Quelle: Politische Berichte Nr. 12, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

AKTIONEN - INITIATIVEN

Zusammenstellung Thorsten Jannoff, Gelsenkirchen

01 VdK-Resolution: Neue Bundesregierung muss soziale Spaltung in allen Altersgruppen bekämpfen

02 Paritätischer fordert Maßnahmen gegen Altersarmut

03 Obdachlose und Politik – Immer mehr wohnungslose Menschen in Deutschland

04 Arbeits- und Sozialminister-Konferenz soll „Rente für Gefangene“ endlich umsetzen

05 Misereor fordert Revision der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und Bildungsoffensive für afrikanische Jugend

06 AU-EU-Gipfel: Hoffnungen auf Neustart für gerechten Handel

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01 VdK-Resolution: Neue Bundesregierung muss soziale Spaltung in allen Altersgruppen bekämpfen

Erfurt. „Die zunehmende soziale Spaltung ist ein zentrales Problem in Deutschland, das die neue Bundesregierung mit Nachdruck angehen muss“, sagt der Landesvorsitzende des Sozialverbands VdK Hessen-Thüringen, Paul Weimann, anlässlich der alarmierenden aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts zur Armutsgefährdung. „Es ist inakzeptabel, dass jeder Fünfte im Land von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht ist.“ Nach den neuesten, gestern veröffentlichten Zahlen des Statistischen Bundesamts traf das im vergangenen Jahr auf 16 Millionen Menschen in der Bundesrepublik zu, das entspricht 19,7 Prozent der Bevölkerung. In Hessen lag die Armutsgefährdungsquote 2016 bei 15,1 Prozent (2006: 12,0 Prozent) und in Thüringen bei 17,2 Prozent (2006: 19,0 Prozent). Besonders besorgniserregend ist aus Sicht des VdK Hessen-Thüringen neben der deutlichen Zunahme in Hessen und dem Verharren auf hohem Niveau in Thüringen der starke Anstieg bei der Gruppe der 65-Jährigen und Älteren. In dieser Altersgruppe stieg die Armutsgefährdungsquote zwischen 2006 und 2016 in Hessen von 10,2 auf 14,0 Prozent und in Thüringen von 7,9 auf 13,2 Prozent. „Im Vergleich zu 2006 haben wir in Hessen über ein Drittel mehr armutsgefährdete Rentner und in Thüringen fast zwei Drittel mehr“, sagt der VdK-Landesvorsitzende. „Wir erwarten von der neuen Bundesregierung, dass zügig konkrete Maßnahmen eingeleitet werden, um die soziale Spaltung in Deutschland zu überwinden“, fordert Weimann. In diesem Zusammenhang verabschiedete der Kleine Verbandstag des Sozialverbands VdK Deutschland eine Resolution der Landes-, Kreis- und Ortsverbände mit den zentralen Forderungen zu Rente, Gesundheit, Pflege, Behinderung, Armut und Steuerpolitik. Der Sozialverband VdK Hessen-Thüringen hat in 57 Kreis- und rund 1200 Ortsverbänden mehr als 265 000 Mitglieder.. www.vdk.de

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02 Paritätischer fordert Maßnahmen gegen Altersarmut

Berlin. Ausmaß und Dynamik der wachsenden Altersarmut in Deutschland werden nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbands erheblich unterschätzt. Nach aktuellen Berechnungen der Paritätischen Forschungsstelle steigt das Risiko, im Alter in Armut zu leben, mit jedem neuen Rentenjahrgang dramatisch. Innerhalb von zehn Jahren habe sich der Anteil der älteren Menschen unter 70, die auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind, verdoppelt. Zwingend notwendig sei ein sofortiger Kurswechsel in der Alterssicherungspolitik, insbesondere eine Anhebung des Rentenniveaus und eine Reform der Altersgrundsicherung. „Lange Zeit war das Armutsrisiko älterer Menschen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung unterdurchschnittlich. Die Menschen konnten darauf hoffen, dass sie im Alter in der Regel einigermaßen abgesichert sind. Dies hat sich in den vergangenen zehn Jahren drastisch verändert: Die Armut von Rentnerinnen und Rentnern ist so stark gestiegen wie bei keiner anderen Bevölkerungsgruppe. Altersarmut ist kein drohendes Problem am Horizont, sondern heute bereits bittere Realität“, so Dr. Joachim Rock, Rentenexperte des Paritätischen Gesamtverbands. Die Armutsquote bei Rentnerinnen und Rentnern stieg zwischen 2005 und 2016 von 10,7 auf 15,9 Prozent und damit um 49 Prozent. Besonders stark ist der Anstieg der Armut bei Männern über 65 in Ostdeutschland.Die noch immer vergleichsweise moderat erscheinende Grundsicherungsquote älterer Menschen verschleiere dabei die Dynamik der Entwicklung: Wie eine aktuelle Analyse der Paritätischen Forschungsstelle zeigt, sind die neu ins Rentenalter eintretenden Jahrgänge sehr viel häufiger auf Grundsicherung angewiesen als noch vor zehn Jahren. Der Anteil der Grundsicherungsbeziehenden unter 70 Jahren hat sich von 2,4 Prozent (2005) auf 4,6 Prozent (2015) nahezu verdoppelt. Darüber hinaus sei gerade bei älteren Menschen die verdeckte Armut besonders hoch. Mit Blick auf den aktuellen Rentenversicherungsbericht appelliert der Paritätische an die Politik, nicht auf Beitragssenkungen zu setzen, sondern stattdessen die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung zu verbessern. Der Verband fordert insbesondere eine Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent und darüber hinaus gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung von Altersarmut. In einem Konzept hat der Paritätische dazu konkrete Vorschläge formuliert.

Die Kurzexpertise der Paritätischen Forschungsstelle finden Sie hier: 171122_Kurzexpertise_Altersarmut.pdf. http://www.der-paritaetische.de/

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03 Obdachlose und Politik – Immer mehr wohnungslose Menschen in Deutschland

Köln. Über fast alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche in Deutschland werden detaillierte Statistiken geführt. Die Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland jedoch ist unbekannt. Weder die Wohnungslosen, die ohne jeden Schutz obdachlos auf der Straße leben, noch die Wohnungslosen, die in kommunalen Unterkünften oder Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege notdürftig mit einem Obdach versorgt sind, werden bundesweit statistisch erfasst. Weil es eine solche offizielle Wohnungslosenstatistik nicht gibt, schätzt die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG-W) alle zwei Jahre die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland. Am 14. November 2017 wurde die jüngste Schätzung veröffentlicht und hat große mediale Resonanz hervorgerufen: Demnach waren 2016 ca. 860 000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung, davon ca. 52 000 Menschen ohne jede Unterkunft auf der Straße. Ob diese Schätzung einigermaßen zutreffend ist oder nicht – unbestritten ist jedenfalls, dass die Zahl der Menschen ohne Wohnung in Deutschland seit einigen Jahren kräftig ansteigt. Einige Bundesländer erstellen Wohnungslosigkeitsstatistiken und beweisen damit, dass es möglich ist, auch zur Wohnungslosigkeit einigermaßen verlässliche Daten zu erheben. Die Bundesregierung jedoch hat sich jahrzehntelang der Forderung widersetzt, eine Bundesstatistik über die Zahl der Wohnungslosen im Land zu erstellen. Kurz vor der Bundestagswahl schien Bewegung in die Sache zu kommen – ob eine neue Regierung eine Statistik einführt, kann aktuell als völlig offen gelten. Weil eine an den Ursachen ansetzende und durchgreifende Bekämpfung der Wohnungslosigkeit gravierende Veränderungen der politischen Agenda und das Eingeständnis des Scheiterns der Wohnungsmärkte voraussetzte, wird das Problem kleingeredet, wird den Wohnungslosen die Verantwortung für ihre Situation zugeschoben (blaming the victim) und Wohnungslosigkeit zum speziellen Problem besonderer Gruppen (psychisch Kranke, vermeintlich Wohnunfähige, Süchtige, Haftentlassene) gemacht, statt die zentralen Ursachen Armut, falsche Wohnungspolitik und ungenügende soziale Dienste in den Blick zu nehmen. Ein nachhaltiger Abbau der Wohnungslosigkeit ist nur zu erreichen, wenn tatsächlich eine entschieden sozialere Wohnungspolitik durchgesetzt werden kann, wenn größere Wohnungsbestände vom Marktsystem abgekoppelt werden und in einem bedarfsorientierten System direkt an Bedürftige zu einem erschwinglichen Mietpreis vergeben werden können. Biographische Krisen- und Umbruchsituationen wie die Trennung von Partnerschaften, Migration, konflikthafte und abrupte Lösung aus dem Elternhaus oder psychische Erkrankungen können, gerade wenn sie arme Menschen ohne starkes soziales Umfeld treffen, zu Wohnungslosigkeit führen. So entstandene Wohnungslosigkeit dauert aber nur dann länger an, wenn soziale Hilfen fehlen und keine preisgünstigen Wohnungen zugänglich sind oder Kommunen keine solchen Wohnungen vergeben können. www.grundrechtekomitee.de

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04 Arbeits- und Sozialminister-Konferenz soll „Rente für Gefangene“ endlich umsetzen

Köln. Am 6./7. Dezember 2017 wird die Arbeits- und Sozialministerkonferenz der Länder (ASMK) in Potsdam (Brandenburg) zu ihrer jährlichen Sitzung zusammenkommen. U.a. wird sie zum Thema „Einbeziehung der Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten in die Rentenversicherung“ beraten. Eine Arbeitsgruppe der ASMK war beauftragt worden, der Konferenz eine Entscheidungsvorlage zu unterbreiten, die bislang noch nicht öffentlich bekannt ist. Wir gehen davon aus, dass diese AG der ASMK zur bevorstehenden Konferenz einen konkreten Vorschlag zur Einbeziehung der Gefangenen unterbreiten wird, der die konstruktiven Argumente der politischen Debatte der letzten Jahre um dieses Thema aufgreift. Grund- und menschenrechtlich sowie aus den Sozialstaats- und Wiedereingliederungsgeboten ist der jetzige Status quo (Ausschluss der Gefangenen aus der Rentenversicherung) nicht länger zu rechtfertigen. Das Strafvollzugsgesetz von 1977 enthielt hierzu bereits einen klaren Gesetzesauftrag. Nach 40 Jahren weiterhin von „aufgeschobener Inkraftsetzung“ zu sprechen (Sprachregelung der Bundesregierung), verbietet sich. Da eine Eigenbeteiligung der Gefangenen an den Beiträgen für die Rentenversicherung aufgrund der Niedrigstlöhne nicht möglich ist, müssten die Länder die Beiträge übernehmen. Die entstehenden Mehrkosten stehen der Verwirklichung des aus der Menschenwürde entspringenden Resozialisierungsgebots und dem verfassungsrechtlich verankerten Sozialstaatsprinzip gegenüber. Nahezu alle in der Straffälligenhilfe tätigen Organisationen haben sich in Petitionen, Stellungnahmen und politischen Gesprächen für die grundrechtlich gebotene „Rente für Gefangene“ eingesetzt. Wir fordern von der ASMK, jetzt eine klare Entscheidung für die Einbeziehung der Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten in die gesetzliche Rentenversicherung zu treffen und der geschäftsführenden bzw. neuen Bundesregierung das Signal zu geben, einen entsprechenden Gesetzentwurf zu beschließen und das Parlament damit schnellstmöglich zu befassen. Die Bezugsgröße hinsichtlich der Einbeziehung sollte wie ursprünglich vorgesehen bei 90% liegen, um der bislang vorprogrammierten Altersarmut ehemaliger Gefangener wirksam entgegenzutreten. www.grundrechtekomitee.de

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05 Misereor fordert Revision der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und Bildungsoffensive für afrikanische Jugend

Aachen, Berlin. Vor Beginn des Gipfeltreffens zwischen der Europäischen und der Afrikanischen Union am 29. November in Abidjan, Elfenbeinküste fordert Misereor Bundeskanzlerin Merkel auf, ihr Versprechen einzulösen und sich auf dem Gipfel für gerechte Handelsbeziehungen und faire Investitionspartnerschaften zwischen EU und Afrikanischer Union einzusetzen. „Nach wie vor werden afrikanischen Ländern politische Maßnahmen auferlegt, die vor allem im Interesse der EU-Staaten sind und nicht dazu beitragen, den Kontinent aus der sozialen und ökonomischen Krise und aus der Abhängigkeit herauszuführen“, kritisiert Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer von Misereor. Insbesondere die bestehenden Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die so genannten Economic Partnership Agreements (EPA) würden ohnehin starke Akteure wie Deutschland begünstigen, während afrikanische Länder weniger oder gar nicht von den Vereinbarungen profitieren.

„Viele Länder in Westafrika oder im südlichen Afrika müssen Nachteile hinnehmen, weil sie sich gezwungen sehen, ihre Märkte für Exporte aus der EU zu öffnen“, so Spiegel weiter. Doch Lebensmittel wie Milchpulver, Tomatenpaste, Geflügel oder Schweinefleisch würden vielerorts die Produkte von Kleinbauernfamilien von den lokalen Märkten verdrängen und diese zerstören. Spiegel betont: „Wer der afrikanischen Jugend Beschäftigungsperspektiven eröffnen möchte, wie es ja das erklärte Ziel des Gipfels ist, muss für den Schutz und die Stärkung regionaler Märkte sorgen. Wir fordern deshalb Bundeskanzlerin Merkel auf, sich für eine grundlegende Revision der EPAs einzusetzen. Das Ziel sollten faire Handelsformen sein, die das nationale und lokale Potential unterstützen.“ Nachbesserungsbedarf besteht aus Sicht von Misereor auch bei den gemeinsamen Investitionsinitiativen, die beispielsweise im Rahmen des ‚Marshallplans‘ oder des ‚Compact with Africa‘ angestoßen wurden. Diese fördern vor allem Privatinvestitionen in Infrastruktur oder in Großprojekte im Energiesektor und sollen damit mehr Arbeitsplätze schaffen. Hauptarbeitgeber in Afrika sind jedoch Kleinstunternehmen und Familienbetriebe. „84 Prozent der Erwerbsbevölkerung arbeiten im so genannten informellen Sektor, also zum Beispiel in Garküchen, als Schuhputzer oder Straßenverkäufer“, erklärt Spiegel. „Ein hohes Wirtschaftswachstum oder der Zufluss von ausländischen Investitionen führt deshalb nicht automatisch zu mehr Beschäftigung.“ Besonders besorgniserregend ist die Situation junger Menschen. Die Arbeitslosigkeit ist bei ihnen dreimal höher als bei Erwachsenen. Allein in Äthiopien strömen jedes Jahr eine Million junge Menschen auf den Arbeitsmarkt, die noch nicht einmal die 10. Klasse abgeschlossen haben. „Investitionen können deshalb nur für mehr Beschäftigung sorgen, wenn zeitgleich die Qualität von Bildung und Berufsbildung gefördert und heimische Handwerksbetriebe und traditionelle Ladengeschäfte unterstützt werden“, so Spiegel. „Außerdem gehört zu verantwortlichen Investitionen der seit Jahrzehnten geforderte verbindliche Schutz von Menschenrechten, von Arbeits- und Umweltstandards und eine aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft.“

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06 AU-EU-Gipfel: Hoffnungen auf Neustart für gerechten Handel

Berlin. Vor dem am Mittwoch beginnenden 5. Gipfel der Afrikanischen Union und der EU fordert der Dachverband für Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (Venro) einen Neustart. „Wir erwarten von der Bundesregierung, die europäische Investitionsoffensive so zu lenken, dass vor allem kleine und mittlere afrikanische Unternehmen mehr Jobangebote generieren können“, sagt Bernd Bornhorst, Vorstandsvorsitzender von Venro. „Angela Merkel muss ihre Ankündigung, den Handel zwischen Afrika und Europa auf eine gerechte Basis stellen zu wollen, wahr machen.“ Ein Kernthema des Gipfels wird die Europäische Investitionsoffensive sein. Der Europäische Fonds für nachhaltige Entwicklung soll mit 4,1 Milliarden Euro Privatinvestitionen in Höhe von 44 Milliarden Euro unterstützen. Diese werden sich auf Infrastruktur- und Energieprojekte in reformbereiten Ländern konzentrieren. „Kleine und mittlere Unternehmen und der informelle Sektor sind der Motor für Beschäftigung. Mit Hilfe erschwinglicher Kredite und verbesserten Zugängen zu Märkten könnten sie Millionen von Arbeitsplätzen schaffen“, so Bornhorst weiter. „Dieser Gipfel muss ein Neustart sein und dafür sorgen, dass die Jugend Afrikas eine Perspektive bekommt.“ http://venro.org/home/

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