Quelle: Politische Berichte Nr. 11, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

Ergebnisse der Parlamentswahlen in Tschechien

Die Wahlen am 20. und 21. Oktober 2017 haben bestätigt, dass auch die tschechische Linke (radikal und moderat) im Wesentlichen dem Trend der linken Bewegung in ganz Europa unterliegt (wenn möglicherweise auch mit einer gewissen Zeitverzögerung) – einer allmählichen Schwächung, insbesondere der traditionellen Parteien und Bewegungen. In der politischen Landschaft Tschechiens gibt es zwei linke Parteien (die Sozialdemokraten und die Kommunistische Partei), die dort schon relativ lange präsent sind. Abgesehen davon, dass sich beide Parteien auf ihre traditionelle Wählerschaft stützen, versammeln sich um sie herum relativ viele Wähler, die eher locker mit ihnen verbunden sind. Der Unterschied zwischen ihnen ist, dass die Sozialdemokratie eine traditionelle reformistische Partei ist, die einen „verbesserten Kapitalismus“ anstrebt – ein Konzept, das von der Öffentlichkeit als „Wohlfahrtsstaat“ wahrgenommen wird. Die Kommunistische Partei wird in einer politisch-wissenschaftlichen Definition als antisystemische Partei angesehen.

Insgesamt haben 31 Parteien und politische Bewegungen an den diesjährigen Wahlen teilgenommen. Die Wahlbeteiligung war vergleichbar mit der früherer Wahlen, wobei langfristig gesehen die Wahlbeteiligung zurückgeht. Die Altersstruktur der Wählerschaft hat sich jedoch verändert. Vorläufige Ergebnisse zeigen eine höhere Beteiligung der jungen und mittleren Generation.

Die tschechische Gesellschaft sieht sich in langfristiger Perspektive eher europaskeptisch. Obwohl beispielsweise die EU-Integration der Tschechischen Republik in Bezug auf die Verteidigung von 65% der tschechischen Bevölkerung als positiv erachtet wird, sehen nur 38% die politische Aktivität der EU positiv. Im Gegensatz dazu halten 69% der Tschechen die EU-Regierungspraxis für nicht im Interesse ihres Landes.

Bei der Analyse der Wahlergebnisse der tschechischen Kommunisten und Sozialdemokraten lassen sich zwei Typen von Wählern unterscheiden. Die erste Gruppe besteht aus sogenannten Verurteilern. Die zweite Gruppe besteht aus Protestwählern. Sie geben einer Partei der Linken ihre Stimme, um ihre Unzufriedenhiet mit verschiedenen Aspekten des sozialen oder wirtschaftlichen Lebens zum Ausdruck bringen. Entsprechend zahlreicher soziologischer Analysen nimmt eine Selbstzuordnung von Menschen zur linken oder rechten Seite des politischen Spektrums auf lange Sicht hin ab. Der Anteil derjenigen, die sich der radikalen Linken zuordnen, liegt bei 7,5 %, zur moderaten Linken bei 11,2 % und zu Mitte-Links bei 8,2 %. Mit den unterschiedlichen Parteien auf der Rechten assoziieren sich 35,4 %, 20,0 % mit Mitte-Rechts. 27,4 % sehen sich als Zentristen und 10,3 % weisen überhaupt keine Präferenzen auf (alle Daten von Mitte 2017). Diese Daten zeigen deutlich, dass die Ergebnisse der linken Parteien im Wesentlichen dieser Schichtung entsprechen, wobei einige der linken Stimmen an populistische nicht-linke Bewegungen wie ANO oder SPD verloren gingen. Langfristig zeigt sich, dass der Anteil der linken Sympathisanten weiter sinkt. Im Zeitraum 2012 bis 2013 machten sie mehr als 40 % der gesamten Wählerschaft aus, in diesem Jahr 27 %. Die Selbstzuordnung zu den Rechten hat sich in den letzten drei Jahren nicht verändert, aber das „Zentrum“ ist deutlich gewachsen.

Die beiden linken Parteien konnten offensichtlich ihre Kernwähler mobilisieren. Dabei tun sich die Bürger schwer, das „Linkssein“ in Handlungen und Verhalten von Vertretern dieser Parteien in verschiedenen staatlichen Strukturen (Regionalregierungen, Kommunen usw.) trotz der linken Rhetorik zu erkennen. Die langfristige Fokussierung auf pragmatische Lösungen erschwert die öffentliche Wahrnehmung für strategische linke Schwerpunkte traditioneller linker Parteien und Bewegungen. Die sogenannte Neue Linke hat nicht einmal versucht, an den Wahlen teilzunehmen. Diese ist unter tschechischen Bedingungen eher ein Netzwerk von Intellektuellen, die aus der Mittelschicht (hauptsächlich in den Städten) stammt, ohne eine stärkere Organisationsstruktur, und deren lockeres Netz von Verbindungen und Ad-hoc-Aktivitäten nicht annähernd für einen Wahlkampf taugt.

Durch ihre Stimme haben die tschechischen Bürger ihren Widerwillen gegen „alte“ Regierungspraktiken traditioneller Parteien gezeigt. Die Menschen trauen Justiz und Strafverfolgungsbehörden nicht wirklich. Nur so lässt sich erklären, dass eine strafrechtliche Anklage wegen Unterschlagung europäischer Gelder von der Polizei gegen zwei Schlüsselfiguren von ANO wenige Wochen vor der Wahl nicht zu einem Verlust an Stimmen geführt hat, sondern dieser Bewegung einige zusätzliche Stimmen einbrachte. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung ist der Ansicht, dass die Strafverfolgung in erster Linie Interessen dient. Ähnliche Praktiken von Wirtschaftssubjekten in Verbindung mit den Regierungsparteien (einschließlich der Sozialdemokraten) gab es in der Vergangenheit.

Die ursprünglichen Erwartungen, dass im Wahlkampfes die Frage der Migration und des Islam den wichtigsten Einfluss hätten, scheint nur zum Teil zu stimmen. Politisches Marketing hat eine große Rolle gespielt (vielleicht eine Schlüsselrolle) und die weitere politische Ausrichtung des Landes entscheidend beeinflusst. Der Wechsel von „Programmen“ zu „Persönlichkeiten-Führern“ war deutlich sichtbar.

Jirí Málek, SPED, Mitglied von transform! europe, CZ

Zuerst erschienen auf der Webpage von transform! europe – gekürzte Vesion / eigene recht freie Übersetzung

Abb. (nur im PDF): Tabelle der Wahlergebnisse und Sitzänderungen