Quelle: Politische Berichte Nr. 11, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

Petition für Westpapua an die Vereinten Nationen: 1,8 Millionen Menschen haben unterschrieben

Zurzeit gibt es in Europa eine ganze Reihe von Bewegungen, die mehr Selbstbestimmung oder sogar staatliche Unabhängigkeit fordern. Eine solche Forderung wird auch auf der anderen Seite des Globus laut, von der wir meistens nicht soviel erfahren: in Westpapua, zur Zeit zu Indonesien gehörend. Die Organisation „United Liberation Movement for West Papua“ (ULMWP) appelliert in einer Petition an die Vereinten Nationen, gegen Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land aktiv zu werden und den indigenen Papuas endlich das Recht auf Selbstbestimmung zuzugestehen.

Die Petition wurde mit Unterstützung der Labour-Partei im Januar 2017 im britischen Parlament unter der Leitung des Sprechers der „Vereinigten Befreiungsbewegung für Westpapua“ Benny Wenda gestartet und am 1. September 2017 von ihm zusammen mit einer Gruppe von Papua-Aktivisten im Büro der Vereinten Nationen in Genf und anschließend in New York überreicht. Dazu heißt es in einer Erklärung von Benny Wenda: „Ich habe sie [die Petition] an das Sekretariat des Dekolonisierungsausschusses (C-24) und des Sonderkomitees für Politik und Dekolonialisierung (Viertes Komitee) der UN Generalversammlung übermittelt, und die Vereinten Nationen darum gebeten die Situation in Westpapua neu zu beurteilen.“

Die britische Tageszeitung „The Guardian“ veröffentlichte am 27. September 2017 einen Artikel über die Petition und Aktion ihrer Übergabe. Sofort meldete sich – am 29. September 2017 – in einem Interview mit der indonesischen Tageszeitung „Jakarta Post“ der Vorsitzende des C-24 Ausschusses, Rafael Ramirez, zu Wort und bestritt, dass ihn „als Vorsitzenden persönlich“ eine Petition erreicht habe. Zudem legte er auf die Feststellung Wert, dass Westpapua nicht zu der von der UN-Generalversammlung aufgestellten Liste von 16 Ländern gehöre, die Anspruch auf „Dekolonisierung“ hätten. Nur um die könne er sich kümmern. Die überreichte Petition ist jedoch direkt an den UNO-Generalsekretär adressiert und fordert von der UNO „einen Sondergesandten zu ernennen, um die Menschenrechtssituation in Westpapua zu untersuchen“ und „Westpapua auf die Agenda des Dekolonialisierungs-Ausschusses der UNO zu setzen und sicher zu stellen, dass das Recht auf Selbstbestimmung indigener Papuas respektiert würde, indem eine international überwachte Abstimmung abgehalten wird in Einklang mit einer bereits vorhandenen Resolution 1514 und 1541 (XV) der UNO-Generalversammlung.“ Dies zu dem komplizierten formalen Weg der gewünschten Selbstbestimmung.

Auf die politischen Fragen reagierte sehr schnell die zurzeit über Westpapua herrschende indonesische Regierung und sperrte für ganz Indonesien sofort die entsprechende Online-Webseite, auf der die Petition veröffentlicht war. Die Papuas wussten sich zu helfen: Eine ausgedruckte Version ihrer Petition wurde heimlich „von einem Ende Papuas zum anderen umher gereicht“. Der Sprecher des indonesischen Außenministeriums Arrmanatha Nasir versuchte die Petition herunterzuspielen: Er nannte sie einen „PR-Gag, dem es an jeglicher Glaubwürdigkeit fehle“ und betonte, dass „Papua ein integraler Bestandteil Indonesiens sei, laut der Resolution 2504 (XXIV), die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen 1969 verabschiedet wurde.“

Komplizierter historischer Hintergrund

Westpapua wurde seit Ende der 1950er Jahre unter der niederländischen Kolonialherrschaft die Unabhängigkeit versprochen. Die Kolonie sollte 1970 endgültig ein eigenständiger Staat werden. Zu diesem Zweck wurde 1961 der Neuguinearat als Übergangsregierung der Papua gewählt und von den Niederlanden eingesetzt. Ein unabhängiger Staat war erklärtes Ziel der Papua und der Niederlande.

Mit ihrer Erklärung der bevorstehenden Unabhängigkeit gerieten die Papua aber in direkten Konflikt mit Indonesien, das die alte Kolonialmacht der Niederlande ablöste. Sukarno, der damalige indonesische Staatspräsident, erhob seinerseits den Anspruch darauf, dass Irian, wie Westpapua von ihm genannt wurde, zu Indonesien gehöre. Bereits knapp drei Wochen nach der Staatsbildung dieses Landes im Jahre 1949 hatte er in einer Rede angekündigt, Irian von der Kolonialherrschaft der Niederlande zu befreien und einzuverleiben. Nachdem ab den sechziger Jahren mehrere militärische Feldzüge gegen die Niederländer gestartet wurden, wurde Westpapua schließlich unter dem Druck des US-Präsidenten John F. Kennedy und unter Mithilfe der UNO an Indonesien übergeben, ohne dass eine Papua-Delegation in die diplomatischen Verhandlungen einbezogen wurde. Am 15. August 1962 kam es zum so genannten New York Agreement, welches allerdings ein freies Referendum im Jahr 1969 vorsah: Die Menschen in Westpapua sollten dabei unter UNO-Aufsicht entscheiden, ob sie Teil Indonesiens bleiben oder in einem eigenen Staat leben wollten.

Sukarno und sein Nachfolger Suharto hatten aber bis 1969 militärisch ihre Herrschaft in Westpapua fest etabliert. Führende Papua flohen, wurden aus ihren Ämtern entfernt oder ermordet. Irian wurde durch indonesische Truppen besetzt. Zudem hatte Indonesien in diesen Jahren erkannt, dass wertvolle Bodenschätze in Westpapua zu finden waren. Das Referendum wurde manipuliert: Anstelle einer öffentlichen Wahl legte die indonesische Regierung Wahlmänner fest, die unter Einschüchterung und Bestechung für die Eingliederung Westpapuas in den indonesischen Staat stimmen mussten. Obwohl Mitglieder der verantwortlichen UN-Delegation die Manipulation des Referendums in ihren Berichten erwähnten, wurde das Ergebnis des Referendums nie angefochten.

Nun haben im September dieses Jahres 1804421 Menschen die oben genannte Petition unterschrieben. Sie fordern damit – nach fast einem halben Jahrhundert des Stillschweigens – ihre Entkolonisierung und das Selbstbestimmung für Westpapua ein. Benny Wenda erklärte, es hätten nicht nur 1708167 indigene Papuas – das sind nach neuesten unabhängigen Untersuchungen des australischen Demographen Jim Elmslie etwa 70,88% der indigenen Bevölkerung des Landes – unterzeichnet, sondern auch 96254 Indonesier nicht-papuanischer Abstammung. Am 7. September 2017 traf Benny Wenda, der Vertreter von West Papua Independence, mit Jeremy Corbyn, dem Parteivorsitzenden der britischen Labour Partei, in London zusammen. Corbyn, der zugleich Gründungsmitglied der Organisation Internationale Parlamentarier für Westpapua (IPWP) ist, erklärte, dass er das Grundrecht der Westpapuaner auf Selbstbestimmung unterstütze und Befürworter der Unabhängigkeitsbewegung sei. Seit ihrer Gründung hat sich die IPWP inzwischen weit verbreitet, so im australischen Parlament, im neuseeländischen Parlament von Aotearoa (eine Maori-Bezeichnung für Neuseeland), und im Parlament von Papua-Neuguinea. Grundlage dieser politischen Aktivitäten zu Gunsten von Westpapua ist die bereits 2016 verabschiedete Westminster Declaration for an Internationally Supervised Vote in West Papua (Westminster-Erklärung für eine international überwachte Abstimmung in Westpapua).

Karl-Helmut Lechner, Norderstedt

Quellen: https://www.ulmwp.org; https://www.bennywenda.org/2017/statement-benny-wenda-Westpapuan-peoples-petition; https://www.ulmwp.org/declaration-internationally-supervised-vote-independence

Abb. (nur im PDF): Benny Wenda, der Vertreter von West Papua Independence, mit Jeremy Corbyn, Parteivorsitzender der britischen Labour Partei, in London.