Aus Politische Berichte Nr. 1/2018, S. 22 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

KALENDERBLATT: 11.september - 1848 -frankreich

01 Frankreich 1848 –„Frühling der Presse“. Pierre-Gael Loreal, Paris

02 Die ersten Arbeiterzeitungen 1830. Pierre-Gael Loreal, Paris

03 Victor Hugo: Auszüge aus der Rede als „Bürger Hugo“ vom 11. September 1848. Eva Detscher, Karlsruhe

01 Frankreich 1848 –„Frühling der Presse“

Pierre-Gael Loreal, Paris

Nach einem Jahrzehnt wirtschaftlicher und sozialer Krise, geprägt von Hungersnöten, Cholera-Epidemien, harten Lebensbedingungen, politischen Rivalitäten, von Aufständen und Angriffen auf König Louis-Philipp, stand Paris 1848 am Rande des Aufstands. Die starke Unzufriedenheit der arbeitenden Klassen führte im Februar 1848, angespornt von Liberalen und den Republikanern, zur Revolution. Der König dankte ab, damit war das Ende der Juli-Monarchie markiert, die Zweite Republik wurde errichtet. Diese neue Republik setzte – sobald sie gegründet war – dem Gesetz über die Zensur von 1835 ein Ende und stellte eine vollständige Pressefreiheit wieder her. Die Zeit von März 1848 an wurde auch manchmal als „Frühling der Presse“ bezeichnet. Diese Freiheit war aber schon nach den „Juni-Tagen“ (22. bis 26. Juni 1848) wieder in Gefahr. Eine weiterer Volksaufstand und die Regierung begann erneut die Freiheit der Presse einzuschnüren, bis hin zum Staatsstreich Napoleons III. im Jahre 1852. Victor Hugo verteidigte die Pressefreiheit, die kaum wiedererlangt, bereits wieder bedroht war.

Die Französische Revolution legte den Grundstein für die Freiheit der Presse:

Vor der Französischen Revolution 1789 beherrschte eine systematische Zensur die Presse. La Gazette, bereits 1631 von Th. Renaudot gegründet, wurde das erste wirkliche politische Presseerzeugnis, autorisiert von Kardinal Richelieu, der das Privileg vergab und damit La Gazette zu einem Instrument seiner politischen Propaganda machte. Bis zur Revolution mussten Presseerzeugnisse vor Veröffentlichung eine Genehmigung einholen, um erscheinen zu dürfen. Dies verhinderte aber weder die Entwicklung einer illegalen Presse noch die offizielle Herausgabe anderer Titel, wie z.B. des Journal de Paris, der ersten ab 1777 erscheinenden Tageszeitung mit Informationen vor allem zu kulturellen Ereignissen und verschiedenen anderen Themen. La Gazette behielt offiziell das Monopol zur politischen Information unter dem Ancien Regime und stellte ihr Erscheinen erst 1915 ein.

Mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 wurde eine neue Ära eingeläutet. Artikel 10 der Verfassung verkündete feierlich die Meinungs- und Gedankenfreiheit und insbesondere Artikel 11 die Pressefreiheit:

„Die freie Kommunikation von Gedanken und Meinungen ist eines der wertvollsten Menschenrechte; jeder Bürger kann frei sprechen, schreiben und drucken, es sei denn, er wird für den Missbrauch dieser Freiheit in den gesetzlich vorgesehenen Fällen zur Verantwortung gezogen“.

Dieser Grundsatz, der 1881 endgültig gesetzlich verankert wurde, bekräftigte: das System der Vorabgenehmigung von Veröffentlichungen sollte auf das System repressiver Kontrolle a posteriori umgestellt, eine bereits veröffentlichte Publikation durfte also im Nachhinein belangt werden, ohne dass ihr Erscheinen jedoch hätte verhindert werden können. In Artikel 11 wurde ein Grundprinzip festgeschrieben: Einschränkungen der Pressefreiheit mussten gesetzlich vorgesehen sein, und wären daher nicht das Ergebnis schiedsrichterlicher, richterlicher Entscheidungen. Die Zahl der Zeitungen stieg daraufhin von einigen wenigen im Jahr 1789 auf etwa tausend im Jahr 1800!

Das 19. Jahrhundert: Ein Hin und Her zwischen Zensur und Freiheit der Presse

Das 19. Jahrhundert begann unter schlechten Vorzeichen als Napoleon Bonaparte, erster Konsul, am 17. Januar 1800 wieder eine drastische Zensur einführte. Etwa sechzig Zeitungen wurden drangsaliert. Die Genehmigung vor Veröffentlichung wurde erneut eingeführt und die Zahl der Tageszeitungen zunächst auf zwölf und 1811 auf vier beschränkt.

Man musste die Restauration abwarten, im Jahr 1819 wieder vorübergehend die Vorabzensur zugunsten eines liberalen und gezügelten Systems zurückdrängen:

Die Gesetze von Hercule de Serre führten das Prinzip der Sanktion a posteriori wieder ein. Als Kategorien von Pressevergehen wurden definiert: Vergehen gegen den königlichen Herrscher; öffentliche Provokation, Aufruf zu Verbrechen und Vergehen, unsittliche Handlungen oder Handlungen gegen die öffentliche Moral; Verleumdung und öffentliche Beleidigung. Für die Herausgabe wurden sowohl moralische Garantien – wie Vertrauen in Verleger und Eigentümer, als auch finanzielle Garantien – wie die Zahlung einer Kaution Voraussetzung. Zudem ersetzte das Erscheinen vor einer öffentlichen Jury die Vorladung vor dem Strafgericht.

Ab 1820 wurde das Gesetz Serre wieder in Frage gestellt, mehrere neue schnürten die Pressefreiheit und das Erscheinen liberaler Zeitungen ein. Die erste der St. Cloud-Verordnungen am 25. Juli 1830 hob die Pressefreiheit auf, machte alle Zeitschriften von staatlicher Genehmigung abhängig. Le National und Le Temps, die wichtigsten Zeitungen gegen die Politik von Charles X., wurden unterdrückt, ihre Druckmaschinen zerstört. Die Verordnungen trugen jedoch zum Untergang des Monarchen bei, lösten den Protest von 44 Journalisten am 26. Juli 1830 zugunsten der Pressefreiheit aus. An den sogenannten „Drei Glorreichen“ – 27., 28. und 29. Juli 1830 – kam es zu Unruhen, die zur Gründung der Juli-Monarchie (1830-1848) am 9. August 1830 führten.

In den Anfängen der Juli-Monarchie Louis Philippes blühte die Presse auf: Im Statut vom 14. August 1830 heißt es sogar, dass „die Zensur niemals wiederhergestellt werden kann“. Zahlreiche Publikationen florierten, darunter die ersten Arbeiterzeitungen.

Ab 1833 wurde die Haltung der königlichen Regierung gegenüber der Presse rigider, insbesondere mit dem zweiten Aufstand der Seidenweber in Lyon (Canut-Aufstand), gewalttätigen Pariser Unruhen im April 1834 und einem missglückten Anschlag auf Louis-Philippe am 28. Juli 1835. Diese Ereignisse führten zur Verabschiedung des Pressegesetzes vom 9. September 1835, das der liberalen Gesetzgebung von 1830 ein Ende setzte, indem es die Strafverfahren gegen Journalisten verschärfte und das System der vorherigen Genehmigung von Zeichnungen und Stichen einführte. Das Gesetz diente der Verfolgung politischer Texte, die als bösartig galten, und der satirischen Presse. Le Populaire, le Réformateur, La Caricature sollten das nicht lange überleben. Le Charivari unterwarf sich der Zensur und ging politische Themen weniger direkt an.

Diese Verschärfungen verhinderten jedoch nicht den bemerkenswerten journalistischen Aufschwung, u.a. die Geburt der ersten beiden großen französischen Tageszeitungen La Presse und Le Siècle im Jahr 1836. Le Populaire veröffentlichte wieder ab 1840. Es entwickelte sich auch wieder eine Arbeiterpresse und blühte auf.

Diese Entwicklungen endeten abrupt nach der Niederschlagung des Aufstands im Juni 1848. Im Dezember 1848 wurde Louis-Napoleon Bonaparte (Napoleon III.) gewählt, am 2. Dezember 1851 kam es zum Staatsstreich, der zur Unterdrückung zahlreicher Zeitungen in Paris führte, nur noch elf konnten weiterhin veröffentlichen.

02 Die ersten Arbeiterzeitungen 1830

Pierre-Gael Loreal, Paris

Im September 1830 gab es in Paris drei zweiwöchentlich erscheinende Blätter: Le Journal des Ouvriers, Le Peuple, und L’Artisan, Anfänge politischen Selbstbewusstseins! Artikel kommentierten aktuelle Ereignisse. Die drei Blätter erschienen nur kurze Zeit bis Ende Oktober 1830. Zeitungen wie Populaire de Cabet, Reformateur de Raspail oder Bon Sens, die in Paris erschienen, waren nicht von Arbeitern geschrieben.

Im Oktober 1831 – drei Wochen vor dem ersten Aufstand der Seidenarbeiter – erschien ohne Unterbrechung in Lyon L’Echo de Fabrique bis Mai 1834. Sie veröffentlichte Gedanken über Sozialwirtschaft; Lieder, Gedichte und Rätsel; eine Chronik der Sitzungen des Arbeitsgerichtshofs und praktische Ratschläge, insbesondere zur Hygiene; aber auch Angriffe gegen rivalisierende Zeitungen und insbesondere gegen den Courrier de Lyon, die Zeitung der Präfektur. Auf L’Echo de Fabrique folgte, wiederum in Lyon, La Tribune prolétaire (1834–1835), und gelegentlich erschien L’Echo des Travailleurs (1833–1834), geschrieben von Dissidenten.

Die satirische Presse – eine lange Tradition der Kritik

Ab November 1830 erschien La Caricature, eine Wochenzeitung, und vor allem Le Charivari, die erste illustrierte satirische Tageszeitung der Welt, die zwischen 1832 und 1937 herausgegeben wurde! Diese beiden Publikationen, die nicht zögerten, die Juli-Monarchie lächerlich zu machen, bekamen es schnell mit Zensur und Gerichtsurteilen zu tun. Charles Philipon, ihr Gründer, wurde inhaftiert wegen Beleidigung des Königs – ein karikiertes Porträt Louis-Philippes in Form einer Birne.

Erneuter Aufschwung ab 1839

Recht lange, von 1840 – 1850 erschien L’Atelier, das sich als „Organ der moralischen und materiellen Interessen der Arbeiter“ bezeichnete, und dann als „spezielles Organ der arbeitenden Klasse“. L’Atelier, das von Arbeitern geschrieben wurde, die für sich Ideen des utopischen Sozialismus und des christlichen Sozialismus beanspruchten, wird als einer der großen Vorfahren der sozialistischen Presse unter der Juli-Monarchie betrachtet. Doch erst mit der Revolution vom Februar 1848, die die Zweite Republik begründete und die Pressefreiheit für kurze Zeit wiederherstellte, erschien eine Vielzahl weiterer Arbeiterzeitungen wie das Journal des Sans-Culottes, La République Rouge und L’ Aimable Faubourien.

03 Victor Hugo: Auszüge aus der Rede als „Bürger Hugo“ vom 11. September 1848

Eva Detscher, Karlsruhe, Kommentierte Auszüge, eigene Übersetzung,

„… Die guten Bürger widerstehen gleichermaßen denen, die ihren Willen mit Gewehrschüssen, und denen, die ihren Willen mit einem Staatsstreich durchsetzen wollen. Eh bien („na gut“), dieses Wort Staatsstreich: ich benutze es mit Absicht, es ist das einzig richtige Wort für die Situation. Zeitungen verbieten, sie durch die direkte, willkürliche, gewaltsame Zuständigkeit der Exekutive zu verbieten, so etwas hieß unter der Monarchie Staatsstreich; dies kann sich unter der Republik nicht geändert haben.“

Keine Instanz solle das Recht haben „Zeitungen zu verbieten, selbst wenn es von der Exekutive weggezogen und den Tribunalen gegeben wird, ich glaube nicht, sage ich, dass dies eine gute Sache wäre.“

Wahlrecht und Pressefreiheit erkennt Hugo als untrennbar: „ … dass der Grundsatz der Pressefreiheit nicht minder wesentlich ist, nicht minder heilig als der Grundsatz des allgemeinen Wahlrechts. Dies sind die beiden Seiten derselben Tatsache. Diese beiden Prinzipien tragen den gleichen Namen und vervollständigen sich gegenseitig. Die Freiheit der Presse an der Seite des allgemeinen Wahlrechts, das ist die Denkweise aller, die die Regierung aller erleuchtet. Das eine angreifen ist das andere angreifen. Eh bien, alle die Male, wo dieses große Prinzip bedroht sein wird, wird es auf allen diesen Bänken Redner aller Parteien geben, die sich erheben und protestieren, wie ich es heute tue.

Die Freiheit der Presse ist die Vernunft aller, die danach trachten, die Macht in der Spur der Gerechtigkeit und der Wahrheit zu leiten.“

Wenn die Pressefreiheit fällt, so Hugo, würde das nicht nur in Frankreich und Europa, sondern Auswirkungen auf die gesamte Zivilisation haben. Er erinnert die Abgeordneten, was sie zu Abgeordneten gemacht hat und weist einen Weg aus dem Dilemma:

„Messieurs, sie haben die schönsten aller Titel, um Freunde der Pressefreiheit zu sein, nämlich dass Sie Gewählte des allgemeinen Wahlrechts sind.

Indem ich den exzellenten Absichten des Gesetzgebungskomitees Gerechtigkeit widerfahren lasse, werde ich für alle Änderungsanträge, für alle Bestimmungen meine Hand heben, die dieses Dekret zu mäßigen versuchen.“

Abb. (PDF): linke Seite oben: Die Freiheit führt das Volk, Eugène Delacroix, 1830. https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Freiheit_f%C3%BChrt_das_Volk. Abb. linke Seite unten: Les Poires – die Birnen: Charles Philipon, Les Poires, erschienen in: N° 56 de La Caricature, 24 novembre 1831, lithographie, collection Ségolène Le Men. http://books.openedition.org/pupo/docannexe/image/2240/img-1.jpg. Abb. oben: Le Peuple Journal General Des Ouvriers: http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k5489389r. Quelle Victor Hugo, Rede vor der Konstituierenden Versammlung, 11. September 1848. Internet: http://www2.assemblee-nationale.fr/decouvrir-l-assemblee/histoire/grands-moments-d-eloquence/victor-hugo-11-septembre-1848. Übersetzungen: Eva Detscher, Karlsruhe, Matthias Paykowski, Karlsruhe. Fortsetzung im Februar.