Quelle: Politische Berichte Nr. 12, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

RECHTS AUSSEN

Kurznachrichten

01 AfD stoppt Parteiausschlussverfahren gegen Jens Maier.

02 Rassismus des hessischen Ex-Ministerpräsidenten Koch ist unvergessen.

Was tun gegen die rechte Theorie? Umstrittener Auftritt in New York

Marc Jongen, mittlerweile Mitglied im Bundestag, bewirbt sich beim Parteitag der AfD um einen Beisitzerposten. Explizit will er dabei zur Konsolidierung der AfD beitragen und vermittelnd für die Etablierung der AfD als Volkspartei im Zusammenwirken aller Parteiströmungen wirken (zitiert nach Jongens Bewerbungsschreiben). Er will das intellektuelle Profil der AfD stärken und führt dafür „einige – auch internationale – Aktivitäten“ ins Feld. Womit wir beim Thema wären.

Das Hannah-Arendt-Zentrum für Politik und Geisteswissenschaft am Bard College in New York richtet jedes Jahr im Herbst eine Konferenz zu großen Fragen der Zeit aus. Dieses Jahr ging es um „Krise der Demokratie: Denken in dunklen Zeiten“. „Wir sehen eine weltweite Rebellion gegen liberale Demokratie. In Ungarn, Russland, der Türkei und anderen Ländern Europas flirten Parteien vom rechten und vom linken Flügel mit autoritärer Herrschaft. In den USA kanalisiert Donald J. Trump die Stimmen derjenigen, die sich selbst als entrechtet bezeichnen. Repräsentative Regierungen werden überall als korrupt, ineffizient und undemokratisch dargestellt. Die große politische Errungenschaft des modernen Zeitalters – stabile repräsentative Demokratie – ist überall unter Beschuss.“[1]

„Muss Demokratie populistischer sein?“ war am 13. Oktober Thema einer Diskussionsrunde – zwei Wissenschaftler argumentieren gegeneinander auf der Bühne, ein Moderator steuert das Gespräch, Fragen aus dem Publikum sind erlaubt. Marc Jongen, Dozent für Philosophie an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung, war wegen seiner Doppelfunktion als bekennender Populist und Wissenschaftler als Redner eingeladen, sein Gesprächs-Gegenspieler war Ian Buruma, Chefredakteur der New York Review of Books, Moderator war der akademische Direktor des Hannah-Arendt-Zentrums Roger Berkowitz.

Inhalte von Jongens Rede

Jongen führte sich ein als Kämpfer für die freie Rede, der an vielen Orten in Europa an eben dieser gehindert würde durch Protest und Diffamierung. Von einer seriösen politischen Debatte würde er ausgeschlossen, auch indem seine Partei mit Hitler und Nazis gleichgesetzt würde. Ja, er sei Populist und wolle in sich selbst hineinhören und sich selbst betrachten, was er darunter verstehe. Beginnen wolle er damit, wie es in Deutschland zur AfD-Gründung gekommen sei. Es sei in der Parteiengeschichte Deutschlands erst das zweite Mal (nach den Grünen in den 70er Jahren), dass eine neue und erfolgreiche Partei unter großen Anfeindungen die Bühne betreten habe. Die AfD sei eine Reaktion und Rebellion auf und gegen Merkels behauptete Alternativlosigkeit – „TINA“ (=There Is No Alternative). Der Euro, die Euro-Rettung die Einführung des Euro überhaupt – vom ökonomischen Standpunkt her sei das alles falsch und hätte die südeuropäischen Länder verletzt und dazu geführt, dass ihr alten Systeme verschwinden. Nur die großen Finanzinstitute hätten davon profitiert. Jongen bezieht sich auf Colin Crouch [2] und den Begriff der Postdemokratie. Der ESM-Mechanismus sei eine Monsterbürokratie, die den nationalen Regierungen Unsummen entzöge mit dem Argument des Ausnahmezustandes. Logischerweise flicht Jongen dann Carl Schmitts Definition der Souveränität ein: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“. [3] Er bezeichnet Merkel als in diesem Sinne „souverän“ und fragt, ob sie daher noch als demokratische Führungspersönlichkeit bezeichnet werden könne. Wiederum mit Bezug auf Carl Schmitt[4] stellt Jongen in Form einer Frage fest, dass nur noch die Oberfläche der Staatsform demokratisch sei, in Wirklichkeit Diktatur herrsche und benutzt den Ausdruck der Demokratur. Jongens Lösungsidee: Referenden. „Hätte ein Referendum über die Einführung des Euro stattgefunden, wäre er nie eingeführt worden.“ Im Begriff Demokratie stecke das griechische Wort Demos – was dem Lateinischen Populus entspräche und daher die Demokratie ohne Populismus nicht denkbar sei.

An dieser Stelle leiert Jongen die – uns in Deutschland leider allzu bekannte – Litanei aus Behauptungen über die Migrationswelle 2015 herunter. „Wir schaffen das“ bezeichnet er als Mantra und Ursache dafür dass „culturally alien people“ – kulturell fremdartige Menschen – das Land überfluteten: hauptsächlich junge, hauptsächlich mänliche, hauptsächlich muslimische Flüchtlinge. Man werde als Rassist, Nationalist und Nazi diffamiert, wenn man sage: „Wir sind nicht gefragt worden. Wir wollen diese Menschen nicht“, dabei sei der islamische Hintergrund eine ernstes Problem für jede Ingtegration. 2015 wäre eine traumatische Erfahrung für die ganze Gesellschaft gewesen, und die AfD sei zur Stimme geworden für alle, die gegen unkontrollierte Masseneinwanderung seien. Andere Narrative sähen das anders.

Jongen geht dann auf die vom Moderator anfangs aufgeworfene Frage ein: „Wer sind WIR und wer wollen WIR sein.“ DEMOS und ETHNOS seien zwar nicht das gleiche, aber gemeinsame Werte und Verwurzelung in gemeinsamem Grund und gemeinsamer Geschichte seien Voraussetzung für eine Engagement in ein gemeinsames Projekt für die Zukunft. In Amerika sei das anders, weil dort von allen die englische Sprache gesprochen würden und eine Leitkultur vorhanden sei: der Glaube in Freiheit, Demokratie und Gleichheit aller menschlichen Seienden (human beings). So sei eine Nation und ein Staat begründbar. In Europa sei das nicht möglich. Dort würden sich kleine Blasen oder Identitäten ausbildeten, die keinen gemeinsamen DEMOS mehr formen würden. Ein Superstaat Europa könne es nicht geben.

Widerspruch

In der Diskussionsrunde bekam Jongen Gelegenheit zur Konkretisierung: Populismus müsse neu definiert werden, es ginge nicht um Machtübernahme, sondern darum, das System zur Reaktion zu bringen. Populismus müsse dazu dienen, den Verlust des gemeinsamen Willens (common will) zu verhindern. Diese Gefahr bestünde wegen der Gräben zwischen den verschiedenen Gruppen (Blasen, Identitäten). Man wolle nicht zurück zu der schrecklichen auf Rassismus basierten Gesellschaft, aber … (mehr kam dazu nicht).

Ian Buruma und Roger Berkowitz argumentierten so, dass das Selbstmitleid eines Marc Jongen keine Chance hatte, die inhaltlichen Fragen zu übergehen. Sie machten mehreres deutlich: was Jongen als „Akt der Gewalt“ seitens Merkel gegenüber dem deutschen Volk bezeichnet, sei ein Akt der Humanität gewesen. Die von Jongen behauptete Kriminalität der Migranten werde durch Statistiken widerlegt. Die Nationenbildung, wie sie von Jongen beschrieben würde, war bereits von Hannah Arendt abgelehnt worden. Im Schlusskommentar legte Berkowitz das andere Konzept dar: nicht von einem gemeinsamen Willen ausgehen, sondern durch Vereinbarung, Aushandlung und Konfliktregelung die gewaltigen Interessenskonflikte einhegen und Institutionen schaffen, sie zu lösen.

„In die Falle getappt“

Burama schreibt: [5] „Anschließend brach ein kleiner akademischer Sturm los. Mehr als 50 renommierte US-Wissenschaftler protestierten in einem offenen Brief gegen die Entscheidung des Hannah Arendt Center, Jongen als Gastredner einzuladen. Der Punkt dabei war nicht, dass er nicht das Recht habe, seine Meinungen zum Ausdruck zu bringen, sondern dass das Bard College nicht sein Prestige dazu hätte hergeben dürfen, den Sprecher respektabel erscheinen zu lassen. Ihn einzuladen ließe seine Ansichten legitim erscheinen. Dies erscheint mir aus mehreren Gründen fehlgeleitet. Zunächst einmal ist es, wenn man eine Konferenz zum Thema Rechtspopulismus ausrichtet, doch sicher nützlich, sich anzuhören, was ein Rechtspopulist tatsächlich zu sagen hat. Professoren dabei zuzuhören, wie sie Ideen verdammen, ohne diese Ideen tatsächlich selbst zu hören, wäre nicht besonders lehrreich.

Auch ist es nicht offensichtlich, warum ein Sprecher einer wichtigen Oppositionspartei eines demokratischen Landes als Gastredner auf einem Hochschulcampus inakzeptabel sein sollte. Linke Revolutionäre waren einst ein elementarer Bestandteil des Hochschullebens, und Bemühungen, sie von dort zu verbannen, wären zu Recht auf Widerstand gestoßen.

Der Protest gegen die Einladung an Jongen war nicht nur intellektuell inkohärent; er war zugleich taktisch dumm, denn er bestätigt den Glauben der Rechtsextremen, dass die Liberalen die Feinde der Redefreiheit und dass Rechtspopulisten die Opfer liberaler Intoleranz seien. Ich glaube, dass Jongen die Konferenz am Bard College höflich diskreditiert verlassen hat. Aufgrund des Protests war er in der Lage, diese Niederlage in einen Erfolg umzuwandeln.“

Worauf läuft Jongens Rede hinaus?

Jongens Ausführungen stellen einen Angriff auf das Zusammenleben in Europa, die EU und den Euro-Wirtschaftsraum dar. Sein politisches Ziel, das er propagiert, ist die Installation einer populistischen Staatenwelt mit deutscher Vormacht. Diese Gefährdung des Friedens in Europa springt nicht unmittelbar ins Auge, werden durch politische Reflexion aber evident. Sein Auftritt ermöglichte es ihm, sich als Vertreter einer Hauptströmung zu präsentieren und nicht als das, was sie ist: nicht irrelevant, aber politisch abseitig. Eva Detscher, Karlsruhe

[1] http://hac.bard.edu/con2017 [2] Colin Crouch: Postdemokratie. Edition Suhrkamp. Inzwischen auch Teil II und Teil III erschienen („Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus“ und „Die bezifferte Welt: Wie die Logik der Finanzmärkte das Wissen bedroht“ [3] Carl Schmitt: Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität. Berlin: Duncker & Humblot [4] Carl Schmitt, Carl (1926): Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus. 4. Aufl., Berlin: Duncker & Humblot [5] Siehe auch: https://www.project-syndicate.org/commentary/right-wing-populism-bard-arendt-center-by-ian-buruma-2017-11/german

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Kurznachrichten: Dok. Rosemarie Steffens

01 AfD stoppt Parteiausschlussverfahren gegen Jens Maier.

Der sächsische AfD-Landesvorstand stoppt das Parteiausschlussverfahren gegen Maier. Vertreter der AfD-Kreisverbände, des Landesvorstands und der „Jungen Alternative“ hätten sich dafür eingesetzt, das Ausschlussverfahren zu beenden. Maier, Richter am Landgericht Dresden, hatte sich als Bundestagskandidat an enttäuschte NPD-Wähler gewandt: „Wir sind die neue Rechte“ und erklärte den „Schuldkult für endgültig beendet“. Er beobachtete im Land eine „Herstellung von Mischvölkern, um die nationalen Identitäten auszulöschen“. Im April hatte Maier, der sich der „Kleine Höcke“ nennt, Verständnis für den norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik geäußert. Das Landgericht Dresden entzog ihm inzwischen die Zuständigkeiten für Medien- und Presserecht sowie für Verfahren, die den Schutz der persönlichen Ehre betreffen, er bleibt aber für Berufungen bei Verkehrsunfallverfahren und allgemeine Zivilsachen zuständig. Zur Aussage Maiers, die NPD sei „die einzige Partei, die immer geschlossen zu Deutschland gestanden hat“, sagte Gauland: „Das hat nichts mit Nationalismus zu tun. Aber ich hätte es nicht gesagt.“ Quelle: Tagesspiegel, 29.11.17

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02 Rassismus des hessischen Ex-Ministerpräsidenten Koch ist unvergessen. Am 1.12.17 fand in Wiesbaden eine Kundgebung von ca. 350 Menschen aus DGB, der Martin-Niemöller-Stiftung, der VVN-BdA, der Partei Die Linke, der SPD und einem Bündnis gegen die Verleihung der Wilhelm-Leuschner-Medaille an Roland Koch statt.

„Wilhelm Leuschners Name ist für Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter untrennbar mit dieser Biographie und der Überwindung des Nationalsozialismus nach 1945 verbunden. Roland Kochs Name erinnert an ein beispielloses Sozialabbauprogramm und an seine schmutzige rassistische Unterschriftenkampagne im Landtagswahlkampf 1999. Diese Unterschriftenaktion richtete sich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft für Menschen, die nach Deutschland eingewandert sind, also gegen eine damals längst überfällige Form der Integration. In ihrem Windschatten führte die NPD ebenfalls eine Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsangehörigkeit durch. Wenn rassistisches Handeln Jahrzehnte später mit einer Auszeichnung der antifaschistischen Traditionen im Sinne Leuschners gekrönt werden soll, dann ist das ein Schlag in die Gesichter all jener, die sich aufrecht gegen soziale Ungerechtigkeit und gegen Rassismus in unserer Gesellschaft engagieren.“ (Aus der Rede des DGB).

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