Aus Politische Berichte Nr. 5/2018, S. 16 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

dok: Rechte Provokationen --Demokratische Antworten

01 Der Liberals international day Erliegt die FDP der rechts-populistischen Versuchung ?

dok: Redaktionsnotizen • Zusammenfassung: Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

02 „Signale, die man nicht überhören darf“.

03 Stadt Wetzlar bleibt straflos.

04 Neuer hessischer NPD-Vorsitzender vernetzt rechte Kameradschaften.

05 AfD im Landtag – Wir sagen Nein! Petitioner

06 Das Kreuz als verlängerter Arm der Politik.

01

Der Liberals international day Erliegt die FDP der rechts-populistischen Versuchung ?

Johannes Kakoures, München

Das Aufkommen nationalistischer Bewegungen ist nicht nur für die politische Linke ein Problem. Auch für die Liberalen, die sich jahrelang als Vorkämpfer der Globalisierung verstanden haben, ist dieses Phänomen trotz schräger Töne in der EU- und Flüchtlingspolitik programmatisch und ideologisch nicht einfach zu verarbeiten. Ob die FDP der Versuchung erliegt, einen rechtspopulistischen/nationalliberalen Weg nach Vorbild der österreichischen FPÖ einzuschlagen oder ob sie bei einem vernunftbetonten Auftreten bleibt, wird eine der spannenden Frage der nächsten Jahre. Grund genug sich einmal den „Liberal International Day“ unter dem Motto „I want my country back! – Region, Nation, Union im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und Identitätssuche“ anzuschauen.

Niemand weiß, was Heimat ist

Dr. Karl-Heinz Paque, stellvertretender Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung warf dann zu Anfang auch die Frage auf, ob die Globalisierung selbst gescheitert sei. Noch vor 10 bis 15 Jahren sei diese Frage absurd gewesen, da man eine ständige Zunahme des internationalen Handels und enorme Erfolge im Kampf gegen Armut und Hunger weltweit erzielt habe, insbesondere im Vergleich zur ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Bereits Ralf Dahrendorf habe vor 30 Jahren darauf hingewiesen, dass die Globalisierung ein schwieriger Weg werde, da sie Identitäten in Fragen stelle. Manfred Eisenbach, Vorsitzender der „Gesellschaft für die Freiheit“ wies darauf hin, dass viele momentan den Begriff „Heimat“ verwendeten, aber eigentlich keiner wisse, was das sei. In seiner Heimat werde das „christliche Abendland“ auch von Menschen verteidigt, die sich schwer tun würden, die Zehn Gebote aufzuzählen.

Globalisierung und Regionalisierung Hand in Hand?

Nadja Hirsch, Europaabgeordnete der FDP, wies darauf hin, dass der Nationalstaat nichts Gottgegebenes sei. Historisch habe man sich früher anhand von Fürsten oder Religionen gruppiert und auch die derzeitigen großen Nationalstaaten seien mitnichten etwas Homogenes. So habe etwa Bayern eher Gemeinsamkeiten – auch gemeinsam zu lösende Probleme, etwa in den Alpen – mit Österreich, während Schleswig-Holstein in vielen Fragen mit Dänemark kooperieren müsse. Das steigende Interesse und Angebot an regionalen Produkten, nicht nur Lebensmittel, sondern immer mehr auch Bekleidung, zeige, dass Regionalismus und Globalisierung kein Gegensatz seien.

„Umverteilung ist eine Voraussetzung der Marktwirtschaft“

Hauptredner war der ehemalige Schweizer Bundesrat Kaspar Villiger. Sein Thema war die Frage ob der „Nationalstaat – ein überlebtes Relikt oder unverzichtbarer Hort erfolgreicher Sozialmodelle“ sei. Er untermauerte zunächst den Erfolg der Globalisierung. So sei es der Menschheit wahrscheinlich noch nie so gut gegangen wie heute. Nach Jahrtausenden in denen sich das Wirtschaftswachstum meist um Null eingependelt hat und Krieg, Armut und Krankheit eine Konstante für die Mehrheit der Bevölkerung waren, habe die „Freiheit der Ideen“ vor 200 Jahren auch für eine „Explosion“ bei Handel und Wohlstand gesorgt.

Er sehe vier Variablen für den Erfolg eines Sozialmodells, nämlich den Menschen, die Institutionen, die Kultur, verstanden als gemeinsame Werte und Überzeugungen aus denen eine gewisse Praxis entstehe, und den Zufall. Beim Menschen sei seine Doppelnatur zu berücksichtigen, die jeden einzelnen zum unverwechselbaren Individuum mache, jedoch auch immer zum Mitglied von Kollektiven, ohne die man nicht leben könne. Der Mensch sei sowohl Egoist wie auch Altruist. Die Institutionen hätten daher die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich das Individuum entwickeln könne und gleichzeitig das eigene Bestehen zu sichern, indem Grenzen dort auferlegt, wo das Individuum, die Freiheit anderer Individuen verletze. Letztlich müssten die Menschen kooperieren und es müsse Vertrauen herrschen, da dies die Transaktionskosten senke. Es gäbe eine erste Studie, die einen Zusammenhang zwischen dem vorhandenen Maß an Ehrlichkeit in einer Gesellschaft und dem Pro-Kopf-Einkommen nachweise. Liberale täten sich immer dann schwer, wenn der Staat als Selbstzweck begriffen werde, etwa in der Demonstration einer ethischen Überlegenheit. Aufgabe des Staates sei vielmehr dafür zu sorgen, dass Menschen in Freiheit, Wohlstand und Sicherheit leben können. Dabei sei insbesondere auch Wohlstand wichtig, da nur wer hinreichend abgesichert sei, auch ein Mindestmaß an Freiheit habe. Wohlstand sei das, was die Demokratie attraktiv mache. Der Wohlstand schaffe jedoch auch Ungleichheiten, die wiederum Neidgefühle hervorufe und ab einem bestimmten Maß eine Inakzeptanz der Gesellschaftsordnung an sich brächten. Die „Umverteilung ist daher eine Voraussetzung der Marktwirtschaft“.

Der Nationalstaat werde derzeit vor allem aus zwei Gründen angegriffen. So seien die Staaten mittlerweile so in internationale Beziehungen verflochten, dass dies wie Fremdbestimmung aussehen könne. Dies wiederum schaffe Raum für völkische Vorstellungen. Richtig sei, dass die Institutionen des Rechtsstaates notwendig immer an einen bestimmten Raum gebunden seien und sich die Geborgenheit und Mitgefühl für den Mitbürger nicht im grenzenlosen Raum verwirklichen lasse.

Hoffnung mache ihm, dass die Flüchtlingsströme schon auch ein Zeichen dafür seien, dass Wohlstand, Rechtsstaat und Demokratie nach wie vor eine hohe Anziehungskraft hätten.

„Ein beständiges – vielleicht ein Grundeinkommen“

Robert Falkner von der London School of Economics sprach ebenfalls davon, dass die Krise des Liberalismus eine Krise der Globalisierung sei. Grundsätzlich sei die Globalisierung richtig, dass sie zu einem Mehr an Wachstum und Lebenschancen geführt hätte. Man müsse sich aber die Fragestellen, ob die Vorteile allen Bevölkerungsgruppen in den entwickelten Ländern zu Gute kommen. Die Brexit-Entscheidung sei eindeutig eine „Anti-Elitenwahl“ gewesen. Die Antwort sei nicht einfach „Mehr Globalisierung wagen“. Grundsätzlich habe der „Liberalismus immer ein Problem mit einer Politik der Identität“. Er stehe für Rationalität, Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz und gehe von einem planvoll handelnden, eigenständigen Menschen aus. Dies sei für viele nicht realistisch und ein viel zu anspruchsvolles, anthropologisches Menschenbild. Ferner habe der Liberalismus ein gestörtes Verhältnis zum Nationalismus. Dieser erscheine vielen antiquiert. Dennoch dürfe man nicht vergessen, dass der Liberalismus seine Wurzeln eben auch in der Geschichte der Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts habe, der rechtsstaatliche Bindungen in und durch die Nation schaffen wollte. Bereits Dahrendorf habe davon gesprochen, dass eine Gesellschaft von „Lebenschancen und Ligaturen“ lebe. Die Liberalen hätten sich mit den Lebenschancen immer einfacher getan als mit den Bindungen. Man brauche neue Antworten für die Verlierer der Globalisierung. In Zeiten von Prekarität und Unsicherheit sei ein „beständiges, vielleicht ein Grundeinkommen“ notwendig.

Von Orbans Ungarn nach Katalonien?

In der abschließenden Podiumsdiskussion wurde der Blick auf einzelne Staaten gerichtet, in denen isolationistische oder nationalistische Bewegungen besonders erfolgreich sind.

So berichtete Christophe Arend, der für La Republique en Marche in der französischen Nationalversammlung sitzt, von seinen Kämpfen gegen den Front National. Er erinnerte daran, dass Lothringen seit 1791 ständig zwischen Frankreich und Deutschland hin und her gewechselt wurde. Man habe es schlicht versäumt, den Menschen zu erklären, was die EU gebracht habe und bringen könne.

Dr. Svent-Ivanyi führte das Erstarken von Viktor Orban in Ungarn vor allem auf eine große Enttäuschung nach der Wende zurück. Man dürfe nicht vergessen, dass die Visegrád-Staaten nach den Ereignissen 1989/90 viel stärkere Reformen durchgeführt haben als der Westen.

Marie Kapretz, ehemalige Vertreterin der Regierung von Katalonien in Deutschland, erklärte, dass sie sich mit der Einladung zunächst schwer getan habe, da die katalonische Bewegung auf keinen Fall mit Orban in Zusammenhang gebracht werden wolle. Die katalonische Bewegung sei gerade nicht gegen Eliten gerichtet und immer proeuropäisch gewesen. Zudem würden sich die Katalanen nicht als ethnisch definierte Nation verstehen.

Wie meist: Die Fragen bleiben offen

Die Liberalen bleiben wohl gespalten. Viele Äußerungen wiesen darauf hin, dass eine ethnische Beschränkung der Idee eines freien Welthandels entgegen gesetzt ist und man sich gerne weiterhin als die Kraft der Vernunft verstehen will, was einfache Antworten, wie sie von nationalistischen Ideologien notwendig vertreten werden, eigentlich ausschließt. Auf der anderen Seite würde man auch gerne „eingebunden“ sein, weiß aber wohl nicht so recht in was. Es bleibt interessant.

Abb. (PDF): Einladungsflyer

dok: Redaktionsnotizen • Zusammenfassung: Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

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„Signale, die man nicht überhören darf“. Auszüge aus einem Interview mit Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, Deutschlandfunk, 20.4.18: „Der Antisemitismus … wie wir ihn im Moment erleben, ist etwas, was ich mir vor zehn Jahren in Albträumen nicht habe träumen lassen … eine rote Linie hat sich offensichtlich verschoben. Wenn es zu tätlichen Angriffen auf Menschen kommt, nur deshalb, weil sie eine Kippa tragen, dann ist das für mich unvorstellbar … Auf die Frage, ob Antisemitismus vor allem durch Migration ins Land getragen werde, antwortet er: „Wir dürfen … nicht vergessen, dass über viele Jahre … 20 Prozent der deutschen Bevölkerung antijüdische Ressentiments hat. Das heißt, Antisemitismus nur auf das Thema Migration zurückzuführen, ist ebenso falsch wie zu sagen, dass er sich nur in der politisch extrem Rechten findet. „Sie erleben immer wieder Stereotypen, die man meinte, dass sie nach dem Dritten Reich vergessen waren …, die jüdische Weltverschwörung, Judentum und das Geld, heute auch in ganz normalen Gesprächen plötzlich wieder auftauchen.“ Auf die Frage nach dem Aufschrei der Gesellschaft nach der Echo-Vergabe an die Gangsta-Rapper wegen antisemitischer Texte und bei der Attacke auf zwei Kippa tragende Männer am Prenzlauer Berg antwortete er: „Ich habe das Gefühl, dass sich doch eine gewisse Sensibilität entwickelt hat … Auf der anderen Seite …, das ist schon eine „neue“ Qualität des Antisemitismus …“.

03

Stadt Wetzlar bleibt straflos. Alle Instanzen hatten entschieden, dass die Nutzung der Halle der NPD durch die Stadt zu gewähren sei. Das BVerfG forderte den zuständigen Regierungspräsidenten Dr. C. Ullrich (CDU) auf, „den Vorfall aufzuklären, notwendige aufsichtsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen und das Gericht unverzüglich davon zu unterrichten“. Ullrich teilte dem BVerfG mit, aus Sicht der Kommunalaufsicht habe die Stadt den Beschluss des BVerfG nicht willentlich missachtet. Vielmehr hätten sich die handelnden Personen in einem Dilemma befunden. Sie hätten sich zum einen an den rechtlich bindenden BVerfG-Beschluss halten wollen. Zum Anderen habe die Stadt eine berechtigte Sorge um den Schutz der Besucher während der NPD-Veranstaltung wegen des fehlenden Nachweises einer Haftpflichtversicherung und eines ausreichenden Sanitätsdienstes glaubhaft dargestellt. Das festgesetzte Zwangsgeld wird nicht verhängt.

Quelle: Legal Tribune online, 13.4.18

04

Neuer hessischer NPD-Vorsitzender vernetzt rechte Kameradschaften. Der neue hessische NPD-Vorsitzende Daniel Lachmann dürfte v. a. darauf setzen, NPD-Hochburgen wie den Lahn-Dill-Kreis und die Wetterau zu stärken und Zusammenarbeit mit der militanten Neonazi-Szene auszubauen. Das Ende März in Wetzlar geplante und nach Leun verlegte Rechtsrock-Konzert war ein deutliches Angebot an Neonazis aus der gewaltbereiten Kameradschaftsszene gewesen.

FR, 11.4.18

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AfD im Landtag – Wir sagen Nein! Der Einzug der AfD am 28.10.18 in den hessischen Landtag soll verhindert werden, dazu hat sich ein Bündnis aus Vertretungen von Gewerkschaften, Vereinen und Parteien gebildet und über vierhundert Personen haben bereits einen Aufruf gegen die AfD unterzeichnet. „Ziel ist es, diejenigen, die für Solidarität und gesellschaftlichen Zusammenhalt stehen, mit diesem Aufruf sichtbar zu machen. „Eine Partei, die Neofaschisten und Antisemiten in ihren Reihen duldet und deren Rassismus die Gesellschaft spaltet, hat im Hessischen Landtag nichts zu suchen. (…)“ Der Aufruf soll der Startschuss zu einer Kampagne sein, die sich bis zur Landtagswahl mit der AfD auseinandersetzt.

Kann unter der Webadresse www.keine-afd-im-landtag.de online unterzeichnet werden.

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Das Kreuz als verlängerter Arm der Politik. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ließ sein Kabinett beschließen, dass im Eingangsbereich der Behörden des Freistaates ab 1. Juni ein Kreuz hängen muss. Das Anbringen des Kreuzes in der Staatskanzlei vollbrachte der Ministerpräsidenten persönlich, das war Fernsehen war eingeladen. Neben Kritik aus den Parteien, die auf den Missbrauch des religiösen Symbols für Wahlkampfzwecke abheben, kritisieren Laienkreise die Verletzung der Neutralitätspflicht der Behörden in Bekenntnisfragen. In den Kirchen ist die Resonanz gemischt. Laut BR führt der „Bamberger Erzbischof Ludwig Schick zur Verteidigung der neuen Regelung“ ins Feld, ,dass „das Kreuz ein Zeichen der Versöhnung, des Friedens und der Solidarität‘ sei ‚Alle Menschen, die das Kreuz anschauen, verpflichten sich, das zu leben und voranzubringen.“ Der Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose wird mit der Aussage zitiert: „Das Kreuz tauge nicht als verlängerter Arm einer Politik der Ausgrenzung oder des nationalistischen Egoismus‘“.