Aus Politische Berichte Nr. 4/2018, S. 04 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Einmischung gegen die deutsche Türkeipolitik tut Not

01 DOK: Ensemble für Afrin

02 DOK: Öcalan auf Imrali

03 DOK: Jusos an Außenminister Heiko Maas, 26.3.2018

Rudolf Bürgel, Karlsruhe

Das türkische AKP-Regime unter Präsident Erdogan strebt weiter nach der dauerhaften Besetzung und Einverleibung Nordsyriens und Nordiraks. Am 21. März erklärte Erdogan auf einer Sitzung mit AKP-Abgeordneten: „In den kommenden Tagen werden wir einen Gouverneur zuweisen sowie weitere Zuweisungen für die Lokalverwaltung vornehmen“. (hurriyet.com.tr/gundem/afrine-vali-40781395) In der Türkei gibt es 81 Provinzen mit jeweils einem Gouverneur. Nach der Besetzung der syrischen Enklave zwischen Kobane und Afrin wurde dort vor einem Jahr der erste Gouverneur außerhalb der Türkei eingesetzt, in Afrin nun der zweite. Somit erhöht sich die Provinzzahl der Türkei auf 83. Erdogan macht überhaupt keinen Hehl daraus, dass es ihm um die Annexion dieser Gebiete geht. In vielen Reden betonte er, dass die Türkei das Lausanner Abkommen aufgezwungen wurde. „Wir haben unsere derzeitigen Grenzen nicht freiwillig akzeptiert. Unsere Gründungsväter wurden außerhalb dieser Grenzen geboren.“ (zitiert nach Spiegel-online, 26.10.2017) Seine neo-osmanischen Bestrebungen lauten: Erst Nordsyrien von Afrin und Aleppo bis an die Grenze des Irak, dann bis Mossul und Kirkuk. Die entsprechenden Landkarten werden ständig im staatlichen türkischen Fernsehen gezeigt.

Dabei geht das türkische Regime ähnlich wie bei der Hatay-Besetzung 1938 vor: Erst als sogenannte Sicherheitskraft einrücken, dann mit der eigenen Bevölkerung besetzen und dann ein Referendum durchführen.

Über die Unterstützung der türkischen Armee mit Waffensystemen aller Art durch Lieferungen aus Deutschland zur Durchführung der Invasion in Syrien haben wir ausführlich berichtet. Die Freigabe der drei Milliarden Euro für syrische Flüchtlinge durch die EU ermöglicht der Erdogan-Regierung die Ansiedlung syrischer Flüchtlinge aus der Türkei und der Familien der mit der Türkei verbündeten dschihadistischen Kämpfer in Afrin und somit der Zementierung der Vertreibung der dort ansässigen Bevölkerung.

Nun wurde aber eine weitere Beteiligung Deutschlands an dem Krieg gegen die kurdische Selbstverwaltung bekannt. Die Bundesregierung fördert mit vielen Millionen Euro syrische Verbände, die gegen die kurdische Selbstverwaltung in Nordsyrien an der Seite der Türkei kämpfen. Das kam bei der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Linke-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke zum Thema „Antiterrorzusammenarbeit mit der Türkei vor dem Hintergrund türkischer Kooperation mit dschihadistischen Verbänden“ vom 27.2.2018 heraus. So wird die von den Muslimbruderschaften dominierte „Nationalkoalition syrischer Revolutions- und Oppositionskräfte“, die den Angriffskrieg der Türkei auf Afrin als „Befreiung“ unterstützt, mit 5,45 Millionen Euro gefördert. Auch Organisationen, die im von der Al-Qaida kontrollierten Gebiet Idlib agieren, bekommen Gelder. Mit zwölf Millionen Euro werden Hilfsprojekte im von der türkischen Armee besetzten Gebiet im Norden von Aleppo finanziert. In Gebieten, die von Dschihadisten kontrolliert werden, beteiligt sich die Bundesregierung mit fünf Millionen Euro an dem Unterhalt von Polizeistationen.

Als „unerträglich“ bezeichnete Ulla Jelpke diese Beteiligung Deutschlands an dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Türkei und der jetzt folgenden Annexion in Syrien.

Unerträglich ist auch das Vorgehen deutscher Behörden gegen die Proteste in Deutschland. In der letzten Woche wurde der kurdische Verein in Hannover durchsucht und vieles beschlagnahmt. Die ständige Bedrohung mit Verboten und Prozessen soll die Menschen hier einschüchtern. Umso erfreulicher ist es, dass ein Netzwerk von Kulturschaffenden aktiv geworden ist, dass Jusos und Falken gemeinsam mit dem kurdischen Dachverband Navdem in einem Brief an Außenminister Heiko Maas den Abzug der türkischen Armee aus Syrien fordern. Bitte unterstützt diese Aktivitäten.

Abb. Türkei, pol. Grenzen 1920, 2016

01

DOK: Ensemble für Afrin

In vielen Theatern in Deutschland, Österreich und der Schweiz wird seit dem 2. April ein Aufruf gegen Waffenlieferungen und für den Rückzug der türkischen Besatzungsarmee aus Afrin verlesen. 526 Kulturschaffende haben den Appell bisher unterschrieben:

„Wir rufen die Regierungen unserer Länder in Österreich, in Deutschland und in der Schweiz auf: die Waffenexporte zu stoppen, die kurdische Bevölkerung vor ethnischen Säuberungen zu schützen, den Demokratieprozess in den selbstverwalteten kurdischen Gebieten zu gewährleisten, den Abzug der türkischen Besatzungstruppen zu fordern und die Rückkehr der vertriebenen Bevölkerung zu begleiten…

http://ensemblefuerafrin.de/

02

DOK: Öcalan auf Imrali

Mandantenbesuch bei Öcalan zum 744. Mal abgelehnt. Die Rechtsanwälte Abdullah Öcalans haben zum 744. Mal einen Antrag bei der Staatsanwaltschaft gestellt, um ihren Mandanten besuchen zu können. Seit dem 27. Juli 2011 ist jeder Antrag von ihnen abgelehnt worden. Begründet wurde die Antragsablehnung erneut damit, dass dem Verurteilten „zwecks Durchführung von Sanktionen und Sicherheitsmaßnahmen nach Gesetz Nummer 5275“ Beschränkungen auferlegt worden seien. (Quelle ANF, 6.4.2018)

Öcalan: Ehrenbürger in zwei weiteren italienischen Gemeinden. Die Stadtverwaltungen von Castel del Giudice in der Provinz Isernia und von Castelbottaccio in der Provinz Campobasso in der italienischen Region Molise haben erklärt, Abdullah Öcalan die Ehrenbürgerwürde zu verleihen. Abdullah Öcalan ist damit Ehrenbürger von neun Gemeinden in Italien. Neben Castelbottaccio und Castel del Giudice sind das Palermo, Neapel, Palagonia, Reggio Emilia, Riace, Martano und Pinerolo. (Quelle: ANF, 4.4.2018)

Öcalans Fernseher konfisziert. Mustafa Karasu, Mitglied des Exekutivrates der KCK, teilte zur Lage auf der Gefängnisinsel Imrali mit, Abdullah Öcalan seien Fernseher und Radio weggenommen worden, nachdem die türkische Armee Efrîn eingenommen habe. Der türkische Staat habe ein Komitee nach Imrali gesandt, um den Widerstand in Efrîn zu beenden. Öcalan habe dieses Ansinnen aber abgelehnt. (Quelle: ANF, 3.4.2018)

03

DOK: Jusos an Außenminister Heiko Maas, 26.3.2018

Sehr geehrter Herr Bundesminister Maas, lieber Heiko, (…) Viele Abgeordnete aus SPD, Grünen, Linksfraktion, FDP und CDU haben öffentlich wie intern, in den Ausschüssen und im Plenum des Bundestages deutlich gemacht, dass der Angriff der Türkei auf Afrin völkerrechtswidrig ist. Und schließlich hat auch die Bundeskanzlerin das Vorgehen der Türkei in Syrien zwar nach langem Schweigen „scharf verurteilt“. Doch Taten bleiben weiterhin aus. Wir sind enttäuscht von der Zurückhaltung der Bundesregierung gegenüber dem Erdoğan-Regime in der Türkei und dem Angriff auf die demokratische Selbstverwaltung im Norden Syriens. Nicht nur bietet die Bundesregierung dem keinen Einhalt. Durch Deals mit Erdoğan, den Waffenlieferungen an die Türkei und der Kriminalisierung kurdischer AktivistInnen stützt sie faktisch die Voraussetzungen, unter denen die AKP und die Erdoğan-Regierung ihr Treiben fortsetzen können.

(…) Das von der türkischen Regierung und ihren SoldatInnen offen propagierte Ziel dieses Angriffs ist die Vertreibung der lokalen Bevölkerung aus ihrer Heimat. „Zuerst werden wir die Terroristen ausrotten, dann werden wir es dort lebenswert machen“, so beschrieb Tayyip Erdoğan sein Ziel, die in der Türkei lebenden SyrerInnen an Stelle der kurdischen Bevölkerung in Afrin anzusiedeln. Und er will nicht in Afrin stoppen, sein erklärtes Ziel ist vielmehr die „Säuberung Nordsyriens“ bis zur Grenze des Irak. Hinter dem Begriff „Säuberung“ verstehen wir den Aufruf zum Genozid an den in Nordsyrien lebenden Kurdinnen und Kurden. Wir fordern dich auf, auch im Rahmen der Vereinten Nationen eine Initiative zu starten, die das verhindert. Alle Möglichkeiten, bis hin zu BlauhelmsoldatInnen, sollten dafür auf den Tisch kommen.

Dabei geht es um weit mehr als nur einen weiteren, bedauernswerten Konflikt im Nahen Osten. Der Angriff der türkischen Armee auf Afrin ist vielmehr ein Angriff auf ein Symbol für Hoffnung auf Geschlechtergerechtigkeit und demokratische Werte – mitten in einer vom Krieg zerrissenen Region. Mit Entsetzen stellen wir nicht nur fest, dass die Bundesregierung weiterhin das Kriegsgerät für diesen Angriffskrieg liefert, sondern auch, dass die Repressionen gegen AktivistInnen und gegen Solidaritätsaktionen mit Afrin hierzulande neue Ausmaße erreichen. Das war unter anderem an den Repressionen gegen die kurdischen Demonstrationen in den vergangenen Wochen, z.B. in Hannover oder München, zu sehen. Erdoğan und die AKP haben in den vergangenen Jahren immer wieder härtere Repressionen gegen in Deutschland lebende KurdInnen und deren Selbstorganisationen verlangt. Dass kurdische Demonstrationen gegen den Angriffskrieg des Erdoğan-Krieges hierzulande nun unter Repressionen zu leiden haben, ist ein perfides Zeichen.

(…) Lieber Heiko Maas, wir rufen Dich deshalb dazu auf, ein klares Zeichen zu setzen, deutlich „Nein zur türkischen Aggression in den kurdischen Gebieten!“ zu sagen …

https://www.jusos.de/inhalte/offener-brief-nein-zur-tuerkischen-aggression-in-den-kurdischen-gebieten/