Quelle: Politische Berichte Nr. 12, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

AUSLANDSNACHRICHTEN

Zusammenstellung: Edith Bergmann, Hannover

01 Schweiz: Frontalangriff auf den Arbeitnehmerschutz

02 Spanien: Streik im Altenpflegebereich beendet

03 Portugal: Größter Schulstreik seit Jahrzehnten

04 Mauretanien: Privatisierung im Bildungswesen

05 Togo: Dreitägiger Streik der Lehrer

06 Kenia: Krankenschwesternstreik beendet

07 Indonesien: Schikane gegen Gewerkschafter*innen

08 USA: Henkel setzt Streikbrecher ein

09 Brasilien: Demonstrationen gegen Arbeitsmarktreformen

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01 Schweiz: Frontalangriff auf den Arbeitnehmerschutz

Die vom Gewerbeverband präsentierten Maßnahmen zur Deregulierung des Arbeitsgesetzes sind ein Schlag ins Gesicht von vielen Arbeitnehmenden. Die Schweiz hat die längsten Arbeitszeiten in Europa. Stress und eine hohe Arbeitsbelastung sind schon heute eine Realität für viele Arbeitnehmende. Die vom Gewerbeverband vorgeschlagene 50-Stunden-Woche, die Verkürzung der Ruhezeiten, die Flexibilisierung der Pausenbestimmungen sowie den Frontalangriff auf industrielle Betriebe lehnt die Unia (größte Gewerkschaft der Schweiz) klar ab. Unter dem Deckmantel der „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“ greift der Gewerbeverband grundlegende gesetzliche Schutzmaßnahmen an, die er im gleichen Atemzug als „veraltet“ betitelt. Anstatt das Arbeitsgesetz Stück für Stück weiter auszuhöhlen braucht es Schutzmaßnahmen, die den neuen Arbeitsformen angepasst sind. Also Home-office, Clickworking und ständige Erreichbarkeit gehören geregelt. Die Unia setzt sich für Mitbestimmung und -gestaltung der Arbeitnehmenden bei ihren Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen ein. www.unia.ch, 8.11.2017

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02 Spanien: Streik im Altenpflegebereich beendet

Die Beschäftigten im Altenpflegebereich in Biskaya, Nordspanien, unterstützt von der Gewerkschaft der baskischen Solidarität ELA, haben eine historische Vereinbarung getroffen, die einen 360-tägigen Streik, den längsten in der Geschichte der Region, beendet. Die Vereinbarung umfasst die wichtigsten langjährigen Forderungen der Gewerkschaft, darunter eine 35-Stunden-Woche, ein Mindestgehalt von 1200 Euro im Monat und die Zahlung von 100% des Gehalts im Krankheitsfall aufgrund eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit. Der Sektor Altenpflegeheime und Tagesstätten beschäftigt insgesamt 5500 Arbeitnehmer, von denen 95% Frauen sind und 70% durch ELA vertreten sind. Es handelt sich um einen privatisierten öffentlichen Dienst, der zu 70% von der Provinzregierung von Biskaya und drei Arbeitgeberverbänden finanziert wird. Der Konflikt entwickelte sich in einem sehr feindseligen Umfeld mit Haushaltskürzungen und zunehmender Privatisierung. Diese haben zu einer unhaltbaren Situation von Personalmangel und schlechten Arbeitsbedingungen geführt, die es unmöglich gemacht haben, eine angemessene Qualität der Versorgung zu gewährleisten. Die Beschäftigten standen für jede Aufgabe unter Zeitdruck und standen jederzeit zur Verfügung, mit Gehältern unter 1000 Euro und Teilzeitverträgen. Viele Monate lang unternahm die Provinzregierung nichts, um den Streit beizulegen. Es unterstützte nur die Arbeitgeber, kriminalisierte die streikenden Arbeiter und verschärfte den Streit. Schließlich wurde am 27. Oktober nach mehr als 360 Tagen Streik eine Vereinbarung mit den Arbeitgeberverbänden unterzeichnet, die die wichtigsten Forderungen der Arbeitnehmer einschließt. Diese läuft bis 2020 und beinhaltet eine Anhebung des Mindestlohns auf 1200 Euro im Monat, eine schrittweise Reduzierung des Arbeitstages auf eine 35-Stunden-Woche, die Anerkennung von Pausenzeiten als effektive Arbeitszeit, 100% des Lohns für Kranke wegen Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten, Erhöhung der Nachtschicht und Feiertagsboni und mehr. www.epsu.org, 27.11.2017

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03 Portugal: Größter Schulstreik seit Jahrzehnten

Am 15. November 2017 war ein landesweiter Streiktag an Portugals Schulen und Kindergärten, an dem sich rund 90% der Beschäftigten im außeruniversitären Bildungswesen beteiligten. Der Streik, so ein Demonstrant in Lissabon bei der zentralen Demonstration im Fernsehen, richte sich gegen die „Eiszeit“, womit die Situation gemeint ist, entstanden durch die rechte Austeritätspolitik in der Krise, in der seit nunmehr zehn Jahren alles in diesem Bereich „eingefroren“ ist. Keine Beförderung, keine schulische Entwicklung, keine Gehaltsentwicklung – eingefroren eben, und nach zehn Jahren haben die Betroffenen davon endgültig genug und erwarten von der jetzigen Regierung einen anderen Kurs und eine entsprechende Veränderung. Die Gewerkschaft Federação Nacional de Professores (Fenprof), dem Gewerkschaftsbund CGTP-IN (KP Portugals nahe stehend) angehörend, sieht die Veränderung der Verhandlungsposition der Regierung als Ergebnis eben dieser Mobilisierung. Die neuen Zusagen der Regierung betreffen vor allem die zentrale Forderung einer von der Demonstration verabschiedeten Resolution, in der die Anerkennung der vergangenen neun Jahre als Dienstzeit in den entsprechenden Berufslaufbahnen gefordert wird. www.abrilabril.pt, 15.11.2017

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04 Mauretanien: Privatisierung im Bildungswesen

Angesichts des chronischen Lehrermangels im Land, des Einsatzes von Vertragslehrern und einer zunehmenden Privatisierung im Bildungswesen haben die Gewerkschaften die Behörden aufgefordert, die Situation dringend zu beheben, und die Eltern mobilisiert, um das nationale Bildungssystem zu retten. Nach Angaben des Generalsekretärs der Sekundarschullehrergewerkschaft SNES, Sidi Idoumou Boudide, rekrutiert das Ministerium für nationale Bildung seit mehreren Jahren Lehrkräfte, denen die erforderlichen beruflichen Qualifikationen fehlen und die sie unfair bezahlen. Der Generalsekretär sagte: „Diese Vertragslehrer werden erst am Ende des ersten Quartals rekrutiert. Drei Monate nach der Wiedereröffnung der Schulen! Um sie nur sechs statt neun Monate zu bezahlen?“ Sein Gegenüber für den zweiten Lehrerverband SNF, Diallo Hamady Boilo, betonte, dass „entschieden die Kommerzialisierung der Bildung in vollem Gange ist“. Er verurteilte die Tatsache, dass sich diese Privatisierung nicht mehr auf die Verbreitung von „Ladenschulen“ beschränke, sondern auch auf den Verkauf von öffentlichen Schulen, Diskriminierung bei der Einschulung und die Reduzierung von Lehrerverträgen. Die Bildungsgewerkschaften riefen schließlich gemeinsam Lehrer und Eltern dazu auf, ihre Reihen zu stärken und das mauretanische Bildungssystem zu unterstützen. www.ei-ie.org, 27.11.2017

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05 Togo: Dreitägiger Streik der Lehrer

Primar- und Sekundarschullehrer des öffentlichen Sektors unternahmen einen dreitägigen Streik, um bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen von der togoischen Regierung zu erreichen. Die im Rahmen des Ständigen Konsultationsrahmens (Cadre Permanent de Concertation-CPC) und der Koordinierung der togolesischen Lehrergewerkschaften (Koordinations-Syndikus des Enseignants du Togo-CSET) zusammengeschlossenen Verbände der Lehrergewerkschaften hatten vom 13. bis 15. November zum Streik aufgerufen. Die Lehrer beklagten, dass die Behörden die von ihnen gemachten Zusagen nicht eingehalten oder die für das Schuljahr erforderlichen Maßnahmen nicht ergriffen hatten. Der dreitägige Streik zielte darauf ab, Verhandlungen über die Festsetzung der Prämien- und Zulagensätze aufzunehmen und die Pauschalzulage von 20000 CFA-Francs (30 Euro) in die Grundlöhne von Lehrern zu integrieren, die im Rahmen des staatlichen Zuschusses für Religionsunterricht bezahlt werden. Weitere Forderungen des Lehrpersonals: die Überprüfung der Bewertung der 1045 konfessionellen Lehrer, die aus dem zusätzlichen Etat des Zuschusses gezahlt werden, die Ausarbeitung und Unterzeichnung eines Partnerschaftsabkommens zwischen der Regierung und dem konfessionellen Bildungssektor so bald wie möglich, und die Durchführung einer besonderen Aufnahmeprüfung für freiwillige Lehrkräfte des öffentlichen Sektors zum Zweck der Tätigkeit als staatlich beschäftigte Lehrer. www.ei-ie.org, 27.11.2017

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06 Kenia: Krankenschwesternstreik beendet

151 Tage lang streikten rund 25 000 Krankenschwestern in Kenias öffentlichen Krankenhäusern für die Einhaltung eines Tarifvertrages, den ihre Gewerkschaft KNUN bereits im Jahr 2013 mit der Regierung, beziehungsweise dem Rat der Gouverneure abgeschlossen hatte – und den die staatlichen Stellen schlicht nicht umsetzten, als hätten sie ihn nie unterschrieben. In diesen fünf Monaten wurde der Streik von Gerichten für illegal erklärt und Regressforderungen an die Gewerkschaft legalisiert. Die Krankenschwestern erhielten keinen Lohn, und es gab zwei Mal den Beschluss des Rates der Provinzgouverneure, die Krankenschwestern per Entlassungs-Ultimatum zur Beendigung des Streiks zu erpressen. Am 3. November 2017 nahmen die Krankenschwestern wieder die Arbeit auf, nachdem am Tag zuvor die Gewerkschaft KNUN mit dem Gesundheitsministerium und dem Rat der Gouverneure ein neues Abkommen abgeschlossen hat, das „im Prinzip“ die Umsetzung des gültigen Tarifvertrages vereinbart und eigentlich dabei nur die Frage offen lässt, wie sehr man der Regierungsseite dieses Mal trauen kann. www.standardmedia.co.ke, 8.11.2017

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07 Indonesien: Schikane gegen Gewerkschafter*innen

Argentinien, Australien, Brasilien, China, Ecuador, Georgien, Honduras, Indonesien, Irak, Kolumbien, Kongo, Kroatien, Madagaskar, Mexiko, Nigeria, Pakistan und Polen – das sind, neben dem Ursprungsland Philippinen, die 18 Länder, in denen die International Container Terminal Services Incorporation ICTSI – eine der weltweit profitabelsten Verladungs- und Lagerungsfirmen – Häfen betreibt. Ein „Global Player“, der sich kontinuierlich ausdehnt – immer in offener Konfrontation mit allem, was Gewerkschaften bedeuten oder erreichen können. Nur wenige Tage, nachdem eine längere Auseinandersetzung auf Madagaskar zu ihrem Ende kam, ist jetzt der seit längerem andauernde Konflikt auf Indonesien „eskaliert“. ICTSI unterläuft systematisch die geltende Bezahlung sowie Arbeitsbedingungen im Hafengebiet von Jakarta. Dadurch werden die Beschäftigten zu langen Arbeitszeiten und Überstunden gezwungen, einfach nur um ihre Existenz sichern zu können. Mitgliedern der Gewerkschaft FBTPI wurden Überstunden durch die Unternehmensleitung verweigert, wodurch viele nun nicht in der Lage sind, ihre Grundausgaben zu decken. ICTSI bestraft diese Beschäftigten dafür, dass sie sich für eine bessere Bezahlung einsetzen. www.labourstartcampaigns.net, 9.11.2017

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08 USA: Henkel setzt Streikbrecher ein

Seit dem 16. Oktober 2017 sind mehr als 80 Mitglieder der Internationalen Vereinigung der Maschinisten und Luft- und Raumarbeiter (IAM), die bei Henkel Aerospace Bay Point in Pittsburgh, Kalifornien, arbeiten, im Streik. Der Streik in diesem Henkel-Werk, wo Klebstoffe für Boeing und andere Fluggesellschaften herstellt werden, begann als Reaktion auf die festgefahrenen Verhandlungen mit dem Management über eine neue Vereinbarung, die die Sicherheitsverfahren verbessern sollte. Die Reaktion des Unternehmens auf den Konflikt war jedoch Vergeltung und Diskriminierung von Gewerkschaftsführern und Mitgliedern des Werks. Henkel beschäftigte die gewerkschaftliche Ersatz- / Streikbrecherfirma Strom Engineering. Berichten zufolge gibt Henkel jetzt Millionen von Dollar für diese temporären Ersatzarbeiter aus. Henkel ist ein gut gewerkschaftlich organisiertes Unternehmen in ganz Europa. Die deutsche Gewerkschaft IG BCE war die erste, die den Henkel-Mitarbeitern ihre Solidarität und Unterstützung bekundete. Michael Mersmann, Direktor für Globalisierung und Europapolitik der IG BCE, kommentiert: „Der Einsatz von Streikbrechern ist inakzeptabel und wir drücken unsere Solidarität mit den Maschinisten aus. Die IG BCE hat gemeinsam mit dem deutschen Betriebsrat Gespräche mit dem Management geführt, aber es gibt noch keine geeignete Lösung. Wir hoffen und unterstützen, dass beide Seiten an den Verhandlungstisch zurückkehren und eine richtige Lösung finden!“ www.industriall-union.org 30.11.2017

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09 Brasilien: Demonstrationen gegen Arbeitsmarktreformen

Am 10. November haben in mehreren Großstädten von Brasilien Tausende Menschen erneut gegen die Einführung der Arbeitsmarktreform der rechtskonservativen Regierung demonstriert, die am 11. November in Kraft trat. Zu den Protesten hatten Verbände von Gewerkschaften und Studierenden aufgerufen. Bei der größten Protestaktion in São Paulo sind nach Angaben der Gewerkschaften insgesamt 20 000 Menschen auf die Straße gegangen. Die Polizei sprach derweil von 2000. Laut João Carlos Gonçalves vom Gewerkschaftsverbund Força Sindical entsprach die Beteiligung den Erwartungen. „Die Mobilisierung verlief schwierig, weil das Gesetz bereits gebilligt war.“ Ricardo Patah, Vorsitzender des Gewerkschaftsdachverbandes UGT (União Geral dos Trabalhadores), nannte die Demonstration vor allem symbolisch. „Hingegen richten die Organisationen ihre Anstrengungen auf andere Aktivitäten, wie allgemeine Tarifabschlüsse. So ist es uns in São Paulo gelungen, das Inkrafttreten des Gesetzes um ein halbes Jahr hinauszuschieben.“ Für den Präsidenten der Central dos Trabalhadores e Trabalhadoras do Brasil (CTB), Ernani Duarte, ist es noch immer möglich, die Reform abzuändern und Privatisierungen zu bekämpfen. Auch Vagner Freitas vom Gewerkschaftsverband Central Única dos Trabalhadores (CUT) zeigte sich optimistisch. Denn derweil setzen die Gewerkschaften auf einen erneuten Generalstreik, der den vom April dieses Jahres an Beteiligung übertreffen soll. Das neue Gesetz sieht unter anderem vor, dass selbst das Kerngeschäft von Unternehmen und Behörden „ohne Einschränkungen“ an Dritte ausgelagert werden kann. Bisher war es Unternehmen nur möglich, solche Aktivitäten auszugliedern, die nicht zu ihren eigentlichen Aufgaben gehörten. Auch die öffentliche Verwaltung ist von dem Gesetz betroffen. Ferner ist geplant, den Zeitraum der Leiharbeit von derzeit drei Monaten auf sechs bis neun Monate auszuweiten. Die geplanten Deregulierungsmaßnahmen werden Medienberichten zufolge von 90 Prozent der Bevölkerung abgelehnt. https://amerika21.de – Marcelo Camargo/Agência Brasil 14

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