Aus Politische Berichte Nr. 3/2018, S. 04 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Regierung und Opposition zugleich? Die Aufstellung der SPD

Dok: Oppositionsparteien zum Koalitionsvertrag

01 Linke: SPD-Führung beschränkt sich auf die Simulation eines Neuanfangs.

02 Grüne: Koalitionsvertrag ist Frickelwerk.

03 FDP: Positiv überrascht.

Martin Fochler, München, Alfred Küstler, Stuttgart

Die Beteiligung der Mitgliedschaft der SPD an der Abstimmung über den Eintritt der SPD in einer Regierungskoalition mit CDU und CSU war mit (78,4%) hoch, die Zustimmung mit (66%) deutlich. Vor dem Hintergrund der letzten Koalitionsvereinbarung – Stichwort unerfüllte Versprechungen – ist damit eine neue Konfliktstruktur gegeben. Die Partei wird sich aufgerufen sehen, über die Einhaltung des neuen Vertragswerks zu wachen. Damit wird eine Konfliktlinie zwischen Regierung und Parlament herausgearbeitet.

Dem trägt die SPD Rechnung, wenn sie die Fraktionsvorsitzende Nahles zur Parteivorsitzenden wählt. Die Partei kann gegenüber der Regierung fordernd auftreten und gegenüber den sozialen und kritischen Initiativen in der Gesellschaft als verständnisvoller Ansprechpartner. In der parlamentarischen Arbeit kann sie ausloten, welche Verbindungen zu anderen Oppositionsparteien sachlich möglich sind. Es ist ein Prozess denkbar, der zur Formulierung neuer Ziele und neuer Mehrheiten führt. Das kann sich, wenn, dann in der öffentlichen Meinung abspielen, und damit es sich abspielt, muss die parlamentarische Politik sehr sachlich fundiert und an die Öffentlichkeit gewendet herausarbeiten, was unter den gegebenen Mehrheitsverhältnisse möglich ist und wozu konkret eine Mehrheit links von der Mitte nötig wäre.

Die Befassung von Hundertausenden mit dem Koalitionsvertrag ist ein schwerwiegender politischer Faktor, zu dem sich die anderen Parteien verhalten müssen. Dies trifft insbesondere die Grünen und die Linken. Die Grünen zeigen im Bund, in den Ländern und in der Kommunalpolitik eine starke Affinität zu Bündnissen mit der Union. Eine Voraussetzung dafür sind kulturelle Öffnungsprozesse, die in den Unionsparteien spürbar sind. Eine andere Vermutung, dass die immer noch ungelösten Probleme der Energiewende – Netzstabilität – sich am ehesten in einem Bündnis mit der Union angehen lassen. Schon bei den Jamaika-Verhandlungen war erkennbar, dass die Grünen sich die Option einer Verschiebung von Mitte-Rechts nach Mitte-Links nicht vollends verbauen wollten.

Wie wird sich die Beziehung zwischen der SPD und der Linken entwickeln? Die letzten Wahlen belegen, dass die Linke Wählerinnen und Wähler aus der jüngeren Generation anzieht, die Wert auf eine Kritik der vorfindlichen Zustände legen und dem bei der SPD und den Grünen doch rechtlich deutlichen Trend, sich im Status-Quo einzurichten, während die SPD-Wählerschaft eine Gesellschaftskritik, die sich von der Lösung lösbarer Fragen entfernt, bestenfalls als Jugendsünde durchgehen lässt. Diese Einstellungen überschneiden sich, aber für die in nächster Zeit anstehenden Wahlen blieben beiden Parteien neben der Konkurrenz um dieselben Leute also auch spezifische Möglichkeiten der Mobilisierung.

Die Linke plagt sich mit der Aufgabe, die im moralischen Empfinden der Einzelnen und in einer Vielzahl zivilgesellschaftlicher Initiativen fest verankerte Kritik an Armut, Nichtentwicklung und militarisierter Außen- und Innenpolitik zur Formulierung politischer Strategien zu nutzen. Sie teilt diesen Mangel mit der SPD und den Grünen und so lange solche Mängel unbestreitbar sind, kann es zu einer Mehrheitsbildung links von der Mitte nicht kommen. Mehr noch, es bleibt und wächst die Gefahr einer Mehrheit weit rechts von der Mitte.

Es wird viel davon geredet, dass die Flucht- und Migrationsbewegungen in den Zielländern und somit auch in der BRD nationalistische Abwehrreaktionen auslösen. Diese gesellschaftliche Strömung gibt es, sie stößt aber auch auf wirkungsvolle und sehr gut begründete Ablehnung. Viel schwieriger ist die Kritik an nationalistischen Strategien, die analog zu der Amerika-first-Bewegung die internationalen Beziehungen gestalten wollen.

Dok: Oppositionsparteien zum Koalitionsvertrag

01

Linke: SPD-Führung beschränkt sich auf die Simulation eines Neuanfangs. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch fordert einen grundsätzlichen Wechsel im Sozialsystem, damit in puncto Kinderarmut „die Mittel auch dort hinkommen“, wo sie gebraucht werden. Das sagt er im Bericht aus Berlin. Erreichen wollen das die Linken durch eine Kindergrundsicherung. (11.3.) • Zur Präsentation der SPD-Minister erklärt Bernd Riexinger, Vorsitzender der Partei Die Linke: Mit der Besetzung der Schlüsselministerien Finanzen und Arbeit durch ausgewiesene Vertreter der alten Agenda 2010-SPD beschränkt sich die SPD-Führung auf die Simulation eines Neuanfangs. Daran kann auch die Aufbruchs-Kosmetik durch teilweise überraschende Neuzugänge nichts ändern. Olaf Scholz und Hubertus Heil stehen für die unrühmliche Vergangenheit der SPD. Scholz steht mit seinem Eintreten für eine Haushaltspolitik der schwarzen Null und gegen eine Vermögenssteuer für eine Fortsetzung des Kurses in die falsche Richtung. Der designierte Arbeitsminister Huberts Heil ist kein Angebot an Beschäftigte und Gewerkschaften. (5.3.)

(www.die-linke.de)

02

Grüne: Koalitionsvertrag ist Frickelwerk. An einigen Stellen im Vertrag würden Einzelprobleme richtigerweise gelöst – zum Beispiel bei der Finanzierung der Bildung. Viele Einigungen der Großen Koalition seien aber nur Pflaster, die nicht heilen.Robert Habeck: „In dem Sinn ist der Koalitionsvertrag Frickelwerk. Er antwortet nicht auf das, was in der Gesellschaft los ist und an grundlegenden Veränderungen auf uns zukommt.“ Der Klimaschutz als zentrale Zukunftsaufgabe komme faktisch nicht vor. Darüber könne auch das Bisschen mehr an erneuerbaren Energien nicht hinwegtäuschen. Neben der Klimapolitik berge auch die Sozialpolitik eine große Leerstelle: „Eine der größten Ungerechtigkeiten ist die versteckte Kinderarmut.“ findet Annalena Baerbock. Kinderarmut zementiere ganze Lebenswege. Die Erhöhung von Kindergeld und Kinderzuschlag für gering verdienende Familien löse das Problem nicht. Baerbock weiter: „Um Kinder wirklich aus der Armut zu holen, brauchen wir eine Kindergrundsicherung.“ (5.3.) (www.gruene.de)

03

FDP: Positiv überrascht. „Das Klimaziel 2020 ist physikalisch in Deutschland nicht erreichbar“, sagt FDP-Vorsitzender Christian Lindner. Deswegen schätzt er die „realistischen“ Klimavorhaben der GroKo als positiv ein. Ihn besorge allerdings die politische Methode der Klimapolitik: „Fahrverbote, Quoten oder der Aktionismus beim Ausbau der erneuerbaren Energien“. (ARD, Bericht aus Berlin, 11.3.) • Christian Lindner: „Ich gehe aber davon aus, dass in den nächsten Jahren der Druck auf die Große Koalition größer wird, von den ursprünglichen Vorhaben abzuweichen. Ich halte eine Steuerreform für unverzichtbar. Bürger und Betriebe müssen entlastet werden. Auch in der Frage des Freihandels erwarte ich eine Veränderung. Und drittens: Dass wir ein Heimatministerium statt eines Digitalisierungsministeriums erhalten, wird in den nächsten Jahren ein drängendes Problem werden.“

(Handelsblatt-Interview, 5.3.)