Aus Politische Berichte Nr. 1/2018, S. 20, • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Europäische Janusz Korczak Akademie e.V. (EJKA e.V.)

Elisabeth Friedrichs, Augsburg

Die Europäische Janusz Korczak Akademie e.V. hat das Jahr 2018 unter das Motto „Pioniergeist“ gestellt in Erinnerung an den 70sten Jahrestag der Gründung des Staates Israel.

Sie bezieht sich auf den aus einer jüdischen Familie stammenden polnischen Arzt und Reformpädagogen Janusz Korczak (eigentlich Henryk Goldszmit). Er engagierte sich früh für Kinderrechte und entwickelte pädagogische Konzepte, die er seit 1912 in Waisenhäusern in Warschau einsetzen konnte. 1940 wurden die Kinder aus den jüdischen Waisenhäusern in das Warschauer Ghetto gezwungen. 1942 begleitete Janusz Korczak Kinder auf einemKindertransport der Nazis ins Vernichtungslager Treblinka, obwohl er sich hätte retten können. Sein genaues Todesdatum ist unbekannt. Korczaks Tagebuchaufzeichnungen enden mit dem 5. August 1942. Er hinterlässt ein eine umfangreiches literarisches Werk.

Die Janusz-Korczak-Akademie sieht sich den humanistischen Erbe von Janusz Korczak-Akademie verpflichtet. Auf ihrer Homepage stellt sie sich vor, hier einige Auszüge:

„Die Europäische Janusz Korczak Akademie ist eine jüdische Gründung aus dem Jahr 2009, die der breiten Gesellschaft offen steht. Ihr Ziel ist es, durch Vermittlung von Wissen die jüdische Gemeinschaft zu stärken, sie zu öffnen und Berührungsängste in jeder Richtung abzubauen. … Gerade unsere interkulturelle und interreligiöse Ausrichtung öffnet unsere Angebote darüber hinaus für ein breites Publikum und sorgt so für rege Teilnahme auch jenseits der jüdischen Zielgruppen … Zu den zentralen Bereichen unserer Tätigkeit gehören:

Die Akademie verfügt über drei Bildungszentren, sog. Janusz-Korczak-Häuser, in München, Berlin und Duisburg.

Unser Selbstverständnis beruht auf dem Bildungsideal, zur Selbstverantwortung und Selbstbestimmung des Menschen sowie zu einem tieferen gesellschaftlichen und politisch-historischen Verständnis beizutragen und Vorurteile abzubauen. Im Besonderen stehen wir in der klassischen jüdischen Bildungs- und Lehrtradition, die sich durch einen intensiven Dialog zwischen Lehrenden und Lernenden mit der Ermutigung kritischer Nachfragen sowie eine enge Textbindung auszeichnet.

In wöchentlichen Beiträgen werden seit dem Herbst 2017 auf Facebook Reformpädagogen aus der jüdischen Tradition vorgestellt, angefangen mit Janusz Korczak selbst, hier zwei Ausschnitte:

…Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wehte ein laues Lüftchen über Europa. Hier und dort bauten kluge Menschen mit reformpädagogischen Ideen an Gegenmodellen zur „schwarzen Pädagogik“. Sie sollte stürzen, weil es nicht richtig sein konnte, Kinder der Herrschaftsgewalt von erziehenden Erwachsenen in brutalster Weise auszusetzen. Die Männer und Frauen, die sich da schützend vor die Kinder, deren Seelen, ihr körperliches wie geistiges Wohl stellten, brachen aus alten verkrusteten, steinharten Bahnen aus (pionnier, frz.: Wegbereiter, Bahnbrecher). Zu ihnen gehörte auch der jüdische Arzt, Schreiber und Pädagoge Janusz Korczak (1878/9 – 1942).

Janusz Korczak leitete in Warschau Waisenhäuser. In ihnen konnte er seine Gedanken, Ideen, Vorstellungen umsetzen und täglich überprüfen. Verglichen mit den anderen Pionieren seiner Zeit, schlug er – bei aller Überschneidung – einen eigenwilligen pädagogischen Weg ein. Als Ausdruck einer gesteigerten Form von Selbstbestimmung übertrug er dem Kind in dessen neu gewonnenen Freiräumen „große“ Verantwortung. Das Vertrauen in die Selbstfindungskräfte eines Kindes begriff er als auszutestendes Ideal. Janusz Korczak besaß eine wohl angeborenen Fähigkeit zu Perspektivwechseln („Fähigkeit zur methodischen, psychologischen Regression“, Erich Zwi Kurzweil). Angesichts eines Kindes konnte er zu eben diesem Kind werden. Unter dem Titel „Bobo“ veröffentlichte er 1913 eine Trilogie über die Kindesentwicklung. Sie beginnt mit der Geburt, bei deren Beschreibung Janusz Korczak Bobos Perspektive übernimmt: „Bobo fühlte einen empfindlichen Schmerz, er erlebte großes Entsetzen. Der Priester Schmerz vermählt das kleine Menschenwesen mit dem Leben.“ Dem Erwachsenen, der diesem ersten Geschehen eher ratlos gegenüber steht, rät er kurz und knapp: „Versuche möglichst wenig zu tun, weil du nichts weißt, weil du nichts verstehst.“

… Kurt Löwenstein – Pionier der demokratischen Pädagogik

… Wie auch Korczak war Kurt Löwenstein ein Pädagoge, der, obgleich jüdischer Herkunft, auf die gesamte Gesellschaft einwirken wollte. Seine Ideale von Kinderrechten, demokratischer Mitbestimmung, Völkerverständigung und Chancengleichheit für Menschen aller Herkunft sind heute so aktuell wie zur Zeit seines politischen Wirkens in der Weimarer Republik.

Kurt Löwenstein kam 1885 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie im niedersächsischen Bleckede an der Elbe zur Welt. Nach dem Besuch einer jüdischen Freischule studierte er Theologie und Philosophie in Halberstadt. Im Anschluss zog es den tief in der jüdischen Tradition verwurzelten jungen Mann in die Reichshauptstadt Berlin, wo er am orthodoxen Esriel-Hildesheimer-Seminar ein Rabbinatsstudium aufnahm. Aus religiösen Zweifeln brach er dieses jedoch ab und widmete sich einem Studium der Philosophie und Pädagogik, welches er 1910 mit einer Promotion an der Friedrich-Wilhelm-Universität abschloss. Auch wenn sich der junge Löwenstein von der jüdischen Tradition entfernte und zeitlebens nicht zu ihr zurückkehren sollte, so blieb ein tiefes Gerechtigkeitsempfinden sein Antrieb zu einer säkularen Idee von Tikkun Olam, der „Reparatur der Welt“. Als bekennender Pazifist meldete Löwenstein sich 1914 zum Roten Kreuz, das ihn bis Kriegsende in Kriegslazaretten einsetzte, wo er Zeuge der blinden Zerstörungsexzesse des Krieges wurde und sich seine antinationalistische Haltung verfestigte.

In der Weimarer Republik engagierte sich Löwenstein in der SPD. Stets die Rechte der Kinder im Fokus, kämpfte er gegen die wilhelminische Pädagogik, welche auf Untertanenmentalität und unmenschlichem Drill basierte. Als Neuköllner Bildungsstadtrat setzte er sich für ein Einheitsschulkonzept ohne Religionsunterricht ein, das Kindern aus allen sozialen Schichten und sämtlichen Konfessionen ein gemeinsames Lernen ermöglichen sollte und die Menschenrechte als unveräußerliches Gut vermittelte. Auch ein informelles Bildungsprogramm entwickelte Löwenstein, welches besonders Arbeiterkindern die Erfahrung von Selbstachtung und demokratischem Selbstbewusstsein vermitteln sollte. Sein unbeirrbares Engagement für die im Elend lebende Arbeiterklasse, seine strikte Ablehnung des immer virulenter werdenden Nationalismus und nicht zuletzt seine jüdische Herkunft ließen Löwenstein zum Feindbild in rechten Kreisen werden. Wo es den reaktionären Kräften in den 1920er Jahren noch darum ging, seine Initiativen zu torpedieren, befand er sich nach der Machtübernahme der Nazis weit oben auf den Todeslisten der SA. In der Nacht des 27. Februar 1933 überlebten Löwenstein, seine Frau und sein Sohn in ihrer Neuköllner Wohnung nur knapp einen Mordanschlag zweier SA-Männer. Die Familie flüchtete aus Berlin und ließ sich, nach einer Zwischenstation in Prag, in Paris nieder, das Löwenstein als „das Zentrum des Widerstands gegen Nazideutschland“ betrachtete. Im Exil half er beim Aufbau einer sozialdemokratischen, internationalen Kinder- und Erziehungsorganisation.

Am 8. Mai 1939, zwei Jahre nach der Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft, starb der Reformpädagoge im Pariser Exil. Sein Leitgedanke „Man muss Sittlichkeit vorleben, nicht lehren wollen, und es gibt nichts Anschaulicheres als das Leben selbst“ ist uns heute Inspiration für unsere informellen Bildungsprojekte, die ganz im Geiste einer demokratischen Erziehung zu gegenseitiger Anerkennung und Pluralität stehen.

Im Jahresprogramm 2018 werden getreu dem Motto „Pioniergeist“ in der Janusz Korczak-Akademie München Leben und Werk einiger wichtige Menschen jüdischer Herkunft vorgestellt, deren Denken, Wirken und Forschen auf die moderne Gesellschaft einschließlich deren Jüdischen Anteils in Deutschland und Europa einen großen Anteil hatten, darunter der Aufklärer Moses Mendelssohn, der Nobelpreisträger Paul Ehrlich und der Komponist Louis Lewandoswki. Angesichts eines wachsenden Rassismus und Antisemitismus leistet die Akademie einen wichtigen Beitrag zum interkulturellen Verständnis und Dialog, insbesondere unter jungen Menschen, gleich welcher Herkunft und Religion.

Genaueres auf Facebook oder unter: www.ejka.org.

Abb. (PDF): Logo der Akademie