Aus Politische Berichte Nr. 4/2018, S. 03 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Die irische Insel unter Hochspannung wegen des Brexits

Eva Detscher, Karlsruhe

30 Jahre blutige Auseinandersetzungen, mehr als 3000 Tote gingen dem 10. April 1998 voraus, an dem zwischen der Regierung der Republik Irland, der Regierung Großbritanniens und den Parteien in Nordirland das „Good Friday Agreement“ oder „Belfast-Agreement“ (Karfreitagsabkommen) geschlossen wurde. Der gleichzeitige Beitritt von Irland und Großbritannien zur EU am 1. Januar 1973 hatte überhaupt erst den Rahmen geschaffen für eine Einhegung des seit Jahrhunderten bestehende Konflikts. „Troubles“ werden die 30 Jahre der Bombenanschläge, britischen Militäreinsätze und blutigen Auseinandersetzungen genannt. Der im Prinzip seit dem 12. Jahrhundert bestehende Konflikt zwischen den „Unionists“ oder auch „Loyalists“ (für die Zugehörigkeit zur britischen Monarchie) und den „Nationalists“ (für den Widerstand gegen die britische Intervention) droht unter den Bedingungen des Brexits wieder an Bedeutung zu gewinnen. Es ist kein wirklich praktizierbarer Vorschlag in Sicht, der unter Rückführung Nordirlands in ein Gebiet außerhalb der EU nicht die Gefahr eines Wiederaufflammens der alten Befindlichkeiten in sich bergen würde.

Dies wurde auch auf einer Veranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung in Berlin im März diskutiert (die Veranstaltung wurde aufgezeichnet http://www.bpb.de/mediathek/267175/zurueck-in-die-zukunft). Brian Feeney, u.a. Leiter der historischen Abteilung des St Mary’s University College, Belfast, befürchtet eine totale Polarisation – nicht nur zwischen Nord und Süd, sondern auch innerhalb Nordirlands. Jede Einrichtung an einer inneririschen Grenze – ob Kamera, Schranke, Wachposten – würde angegriffen werden. Auch die anderen beiden Referentinnen – Dette Hughes, Vertreterin der Ost-Grenzregion Newry, und Dr. Katy Hayward, Queen’s University Belfast – waren sich einig: einen schwierigen und belastenden Grenzübertritt darf es nie mehr geben: heute überqueren viele Menschen täglich, manche mehrmals täglich, die Grenze, diese ist unsichtbar geworden. Von einer „giftigen Mischung“ sprechen sie, was der Brexit bedeuten würde. Dem hielt die wohl als Vertreterin der britischen Brexit-Position vorgesehene Victoria Hewson, Anwältin und Wissenschaftlerin, London entgegen: auch wenn sie unsichtbar sei, die Grenze exisitiere! Nach wie vor gäbe es „Preis- und Zollunterschiede“. Und die Probleme würden alle durch Technologie gelöst. Sie war mit diesem Standpunkt isoliert, denn die Liefer- und Produktionsketten des inneririschen Handels, der 87% des Gesamthandels ausmacht, sind so vielfältig und eine geräusch- und wartezeitlose Abwicklung an einer Grenze völlig ausgeschlossen beim gegenwärtigen Stand der Digitalisierung.

Der EU-Vorschlag, Nordirland in der Zollunion zu belassen und damit die Zollgrenze in die irische See zu verlegen, wird von der britischen Regierung nicht akzeptiert werden. 351 Tage vor dem Austritt Großbritanniens aus der EU ist es eine gute Nachricht, dass es wenigstens bis Ende 2020 eine Übergangsphase geben wird: „Während dieser Zeit wird das Vereinigte Königreich nicht mehr an der Entscheidungsfindung in der EU beteiligt sein. Trotzdem wird sie alle Vorteile des Binnenmarkts, der Zollunion und der europäischen Politik bewahren und verpflichtet sein, alle europäischen Regeln einzuhalten, wie es die Mitgliedstaaten tun“, erläuterte der EU-Chefunterhändler Barnier. Und: Man habe sich darauf geeinigt, dass in der Austrittsvereinbarung eine „Auffanglösung“ für die irische Grenze beinhaltet sein müsse, die, wie Barnier erklärte, „solange gelten wird, bis eine andere Lösung gefunden ist“.

Startbild des Videos der Bundeszentrale für politische Bildung über die Veranstaltung zu Brexit und Nordirland in Berlin im März: http://www.bpb.de/mediathek/267175/zurueck-in-die-zukunft