Aus Politische Berichte Nr. 3/2018, S. 05 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Spitzenverbände der Wirtschaft zum Koalitionsvertrag

DOK: Wirtschaftsverbände: „Deutschland zusammenhalten. Modernisieren. Sicherheit geben.“

Christoph Cornides, Mannheim, Rüdiger Lötzer, Berlin

In einer gemeinsamen Erklärung zum Gespräch mit Angela Merkel vom 9.3.2018 veröffentlichen die Spitzenverbände von Konzernen und Mittelstand ihre Forderungen zur Umsetzung des Koalitionsvertrages. (Die vier „Spitzenverbände“ sind: BDA, deutsche Arbeitgeberverbände; BDI, Bundesverband der Deutschen Industrie; DIHK, Deutscher Industrie- und Handelskammertag und der Zentralverband des Deutschen Handwerks). Ihre Generalanforderung zum Koalitionsvertrag und zu seiner praktischen Umsetzung ist, „die Politik“ müsse „… der Leitlinie folgen: Deutschland zusammenhalten. Modernisieren. Sicherheit geben.“

Die Verbände bestätigen also den Grundtenor des Koalitionsvertrages, dringen aber – aufgabengemäß, könnte man sagen – auf stärkere Berücksichtigung der Interessen der Wirtschaft in deren Umsetzung und im Detail. Denn, es sei „… irritierend, wenn mit dem Koalitionsvertrag mehr Erschwernisse und mehr Belastung auf Unternehmen und Betriebe zukommen, statt Flexibilität und Erleichterung“. Dazu DIHK-Präsident Eric Schweitzer: „Konkret erwarten wir, dass auch die Unternehmen bei den Steuern spürbar entlastet werden, um im internationalen Wettbewerb um Investitionen nicht zurückzufallen. Ich wünsche mir, dass die künftige Regierung in der praktischen Arbeit als Team zusammenwächst und unsere wirtschaftliche Zukunft mutiger angeht, als es nach dem Wortlaut des Koalitionsvertrages aussieht.“ (Handelsblatt, 4.3.2018) Man setzt also auf die Einflussnahme bei der Umsetzung für das Ziel tatsächlicher Steuersenkungen und der Verhinderung einer Erhöhung der Sozialabgaben für die Unternehmensseite. Der „Gesamtsozialversicherungsbeitrag“ (Arbeitgeber und Arbeitnehmeranteil) dürfe eine 40%-Marke nicht überschreiten und im Arbeitsrecht wird eine „… gesetzliche Öffnungsklauseln für die Tarifpartner – insbesondere für die Ausgestaltung der Arbeitszeit“ gefordert.

Die Forderung, „Steuerpolitik als Standortpolitik“ zu betreiben, deutet weitere verschärfte Konkurrenz des „Exportweltmeisters“ Deutschland insbesondere gegenüber wirtschaftlich schwächeren Ländern an. Gleichzeitig wird gegenüber der Wirtschaftsmacht USA und einer protektionistischen Handelspolitik Trumps Besorgnis wegen drohender Strafzölle und ein konkurrenzdämpfendes Eingreifen der EU und der zukünftigen Bundesregierung angemahnt.

Zustimmung lassen die Verbände beim „Zukunftsthema Bildung“ vernehmen. Hier fehlt allerdings ein Hinweis auf den erforderlichen Eigenbeitrag der Wirtschaft. Die duale Ausbildung ist in einer Krise. Notwendig sind u.a. mehr und bessere Ausbildungsangebote und bessere Bezahlung.

Zum Stichwort „Digitalisierung“, womit zwei zwar zusammenhängende, aber unterschiedliche Themen angesprochen sind, die Investitionen in die technische Infrastruktur (Netze) und die Automatisierung von Arbeitsabläufen und Kommunikationsvorgängen – fasst der IT-Verband Bitkom die Anforderungen kurz zusammen unter der Losung: „Digitalpolitik schnell umsetzen“ (Handelsblatt, 4.3.2018).

Zum Thema EU bestätigt die Erklärung scheinbar vollumfänglich den Kurs der Koalitionsvereinbarung. Aufmerksamkeit fordert allerdings der letzte Satz zu diesem Thema: „Unverzichtbar bleibt dabei die Wahrung der Einheit von Risiko und Haftung für alle Mitgliedstaaten“. Damit dürfte die Forderung gemeint sein, z.B. Griechenland weiter keine Schuldenstreichung oder -erleichterungen zu gewähren, obwohl von IWF, OECD immer wieder gefordert. Ob die neue Bundesregierung Schäubles Kurs der Gläubigerpolitik ohne Unterstützung wirtschaftlicher Entwicklung der schwächeren EU-Länder einfach fortsetzen kann, wird allerdings nicht nur von der nächsten Großen Koalition und der deutschen Wirtschaft abhängen.

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DOK: Wirtschaftsverbände: „Deutschland zusammenhalten. Modernisieren. Sicherheit geben.“

Wirtschaft und Gesellschaft befinden sich in einer Zeitenwende mit hoher Dynamik, Komplexität und Umwälzungen in vielen Lebensbereichen. Mehr denn je ist nachhaltiges politisches Handeln gefragt, das auf die Balance von Gegenwart und Zukunft ausgerichtet ist.

Die deutsche Wirtschaft ist sich darüber bewusst, dass gerade in Umbruchzeiten breite politische Kompromisse gefunden werden müssen. Dennoch ist es irritierend, wenn mit dem Koalitionsvertrag mehr Erschwernisse und mehr Belastung auf Unternehmen und Betriebe zukommen, statt Flexibilität und Erleichterung. Erst recht in Zeiten, in denen die globale Konkurrenz wächst, die Verunsicherung bei Bürgern, Betrieben und Unternehmen zunimmt und der demografische Wandel immer spürbarere Ausmaße annimmt. Von daher muss die Politik der Leitlinie folgen: Deutschland zusammenhalten. Modernisieren. Sicherheit geben.

Zu Recht wird das Zukunftsthema Bildung von der künftigen Bundesregierung großgeschrieben. Dazu müssen nach Auffassung der Deutschen Wirtschaft die Allianz für Aus- und Weiterbildung weiterentwickelt und der geplante Berufsbildungspakt analog zum Hochschulpakt mit ausreichenden Mitteln ausgestattet werden. Berufsorientierung sollte an allen Schulen verpflichtend stattfinden und die vielfältigen Chancen der beruflichen Bildung aufzeigen.

Die großen Herausforderungen, vor denen unser Land steht – wie der demografische Wandel, der Erhalt unserer Wettbewerbsfähigkeit im globalen Maßstab und die Digitalisierung –, erfordern den politischen Willen zu nachhaltigen und zukunftsgewandten Lösungen. Die deutsche Wirtschaft hätte sich hier in zentralen Politikfeldern mehr Mut gewünscht.

In der Sozialpolitik sind zukunftsorientierte und generationengerechte Weiterentwicklungen notwendig. Die Wirtschaft bekennt sich zum sozialen Zusammenhalt und zur Teilhabe in unserem Land. Ihre Leistungsfähigkeit kann sie aber nur dann dauerhaft sichern, wenn die Betriebe und Unternehmen nicht zusätzlich belastet werden. Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag darf auch langfristig die 40-Prozent-Marke nicht übersteigen.

Konstruktives Miteinander sollte auch Leitmotiv in der Arbeitsmarktpolitik sein. Unser Land braucht ein modernes Arbeitsrecht, das auf Tarifpartnerschaft setzt und passgenaue Regelungen vor Ort. Dazu gehören gesetzliche Öffnungsklauseln für die Tarifpartner – insbesondere für die Ausgestaltung der Arbeitszeit – sowie ein moderner Datenschutz.

Die deutsche Wirtschaft appelliert an die neue Bundesregierung, Steuerpolitik als Standortpolitik zu nutzen. In der aktuellen Lage reicht ein Verzicht auf Steuererhöhung nicht aus. Deutschland kann sich hier vom internationalen Wettbewerb um die besten Rahmenbedingungen für die Betriebe und Unternehmen nicht abkoppeln. Eine strukturelle Modernisierung der Unternehmensbesteuerung muss deshalb auf der Agenda bleiben. Ziel muss es sein, die Steuerbelastung der Unternehmen zu senken, Finanzierungs- und der Rechtsformneutralität herzustellen und Sonderbelastungen – wie die durch den Solidaritätszuschlag – so schnell wie möglich zu beseitigen.

Ein Schlüsselbereich für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ist die Digitalisierung. Da nahezu alle Politikbereiche davon betroffen sind, ist die Verortung der politischen Gesamtkoordination im Bundeskanzleramt ein wichtiger Schritt. Prioritär ist die deutliche Beschleunigung des flächendeckenden Glasfaserausbaus mit Gigabitnetzen. Daneben sind zentrale Elemente: die Sicherung fairen Wettbewerbs in der Plattformökonomie, die digitale Verwaltung, Gründungsförderung und ein entschlossenes gemeinsames Vorgehen bei der Cybersicherheit. In der Innovationspolitik sollten Schlüsseltechnologien im Rahmen einer ambitionierten Hightech-Strategie vorangetrieben werden. Die direkte Forschungsförderung muss zusätzlich um eine steuerliche Komponente ergänzt werden.

Deutschland muss weiterhin Wegbereiter in Sachen Klimaschutz und Energieeffizienz bleiben. Hier sind die Betriebe und Unternehmen auf verlässliche und passgenaue energie- und klimapolitische Rahmenbedingungen angewiesen. Dazu gehören wirtschaftlich vertretbare Kostenbedingungen, die Weiterentwicklung bestehender Förder- und Anreizmechanismen sowie Regulierungen mit Augenmaß.

Die nächste Bundesregierung muss wichtige Impulse für die Stärkung von Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Stabilität in der EU setzen. Strukturreformen in der Wirtschaft, die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion und die Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen bieten exzellente Chancen, Wachstum und Stabilität in der ganzen EU zu erhöhen. Unverzichtbar bleibt dabei die Wahrung der Einheit von Risiko und Haftung für alle Mitgliedstaaten.

Die deutsche Wirtschaft ist äußerst besorgt über die Entscheidung der US-Regierung, weitreichende Strafzölle zu verhängen. Um eine Spirale des Protektionismus abzuwenden, sind Bundesregierung und EU gefordert, für das Welthandelssystem weiterhin einzustehen.

BDA | DIE ARBEITGEBER Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände – BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. – DIHK | Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V. – Zentralverband des Deutschen Handwerks https://bdi.eu/#/artikel/news/gemeinsame-erklaerung-mit-bda-dihk-zdh-zum-muenchener-spitzengespraech/