Aus Politische Berichte Nr. 3/2018, S. 16 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Rechte Provokationen --- Demokratische Antworten

01 „Volksentscheid nach Schweizer Vorbild“ taugt nicht für Despotie. Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

02 Das Schweizer System der Volkssouveränität. Alfred Küstler, Stuttgart

dok: Redaktionsnotizen • Zusammenfassung: Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

03 Geldstrafe für rechtsradikale Sprechchöre von Fans des FC Energie Cottbus.

04 Eintracht-Präsident bleibt dabei: „Wer AfD wählt, kann bei uns kein Mitglied sein“.

05 „Düütschland word neet armer dör anner Spraken, Düütschland word rieker.“

06 Die bildungspolitische Position der AfD – eine Studie von Verdi und IGM.

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„Volksentscheid nach Schweizer Vorbild“ taugt nicht für Despotie

Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

Heimlicher Souverän in Deutschland sei eine machtvolle politische Oligarchie, die sich in den bestehenden Parteien ausgebildet habe, behauptet die AfD. Das deutsche Volk müsse wieder eigentlicher Souverän werden.[1] Volksvertreter ließen sich den grundgesetzlich garantierten Parlamentsvorbehalt für alle wichtigen Entscheidungen im Staat nehmen, das AfD-Paradebeispiel sind die „rechts- und verfassungswidrigen Entscheidungen zur Zuwanderung“, von den Parlamentariern klaglos hingenommen. Die Beendigung des „illegalen Zustands“ könne das Staatsvolk mit der unmittelbaren Demokratie nach Schweizer Vorbild bewirken.

Die AfD zielt auf Ausschluss bestimmter gesellschaftlicher Gruppen und Individuen, die nicht in ihr nationalistisch-rechtskonservatives Programm passen. Insofern kann „mehr Volksabstimmung statt Parteienmacht“ hier nicht bedeuten, dass demokratische Vielfalt gefördert werden soll. Sie knüpft mit der Forderung nach Volksentscheid an der gesellschaftlichen Kritik der parlamentarischen Demokratie an, in der die reale Politik vor allem die Interessen der Wirtschaft vertrete und hinter verschlossenen Türen stattfinde. Die fortschrittlich daher kommende AfD-Forderung nach direkter Demokratie zielt auf Entmachtung der Parteien, auf eine Diktatur. Beispielhaft in der Geschichte für das Aufgreifen eines Defizits von Demokratie mit dem Ziel und dem Ergebnis, eine autoritäre Herrschaft durchzusetzen, ist der Bonapartismus.

Andreas Wehr, Anmerkungen zu Domenico Losurdo, Demokratie oder Bonapartismus: „… Was geschah da 1850/51 Umwälzendes in Frankreich? In der Revolution von 1848 konnte das allgemeine Wahlrecht erneut erkämpft werden, wenn auch nur für Männer. Das Parlament schränkte dieses Recht anschließend wieder ein. Dies war die Stunde des Louis Napoleon Bonaparte. Der großbürgerliche und bis dahin politisch erfolglose Neffe des großen Napoleon stellte sich demonstrativ auf die Seite der erneut Entrechteten und gegen die liberalen Parteien. Berühmt wurde sein Aufruf vom 2. Dezember 1851, in dem er seinen Staatsstreich begründete: ,Wenn ihr Vertrauen in mich habt, so gebt mir die Mittel, um die große Aufgabe zu erfüllen, die ihr mir anvertraut habt: Ein verantwortliches Staatsoberhaupt, auf 10 Jahre gewählt; Minister, die nur von der exekutiven Gewalt abhängen und eine legislative Körperschaft (…), die durch allgemeines Wahlrecht zustande kommt, ohne Listenwahl, die die Wahlen verfälschen könnte.‘ Auf dieser Grundlage errichtete Napoleon III. seine Diktatur, die erst mit der Niederlage Frankreichs im Krieg mit Deutschland 1870 untergehen sollte.“

Thomas Wagner, Demokratie als Mogelpackung: „Gewollt ist ein Durchregieren von starker Hand. […] Sie (Rechtspopulisten) verfolgen eine plebiszitäre Strategie der Systemveränderung … Ziel ist die Auflösung der Gesellschaft in vereinzelte Individuen, die in einem direktem Verhältnis zu ihren Führern stehen. Die unteren Klassen sollen über keine schlagkräftigen Parteien, Gewerkschaften o.a. kollektive Möglichkeiten mehr verfügen …“

Die Schweiz hat eine lange auf Konsens der politischen Akteure ausgerichtete Tradition. Minderheitenschutz ist verfassungsmäßig als wichtiges Gut verankert. Die Präambel sagt schon viel dazu, welche Art Gesellschaft gestaltet werden soll: „Im Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken, im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben, … gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen … geben sich folgende Verfassung …“

Ziele wie kulturelle Vielfalt, Chancengleichheit, gegenseitige Rücksicht, eine friedliche, gerechte internationale Ordnung, (s. Art. 2), die Pflege verschiedener Landessprachen stehen im vollkommenen Gegensatz zu Programmpunkten der AfD wie z.B. Ablehnung der Antidiskriminierungsgesetze, Propagierung eines marktliberalen Wirtschaftsleitbilds und damit verbundener Zementierung von Arm und Reich, aktivierende Geburtenpolitik Deutscher und Abschiebung von Menschen aus anderen Herkunftsländern.

Die von der AfD geforderten Volksinitiativen gibt es in der Schweiz auf Gemeinde-, kantonaler oder Bundesebene. Die Inhalte der Gesetzesinitiativen werden aber kontrolliert und, wo nötig, durch das Parlament geändert. (siehe links: Das Schweizer System…) Zum Umsturz einer Demokratie und Verwandlung in einen autoritären Staat eignet sich dieses Modell kaum.

[1]„… Die Allmacht der Parteien und deren Ausbeutung des Staates gefährden unsere Demokratie. Diese ist auch Ursache der verbreiteten Politikverdrossenheit … sowie des Meinungsdiktats in allen öffentlichen Diskursen. Die Loyalität der Abgeordneten gilt eher den Parteivorständen als den Bürgern, in deren Auftrag sie in erster Linie zu handeln haben.“ (Programm der Alternative für Deutschland, Pkt. 1.7 – Kurzfassung)

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Das Schweizer System der Volkssouveränität

Alfred Küstler, Stuttgart

„Volksentscheide nach Schweizer Modell“, die AfD spekuliert darauf, dass bei den Adressaten dieser Parole über die Schweizer Demokratie nicht viel mehr bekannt ist, als dass der EU-Beitritt abgelehnt wurde und die Schweizer keine Ausländer wollen. Diese Spekulation auf Unkenntnis hat jetzt einen Dämpfer erhalten: Am 4. März haben die Schweizer mit deutlicher Mehrheit von über 71 Prozent die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abgelehnt. Es lohnt sich also genauer auf die direkte Demokratie in der Schweiz zu schauen.

Das Schweizer Volk ist keine Ethnie. Die AfD spricht vom Volk als Souverän und sieht das ethnisch, deutsche Sprache und deutsche Kultur. Auf diese Idee kommt in der Schweiz niemand. Die Schweizer sprechen von einer Willensnation, der Bund der verschiedenen Sprach- und Kulturregionen entwickelte sich im europäischen Umfeld, in Abgrenzung zu den mächtigen Nachbarn. Die Schweiz hat vier Staatssprachen. Sowohl die parlamentarische Vertretung als auch die Volksabstimmungen sind föderalistisch geprägt. Es gibt zwei direkt gewählte Kammern des Parlaments, den Nationalrat (Verhältniswahl) und den Ständerat (Mehrheitswahl durchs Volk, je zwei Vertreter pro Kanton). Gesetze müssen von beiden Kammern angenommen werden.

Bei den Volksentscheiden reicht es nicht aus, dass eine Mehrheit zustimmt (Volksmehr), es bedarf auch einer Mehrheit der 20 Kantone und 6 Halbkantone (Ständemehr). Dass Abstimmungen am Ständemehr scheitern, kommt zwar nicht häufig vor (zuletzt 2013, davor 1994); aber der Zwang, die föderalen Interessen zu berücksichtigen, zwingt schon im Vorfeld zu Verhandlungen und Kompromissen.

Konkordanz. Die Schweizer Regierung, der Bundesrat, unterscheidet sich stark von den in Europa sonst üblichen Regierungen. Der Bundesrat wird von den beiden Kammern gewählt, dabei sollen aber alle größeren Parteien, die in den Parlamenten vertreten sind, berücksichtigt werden. So besteht der jetzige Bundesrat aus Vertretern von vier Parteien (sozialdemokratisch, christlich, liberal und rechtskonservativ). Einen Kanzler, der die Richtlinien der Politik bestimmt, gibt es nicht, die Mitglieder sind kollegial gleichberechtigt.

Bei Gesetzgebungsverfahren ergreift entweder der Bundesrat die Initiative, es gibt aber auch Parlaments- oder Volksinitiativen. Das Verfahren beginnt mit der „Vernehmlassung“. Der Gesetzentwurf wird vorgestellt und über einen längeren Zeitraum können die Interessenverbände und sogar Einzelpersonen dazu Stellung nehmen. Zeigen sich unüberwindbare Widerstände, wird der Gesetzentwurf angepasst. Dann kommt das Gesetz in die parlamentarischen Kammern, kann dort verworfen werden, ein neuer Entwurf wird verlangt oder in die Vorlage eingetreten. Nach der Schlussabstimmung tritt das Gesetz in Kraft, außer es handelt sich um ein Gesetz, das zwingend einen Volksentscheid erfordert oder es wird ein fakultatives Referendum binnen 100 Tagen von 50 000 Stimmberechtigten oder acht Kantonen verlangt.

Die Volksentscheide finden zu jeweils vier im voraus bekannten Terminen im Jahr statt, das fördert die Sachauseinandersetzung und dämpft die kampagnenmäßige Stimmungsmache.

Probleme der direkten Demokratie. Die direkte Demokratie nach Schweizer Art löst nicht das Problem, dass supranationale Entscheidungen in Konflikt zu nationalen Verfahren geraten können. Beispiel: auf Initiative der rechtskonservativen SVP hat eine knappe Mehrheit in einer Volksabstimmung beschlossen, dass die Zuwanderung in die Schweiz national gesteuert werden soll. Die Verfassung wurde geändert, eine Umsetzung scheiterte aber daran, dass damit gegen den bilateralen Vertrag zwischen der Schweiz und der EU zur Personenfreizügig verstoßen würde und die EU erklärt hat, dass bei einem solchen Verstoß alle anderen bilateralen Verträge auch gekündigt würden.

Kein Rezept zum Nachkochen, aber anregend. Die Vorteile dieser Art direkter Demokratie für die multikulturelle Schweiz sind offensichtlich: ein Verfahren zum Zusammenleben wurde gefunden; allerdings schützt es nicht vor Versuchen, den gesellschaftlichen Konsens zu sprengen.

Direkte Demokratie als Mittel, Macht zu begrenzen, als Mittel, staatliches Handeln so zu steuern, dass es eine hohe Zustimmung finden kann, das wird nicht dadurch obsolet, dass die Rechtsnationalisten Volksabstimmungen als Mittel zur Eroberung der Macht gebrauchen wollen. Es kommt auf die Ausgestaltung an, da bietet die Schweiz Anregungen.

Zur Geschichte der Schweiz siehe auch: „Deutschsprachig, aber ganz anders“, PB 9/2010 und das Kalenderblatt „Die Schweizerische Bundesverfassung von 1848, PB 6/2016

dok: Redaktionsnotizen • Zusammenfassung: Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

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Geldstrafe für rechtsradikale Sprechchöre von Fans des FC Energie Cottbus. Cottbuser Fans hatten bei einem Regionalligaspiel von Pyrotechnik und Tumulten begleiteten Spiel zwischen FC Babelsberg 03 (Potsdam) und Energie Cottbus mehrfach den Hitlergruß gezeigt und dazu „Arbeit macht frei, Babelsberg 03“ skandiert. Der Fall landete vor dem Sportgericht. Dort wurde Babelsberg 03 wegen der Tumulte zu einer Strafzahlung verdonnert, wobei im Urteil auch noch erwähnt wurde, dass eine Person mit rotem Punkthaarschnitt die Energie Cottbus Fans „Nazisschweine raus“ zugerufen hätte. Die Nazi-Parolen wurden vom NOFV bislang nicht geächtet. Babelsberg 03 sperrt sich nicht gegen die Bezahlung einer Strafe wegen Abbrennens von Pyrotechnik, möchte aber erreichen, dass der NOFV das Engagement von Babelsberg 03 gegen Rassismus und Antisemitismus anerkennt. Inzwischen hat „das Bundesgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) den FC Energie Cottbus wegen zweier Fälle unsportlichen und diskriminierenden Verhaltens seiner Anhänger – u. a. rechtsradikale Sprechchöre und Gesten – zu einer Geldstrafe von 7000 Euro verurteilt.“

http://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/energie-cottbus-verliert-revision-7-000-euro-strafe-15470399.html, 27.2.18

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Eintracht-Präsident bleibt dabei: „Wer AfD wählt, kann bei uns kein Mitglied sein“. Ende Dezember 2017 hatte Peter Fischer, seit 2000 Eintracht-Frankfurt-Präsident, in den Medien für allgemeine Beachtung gesorgt, als er in einem Interview mit der FAZ feststellte: „Es kann niemand bei uns Mitglied sein, der die AfD wählt.“ Bei seiner Wiederwahl zum Präsidenten Ende Januar 2018 bekräftigte er diese Abgrenzung und begründete sie in seiner Bewerbungsrede. Vom Wachstum des Vereins auf 50 000 Mitglieder leitete er die „gesellschaftspolitische Verantwortung“ der Eintracht als größtem Sportclub Frankfurts ab. Zum Abschluss seiner Rede betonte er, er werde „nichts zurücknehmen“ von der Kritik an der AfD und bekam dafür großen Applaus. Zu Tumulten, wie zuvor von der Presse gemutmaßt, kam es nicht. AfD-Vertreter meldeten sich nicht zu Wort. Fischer wurde mit 648 von 654 Stimmen bei 7 Gegenstimmen wieder gewählt. Er begründete die Abgrenzung von der AfD aus Paragraf 14 der Eintrachtssatzung: „Der Ausschluss kann nur bei vereinsschädigendem Verhalten besonderer Schwere, insbesondere bei Fällen von Diskriminierung, Rassismus und Gewalt, erfolgen.“ Der Sorge, der Verein könnte in Zukunft „Gesinnungsprüfungen“ vornehmen, widersprach er. Er setzt auf Ehrlichkeit der Mitglieder zu sich selbst, die Werte und Ideale des Vereins nicht mit einer AfD-Mitgliedschaft vereinbaren zu können.

FAZ, 28.12.17: Eintracht-Präsident Fischer: „Wer AfD wählt, kann bei uns kein Mitglied sein“, Spiegel Online 28.1.18, FAZ 28.1.18

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„Düütschland word neet armer dör anner Spraken, Düütschland word rieker.“ (Deutschland wird durch andere Sprachen nicht ärmer, sondern reicher) antwortete auf Plattdeutsch der SPD-Bundestagsabgeordnete Johann Saathoff aus Emden dem AfD-Abgeordneten Stephan Brandner. Dieser hatte für die AfD-Fraktion im Bundestag den Antrag gestellt, Deutsch als Landessprache im Grundgesetz zu verankern. Die deutsche Sprache sei durch massive Zuwanderung, durch einen um sich greifenden Englischwahn in Gefahr, deutsche Behörden unterlägen dem von Migranten ausgehende Anpassungsdruck, sodass die Polizei schon auf Arabisch und Türkisch kommuniziere. Darauf reagierten Politiker der anderen Bundestagsfraktionen mit Hohn, Spott und Kostproben ihrer Heimatdialekte. Deutschland profitiere davon, dass wir in der Welt zusammenwachsen.

Handelsblatt, 2.3.18: Bundestagsdebatte: AfD-Antrag zur deutschen Sprache erntet Hohn und Spott.

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Die bildungspolitische Position der AfD – eine Studie von Verdi und IGM. Begleitet wurde die Studie von einem wissenschaftlichen Beirat, von Mitgliedern wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Forschungsbereiche verschiedener Universitäten sowie Vertretern der Bundesanstalt für Arbeit und dem Bundesinstitut für Berufsbildung. Sie setzen sich auf 30 Seiten mit den bildungspolitischen Positionen der AfD fundiert auseinander. Die Argumente der AfD werden mit aktuellen Forschungsergebnissen konfrontiert. Fazit der Studie ist: „Insgesamt muss festgestellt werden: Die bildungspolitischen Vorstellungen der AfD sind rückwärtsgewandt, wichtige Zukunftsthemen fehlen komplett. Die AfD hat keine Vorstellungen davon, wie sich Bildung zu aktuellen sozialen, politischen und technologischen Herausforderungen stellen soll und welche Möglichkeiten Bildungspolitik zur sozialen Gestaltung dieser Herausforderungen hat. Es gibt keine Aussagen zu Digitalisierung und Globalisierung, zum lebenslangen Lernen, zur Qualifizierung von Erwerbslosen u.a.m.“ Die Studie ermöglicht gut, sich mit dem Weltbild der AfD auseinanderzusetzen und dagegen zu argumentieren.

Argumente, Ausgabe 6/17. Auf dem Prüfstand: Die bildungspolitische Position der AfD. Hrsg.: Vorstände von Verdi und IGM. www.respekt.tv/materialien