Quelle: Politische Berichte Nr. 11, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

Aktionen - Initiativen

Zusammenstellung: Thorsten Jannoff

01 Menschenrechte und Rechtsstaat stärken

02 Die Hamburger Datenschlacht

03 Nach dem G20-Gipfel: Videoüberwachung ausgebaut

04 Videoüberwachung schafft keine Sicherheit

05 André Hahn: V-Leute-System endlich abschaffen

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01 Menschenrechte und Rechtsstaat stärken

Berlin. Anlässlich der konstituierenden Sitzung ruft Amnesty International die Mitglieder des 19. Deutschen Bundestages und die sondierenden Parteien dazu auf, Menschenrechte zum Leitbild ihrer Politik zu machen und denen, die versuchen, dieses Leitbild und den Rechtsstaat zu schwächen, deutlich entgegen zu treten.

„Der neu gewählte Bundestag, der heute zusammenkommt, wird in den kommenden vier Jahren Antworten auf schwierige Fragen finden müssen. Auf internationaler und europäischer Ebene stellen politische Akteure internationales Recht und die multinationalen Institutionen in Frage. Und auch in Deutschland wird unser Selbstverständnis eines Rechtsstaates mit Grund- und Freiheitsrechten, Minderheitenschutz und Achtung der Menschenrechte durch Stimmen der Ausgrenzung und des Rassismus herausgefordert“, erklärt Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, anlässlich der heutigen konstituierenden Sitzung des 19. Deutschen Bundestages.

Amnesty International erinnert die gewählten Bundestagsabgeordneten daran, bei den anstehenden Entscheidungen den Auftrag von Artikel 1 unseres Grundgesetzes zu verinnerlichen: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. „Die neuen Mitglieder des Bundestags sind gefordert, sich in diesen Zeiten an dem Leitbild der Menschenrechte zu orientieren und nicht allein an Fraktionsdisziplin oder taktischen Überlegungen“, sagt Markus N. Beeko.

Besondere Verantwortung kommt auch den Verhandlungspartnern der Sondierungsgespräche zu. „Wenn die Parteien über das Programm der zukünftigen Bundesregierung verhandeln, muss ihr Kompass der Schutz der Menschenrechte und unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung sein. Die Verhandlungspartner müssen erkennen, dass sie sich in dieser Zeit nicht von der nächsten Landtagswahl oder vom Wettbewerb um die wichtigsten Ressorts leiten lassen dürfen und damit riskieren, dass an den Grundpfeilern unserer Gesellschaft gerüttelt wird“, so Beeko. „Alle, die Verantwortung in Parlament und Regierung übernehmen wollen, sind gefragt, nun deutlich für die Errungenschaften des Grundgesetzes und der vor knapp 70 Jahren verabschiedeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einzutreten.“

„Es gilt – bei allen Unterschieden – ein gemeinsames starkes Bekenntnis zum Schutz der Grundrechte, zu Teilhabe und der Achtung der Menschenrechte an alle Bürgerinnen und Bürger zu senden. Dieses Leitbild ist bei jeder Gesetzesinitiative und in allem Regierungshandeln mitzudenken und durchzusetzen. Wir müssen Gesetze im digitalen 21. Jahrhundert so gestalten, dass Grund- und Bürgerrechte auch in Zukunft gewahrt bleiben. Bei der Herausforderung, die Sicherheit unserer Gesellschaften zu gewährleisten, ist darauf zu achten, dass Eingriffe in Grund- und Freiheitsrechte nur verhältnismäßig, bestimmt und unter unabhängigen rechtsstaatlichen Kontrollen vorgenommen werden. Denen, die versuchen, dieses Leitbild und unseren Rechtsstaat zu schwächen, muss deutlich entgegen getreten werden; auch Gewalt gegen Minderheiten und rassistische Übergriffe sind mit allen Mitteln des Rechtsstaates entschlossen zu verhindern und zu verfolgen“, sagt Beeko.

„Und ein verantwortungsvolles Handeln macht nicht an den Grenzen Deutschlands halt. Ein Verzicht auf Rüstungsexporte in Krisengebiete und an Regierungen, die diese Waffen für schwere Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen nutzen, liegt ebenso in der Verantwortung der neuen Regierung, wie die Stärkung internationaler Verträge und Institutionen. Dort, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden, brauchen friedliche Menschenrechtsverteidiger Unterstützung und Beistand. Und Deutschland muss sich ernsthaft und glaubwürdig auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass vor Verfolgung schutzsuchende Frauen, Männer und Kinder sichere und legale Zugangswege bekommen, um Asyl zu suchen – und nicht mit Unterstützung der EU nach Libyen gebracht werden, wo Misshandlungen, Erpressung und Vergewaltigungen an der Tagesordnung sind.“ www.amnesty.de/

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02 Die Hamburger Datenschlacht

Eine EU-„Extremistendatei“ müsse her – das war eine der Forderungen, mit der die etablierte Politik auf die Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg reagierte. Seit dem EU-Gipfel von Göteborg im Juni 2001 und dem der G8 in Genua einen Monat später ist die Einrichtung einer solchen Datenbank über „troublemakers“ regelmäßig Gegenstand der einschlägigen EU-Gremien. Die Forderung – vor allem vorgetragen von deutschen Politiker*innen – ist aber ebenso regelmäßig gescheitert – an technischen und an rechtlichen Problemen. Aber auch ohne eine solche europäische Datei tauschen die „Sicherheitsbehörden“ anlässlich von Gipfeltreffen Daten aus – so auch beim Hamburger G20-Treffen. Was den Verfassungsschutz anbetrifft, verweigert die Bundesregierung wie üblich die Auskunft – Staatswohl, Third-Party-Rule, das übliche Blabla.

Das Bundeskriminalamt (BKA) erhielt Daten vor allem über die 1979 gegründete Police Working Group on Terrorism (PWGT), der die Staatsschutzabteilungen der Kripo-Zentralen der EU-Staaten sowie Norwegens, Islands und der Schweiz angehören. Seit dem Jahr 2000 beschäftigt sich die PWGT auch mit „politischen gewalttätigen Aktivitäten“. Die Working Group gehört nicht zur EU, sie schwebt letzten Endes im rechts- und kontrollfreien Raum.

Die Bundespolizei (BPol) tauschte mit ihren grenzpolizeilichen Partnerorganisationen Daten aus: Sie erhielt aus zehn europäischen Staaten sowie den USA und China Informationen zu 175 Personen und sie lieferte an zehn europäische Staaten Daten über 335. Wie üblich bei Gipfelprotesten waren die Kontrollen an den Schengen-Grenzen wieder eingeführt worden. 62 potenziellen DemonstrantInnen wurde die Einreise verweigert, darunter 33 Personen, die mit dem Extrazug von Basel nach Hamburg fahren wollten. Laut Auskunft eines Betroffenen verfügten die BPol-BeamtInnen über Personenlisten, die sie offensichtlich von schweizerischen Behörden erhalten hatten. Die PolizistInnen, die ihn kontrollierten und ihm die Einreise verweigerten, hätten gewusst, dass er in der Schweiz einmal wegen Landfriedensbruchs verurteilt worden war. Auf telefonische Nachfrage – bei welcher Institution ist unklar – erhielten sie Informationen über weitere Ermittlungen gegen ihn, darunter noch anhängige Fälle sowie zwei Verfahren, in denen er freigesprochen wurde. Einige Tage vor Abfahrt hatte die BPol den Zugbetreiber aufgefordert, doch vorab die Personalien sämtlicher Reisenden mitzuteilen, um die Kontrollen zügiger abwickeln zu können.

Beim G20-Gipfel wurden aber nicht nur Daten ausgetauscht, sondern auch gesammelt – und zwar unter anderem durch technische Methoden: Dazu gehörten nicht nur die ständigen Videoaufnahmen. In 38 Verfahren griff die Polizei zum Mittel der Funkzellenabfrage, d.h. sie stellte die Kennungen der in einer (oder mehreren) Funkzelle(n) präsenten Mobiltelefone fest. Sie setzte auch einen IMSI-Catcher ein, verschickte „stille SMS“ und führte präventive Telekommunikationsüberwachungen durch. Was die Datensammlung des Landesamtes für Verfassungsschutz betrifft, ist der Hamburger Senat mit Auskünften zwar knausriger, bestätigt aber den Einsatz von „stillen SMS“ in 31 „Informationsgewinnungsverfahren“ sowie „Beschränkungsmaßnahmen nach dem G10-Gesetz“, sprich: geheimdienstliche Telekommunikationsüberwachungen.

Hinzu kommen die Daten, die die Polizei direkt bei den Betroffenen erhob: bei den 186 Festgenommenen, den 225 Leuten, die im Gewahrsam landeten, und der unbekannten Zahl derer, deren Personalien festgestellt wurden bei diversen Kontrollen – im Umfeld der Camps, in Bussen bei der Anfahrt und bei der Rückfahrt aus Hamburg. In der Woche nach dem Gipfel nahm eine polizeiliche Sonderkommission „Schwarzer Block“ mit 170 MitarbeiterInnen aus Hamburg sowie aus anderen Ländern und dem Bund ihre Arbeit auf. Ein Hinweistelefon wurde aufgeschaltet und ein Portal eingerichtet, das es Privaten ermöglicht, entsprechende Fotos und Videos hochzuladen. Wie viele Strafverfahren daraus am Ende resultieren, bleibt abzuwarten. Sicher ist jedoch, dass der G20-Gipfel die Staatsschutzdateien von Bund und Ländern weiter anschwellen lassen wird.

Wie schwer es ist, dort wieder herauszukommen, haben auch die 32 JournalistInnen erfahren, denen die Akkreditierung beim G20-Gipfel nachträglich entzogen wurde. Die Daten, die zu ihrem Ausschluss geführt haben, beruhen teilweise auf Verwechslungen, sind teilweise uralt, beziehen sich auf Ermittlungsverfahren, die eingestellt wurden oder in Freisprüchen endeten … Sie waren aber in allen Fällen den Betroffenen nicht bekannt. www.grundrechtekomitee.de/node/888

Abb. (nur im PDF): Logo Grundrechtekomitee

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03 Nach dem G20-Gipfel: Videoüberwachung ausgebaut

Hamburg. Die Hamburger Innenbehörde hat in den vergangenen Monaten mindestens drei Millionen Euro in neue Kameraanlagen oder in den Ausbau bestehender Anlagen investiert. Das geht aus der Senatsantwort auf eine schriftliche Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft hervor. So wurden Kameras an Polizeiliegenschaften, Hotels und im Stadtumfeld neu installiert. Insgesamt sechs der anlässlich des G20-Gipfels neu aufgestellten Kameraanlagen sollen dauerhaft bestehen bleiben – obwohl die Polizei noch im August, ebenfalls auf Anfrage der Linksfraktion (siehe Drs. 21/10062), angegeben hatte, dass nur drei der neu aufgebauten Kameras bestehen bleiben sollen. Neben den 79 ständig eingesetzten Kameras, die unter anderem der Verkehrsaufklärung dienen, stehen nun an 31 weiteren Orten Kameras, die anlassbezogen einsetzt werden sollen. Insbesondere die kürzlich erfolgte Installation einer hoch auflösenden Kamera auf dem Fernsehturm wirft Fragen auf. Dazu erklärt Christiane Schneider, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion: „Von dieser Position aus können weite Teile der Stadt kleinteilig überwacht werden. Selbst wenn diese Möglichkeit heute nicht ständig genutzt wird, so zeigt die Erfahrung, dass einmal installierte Technik mit der Zeit verstärkt eingesetzt wird. Die Polizei muss genau erklären, was sie mit dieser Kamera bezweckt und ob sie wirklich gebraucht wird. Gegebenenfalls muss die Politik Vorgaben zum Einsatz der Überwachungstechnik machen.“ www.linksfraktion-hamburg.de

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04 Videoüberwachung schafft keine Sicherheit

Erfurt. Nachdem die Sicherheit auf dem Erfurter Anger bereits Thema im Sommerloch war, steht sie nun auch am Mittwoch, den 6. September 2017, auf der Tagesordnung des Erfurter Stadtrates. Besonders die CDU tut sich dabei mit dem plakativen wie wirkungslosen Vorschlag einer „Videoüberwachung am Anger und anderen kritischen Bereichen in der Stadt“ hervor. Martina Renner, MdB und Bundestagsdirektkandidatin für Die Linke im Wahlkreis 193, kommentiert: „Permanente Wiederholungen machen einen solchen Vorschlag nicht besser, denn das Versprechen, Videoüberwachung erhöhe präventiv die Sicherheit der Bevölkerung, ist nachweislich falsch.“ Bei einer Dichte von 4,5 Millionen Kameras in Großbritannien bezeichnete der Leiter von Scotland Yards Videoüberwachungsabteilung 2010 die Kameraüberwachung als „völliges Fiasko“ für die Strafverfolgung und für die Prävention. Es handelt sich um einen intensiven Eingriff in die Bürgerrechte und die Privatsphäre der willkürlich Betroffenen. Gerne verschwiegen wird, dass Kameras erst im Nachhinein ausgewertet werden. Eine „zusätzliche Sicherheitsgewährleistung“ und damit eine tatsächliche Verbesserung der öffentlichen Sicherheit werden so nicht erreicht. www.martinarenner.de

Martina Renner ist Mitglied des Deutschen Bundestages, Mitglied im Innenausschuss und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Sie ist außerdem im Beirat Bündnis für Demokratie und Toleranz und Mitglied im Bündnis für Demokratie und Toleranz gegen Extremismus und Gewalt sowie Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im Bundestag sowie Obfrau im NSA-Untersuchungsausschuss.

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05 André Hahn: V-Leute-System endlich abschaffen

Der ohnehin schreckliche Anschlag vom Dezember vergangenen Jahres erhält – wenn die Medienberichte zutreffen – nochmal eine völlig neue Dimension. Die im Raum stehenden Vorwürfe sind ungeheuerlich und müssen umfassend aufgeklärt werden, politisch wie auch strafrechtlich. Politisch sind vor allem vor allem die jetzige und die vorherige Landesregierung in NRW gefordert, endlich aus der Deckung herauszukommen und alle ihr bekannten Informationen zu der dubiosen V-Person offen zu legen, nicht zuletzt gegenüber dem im dortigen Landtag tätigen Untersuchungsausschuss. Aber auch auf Bundesebene müssen Konsequenzen gezogen werden. Der neue Fall zeigt einmal mehr, dass das seit langem umstrittene V-Leute-System endlich abgeschafft werden muss. Es bringt nicht mehr Sicherheit, sondern gefährdet im Zweifelsfall sogar Leib und Leben von Menschen. Nachdem die große Koalition in der nun ablaufenden Wahlperiode sogar Straftaten von V-Leuten des Verfassungsschutzes ausdrücklich legitimiert hat, stellt sich nunmehr die Frage, ob es überhaupt irgendwelche roten Linien für bezahlte Spitzel gibt und falls ja, wer deren Einhaltung denn überhaupt kontrolliert beziehungsweise kontrollieren kann. Zudem drängt sich die Frage auf: Was wusste die Bundesregierung, was wusste Innenminister de Maizière von den nun in Rede stehenden Vorgängen? Was die strafrechtliche Seite anbelangt, so teile ich ausdrücklich die Position meiner Kollegin Martina Renner, dass hier dringend die Staatsanwaltschaft tätig werden muss. Wer zu Gewalt, Terror und im Zweifel zu Mordtaten aufruft, ist ein Fall für die Justiz und muss entsprechend hart bestraft werden. Wer hier Quellen- oder Informantenschutz vor Strafverfolgung stellen will, hat den Ernst der Lage nicht begriffen. www.andre-hahn.eu.

Das Berliner Büro des Bundestagsabgeordneten Dr. André Hahn (Die Linke) aus Gohrisch im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge teilt mit: …André Hahn … mit großer Mehrheit (83%) zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und Leiter des Arbeitskreises Innen- und Rechtspolitik gewählt. Fachlich möchte André Hahn auch in den kommenden vier Jahren im Parlamentarischen Kontrollgremium für die Geheimdienste sowie im Sportausschuss des Bundestags mitarbeiten

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