig gerne vom Dialog spricht, aber unter seiner Führung die PSOE im spanischen Parlament den harten, repressiven Kurs der PP-Regierung unter Mariano Rajoy gegenüber der – von ihr abgesetzten – katalanischen Regionalregierung von Carles Puigdemont ohne größeren Widerspruch mitträgt. Dabei ist die konservative Regierung die einer Minderheit, selbst mit den Liberalen der Partei Ciudadanos verfügt die PP über keine Mehrheit im Parlament. Eine Mehrheit gäbe es hingegen für eine Regierung der Sozialdemokraten der PSOE mit der linksalternativen Partei Podemos (Wir können es) plus der Vereinigten Linken, IU, rund um die spanische KP, die mit Podemos ein Wahlbündnis eingegangen ist, sowie den Regionalparteien – wie eben Carles Puigdemonts Demokratisch Europäischen Partei Kataloniens (PDeCAT) und Oriol Junqueras Republikanischer Linker Kataloniens (ERC). Aber so sehr sich Podemos auch bemühte, die PSOE von einer solchen Koalition zu überzeugen – der Funktionärsapparat der Sozialdemokraten sowie die Barone genannten Vorsitzenden der Regionalverbände erklärten beinhart: Keine Koalition, die auf die Stimmen der Regionalisten angewiesen ist. Und keine Koalition, welche die Austeritätspolitik und das Diktat der Schuldenbremse aus Berlin infrage stellt. Diese spanisch-nationale Linie dominiert die PSOE und bewirkt, dass diese sich bei Strafe des drohenden Untergangs in die Bedeutungslosigkeit der konservativen PP unterordnet.

Die PSOE trägt, ebenso wie die Ciudadanos, die konfrontative Politik der PP-Regierung gegenüber den Unabhängigkeitsbestrebungen der katalanischen Regionalisten mit. Auch die Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung, was nicht weniger als die Aufhebung der Autonomie der Region und ihre direkte Unterstellung unter zentralspanische Verwaltung bedeutet. Nach der Verhaftung der Vorsitzenden der beiden größten zivilgesellschaftlichen Organisationen für die Unabhängigkeit, der Katalanischen National Versammlung (ANC), und von Òmnium Cultural, Jordi Sànchez und Jordi Cuixart, die bereits vor der Absetzung der katalanischen Selbstverwaltung erfolgte, zielt die spanische Justiz jetzt auf die Kriminalisierung des Regierungskabinetts von Carles Puigdemont und des katalanischen Parlamentspräsidiums unter deren Vorsitzender Carme Forcadell. Ihnen wird Rebellion, Aufstandsvorbereitung, Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen.

Während die abgesetzten Minister und der abgesetzte Regionalpräsident vor dem Sondergerichtshof für Terrordelikte und Organisierte Kriminalität angeklagt werden, der Audiencia Nacional, wird das Präsidium des per Dekret aufgelösten Regionalparlamentes vor dem Obersten Gerichtshof angeklagt – denn sie stehen bis zu den von Madrid kontrollierten Neuwahlen in Katalonien am 21. Dezember unter parlamentarischer Immunität. Da gilt das Recht dann doch noch.

Neun Minister der Regionalregierung, unter ihnen Oriol Junqueras, wurden am 2. November umgehend inhaftiert, nachdem sie zu Vorladungen bei der Audiencia Nacional erschienen sind. Ein Minister, Santi Vila, kam auf Kaution frei, weil er am Tag vor der Unabhängigkeitserklärung von katalanischem Parlament und Regierung zurückgetreten war. Die übrigen acht sitzen in Untersuchungshaft, es bestehe Fluchtgefahr. Gegen Carles Puigdemont und vier Minister, die nach Brüssel geflüchtet waren, ergingen Europäische Haftbefehle. Sie stellten sich daraufhin am 5. November der belgischen Polizei und wollen gegen eine Auslieferung an Spanien juristisch vorgehen.

Sicher ist: Die Regionalwahlen vom 21. Dezember werden so massiv beeinflusst. Unklar ist auch, ob Carles Puigdemont und Oriol Junqueras, wie von ihren Parteien gewünscht, überhaupt wieder als Spitzenkandidaten antreten dürfen. Nicht nur, dass es eine Republik Katalonien nicht geben darf – auch der politische Einsatz für sie soll massiv erschwert werden.

Gaston Kirsche, Hamburg