Aus Politische Berichte Nr. 5/2018, S. 07 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Französisch-Polynesien: Frankreich hält an bisheriger Kolonialpolitik fest

01 info: Entkolonisierung ist nicht allein Sache der jeweiligen Kolonialmacht

Karl-Helmut Lechner, Norderstedt

Französisch-Polynesien liegt im Pazifik und hat eine Meeresfläche so groß wie Europa. Die Landfläche dagegen hat nur 4 000 qkm und verteilt sich auf 118 Inseln. Insgesamt leben dort etwa 250 000 Einwohner, wovon etwa 70% einheimische Maohi sind. Tahiti mit der Hauptstadt Papeete ist hierzulande wohl die bekannteste der Inseln. Französisch-Polynesien ist „collectivité d’outre-mer“, ein Überseegebiet von Frankreich, es verfügt jedoch über weitgehende Autonomierechte. Es hat aber nicht den Status eines Departements. In Fragen der Außenpolitik oder der Justiz ist Paris zuständig. Französisch-Polynesien gehört nicht zur Europäischen Union und die Währung ist daher nicht der Euro. Man bezahlt mit dem Pazifischen Franc (XPF), der jedoch fest am Euro gekoppelt ist. Die Amtssprache ist Französisch.

Seit kurzem steht fest: Frankreichs Regierung hält auch unter dem neuen Präsidenten Emmanuel Macron an seiner bisherigen Kolonialpolitik gegenüber Französisch-Polynesien fest. In ihrer jährlichen Resolution zu Französisch-Polynesien stellte die Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) Anfang Dezember 2017 bereits zum fünften Mal in Folge fest, daß Frankreich die 2013 erfolgte Wiedereinschreibung Französisch-Polynesiens auf der Liste der zu entkolonisierenden Territorien verweigert. Frankreich hat bisher keine seiner pazifischen Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen.

Bereits Macrons Vorgänger Hollande hatte viele Polynesier enttäuscht, da er vor seiner Wahl schriftlich versprochen hatte, sich für die Entkolonisierung des Landes einzusetzen und dann genau das Gegenteil tat. Viele hofften, daß Emmanuel Macron, der während seines Wahlkampfes die frühere Kolonialpolitik Frankreichs als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet hatte, in dieser Hinsicht eine Kehrtwende machen würde. Diese Hoffnungen wurden nun endgültig enttäuscht, zumal Macrons Partei „En Marche“ ankündigte, die amtierende profranzösische Landesregierung in Papeete offiziell zu unterstützen.

Natürlich macht die Unabhängigkeit allein kein Land zum Paradies und keiner der unabhängigen Staaten des Pazifiks ist heute frei von Problemen. Eher das Gegenteil ist der Fall. Dennoch: Wenn man etwas genauer hinschaut, kann man für die wirtschaftliche und politische Situation dieser kleinen pazifischen Staaten weiterhin die klassischen imperialistischen Gründe der Kolonialmächte erkennen. Seit 1949 gibt es in Französisch-Polynesien starke Unabhängigkeitsbestrebungen. Bereits 1949 wurde die erste antikoloniale politische Partei gegründet, die Demokratische Vereinigung des Tahitianischen Volkes (RDPT). 1957 erhielt das Land innere Autonomie mit einer gewählten Regierung, wobei die RDPT die Mehrheit stellte. Diese begann das Land auf die erhoffte baldige Unabhängigkeit vorzubereiten. 1958 organisierte Frankreich dann eine Volksabstimmung, bei der unter starkem französischem Druck die sofortige Unabhängigkeit, obwohl vom lokalen Regierungschef favorisiert, mehrheitlich zurückgewiesen wurde. Unmittelbar danach wurde die Autonomie wieder abgeschafft und ein repressives Kolonialsystem wiedereingeführt. Pouvanaa, der Ministerpräsident der autonomen Regierung, wurde unter dubiosen Vorwürfen verhaftet und zehn Jahre lang inhaftiert, die RDPT verboten.

Der Hauptgrund für dieses repressive neokoloniale Vorgehen war die Einrichtung eines Atomtestgebietes auf dem Atoll Mururoa, wo dann von 1966 bis 1996 knapp 200 Atomtests stattfanden. Die Unabhängigkeit sollte deshalb unter allen Umständen verhindert werden. Gegen die Atomtests gab es von Anfang an Proteste. Aus dieser Bewegung ging dann in den 70er Jahren eine neue Unabhängigkeitsbewegung hervor.

Zunächst in viele kleine Gruppen zersplittert, bildete sich im Laufe der 80er und 90er Jahre erneut eine große politische Partei für die Unabhängigkeit heraus: Die Polynesische Befreiungsfront „Tavini Huiraatira“. Insbesondere die letzten Atomtests 1995 gaben der Bewegung starken Auftrieb und verschafften ihr kurzzeitig internationale Aufmerksamkeit und Solidarität. Allerdings steht trotz allem weniger als die Hälfte der Maohi hinter diese Bewegung. Die Unabhängigkeitspartei bleibt Opposition. Die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt die profranzösische Politik. Durch den Aufbau der militärischen Infrastruktur strömt viel Geld ins Land. Verglichen mit unabhängigen Staaten wie Papua-Neuguinea sind die sozialen Verhältnisse stabil. Der Preis, der dafür bezahlt wird: Der Aufbau einer autarken einheimischen Wirtschaft wurde verhindert und das Land bleibt von Frankreich völlig abhängig.

Abb. (PDF): Bis zur Christianisierung der Inseln Anfang des 19. Jahrhunderts war der Marae Taputapuātea das spirituelle und kulturelle Zentrum Ostpolynesiens. Der Haupttempel besteht aus einem etwa 60 x 60 m großen gepflasterten Platz, an dessen Südseite sich ein von bis zu 3,5 m hohen Steinblöcken eingefaßter 50 m langer zweistufiger Altar befindet. Während der Blütezeit polynesischer Navigation vom 13. bis zum 15. Jahrhundert segelten Priester und Adelige von vielen Inseln zu jährlichen Zeremonien nach Taputapuātea. 2017 wurde die Anlage zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt.

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info: Entkolonisierung ist nicht allein Sache der jeweiligen Kolonialmacht

Entkolonisierung ist nicht allein Sache der jeweiligen Kolonialmacht, sondern seit ihrer Gründung 1945 ein zentrales Anliegen der Vereinten Nationen. Von der UNO wurden dafür völkerrechtliche Regeln aufgestellt. In der UN-Charta von 1945 wird in Kapitel IX, Artikel 73 festgelegt, dass „alle Kolonialmächte verpflichtet sind, die von ihnen verwalteten Gebiete … auf die Selbstverwaltung vorzubereiten.“ 1953 wurde in der Resolution 742 (VII) präzisiert, wie ein nichtselbstverwaltetes Gebiet seine Selbstbestimmung erreichen kann: Im Regelfall geschieht dies durch das Gewähren der Unabhängigkeit. Als mögliche Sonderformen kann auch Assoziierung mit einem Staat oder Integration in einen Staat (die ehemalige Kolonialmacht oder ein Drittstaat) akzeptiert werden. Letztere Optionen müssen aber von der Bevölkerung in einer Abstimmung, in der auch die Option der Unabhängigkeit besteht, ausdrücklich so gewählt worden sein. 1960 wurde die Entkolonisierung dann durch zwei Resolutionen systematisiert: Resolution 1514 (XV) bekräftigt das Recht aller Völker auf Selbstbestimmung. Sie müssen ihren politischen Status frei bestimmen können. Resolution 1541 (XV) präzisiert die Klassifizierung als nicht-selbstverwaltetes Gebiet: In Frage dafür kommen Gebiete, die vom Mutterland geographisch getrennt und ethnisch oder kulturell verschieden sind. Ein solches Gebiet hat dann seine Selbstbestimmung erreicht, wenn eine der drei Optionen aus Resolution 742 gewählt wurde.