Aus Politische Berichte Nr. 4/2018, S. 14 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

THEMA Solidarisches Grundeinkommen

01 Einleitung - Thorsten Jannoff, Gelsenkirchen

02 Schluss mit Hartz IV? – Das „Solidarische Grundeinkommen“ wäre immerhin ein Anfang. Alexander Fischer, Mitglied der Linken und Staatssekretär für Arbeit und Soziales in Berlin

03 Gelsenkirchener Appell

04 Solidarisches Grundeinkommen – Hartz IV: DGB begrüßt Müllers Vorstoß

05 Neuausrichtung von Hartz IV: Paritätischer begrüßt die Initiative von Bundesarbeitsminister Heil

dok: Blick in die Presse - Solidarisches Grundeinkommen - Rosi Steffens, Langen

06 Warnung vor solidarischem Grundeinkommen.

07 Arbeitslose brauchen Arbeitsplätze, keine Parkplätze.

08 Das Märchen „sozialer Arbeitsmarkt“.

01

Einleitung - Thorsten Jannoff, Gelsenkirchen

M it der Forderung des Berliner Regierenden Bürgermeisters Michael Müller nach einem solidarischen Grundeinkommen, ist in die Diskussion um einen sozialen Arbeitsmarkt neuer Schwung gekommen. Bereits vor über fünf Jahren hat ein breites gesellschaftliches Bündnis bis in das konservative Lager, in der von Langzeitarbeitslosigkeit gebeutelten Stadt Gelsenkirchen, einen ähnlichen Vorstoß unternommen (s. PB 2010/12). Dieser „Gelsenkirchener Appell“ ist im Februar/März von den Akteuren noch einmal bekräftigt und modifiziert worden. So wird jetzt neu eine dauerhafte Beschäftigung für Langzeitarbeitslose gefordert, „wenn nötig bis zum Eintritt in das Rentenalter“. Damit wird anerkannt, dass die ebenso geforderte begleitende Qualifizierung für den 1. Arbeitsmarkt bei vielen Langzeitarbeitslosen nicht zum gewünschten Erfolg führen wird. Das ist eine deutliche Differenz zum NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann, der Beschäftigungsförderung nur zur Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt unterstützt. Viele Langzeitarbeitslose bleiben so außen vor. Ein dauerhafter sozialer Arbeitsmarkt wäre auch ein Unterschied zu den früheren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder dem Öffentlichen Beschäftigungssektor, den es einst unter Rot-Rot in Berlin gab. Auch Michael Müllers Vorschlag geht in diese Richtung. Kritiker befürchten einen Verdrängungswettbewerb zu Lasten privater Firmen. Um dem entgegen zu wirken, wird im „Gelsenkirchener Appell“ die „verfahrensmäßige Einbindung der Sozialpartner“ vorgeschlagen, damit diese auf Zusätzlichkeit der Arbeit und der Einhaltung des öffentlichen Interesses achten. Auch der Hinweis auf die gute Beschäftigungslage überzeugt nicht, denn diese geht an zu vielen Langzeitarbeitslosen vorbei. Menschen, die trotz aller möglichen Qualifizierungsmaßnahmen keine Chancen mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, brauchen trotzdem eine Perspektive.

02

Schluss mit Hartz IV? – Das „Solidarische Grundeinkommen“ wäre immerhin ein Anfang. Alexander Fischer, Mitglied der Linken und Staatssekretär für Arbeit und Soziales in Berlin

13 Jahre nach Inkrafttreten von Hartz IV fehlt dem Kernprojekt der Agenda 2010, wie Michael Müller feststellt, bis heute die gesellschaftliche Akzeptanz. Zu Recht spricht der Regierende Bürgermeister von einem „Makel“ für die Sozialdemokratie und gibt mit dem „Solidarischen Grundeinkommen“ einen Diskussionsanstoß, der explizit darauf gerichtet ist, Hartz IV auf mittlere Sicht abzuschaffen. Das Konzept stellt zwei Eckpfeiler von Hartz IV in Frage. Die Idee, Langzeiterwerbslosen ohne hohe Zugangsschranke eine auf längere Sicht angelegte öffentlich geförderte Beschäftigung anzubieten, räumt mit einer zentralen Lebenslüge von Hartz IV auf und beendet damit erstens die Verengung von Arbeitsmarktpolitik auf ein eng befristetes „Training on the Job“. Die Annahme eines Beschäftigungsangebots in dem so entstehenden sozialen Arbeitsmarkt soll freiwillig sein. Damit stünde zweitens das Zumutbarkeits- und Sanktionsregime von Hartz IV zumindest in Frage.

Anders als in rot-roten Zeiten gibt es nun in Berlin einen breiten Konsens in den Regierungsparteien über einen dauerhaft aufgestellten sozialen Arbeitsmarkt. Das eröffnet Möglichkeiten für progressive Politik. Niemand müsste Tätigkeiten erfinden. Das war übrigens auch im früheren Öffentlichen Beschäftigungssektor nicht der Fall. Berlin könnte einen großen praktischen Gewinn aus einem sozialen Arbeitsmarkt ziehen. Sozialmärkte, Integrationslots/innen, Kinderbetreuung außerhalb der Kita-Öffnungszeiten, vieles ist denkbar und notwendig, sofern den Kriterien Tarifbindung (der Mindestlohn muss die letzte Auffanglinie bleiben), Freiwilligkeit und Gemeinwohlorientierung zur Geltung verholfen wird. Wenn der Passiv-Aktiv-Transfer, den die GroKo im Bund verspricht, wirklich kommt, kann es in Berlin schnell losgehen.

Es wäre ein wichtiger Schritt voran, wenn Hartz IV einige Giftzähne verlieren würde. Ein Ende von Hartz IV ist das „Solidarische Grundeinkommen“ freilich nicht, solange der dritte zentrale Eckpfeiler unangetastet bleibt. Die Höhe der für Lebensunterhalt, Teilhabe und Wohnen zugestandenen Leistungen rechtfertigt bis heute die Aussage, dass Hartz IV Armut per Gesetz ist. Dennoch würde es in die Irre führen, dem „Solidarischen Grundeinkommen“ ein „Bedingungsloses Grundeinkommen“ als angeblich linkere Alternative gegenüber zu stellen. Die progressive Alternative zu einem Gesetz, das Niedriglöhne und Armut bringt, ist eine Politik, die gute Arbeit zu gerechten Löhnen fördert und die sozialen Lebensrisiken absichert, universell und inklusiv, aber eben nicht als bedingungsloses Grundeinkommen für alle in allen Lebenslagen. Der programmatische Fundus der Linken hält mit der sanktionsfreien Mindestsicherung und dem Konzept der öffentlich geförderten Beschäftigung belastbare Referenzpunkte für eine Debatte über das „Solidarische Grundeinkommen“ bereit.

03

Gelsenkirchener Appell

Die Unterzeichner richten an den Bund und das Land NRW den Appell, einen sozial ausgerichteten Arbeitsmarkt für dauerhaft nicht vermittelbare Arbeitslose zusammen mit den örtlichen Akteuren in Gelsenkirchen aufzubauen.

Unabhängig von der Konjunkturentwicklung finden viele Leistungsberechtigte des SGB II keine Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt. Zurzeit beziehen ca. 80 % der Arbeitslosen in Gelsenkirchen Arbeitslosengeld II über einen langen Zeitraum hin. Gründe hierfür sind: Vor allem fehlende Arbeitsplätze bei einer dauerhaft hohen Arbeitslosenquote, aber auch geringes Qualifizierungspotential, gesundheitliche und persönliche Einschränkungen.

Wir sehen uns in der lokalen gesellschaftlichen Verantwortung, diesen Menschen über einen „Sozialen Arbeitsmarkt“ eine sinnstiftende, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu geben, somit Teilhabe zu ermöglichen und damit wertschaffende Beiträge für die Stadtgesellschaft zu leisten. Das Recht auf Arbeit konkretisieren wir daher auch als Recht auf einen dauerhaften öffentlich geförderten Arbeitsmarkt. Dabei bleibt im Blick, dass durch aktivierende und qualifizierende Effekte ein Übergang in den ersten Arbeitsmarkt erfolgen kann und gefördert werden sollte.

Ziel ist die Schaffung von mindestens 1 000 zusätzlichen, dauerhaften und sozial ausgerichteten Arbeitsplätzen in Abhängigkeit von Förderbedingungen des Bundes und des Landes NRW mit einer Laufzeit wenn nötig bis zum Eintritt in das Rentenalter.

Im lokalen Konsens können Finanzierungsbeiträge aus dem Eingliederungstitel SGB II des Integrationscenters für Arbeit erfolgen. Hinzu könnten eingesparte kommunale Mittel für Kosten der Unterkunft und eingesparte Bundesmittel für Arbeitslosengeld II eingebracht werden. Daher ist es unerlässlich, für diesen „Passiv-Aktiv-Transfer“ die erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen durch ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren zu schaffen. Darüber hinaus bleibt eine Aufstockung der genannten Finanzierungsbeträge jedoch notwendig.

Der Appell richtet sich an die Verantwortlichen in Bund und Land, gemeinsam mit den Unterzeichnern Wege und Mittel zu finden, das Vorhaben zu verwirklichen. Gelsenkirchen ist aufgrund der dargestellten Bedingungen in besonderer Weise auf einen „Sozialen Arbeitsmarkt“ angewiesen. (…)

www.gelsenkirchen.de/de/_funktionsnavigation/presse/pressemeldungen/32876-gelsenkirchener-appell-2018

04

Solidarisches Grundeinkommen – Hartz IV: DGB begrüßt Müllers Vorstoß

„Schluss machen“ mit dem bisherigen Hartz-IV-System – das fordert Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller. Er schlägt ein „solidarisches Grundeinkommen“ mit sozialversicherungspflichtigen Jobs und regulärem Lohn vor. Müllers Vorschlag zeige Langzeitarbeitslosen Perspektiven auf, „weil er Wege in Arbeit eröffnet“, sagte DGB-Vorstand Annelie Buntenbach. „Teufelskreis durchbrechen“. „Für viele bedeutet Hartz IV nicht nur ein Leben in Armut, sondern ist auch eine Sackgasse statt ein Weg in den Arbeitsmarkt“, so Buntenbach. Wichtig sei aber bei der Umsetzung entsprechender Vorschläge, „dass es sich um gute Arbeit handelt: sozialversicherungspflichtig und tariflich bezahlt. Dabei muss die Autonomie der Menschen gestärkt werden, sie entscheiden selbst, wie es weitergeht.“ Wenn Müllers Vorschlag so umgesetzt werde, könnte der Teufelskreis von Entmutigung und Langzeitarbeitslosigkeit für viele durchbrochen werden.

www.dgb.de/

05

Neuausrichtung von Hartz IV: Paritätischer begrüßt die Initiative von Bundesarbeitsminister Heil

Der Paritätische Wohlfahrtsverband begrüßt das Vorhaben von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, den Koalitionsvertrag beim Wort zu nehmen und einen Sozialen Arbeitsmarkt für bis zu 150 000 Langzeitarbeitslose zu schaffen und darüber hinaus zu einer generellen Neuausrichtung der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu gelangen. Der Paritätische reagiert damit auf einen Gastbeitrag von Hubertus Heil in der FAZ.

„Wir haben hunderttausende langzeitarbeitslose Menschen, die kaum noch auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelbar sind. Es ist höchste Zeit, dass Politik auch für diese Menschen Perspektiven schafft. Da wo der erste Arbeitsmarkt keinen Platz bereithält, braucht es passgenaue Hilfen und öffentlich geförderte gute Beschäftigung. Es ist gut, dass der Arbeitsminister das jetzt anpackt“, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.

Die Pläne des Bundesarbeitsministers, bei der Schaffung eines Sozialen Arbeitsmarktes auf längerfristige sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse bei unterschiedlichen Arbeitgebern – von privat-gewerblichen über gemeinnützigen bis hin zu kommunalen Arbeitgebern – zu setzen, markierten einen Meilenstein. Der Paritätische wirbt seit vielen Jahren für solche Beschäftigungsangebote. Die vorgesehenen vier Milliarden Euro zur Förderung entsprechender Angebote für zunächst 150 000 Langzeitarbeitslose könnten zwar nur ein Einstieg sein. Nichtsdestotrotz sei es ein ganz wichtiger Schritt nach vorn.

http://www.der-paritaetische.de

Abb. Tabelle zur Arbeitslosigkeit

dok: Blick in die Presse - Solidarisches Grundeinkommen - Rosi Steffens, Langen

06

Warnung vor solidarischem Grundeinkommen. Zeit-online, Mi., 4.4.18. – „Es gibt arbeitsmarktpolitische Instrumente, die bei einer sorgfältigen Evaluation sehr wenig Wirkung zeigen“, sagt U. Walwei, Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. „Aber die schlechteste Bilanz … haben ABM.“ Solche Maßnahmen könnten allenfalls für Menschen sinnvoll sein, die schon viele Jahre arbeitslos seien, unter großen persönlichen Problemen litten und keine Aussicht auf eine normale Stelle hätten.“ „Aber die Gefahr ist, dass auch fittere Arbeitslose in solche Maßnahmen kommen, für sie ist das kontraproduktiv.“

07

Arbeitslose brauchen Arbeitsplätze, keine Parkplätze. www.verbaende.com. Pressemitteilung: Die Familienunternehmer. Die., 3.4.18. – Ziel sämtlicher Maßnahmen bei Langzeitarbeitslosen sollte immer die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt sein. Tätigkeiten in staatlicher Beschäftigung können schnell zur Sackgasse werden.

08

Das Märchen „sozialer Arbeitsmarkt“. FAZ, So., 1.4.18. – Es geht um Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit (ca. 800 000 Menschen). Vier Mrd. Euro zusätzlich soll es „für neue Chancen in einem sozialen Arbeitsmarkt für 150 000 Langzeitarbeitslose“ geben. Wer mehrere Jahre arbeitslos war, könne nicht von null auf hundert durchstarten, solle „gesellschaftlich relevante Tätigkeiten“ verrichten und „solidarisches (nicht „bedingungsloses) Grundeinkommen“ in Höhe des Mindestlohns von 8,84 Euro erhalten. Heils sozialer Arbeitsmarkt sei unter anderem Namen längst gescheitert. (Hartz-Reformen von Kanzler Schröder). Ziel des Sozialstaates solle sein, Bedürftige aus staatlicher Abhängigkeit zu befreien. Menschen, bei denen das nie gelingen wird, helfe man auch nicht, wenn man sie in eine schönfärberisch genannte Scheinwirtschaft namens „sozialer Arbeitsmarkt“ stecke. So viel Arbeit sei seit den goldenen Jahren des Wirtschaftswunders noch nie dagewesen, anders nach der Wiedervereinigung, als man den „dritten Sektor“ jenseits von privater und staatlicher Wirtschaft geschaffen, was jedoch z.B. viele Gartenbau- und Landschaftspflege-Firmen, ruiniert habe. Wer einigermaßen geistig und körperlich fit sei, fände eine bezahlte Beschäftigung. Dass die Wirtschaft von Heils Ideen aufgeschreckt einen Verdrängungswettbewerb im Handwerk kommen sähe, sei ernst zu nehmen.