Aus Politische Berichte Nr. 2/2018, S. 22, • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Kalenderblatt - 21. Juli - 1881 - Frankreich - Freiheit der Presse

01 Freiheit der Presse – das Gesetz von 1881 gilt bis heute noch. Pierre-Gael Loreal, Paris

02 J’accuse – Ich klage an. Hanne Reiner, Berlin

03 Die Entwicklung von Literatur, Presse und Journalismus im Frankreich des 19. Jahrhundert. Matthias Paykowski, Karlsruhe

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Freiheit der Presse – das Gesetz von 1881 gilt bis heute noch

So wie die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägt war vom Hin und Her zwischen Zensur und Kampf um die Freiheit der Presse, – siehe Kalenderblatt PB Nr.1/2018 – so setzten sich in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts die Auseinandersetzungen fort. 1881 schließlich kam es zu dem weitreichenden bis heute noch gültigen Gesetz.

Pierre-Gael Loreal, Paris

Unter dem Zweiten Kaiserreich war das Klima überwiegend autoritär, bestimmt vom Misstrauen der Herrschenden gegenüber der Presse. Erneut kam es zu Beschränkungen. Die Kaution wurde als Disziplinierungsmaßnahme wieder eingeführt und eine Verwaltung zur Aufsicht der Presseerzeugnisse eingerichtet. Eine Prozedur der Abmahnung bzw. Verwarnung sah drei Stufen von Sanktionierung vor: als erstes erfolgte eine Ermahnung, die zweite Stufe führte zu einer zeitweiligen Aussetzung des Erscheinens und schließlich wurde drittens das endgültige Verbot der Publikation verfügt, oftmals Anreiz für Journalisten Selbstzensur zu üben.

Dennoch: Der Sieg der französischen Armeen unter Napoleon III. während des Italienischen Krieges 1859 führte zu einer Lockerung und 1860 begann eine neuerliche Blütezeit. Das Pressewesen konnte sich ausdehnen und diversifizieren. Das Tempo an Innovationen begünstigte die Verbreitung – insbesondere die Verbesserungen der Maschinerie und der Technik, aber auch die Entwicklung der Eisenbahn, die Verbesserung der Postdienste und die Einführung des Telegraphen trugen zu dieser Entwicklung bei. Der Rückgang des Analphabetismus spielte eine wichtige Rolle. Berühmte Zeitungen wurden gegründet, wie Le Monde (1860), die bis heute noch immer erscheint, oder Le Temps (1861). Diese Periode fand ihren Höhepunkt mit dem Gesetz vom 11. Mai 1868, das die Vorabgenehmigung durch eine einfache Erklärung ersetzte und das Mahnverfahren abschaffte.

Die Ereignisse um die Pariser Kommune zwischen dem 18. März und dem 28. Mai 1871 richteten sich gegen die für den Frieden mit Preußen und die Anerkennung des preußischen Sieges (bekannt als „Versailles“) eintretende Oberschicht des Pariser Westens und gegen die populären Klassen im Osten von Paris, die ihre Waffen nicht abgeben wollten. Die Kommune zeichnete sich durch die Gründung einer selbstverwaltenden politischen Organisation und auch durch eine Explosion der Anzahl an Zeitungen und Zeitschriften aus. In dieser kurzen Zeitspanne entstanden eine Vielzahl von Zeitungen, wenn manche auch nur kurzlebig. Zu den bekanntesten Zeitungen während der Pariser Kommune gehörten Le Cri du Peuple (Der Schrei des Volkes), die wohl berühmteste Publikation; oder Le Père Duchêne mit dem Untertitel „La Republique ou la mort“ (Die Republik oder der Tod).

Nach der Pariser Kommune war die Zeit der Rückkehr zu einer gewissen rechtlichen und moralischen Ordnung unter der Regierung Adolphe Thiers. Zur befürchteten Rückkehr zur Monarchie durch die Machtergreifung von Mac Mahon im Jahre 1873 sollte es aber doch nicht kommen.

Die Dritte Republik festigte sich durch die Verabschiedung der Verfassungsgesetze 1875. Die Republikaner verstärkten ihren Einfluss, sie gewannen die Parlamentswahlen 1876. Mit den Wahlen 1879 wurde Jules Ferry zur dominierenden Figur aller folgenden Regierungen bis 1885. Er leitete eine Reihe von Reformen ein, im Schul- und Justizwesen und die wichtigsten republikanischen Freiheiten betreffend, darunter auch die Pressefreiheit. In diesen Jahren erschien l‘Egalité (1877–1883), herausgegeben von Jules Guesde. Die erste Arbeiterzeitung, die nach der Zerschlagung der Kommune wieder herausgegeben werden konnte, war l‘Egalité. Sie wird oft als die erste französische marxistische Zeitung betrachtet.

Das Gesetz vom 29. Juli 1881

Fast ein Jahrhundert nach der Erklärung von 1789 wurde das in Frankreich bis heute noch immer gültige Gesetz zur Pressefreiheit am 29. Juli 1881 verabschiedet. Mit diesem Gesetz wurde das System der Vorabgenehmigung endgültig zugunsten von Kontrollen nach dem Erscheinen der Publikation aufgegeben. Nur eine Deklaration zur Herausgabe war nötig, wie es im Kaiserreich das Gesetz schon 1868 vorgesehen hatte. Die Kaution als Vorbedingung für das Erscheinen einer Zeitung wurde ebenfalls abgeschafft. Und vor allem schützten seit diesem Zeitpunkt zahlreiche Verfahrensgarantien die publizistische Freiheit der Journalisten: die Verjährungsfristen für Pressevergehen wurden verkürzt (zwischen drei Monaten und einem Jahr, je nach Schwere der Straftat), die Ladung vor Gericht musste die Art der Straftat genau bezeichnen und beschreiben. Untersuchungshaft für den Beschuldigten war verboten, Durchsuchungen nur begrenzt erlaubt, und schließlich war für bestimmte Straftaten – wie Beleidigung oder Verleumdung – die Beschwerde des Opfers eine Voraussetzung für die Einleitung eines Gerichtsverfahrens.

Was Pressevergehen betraf, so waren sie genau definiert. Das erste behandelte die Anstiftung zu Verbrechen und Vergehen. Es wurde unterschieden zwischen Delikten, die öffentliche Angelegenheiten betrafen, einschließlich der Veröffentlichung von Falschmeldungen und Straftaten gegen den Präsidenten der Republik (letztere wurde 2015 aufgehoben), und Verbrechen gegen die Person – Straftaten gegen Ehre oder Integrität eines Bürgers wie Verleumdung oder Beleidigung. Es ist interessant festzustellen, dass das Pressefreiheitsgesetz bereits 1881 Rassismus als Straftat behandelte, indem es jede Beleidigung oder Verleumdung, die sich gegen eine Person oder eine Personengruppe richtet, „aufgrund ihrer Herkunft oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe, Nation, Rasse oder Religion“ als rechtswidrig behandelt. Schließlich legte das Gesetz vom 29. Juli 1881 die Kette der Verantwortlichkeiten bei Presseverstößen klar fest: Geschäftsführer und Herausgeber, dann Autoren und Drucker, und letztendlich Verkäufer und Händler.

Abschließend: Wenn das Gesetz vom 29. Juli 1881 ein Höhepunkt in einem Jahrhundert der Veränderung und der sozialen Kämpfe zu sein scheint und auch im 21. Jahrhundert noch immer seine Wirkung entfaltet, so hat es die punktuelle Rückkehr der Zensur zu bestimmten mehr oder weniger kritischen Momenten der Zeitgeschichte nicht verhindert: So sollte es zum Beispiel die „Schurkengesetze“ in den Jahren 1893 und 1894 geben, die als Reaktion auf eine Reihe anarchistischer Attentate verabschiedet wurden. Sie führten eine Zeitlang zum Verschwinden fast aller libertären Pressetitel. Der Erste Weltkrieg führte zum Gesetz vom 5. August 1914, das alles verdrängte, was „den Geist der Armee und des Volkes ungünstig beeinflussen könnte“ und entsprechend einschränkende Auswirkungen auf die Pressefreiheit hatte. Zur Zeit der Besatzung und der Vichy-Regierung zwischen 1940 und 1944 wurde wieder die präventive Zensur praktiziert. Und während des Algerienkrieges (1954–1962) zögerte die Regierung nicht, Zeitungen unter dem Vorwand des „moralischen Schadens an der Armee“ zu beschlagnahmen, vor allem, wenn Folterungen gemeldet wurden.

Übersetzungen: Matthias Paykowski, Karlsruhe.

02

J’accuse – Ich klage an

Hanne Reiner, Berlin

Emile Zolas offener Brief an Staatspräsident Faure gilt bis heute als eine der größten publizistischen Sensationen des 19. Jahrhunderts. Der am 13. Januar 1898 in der neuen Literaturzeitschrift L’Aurore erschienene Beitrag ist dabei nur der „Endpunkt“ einer ganzen Reihe von Beiträgen in Zeitungen und Broschüren zur „Dreyfus-Affäre“,[1] mit welchen Zola sich gegen den Justizskandal und den zunehmenden Antisemitismus wendete. Innerhalb weniger Stunden wurden 200 000 Exemplare der Zeitung verkauft, innerhalb von zwei Tagen waren es 300 000.

Zola beschreibt in dem langen Artikel ausführlich Personen und Methoden sowie die Verstrickung von Kriegsministerium und Kriegsgericht, die zur Verurteilung des Alfred Dreyfus’ und seiner Verbannung auf die Teufelsinsel führten sowie über den rechtsbeugenden Freispruch für M.C.F. Walsin-Esterházy. Seine präzise Recherche mündet in mutige Anklagen, von denen wir einige zitieren:

„Ich klage den General Billot an, … sich dieses Verbrechens schwerer Verletzung der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit schuldig gemacht zu haben …“

„Ich klage das Kriegsministerium an, in der Presse … eine abscheuliche Kampagne geführt zu haben, um die öffentliche Meinung in die Irre zu führen und seine eigenen Fehler zu verdecken.“

„Ich klage endlich das erste Kriegsgericht an, das Recht vergewaltigt zu haben, in dem es einen Angeklagten auf ein geheim gebliebenes Schriftstück hin verurteilte, und ich klage das zweite Kriegsgericht an, diese Rechtsverletzung gedeckt zu haben, indem es seinerseits das Rechtsverbrechen beging, wissentlich einen Schuldigen frei zu sprechen.“

Er schloss den Brief mit den Worten: „… weiß ich sehr wohl, dass ich mich vor den Artikeln 30 und 31 des Pressegesetzes vom 29. Juli 1881 … verantwortlich mache …“[2] und folgerichtig wurde gegen ihn und den Herausgeber G. Clemenceau ein Gerichtsverfahren eingeleitet, das mit einer Verurteilung endete. Zola floh nach London, kam aber nach knapp einem Jahr aufgrund seiner Begnadigung wieder zurück.

Nicht nur die Unterstützer Dreyfus‘ nutzten die ausgeprägte Pressefreiheit Frankreichs. Antisemitische, klerikale, monarchistische und militaristische Kräfte nutzen sie zu bewussten Verleumdungen und druckten Sensationsmeldungen auf Kosten der Wahrheit. Französische Zeitungen finanzierten sich damals nur zu einem geringen Grad über Werbung, daher waren Sensationsmeldungen der Hebel für hohe Auflagen. Zolas Artikel war ebenfalls eine Sensation, allerdings eine, die auf Fakten beruhte.

Die Mehrheit der Historiker urteilt heute, dass die Presse sowohl zu Beginn der Affäre wie auch am Ende die entscheidende Rolle spielte. [3]

Anmerkungen und Quellen: [1] Als Dreyfus-Affäre bezeichnet man die Verurteilung des französischen Artillerie-Hauptmanns Alfred Dreyfus 1894 durch ein Kriegsgericht in Paris wegen angeblichen Landesverrats zugunsten des Deutschen Kaiserreichs und die dadurch ausgelösten, sich über Jahre hinziehenden öffentlichen Auseinandersetzungen und weiteren Gerichtsverfahren. Die Verurteilung des aus dem Elsass stammenden jüdischen Offiziers basierte auf rechtswidrigen [teils gefälschten] Beweisen und zweifelhaften Handschriftengutachten. Die Affäre „endete“ erst am 19.9.1899 mit der Begnadigung Dreyfus’. Sie wurde Ausgangspunkt für Philosophen und Literaten wie z.B. Anatole France, Marcel Proust, Franz Kafka, Hannah Arendt und natürlich Emile Zola [* 1840 , † 1902] selbst. [2] Vgl.: Pirntke, Gunter: Justice oder J’accuse …! Gerechtigkeit oder Ich klage an!, Brokatbook Verlag 2015 [3] Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Dreyfus-Affäre

03

Die Entwicklung von Literatur, Presse und Journalismus im Frankreich des 19. Jahrhundert

Matthias Paykowski, Karlsruhe

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts weicht die handwerkliche Herstellung des Buches zunehmend der industriellen Fertigung. Die industrielle Herstellung des Buches trägt auch zum Durchbruch des neuen Mediums bei: der Tagespresse. Auflagen wachsen: bei den Pariser Tageszeitungen steigt die Auflage von etwa 36000 Exemplaren am Anfang auf eine Million zum Ende des 19. Jahrhunderts.

Exakt im Jahr 1800 wird im Journal des débats in der unteren Hälfte der Zeitschrift ein Abschnitt durch eine Trennlinie vom Rest der Seite abgehoben und für Artikel über Theater und Belletristik reserviert. Damit ist die Rubrik Feuilleton geboren, sie wird von nahezu allen bedeutenden Zeitungen übernommen und entwickelt sich zum Spiegel unterschiedlichster Facetten des kulturellen und sozialen Lebens. Hier kann auch Kritik der Zensur entzogen werden und Opposition gegen das politische Regime zu Wort kommen.

Zwei 1836 neu gegründete Presseorgane, La Presse und Le Siècle senken massiv die Preise der Abonnements auf die Hälfte und führen die schon in England erprobte Ausweitung des Platzes für Werbung und Reklame ein, um eine Ausdehnung ihrer Leserquote zu erreichen. Vor allem aber beginnen die Tageszeitungen im Feuilleton Romane abzudrucken. Fast alle bekannten französischen Schriftsteller der damaligen Zeit schreiben Fortsetzungsromane in den Feuilletons der Tageszeitungen und die Auflagen steigen rasant! Die Geschichte der Presse ist in Frankreich auf besondere Weise mit der Geschichte der Literatur verbunden, die Einführung des Feuilleton und des Romans in den Zeitungen intensiviert und beeinflusst die Beziehungen zwischen Literatur und Presse.

Die Tageszeitung wird in Frankreich zum charakteristischen Organ, und der Erscheinungsrhythmus diszipliniert nicht nur Journalisten und Autoren, das tägliche Erscheinen verändert den Zeitrhythmus des ganzen Landes: was bisher an Jahreszeiten und Kirchenjahr orientierte, wird vom Rhythmus der Tageszeitung überlagert. Das tägliche Lesen des Romans im Feuilleton der Zeitung wird zum sozialen Ereignis, ermöglicht auch nicht vermögenden Schichten zu lesen.

Quellenhinweis: Ausführlich dazu der sehr lesenswerte Aufsatz von Joseph Jurt, Das Jahrhundert der Presse und der Literatur in Frankreich. Erschienen in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, Jg. 38 (2) 2013. S.255–280 – Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Im Internet zu finden: https://freidok.uni-freiburg.de/dnb/download/9356

Abb. (nur im PDF): Druckpresse