Aus Politische Berichte Nr. 5/2018, S. 08 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

dok: Aktionen – Initiativen - Thorsten Jannoff, Gelsenkichen Thema Frieden!

01 Militärschlag in Syrien war völkerrechtswidrig

02 Völkerrechtliche Implikationen des amerikanisch-britisch-französischen Militärschlags vom 14. April 2018

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Militärschlag in Syrien war völkerrechtswidrig

Berlin. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags stuft den von Deutschland unterstützten Militärschlag der USA, Großbritanniens und Frankreichs gegen Syrien als völkerrechtswidrig ein. „Der Einsatz militärischer Gewalt gegen einen Staat, um die Verletzung einer internationalen Konvention durch diesen Staat zu ahnden, stellt einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot dar“, heißt es in einem elfseitigen Gutachten [PDF]*, das von Heike Hänsel und Alexander S. Neu in Auftrag gegeben wurde.“

„Das neueste völkerrechtliche Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes zum Angriff der USA, Großbritanniens und Frankreichs gegen Syrien ist eine Ohrfeige für die scheinmoralische Argumentation dieser Staaten. Es ist aber auch eine Ohrfeige für die Bundesregierung, die diesen völkerrechtswidrigen Angriff als ‚erforderlich und angemessen‘ rechtfertigte. Die Bundesregierung unterstützt somit einen gravierenden Völkerrechtsbruch und trägt damit selbst zur Erosion dieses Regelwerkes bei. Die Linke fordert als erste Konsequenz aus diesem völkerrechtswidrigem Verhalten der Verbündeten Deutschlands den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus der Region“, kommentieren Heike Hänsel und Alexander S. Neu die wissenschaftliche Ausarbeitung. „Die Bundesregierung muss verstehen, dass auch westliche Staaten sich ausnahmslos an das Völkerrecht halten müssen. Wer mit zweierlei Maß misst, wie zum Beispiel den Angriff auf Jugoslawien und die gewaltsame Abtrennung des südserbischen Staatsgebietes Kosovo durch die Nato-Staaten rechtfertigt, aber die Sezession und den Anschluss der Krim als Annexion und als Völkerrechtsbruch bezeichnet, agiert genau mit Doppelstandards. Eine solche Politik rächt sich irgendwann, wenn andere Staaten sich auch nicht mehr ans das Völkerrecht gebunden fühlen. Auf diese Weise wird das Völkerrecht zu einem Diffamierungsinstrument reduziert. Zur Vermeidung von Doppelstandards ist die Bundesregierung nun gefordert, auch Sanktionen gegen diese drei mit Deutschland verbündeten Staaten zu erlassen.“

www.linksfraktion.de

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Völkerrechtliche Implikationen des amerikanisch-britisch-französischen Militärschlags vom 14. April 2018 gegen Chemiewaffeneinrichtungen in Syrien. (Auszüge, ohne Fußnoten, Hervorh. wie Original)

https://www.bundestag.de/blob/551344/f8055ab0bba0ced333ebcd8478e74e4e/wd-2-048-18-pdf-data.pdf

1. Der alliierte Militäreinsatz gegen Syrien im Spannungsfeld zwischen Legalität und
Legitimität: Politische, moralische und rechtliche Positionen

Die politisch und moralisch aufgeladene Debatte über die jüngsten Luftangriffe der USA, Großbritanniens und Frankreichs gegen Chemiewaffeneinrichtungen und militärische Infrastruktur in Syrien1 erzeugen ein Spannungsfeld, bei dem die Frage nach der völkerrechtlichen Legalität der Militäroperation zugunsten der politisch-moralischen Legitimität des Handelns argumentativ in den Hintergrund tritt. So enthalten die Begründungen der drei kriegführenden Nato-Partner für den Militäreinsatz vom 14. April 20182 – einschließlich der Reaktionen der internationalen Staatengemeinschaft – überwiegend politische und moralische Argumente – mit Ausnahme Großbritanniens dagegen kaum klare Rechtsbehauptungen. Abgesehen von Staaten wie Russland, Iran oder Syrien, die wie erwartet in den alliierten Militärschlägen gegen syrische Chemiewaffeneinrichtungen einen klaren Völkerrechtsverstoß (act of aggression) erkannten, stieß die Militäroperation bei der Mehrheit der Staatengemeinschaft politisch weitgehend auf Zustimmung. Eine Resolution im VN-Sicherheitsrat, welche die alliierten Militärschläge verurteilen sollte, kam nicht zustande.

Die deutsche Regierung hält die Einsätze für „erforderlich und angemessen“ um das Assad-Regime von weiteren Verstößen gegen die Chemiewaffenkonvention abzuhalten und ein Signal dahingehend zu setzen, dass ein Einsatz von Chemiewaffen – das Überschreiten der von US-Präsident Obama 2013 gezogenen „roten Linie“ – nicht folgenlos bleiben dürfe.

Ausdrücklich wird dabei auf die Blockade-Situation im VN-Sicherheitsrat abgehoben, die es verhindert hätte, in diplomatischer Weise auf den Syrienkonflikt einzuwirken und den wiederholten Giftgaseinsatz gegen die syrische Bevölkerung zu unterbinden. In ihrer völkerrechtlichen Bewertung unterscheiden sich die jüngsten Luftangriffe der Alliierten gegen syrische Chemiewaffeneinrichtungen vom 14. April 2018 nicht grundsätzlich von jenem Militärschlag, den die USA bereits im April 2017 im Alleingang gegen die syrische Luftwaffenbasis Schairat geführt hatte; auch die Militäroperation 2017 ist im Ergebnis einhellig als völkerrechtswidrig bezeichnet worden. In beiden Fällen wurden Parallelen zur Kosovo-Intervention von 1999 gezogen. Die völkerrechtliche Diskussion über die Frage einer potentiellen militärischen Reaktion auf Giftgaseinsätze in Syrien reicht bis ins Jahr 2013 zurück, als der damalige US-Präsident Obama für den Fall des Überschreitens der „roten Linie“ militärische Vergeltungsschläge angedroht hatte. Die völkerrechtliche Literatur sowie die deutsche Presse haben den jüngsten Militärschlag der Alliierten gegen Syrien einhellig als völkerrechtswidrig qualifiziert.

Dieser Beitrag analysiert den alliierten Militärschlag gegen Syrien zunächst unter dem Gesichtspunkt des Repressalienrechts (dazu 2.) und anschließend unter dem ius ad bellum-Aspekt der „humanitären Intervention“ (dazu 3.). Abschließend soll kurz auf die Bedeutung der Rechtsauffassungen der internationalen Staatengemeinschaft im Lichte der Fortentwicklung des Völkerrechts eingegangen werden (dazu 4.).

2. Völkerrechtliche Positionen zum Repressalienrecht

Zur Frage der Zulässigkeit von Repressalien lassen sich folgende völkerrechtliche Positionen formulieren:

Völkerrechtliche Repressalien (Gegenmaßnahmen in Form von militärischen Vergeltungsschlägen) gegen einen Staat sind grundsätzlich unzulässig. Dies gilt auch dann, wenn eine Regierung eine zentrale Norm des Völkerrechts verletzt hat, die einen Staat gegenüber allen anderen Mitgliedern der Staatengemeinschaft verpflichtet und an dessen Einhaltung alle Staaten ein rechtliches Interesse haben (sog. erga-omnes Normen).

Das grundsätzliche Repressalienverbot gilt auch dann, wenn ein Staat einen internationalen Vertrag wie die Chemiewaffenkonvention und entsprechende VN-Resolutionen (wie die Sicherheitsratsresolution 2118 (2013)) verletzt und mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen ein Kriegsverbrechen begangen hat. Die Verletzung einer Völkerrechtsnorm durch einen Staat begründet keinen „Blankoscheck für unilaterale Zwangsmaßnahmen“ seitens einer „Koalition der Willingen“. Vielmehr sieht das Völkerrecht rechtsförmige Mechanismen vor – sei es im Rahmen der Chemiewaffenkonvention, sei es im Rahmen des Völkerstrafrechts – um internationale Konventionen durchzusetzen, deren Einhaltung zu überwachen sowie Rechtsgutverletzter zur Verantwortung zu ziehen und einen Völkerrechtsbruch zu ahnden. Dass die Durchsetzung solcher Rechtsmechanismen angesichts der russischen (Blockade-)Haltung im VN-Sicherheitsrat oder angesichts der Schwierigkeiten, Untersuchungen der OPCW im syrischen Douma durchzuführen, eher theoretisch als praktisch und effektiv erscheint, tut der völkerrechtlichen Bewertung keinen Abb. (PDF): ruch. Umso mehr fällt in diesem Zusammenhang ins Gewicht, dass im Falle der alliierten Militärschläge vom 14. April 2018 die Ergebnisse der OPCW-Untersuchungen in Syrien nicht einmal abgewartet wurden.

Der Einsatz militärischer Gewalt gegen einen Staat, um die Verletzung einer internationalen Konvention durch diesen Staat zu ahnden, stellt einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot (Art. 2 Nr. 4 VN-Charta) dar. Dies bestätigen wichtige Judikate und Beschlüsse internationaler Institutionen … Repressalien im Rahmen eines bereits andauernden internationalen Konflikts sind dagegen nicht per se unzulässig; doch dürfen solche Zwangsmaßnahmen nur in ganz beschränktem Umfang eingesetzt werden, um eine völkerrechtswidrig handelnde Konfliktpartei zu völkerrechtskonformem Handeln zu bewegen – nicht aber, um bereits abgeschlossene Kriegsverbrechen zu ahnden. Repressalien sind insoweit kein „Vergeltungsmittel“, sondern ein völkerrechtliches Beugemittel zur Abschreckung, zur Rechtsdurchsetzung bzw. Rechtswiederherstellung.

Allerdings scheidet die Betrachtung der jüngsten amerikanisch-britisch-französischen Luftschläge gegen das syrische Assad-Regime unter dem Gesichtspunkt der Kriegsrepressalie bereits deswegen aus, weil sich die drei Alliierten nicht in einem direkten bewaffneten Konflikt mit dem syrischen Zentralstaat befinden. Das militärische Engagement der Alliierten in Syrien galt bislang ausschließlich der Bekämpfung des sog. „Islamischen Staates“ in Syrien – wenngleich ohne Zustimmung des Assad-Regimes – auf der Grundlage des Selbstverteidigungsrechts im Nachgang zu den „IS“-Attentaten von Paris vom November 2015 (Anti-IS-Operation „Inherent Resolve“).

3. Der alliierte Militäreinsatz gegen Syrien im Lichte des ius ad bellum und der humanitären Intervention

Der jüngste Militäreinsatz der Alliierten gegen Syrien stellt – wie bereits die Kosovo-Intervention von 1999 – eine Herausforderung für das völkerrechtliche Gewaltverbot dar. Die Ausgangslage in Syrien im April 2018 scheint ähnlich wie 1999: Mangels einer Selbstverteidigungslage zugunsten der militärisch intervenierenden Alliierten (USA, Frankreich, Großbritannien) hätte nur der VN-Sicherheitsrat gem. Kapitel VII der VN-Charta einen Militärschlag legitimieren können, um die internationale Sicherheit wiederherzustellen.

Resolution 2118 (2103), welche die Vernichtung aller syrischen Chemiewaffen durchsetzen sollte, droht dem Assad-Regime zwar mit dem Einsatz von Gewalt, behält eine Entscheidung darüber aber dem VN-Sicherheitsrat selbst vor.

Allein Großbritannien hat seine eigene Rechtsposition zum alliierten Militärschlag gegen Syrien in einem „Policy Paper“ vom 14. April 2018 dargelegt. Darin heißt es, dass das Völkerrecht es erlaube, in Ausnahmefällen, Maßnahmen zu ergreifen, um überwältigendem menschlichen Leiden abzuhelfen. Die Rechtsgrundlage dafür sei die Doktrin der humanitären Intervention, für die drei Tatbestandsvoraussetzungen zu erfüllen seien:

· Erstens sei es erforderlich, dass die internationale Gemeinschaft als Ganzes überzeugt sei, dass es eine extreme humanitäre Notlage gebe, der unmittelbar und unverzüglich abzuhelfen sei.

· Zweitens dürfe es keine praktikable Alternative zur Gewaltanwendung geben.

· Und drittens müsse die Gewaltanwendung notwendig und verhältnismäßig sein.

Die genannten Voraussetzungen sieht das Vereinigte Königreich als erfüllt an: Durch die Blockade des VN-Sicherheitsrates gebe es keine andere Handlungsmöglichkeit; die gezielten und begrenzten Angriffe auf die Chemiewaffen-Infrastruktur seien notwendig und verhältnismäßig.

Die britische Rechtsposition zu den Militärschlägen gegen Syrien, der sich Deutschland im Grundsatz offenbar angeschlossen hat, kann im Ergebnis nicht überzeugen.

Abgesehen von der fehlenden Kohärenz der „humanitären Anteile“ dieser Argumentation – erstens ist fraglich, ob die Militärschläge wirklich geeignet sind, weiteres Leiden zu verhindern, insbesondere mit Blick auf die mutmaßlich künftigen Opfern des andauernden Syrienkonflikts; zweitens ist fraglich, warum gerade der Chemiewaffeneinsatz angesichts eines sieben Jahre währenden Bürgerkriegs in Syrien das qualitativ entscheidende Ereignis darstellt, um eine humanitäre Intervention zu begründen – stellt der britische Ansatz lediglich eine weitere „Spielart“ der Rechtsfigur der sog. „humanitären Intervention“ ohne Sicherheitsratsmandat und dem Konzept der völkerrechtlichen Schutzverantwortung (R2P) dar.

Wegen der bestehenden Missbrauchsgefahr ist die Zulässigkeit einer humanitären Intervention bis heute völkerrechtlich ausgesprochen umstritten und erscheint als gewohnheitsrechtliche Ausnahme vom völkerrechtlichen Gewaltverbot jedenfalls nicht tragfähig.

Wie bereits im Fall der Kosovo-Intervention 1999 lässt sich festhalten, dass völkerrechtswidriges Handelns nicht dadurch „geheilt“ wird, dass es moralisch legitim ist. Aus der Legitimität staatlichen Handelns erwächst nicht automatisch dessen Legalität … Abgesehen von Großbritannien haben die anderen beiden Akteure das Rechtsargument der humanitären Intervention gar nicht explizit plädiert. Dies wäre jedoch notwendig gewesen, um ihrer Begründung eine eindeutige „opinio iuris“ zugunsten des Rechtfertigungstatbestandes der „humanitären Intervention“ entnehmen zu können.

So stellen sich die alliierten Luftangriffe dann im Ergebnis eher als unverhohlene Rückkehr zu einer Form der – völkerrechtlich überwunden geglaubten – bewaffneten Repressalie im „humanitären Gewand“ dar.

4.Konsequenzen für die Fortentwicklung des Völkerrechts

… In den völkerrechtlichen Kommentaren zur alliierten Militäroperation gegen Syrien ist in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen worden, dass das Einstehen für eine regelbasierte internationale Ordnung und ihre zentralen Eckpfeiler (wie insbesondere das völkerrechtliche Gewaltverbot) auch von einer entsprechenden klaren und unmissverständlichen Artikulation von Rechtsauffassungen begleitet werden müsse. Politische und rechtliche Glaubwürdigkeit hingen überdies davon ab, dass bei der völkerrechtlichen Beurteilung von Militäroperationen (Beispiele: Russische Krim-Annexion von 2014, Nato-Operation im Kosovo 1999, Militärschläge von Nato-Bündnispartnern gegen Syrien 2018) nicht mit zweierlei Maß gemessen werde.