Quelle: Politische Berichte Nr. 11, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

Landtagswahl in Niedersachsen

Wir dokumentieren Auszüge aus dem Wahlnachtbericht von Horst Kahrs

(Sozialwissenschaftler, arbeitet zu den Themen Klassen und Sozialstruktur, Demokratie und Wahlen am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung). Vollständig als Datei abrufbar unter www.horstkahrs.de.

Die SPD hat die Landtagswahl in Niedersachsen gewonnen. Sie erreicht knapp 250 000 Stimmen (plus 21%) mehr als 2013. Drei Wochen nach dem schlechtesten Ergebnis bei einer Bundestagswahl gewinnt sie 4,4% hinzu, erzielt ihr bestes Ergebnis seit der Wahl 1998 und wird auch erstmals wieder stärkste Partei. Der Erfolg ist ein Erfolg für den Ministerpräsidenten Stephan Weil und zugleich ein Erfolg für die Landespartei.

Die rotgrüne Landesregierung wurde abgewählt. Ursächlich hierfür sind die hohen Verluste der Grünen. Statt zusammen 46,3% erreichten die beiden Parteien trotz der SPD-Gewinne nur noch 44,6% und 67 der 137 Mandate. Allerdings: SPD und Grüne zusammen erreichen rund 100 000 Zweitstimmen mehr als 2013.

Die CDU erzielt ihr schlechtestes Ergebnis seit der Wahl 1959, obwohl sie kaum Zweitstimmen verliert. Die höhere Wahlbeteiligung geht zu ihren Lasten. Ihr Vorsprung von bis zu 12 Prozentpunkten in den Umfragen schmolz in den letzten Wochen dahin. Weder gab es eine ausreichende Wechselstimmung, im Gegenteil wurde der SPD-Ministerpräsident auch unter CDU-Anhängern positiv bewertet. Noch konnte sich die CDU in wahlentscheidenden Fragen als bessere Alternative profilieren. Vielmehr hält eine Verunsicherung unter CDU-Sympathisanten über den Kurs der Partei an.

Die Grünen sind die eigentlichen Verlierer des Wahlabends. Sie erzielen zwar immer noch ihr zweitbestes Ergebnis in Niedersachsen, verlieren aber fast ein Drittel ihrer Stimmen. Gründe sind erstens eine Korrektur einer Überbewertung bei den vorherigen Landtagswahlen und zweitens eine Verunsicherung über den zukünftigen Kurs der Partei. Gerade in einem Land wie Niedersachsen, dessen Parteisystem stark von der klassischen Teilung in zwei politische Lager geprägt ist, werden mögliche Lagerwechsel bestraft.

Die FDP erfuhr ebenfalls eine Korrektur einer vorhergehenden Spekulationsblase. 2013 erreichte sie ihr Wahlergebnis von knapp 10% nur dank einer Leihstimmenkampagne der Union, die wiederum zur Folge hatte, dass der CDU-Ministerpräsident McAllister sein Amt verlor. Mit dem aktuellen Wahlergebnis steht die Partei im langfristigen Vergleich immer noch überdurchschnittlich da.

Die AfD zieht mit knapp über 6% in das 14. Landesparlament ein. Sie schneidet deutlich schlechter ab als bei der Bundestagswahl drei Wochen zuvor.

Einen politischen Linksruck wollten die Niedersachsen nicht. Die Linke scheiterte am Ende doch recht klar erneut an der Sperrklausel und zieht wieder nicht in einen westdeutschen Landtag ein. Angesichts des Bundestagswahlergebnisses mit einem Stimmenanteil von 7% in Niedersachsen ist das enttäuschend, auch wenn sich die Stimmenzahl gegenüber der vorherigen Landtagswahl deutlich erhöht hat (+65 000). Dort, wo die Partei zuvor bereits „stark“ war, ist sie weiter gewachsen, etwa in Oldenburg, Hannover und anderen städtischen Regionen. Zwar steht sie im Land besser da als vor fünf Jahren, ist aber immer noch weit entfernt von den Ergebnissen der Wahlen 2008/2009. Die Partei bleibt auch in Niedersachsen wie in den westdeutschen Flächenländern bis auf weiteres ein vor allem bundespolitisches Phänomen mit starken kommunalpolitischen Einsprengseln.

Das niedersächsische Wahlergebnis verströmt einen Hauch alter Bundesrepublik, wie wir sie so lange kannten. Die beiden großen Parteien streiten Kopf an Kopf um den Wahlsieg, jeweils eine kleine Partei an der ihrer Seite. Dieses Mal gewinnt die SPD, überraschend deutlich, zugleich verliert das politische Lager die Regierungsmehrheit. Allerdings gibt es für das schwarzgelbe, alt-bürgerliche Lager auch keine Mehrheit, weil die nationalistisch-völkische AfD ebenfalls in den Landtag einzieht, allerdings mit einem unerwartet schlechten Ergebnis. Eine vergiftete Botschaft des Wahlabends könnte lauten: Die SPD kann doch noch gewinnen, also müssen die Fragen an die Zukunft sozialer und demokratischer Politik doch nicht so grundsätzlich ausfallen, wie vor wenigen Tagen noch angekündigt. Vielleicht ließe sich ja so weitermachen wie 2005, 2009 und 2013. Eine zweite vergiftete Botschaft des Wahlabends birgt das „schwache“ Abschneiden der AfD: Ist die Dynamik der rechten Sammlungsbewegung gebrochen, wird sie an ihren inneren Gegensätzen zusammenbrechen und haben wir es tatsächlich nur mit einem Ost-Problem zu tun?

Das Wahlergebnis bringt keinen Rückenwind für die favorisierte Regierungsbildung im Bund. Es stärkt auch nicht die Position von Angela Merkel, die sich stark im niedersächsischen Wahlkampf engagierte. Die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat werden unübersichtlicher.

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Auswahl: Alfred Küstler, Stuttgart