Quelle: Politische Berichte Nr. 11, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

Von heute auf morgen: Vom Idol zum Geächteten – Wachhalten der Erinnerung

KASTEN

01 Präsentierte Sportler:

02 D er Platz der Menschenrechte in Karlsruhe

Seit 10. Oktober und noch bis 19. November zeigen das Deutsche Fußballmuseum und die Stadt Dortmund auf dem Platz der Deutschen Einheit (Vorplatz des Deutschen Fußballmuseums) die Ausstellung „Zwischen Erfolg und Verfolgung – jüdische Stars im deutschen Sport bis 1933 und danach“. Zuvor war die Ausstellung in Karlsruhe, Nürnberg, Leipzig, Frankfurt, Fürth, Köln, Husum, Hildesheim, Berlin Washingtonplatz und Berlin Olympiastadion zu sehen. Hier ein Bericht aus Karlsruhe.

Gut zugänglich, im Freien auf einem Platz, der keine Laufkundschaft kennt und eher nicht zum Verweilen einlädt, stehen übermanngroße Figuren. Sie sind nicht dreidimensional, sondern stellen von zwei Seiten betrachtbare Silhouetten dar. Vorderseite: ein Foto, Rückseite: eine Beschreibung. Als Beispiel seien hier die Cousins Flatow gezeigt:

Foto links … rechts (nur im PDF): Skulpturale Darstellung Vorderseite: eine Fotografie …. von Alfred und Gustav Felix Flatow (Rückseite). Der Betrachter muss um das gezeigte Abbild der Person herumgehen, was eine erstaunliche Wirkung hat: obwohl nicht dreidimensional werden die Figuren zu körperhaften Menschen.

Durch die Fotografien auf der Vorderseite werden die Menschen sichtbar; mit der Beschreibung ihrer sportlichen Laufbahn und dem abrupten Ende durch Maßnahmen ihrer Sportverbände und –vereine wird die Gewalttätigkeit der Akteure spürbar, die nicht nur das Ende der Sportlerkarriere, sondern oft auch den Tod bedeuteten.

Julius Hirsch zum Beispiel lebte bereits vor dem Ersten Weltkrieg in Karlsruhe, er wurde mit Gottfried Fuchs und dem Karlsruher FV Deutscher Fußballmeister, sie spielten für die deutsche Fußballnationalmannschaft. „Am 10. April 1933 liest Julius Hirsch in der Zeitung, dass auch sein Verein, der Karlsruher FV, der Erklärung der 14 renommierten süd- und südwestdeutschen Vereine vom 9. April 1933 zugestimmt hat. Wie diese ist der KFV nun bereit, sich der „nationalen Regierung (…) freudig und entschieden zur Verfügung“ zu stellen, „insbesondere in der Frage der Entfernung der Juden aus den Sportvereinen.“ Was folgt, ist das millionenfach Erlebte: den Sport – bislang sein Leben – kann er nicht mehr ausüben; die Familie ernährt er als Zwangsarbeiter auf einem Schuttplatz am Rande der Stadt; Selbstmordversuch, Einlieferung in die Psychiatrie – er entgeht nur knapp dem Transport nach Grafeneck , der Tötungsanstalt (nationalsozialistische Krankenmorde, die sogenannte Aktion T4), Scheidung von der nichtjüdischen Ehefrau, Transport nach Ausschwitz – Verschwinden ohne Hinweis auf Todesumstände.

Ausgrenzung, Entrechtung, Entwürdigung, Geringschätzung aller bisherigen Leistungen, zur Flucht gedrängt oder Ermordung – die Ausstellungsobjekte erinnern an Nationalspieler, Welt- oder Europameister, Olympiasieger oder Rekordhalter – gefeierte Idole ihrer Zeit, und der eiskalte Wind der Verfolgung und Ermordung trifft den Betrachter unvermittelt.

Anderes Beispiel: Walther Bensemann, ein Pionier des Fußballsports in Deutschland (Zitat aus der Begleitbroschüre: „,Im September 1889 ließ ich aus der Schweiz einen Fußball kommen; der Ball wurde morgens vor der Schule (in Karlsruhe) aufgeblasen und in der 10-Uhr-Pause musste bereits ein Fenster des Gymnasiums daran glauben. (…) Direktor Wendt erklärte sich mit der Bezahlung des Fensters einverstanden und schickte uns auf den kleinen Exerzierplatz (in Karlsruhe), Engländerplatz genannt.‘ Zwei Jahre später, am 17. November 1891, gründet Bensemann dann den Karlsruher FV.“) 1933 flieht er in die Schweiz. „Sein Lebenswerk, ein liberales, weltoffenes und mit der friedensstiftenden Idee des Fußballs verbundenes Fußballmagazin (Bensemann gründete den „Kicker“), entspricht nicht den Vorstellungen der neuen Machthaber. Walther Bensemann stirbt am 12. November 1934 mit nur 61 Jahren in Montreux.“ (Zitat aus der Ausstellungsbroschüre).

Oder Gretel Bergmann – Hochspringerin, deren komplizierte Geschichte (ihre Familie wurde bedroht, ansonsten hätte sie nicht für Nazi-Deutschland überhaupt an den Start gehen wollen) um die Nicht-Nominierung für die Olympischen Spiele 1936 mehrfach verfilmt worden ist, konnte der Deportation durch Flucht und Asyl in Amerika entgehen.

Die Turnolympiasieger Alfred und Gustav Felix Flatow holten bei den ersten olympischen Spielen der Neuzeit 1896 in Athen Goldmedaillen an Reck und Barren – was die nationalistisch gesinnte Deutsche Turnerschaft, die Teilnahme an Olympischen Spielen ablehnt, verschweigt. Jahrelanger ehrenamtlicher Einsatz für die turnerische Ausbildung von Kindern und Jugendlichen endete 1933 mit Ausschluss aus den Vereinen. Alfred Flatow wird mit 71 Jahren nach Theresienstadt deportiert und dort umgebracht, Gustav Felix verhungert nach Flucht und Verrat 1945 in Theresienstadt.

Berno Bahro notiert in der Broschüre zur Ausstellung: „Es dauert lange, bis sich die deutsche Turnerbewegung seiner ersten jüdischen Olympiasieger erinnert. Seit 1996 vergibt der Deutsche Turner-Bund die Flatow-Medaille zur Mahnung und Erinnerung an die Verfolgung von Juden in der Deutschen Turnerschaft 1933 bis 1945. Ein Jahr später benennt die Stadt Berlin die Reichssportfeldstraße am Olympiagelände in Flatowallee um. Vor den ehemaligen Wohnhäusern der Flatows und ihrer Familien in Berlin-Schöneberg und Berlin-Charlottenburg werden 2012 Stolpersteine verlegt.“

Die Frage des Umgangs der Sportverbände, der Vereine, der Städte und Kommunen mit diesem Kapitel der persönlichen und institutionellen Schuld kann in der Ausstellung nur gestreift werden. Man kann feststellen, dass etwas in Bewegung gekommen ist in Form von Medaillen und Auszeichnungen, die die Erinnerung an die dem Rassenwahn geopferten Sportler lebendig erhält.

Auf der Website der Ausstellung gibt es weitere wertvolle Hinweise. www.juedische-sportstars.de Desweiteren sind etliche Bücher zum Thema erschienen, z.B. 2014 über Julius Hirsch. Idee und Konzept: Norbert Niclauss (Beauftrager für Kultur und Medien BKM) und Olliver Tietz (DFB-Kulturstiftung). Autoren: Dr. Berno Bahro, Prof. Dr. Hans Joachim Teichler (beide Potsdam), Prof. Dr. Lorenz Peiffer (Hannover) sowie Dr. Henry Wahlig (Dortmund). Eva Detscher, Karlsruhe

Abb. (nur im PDF): W. Skrentny: Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet. Biografie eines jüdischen Fußballers

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01 Präsentierte Sportler: Die zehnfache Deutsche Leichtathletikmeisterin Lilli Henoch, der israelische, später deutsche Basketball-Nationaltrainer Ralph Klein, die Fechtolympiasiegerin Helene Mayer, der Schachweltmeisters Emanuel Lasker, der Meisterboxers Erich Seelig, der Fußballnationalspieler Julius Hirsch, die Deutsche Tennismeisterin Nelly Neppach, die Deutschen Speerwurfmeisterin Martha Jacob, die Turnolympiasieger Alfred und Gustav Felix Flatow, die Leichtathletin Gretel Bergmann, die Europameister im Gewichtheben beziehungsweise im Ringen Julius und Hermann Baruch, der Eishockeyspieler Rudi Ball und der deutsche Fußballnationalspielers Gottfried Fuchs. Die Ausstellung bietet mit der Schwimmerin Sarah Poewe aber auch einen Ausblick und stellt eine wichtige Verbindung zur Gegenwart her. Poewe gewann als erste jüdische Athletin nach Ende des Zweiten Weltkrieges für Deutschland eine olympische Bronze-Medaille 2004 in Athen.

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02 D er Platz der Menschenrechte in Karlsruhe ist zugleich Vorplatz des weit über Karlsruhe hinaus bekannten Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) (im Hintergrund des Bild 1 zu erkennen). Der Platz ist flankiert von Bundesanwaltschaft und einem Kinocenter. Als Platz der Menschenrechte ist er gut gewählt, denn das Gebäude des ZKM ist eine Stein gewordene Mahnung gegen Krieg und Zwangsarbeit: das ZKM ist in einem ehemaligen Fabrikbau untergebracht, dem Hallenbau A, der zu seiner Entstehungszeit (1915-18) einer der größten und architektonisch fortschrittlichsten Industriebauten Deutschlands war. Auftraggeber war die Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken AG (DWM), dort arbeiteten dann bis zu 4.500 Arbeiter. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs diente das Gebäude als Waffen- und Munitionsfabrik. Unter menschenunwürdigen Bedingungen mussten Zwangsarbeiter während des Dritten Reiches dort Dienst tun – eine Gedenktafel erinnert daran. Nach 1945 ging die Werksanlage an die Industriewerke Karlsruhe-Augsburg (IWKA). Nach Aufgabe des Produktionsstandorts in den 1970er-Jahren blieb das Werksgelände als Industriebrache liegen. Nachdem bereits Künstlergruppen durch Besetzung von Räumen des Gebäudes in den Jahren 1981 bis 1989 auf eine mögliche kulturelle Nutzung hingewiesen hatten, beschloss der Gemeinderat Karlsruhe, den Hallenbau A zum Standort des neugegründeten ZKM | Zentrum für Kunst Medien und der ebenso neugegründeten Hochschule für Gestaltung (HfG) sowie der Städtischen Galerie Karlsruhe umzuwidmen.

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