Quelle: Politische Berichte Nr. 12, 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

Das muss man lesen: Andreas Voßkuhles „Ein Populist ist ein Gegner der Demokratie“ (FAZ,23.11.)

Zum Jahresanfang begründete der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, die Ablehnung des NPD-Verbots: Das Handeln der Partei lasse noch nicht einmal auf die Möglichkeit eines Erreichens ihrer verfassungsfeindlichen Ziele schließen. Das Gericht berücksichtigte nicht, was Hasspropaganda und Gewalttaten bis hin zum Mord im Alltagsleben anrichten und was der Staat durch die Duldung der NPD als Partei somit hinnimmt. Inzwischen mehren sich die Beispiele, dass autoritäre Bewegungen auf dem Wege von Abstimmungen und Wahlen ans Ruder kommen, sogleich beginnen, das System Gewaltenteilung auszuhebeln und die unabhängige Justiz als Erfüllungsgehilfen in Dienst zu nehmen. In seinem Aufsatz „Ein Populist ist ein Gegner der Demokratie“, (FAZ vom 23.11.), stellt Voßkuhle fünf Unterscheidungen von Demokratie und Populismus vor und entwickelt daraus zwei Handlungsmaximen, die den realen Gefahren eher gerecht werden als der verharmlosende Tenor in Sachen NPD. (siehe Kasten).

Unterscheidungen: Es geht dabei erstens um die Fiktion eines imaginären reinen Volkes als Träger der Wahrheit und die Anmaßung der Populisten, diese Wahrheit darzustellen. Zweitens, und daraus folgend, um die Idee der Einheit, die Widerspruch und abweichendes Verhalten nicht zulassen kann, drittens um den politischen Alleinvertretungsanspruch, den eine Bewegung erheben muss, die auf solche Annahmen gegründet ist, viertens um die Ablehnung des freien Mandates von Abgeordneten und fünftens um die Ächtung oppositionellen Verhaltens und aller Widerrede sowie Kontrolle und möglichst vollständige Inbesitznahme aller staatlichen Ämter. „Der populistische Staat wird mit der Begründung autoritär, nur so könne der wahre Wille des Volkes vollstreckt werden.“ Vosskuhle sieht die Gefahr einer Transformation der rechtlich geordneten Demokratien zu populistischen beherrschten Gesellschaften.

Anforderungen an die Politik. Auf das gegebene politische Spektrum projiziert enthält Voßkuhles Warnung die schwer verdauliche Forderung, im politischen Denken den Entwurf von Alleinvertretungsansprüchen und Überwältigungsstrategien zu vermeiden. Es wäre in einer Zeitschrift für linke Politik nicht schwer, diese Zumutungen an Konservatismus, Liberalismus, Staatsrechtslehrer, Professoren usw. gewendet liebevoll auszubuchstabieren. Interessanter wird es sein zu prüfen, ob bzw. wie mit dem Populismus-Vorwurf, den Vosskuhle mit großen Nachdruck auch in die Richtung linker Politik adressiert, umzugehen ist.

Eine Schwäche von Voßkuhles Argumentation ist, dass er das reale Phänomen der sozialen und rechtlichen Ausgrenzung und der damit verbundenen Repression ausblendet, das auf der Linken den „Kampf gegen das ganze System“ so plausibel macht. Seine Argumente sind aber stark, wo sie Kritik und Widerstand auf die Einhaltung demokratischer Formen verweisen. Macht das wehrlos?

Eher im Gegenteil. In der hoch differenzierten, arbeitsteiligen Gesellschaft müssen die Freiheiten zur Lebensgestaltung aufeinander abgestimmt werden. Das geschieht zunächst im politischen Diskurs durch Gewichtung von Argumenten, die Feststellung von Mehrheiten und die Übertragung von Ämtern. Im Gesetzgebungsverfahren, das am Ende noch die gerichtliche Prüfung vorsieht, kommt jedoch die ganze Breite der Interessen, auch von Minderheiten und sogar Einzelnen zum Tragen, sie sind im Bestand der Gesetze gleichsam abgelagert und kommen bei der kundigen und unabhängigen Prüfung der Neuerung zum Vorschein. Eine langwierige und schwierige Prozedur, aber gerade kein Hindernis für Emanzipation. Lähmend ist, gerade vor dem Hintergrund geschichtlicher Erfahrungen, das Risiko, im Schwung des Freiheitsdranges andere zu schädigen. So soll auf Voßkuhles Mahnungen an die Politik mit einem Lob geantwortet werden: Es ist schön, wenn sich angesehene deutsche Juristen aus der autoritären Tradition Carls Schmitts und anderer – der Wille der politischen Führung als Quelle von Gesetzgebung und Rechtsprechung – lösen und hilfreiche „Handlungsmaximen gegen den Populismus“ finden.

Martin Fochler, München

** Auszug Voßkuhle: „Zwei Handlungsmaximen … gegen Populismus … Erstens: Soweit es zu eindeutigen rechtlichen Grenzüberschreitungen kommt – seien es Schmähungen und Volksverhetzungen durch einzelne Politiker, seien es Verstöße gegen demokratische und rechtsstaatliche Spielregeln –, müssen diese konsequent sanktioniert werden. Das ist zuvörderst Aufgabe der staatlichen Institutionen und der unabhängigen Gerichte. Wo diese durch populistische Regierungen korrumpiert oder beseitigt worden sind, müssen die Mechanismen der Europäischen Union und der Völkerrechtsgemeinschaft greifen. Jede Form von Nachsicht führt hier unweigerlich in den Abgrund! Zweitens: An den Mühen der politischen Ebene im Rahmen demokratischer Verfahren führt kein Weg vorbei … Gerade auch in „heiklen“ Politikfeldern müssen demokratische Parteien Farbe ekennen und konkrete Handlungsoptionen aufzeigen, damit der Wähler Alternativen hat … heraus(zu)arbeiten, dass und warum die konkrete populistische Forderung mitnichten den Interessen aller Bürger entspricht, sondern dass es sich – wie bei den meisten politischen Forderungen – um eine partikulare Präferenz handelt …

* www.faz.net/aktuell/politik/inland/bundesverfassungsrichter-vosskuhle-und-sein-rezept-gegen-populismus-15304961.html

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