Aus Politische Berichte Nr. 3/2018, S. 03 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Weiter heftige Kämpfe um Afrin

Dok: 47-Tage-Bilanz der QSD

Rudolf Bürgel, Karlsruhe

Seit Mitte Januar dauert der Angriffskrieg der türkischen Armee gegen das nordsyrische Afrin an. Die dortigen Verteidigungskräfte haben bisher den Angriffen der Allianz von türkischer Armee und islamistischen Verbänden widerstanden. Aber pausenlos zerstört die türkische Armee mit Artillerie- und Raketenbeschuss sowie Luftangriffen die Infrastruktur, Krankenhäuser, Trinkwasseranlagen, Schulen, Moscheen usw. Zunehmend werden Wohngebiete der Stadt Afrin bombardiert und mehrere Dörfer völlig zerstört. Die von den UN beschlossene Feuerpause für Syrien wird von der türkischen Armee nicht eingehalten. Am 7. März haben die Demokratischen Verteidigungskräfte Rojavas (QSD) eine Bilanz veröffentlicht (siehe Dokumentation).

Afrin und damit Rojava befinden sich in einer schwierigen Gemengelage. Ebenso wie Russland und die USA ihren Einfluss in Syrien erhalten wollen, sieht Erdogan die Türkei als rechtmäßige Erbin Nordsyriens. Er hört nicht auf zu betonen, dass der Lausanner Vertrag mit der Grenzziehung im Mittleren Osten revidiert werden muss und verspricht seinen Anhängern die Annexion Nordsyriens.

Die YPG fordert von der russischen Regierung, die Öffnung des Luftraums über Afrin für die Türkei zu widerrufen. „Bekanntlich steht der Luftraum über Efrîn unter russischer Kontrolle. Wir rufen Russland auf, angesichts der Massaker und der Zerstörung von Dörfern und Städten die Entscheidung, den Luftraum über Efrîn für die Türkei zu öffnen, zu revidieren.“ (ANF, 7.3.2018)

Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags hat in einer Anfrage des Linke-MdB Alexander Neu „erhebliche Zweifel“ an der völkerrechtlichen Rechtmäßigkeit des Angriffs der Türkei auf Afrin: „Konkretere Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des militärischen Vorgehens der Türkei ergeben sich jedoch im Hinblick auf Umfang, Ziele und Dauer des militärischen Vorgehens der Türkei in Nordsyrien. Insbesondere das militärische Verfolgen der erklärten geostrategischen Ziele der Türkei – nämlich das kurdische Einflussgebiet südlich der türkischen Grenze einzudämmen, die Entstehung eines kurdischen de facto-Regimes zu verhindern und den eigenen Einflussbereich auszuweiten – gehen über ein strikt am Gedanken der Selbstverteidigung ausgerichtetes militärisches Handeln hinaus, da sie zu einer dauerhaften Veränderung von Strukturen und Einflusszonen auf fremdem Staatsterritorium führen können.“ Und weiter: „Den Nato-Bündnispartnern würde es nun obliegen, das Nato-Mitglied Türkei z.B. im Rahmen von Nato-Konsultationen nach Art. 4 Nato-Vertrag aufzufordern, triftige Beweise für das Vorliegen einer Selbstverteidigungslage nach Art. 51 VN-Charta beizubringen und von einer Weiterverfolgung der militärstrategischen Ziele in Nordsyrien Abstand zu nehmen. In diesem Zusammenhang könnte die Türkei an ihre Verpflichtung aus Art. 1 Nato-Vertrag erinnert werden, sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind.“ [1]

Schon im Januar hatte die Direktorin des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, Anne Peters, erklärt: „Ein Staat darf nicht mit Gewalt in das Gebiet eines anderen Staates eindringen. Wenn also die Türkei militärisch in Syrien aktiv wird, bedarf das einer besonderen Rechtfertigung, sonst ist das völkerrechtswidrig“. (FAZ, 23.1.2018)

Der jetzt wohl abgelöste Außenminister Gabriel traf sich erst vor wenigen Tagen zum wiederholten Male mit dem türkischen Amtskollegen. Betont wurden auf diesen Treffen immer die Normalisierung der Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei. Und als ein Ergebnis wurden regelmäßig die Repressionsmaßnahmen in Deutschland gegen die kurdischen Vereine weiter verschärft.

Nach der Auflösung der Kölner Antikriegsdemonstration wurden in mehreren Städten Demonstrationsverbote erlassen. Die Verfahren wegen Zeigens von Symbolen der PYD und YPG gehen in die Hunderte. Jetzt haben die Behörden auch die zentrale Newrozfeier in Hannover untersagt. In Neuss wurde zwei Tage lang der kurdische Mezopotamien-Verlag durchsucht und am ersten Tag schon vier Lkw-Ladungen Material beschlagnahmt. In mehreren Bundesländern fanden Durchsuchungen statt, darunter die Büroräume des Landesverbands der Linksjugend Thüringen wegen eines Facebook-Posting zur Ankündigung einer zugelassenen und öffentlichen Veranstaltung eines kurdischen Vereins.

Der Angriffskrieg gegen Afrin könnte ohne die deutschen Waffen nicht durchgeführt werden. Die Haltung der Bundesregierung wirft ein Schlaglicht auf die Erosion des internationalen Menschen- und Völkerrechts. Dass sich Bundes- und Landesbehörden zur Repression gegen die Antikriegsproteste hinreißen lassen kann auch nur durch die Komplizenschaft der Bundesregierung mit der türkischen Regierung erklärt werden. Die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes zur Überwachung des syrischen Luftraums trägt nicht zur Befriedung bei. Eher steht zu befürchten, dass die türkische Armee Aufklärungsmaterial für ihre Angriffe auf Afrin benutzt. Diese militärische und politische Komplizenschaft mit der türkischen Regierung muss beendet, die Proteste dagegen müssen unterstützt werden.

1 Wissenschaftliche Dienste, Deutscher Bundestag: Völkerrechtliche Bewertung der „Operation Olivenzweig“ der Türkei gegen die kurdische YPG in Nordsyrien, 2018, https://www.linksfraktion.de/fileadmin/user_upload/PDF_Dokumente/WD_2-3000-023_18_Operation_Olivenzweig_TUR_Syrien.pdf, Hervorhebungen sind vom Wissenschaftlichen Dienst)

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Dok: 47-Tage-Bilanz der QSD

1. Gefallene unserer Reihen: Im heldenhaften Widerstand gegen die Aggressoren sind 283 Kämpferinnen und Kämpfer gefallen. Die Gefallenen sind mit offiziellen Zeremonien beigesetzt worden.

2. Feindliche Tote: Bei Aktionen unserer Kräfte sind 1588 türkische Soldaten und Terroristen getötet worden. Diese Anzahl ergibt sich aus den sicher festgestellten Leichen.

3. Luftangriffe: Kampfjets der türkischen Luftwaffe haben 1026 Luftangriffe auf zivile Siedlungsgebiete durchgeführt.

4. Hubschrauber-Angriffe: Die feindlichen Kräfte haben 56 Angriffe mittels Kampfhubschraubern durchgeführt. Alle Angriffe richteten sich gegen zivile Siedlungsgebiete.

5. Angriffe mit schweren Waffen: Der türkische Besatzerstaat und seine Terrorgruppen haben die Region 3307 Mal mit Panzern und schweren Waffen unter Beschuss gesetzt.

6. Nahkämpfe: Unsere Kräfte sind 643 in Nahkämpfe getreten, die zu gesicherten Ergebnissen geführt haben. Bei 176 Nahkämpfen waren keine gesicherten Ergebnisse zu verzeichnen.

7. Abgeschossene Flugkörper: Unsere Kräfte haben seit Beginn der Angriffe zwei Hubschrauber vom Typ Kobra und einen vom Typ Sikorsky abgeschossen. Außerdem wurden zwei Aufklärungsdrohnen abgeschossen, davon eine vom Typ Bayraktar. Ein weiterer Hubschrauber der Besatzerarmee ist beschädigt worden.

8. Zerstörte Panzer: Unsere Kräfte haben 96 Kampffahrzeuge zerstört, darunter Panzer und Militärfahrzeuge. 32 Kampffahrzeuge wurden beschädigt.