Aus Politische Berichte Nr. 5/2018, S. 18 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Exkursion: Archäologie über Grenzen hinweg: Europäischer Kulturpark Bliesbruck-Reinheim

Edda Lechner, Norderstedt

Der deutsch-französische Freundschaftsvertrag zwischen Konrad Adenauer und Charles de Gaulle im Pariser Élysée-Palast von 1963 war nicht nur richtungsweisend für ein neues Verhältnis in der Politik der beiden über viele Jahrhunderte verfeindeten Länder, sondern auch für deren Kultur. Dazu gehört das grenzüberschreitende Projekt „Europäischer Kulturpark“ Bliesbruck-Reinheim. Seine Besonderheit ist auf den ersten Blick erkennbar. Tatsächlich liegt dieses kulturhistorische Highlight exakt auf der Grenzlinie zwischen zwei Staaten und führt die Besucher, die das Freilicht-Museum begehen, ohne Pass vom deutschen in das französische Gelände. Auf der offiziellen Feier des 50. Jahrestages des Élysée-Vertrages 2013 wurde es als „Europäischen Kulturpark“ vorgestellt.

Im breiten Tal der Blies, einem Nebenfluss der Saar, konnte an zwei Flussschleifen neben dem heutigen Reinheim und Bliesbruck in der fruchtbaren Ebene seit dem Abtauen des Eises vor 10 000 Jahren mehrere früh-steinzeitliche Siedlungen entstehen. In der darauf folgenden Bronze- und Eisenzeit wurde das ertragreiche und verkehrsgünstig gelegene Gebiet ab 800 v.u.Z. von den Kelten in Besitz genommen, die aus Kleinasien kommend quer durch Mitteleuropa bis nach Frankreich zogen. Ihnen folgten um die Zeitenwende die Römer, die schon bald halb Europa beherrschten. Zwischen Reinheim und Bliesbruck siedelten sie neben den Kelten und errichteten dort eine umfangreiche städtische Anlage, den „vicus“: eine großen „Villa“ mit Wirtschaftshof und Wohnungen, ein Handwerkerviertel für Bronzegießer, Bäcker und Lebensmittelhersteller, luxuriöse Thermen für die Reichen, eine komfortablen Brunnenanlage und eine Basilika mit Markt für Handel und Politik. Ab dem 4./5. Jahrhundert n.u.Z. strömten germanische Völker aus dem Norden herbei, um den hier geschaffenen Reichtum und die Ländereien an sich zu reißen, zu siedeln und ihrerseits Handel zu treiben. Dabei wurden natürlich Zerstörungen verursacht, aber nicht alle bisherigen Anwohner vertrieben. Die vorhandene Anlage in Reinheim-Bliesbruck blieb in einfacherer Form aus Holz statt aus Stein erhalten. Ab dem 6. Jahrhundert übernahm die Dynastie der Merowinger hier die militärische Führung, ihre Reichsteilung 561 zwischen Maas und Rhein ging mitten durch das Bliestal. In den nächsten Jahrhunderten entstand aus den Nachfolgern der Merowinger das „Fränkische Reich“. Im Mittelalter regierten viele kleine und große Ritterschaften und Adlige vor Ort, aus der Pfalz, Lothringen und Zweibrücken nebst Erz-/Bischöfen aus Trier und Metz – mal französisch mal deutsch. Erst auf einem napoleonischen Katasterblatt von 1812 ist zu erkennen, dass an den beiden Orten Bliesbruck und Reinheim keine alte antike Anlage mehr existiert.

Die Wiederentdeckung dieser über Jahrtausende bestehenden Siedlungen entlang der Blies begann 1760, als nach einem durch ein schweres Gewitter ausgelöster Erdrutsch dreißig steinerne Grabkisten mit Glasurnen aus römischer Zeit freigab. Aber erst mit der Begeisterung für die klassische Altertumsarchäologie zu Beginn des 19. Jahrhundert wurden solche zufälligen Funde durch bewusste Ausgrabungen fachgerecht ergänzt und untersucht: ab 1828 fand man merowingische Kistengräber, römische Münzen und Säulenteile und mehrere römische Brandgräber mit Urnenbestattungen. 1889 grub man erstmalig systematisch auf dem sogenannten „Heidenhügel“, wo das Hauptgebäude der Römischen „Villa“ gestanden hatte. Neben der Antikenbegeisterung war es vor allem die nationale Gesinnung, die archäologische Laien und Wissenschaftler zum Spaten greifen ließ. Eine Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg gab es nicht. Im Gegenteil: an Rhein und Saar herrschten zwischen den verfeindeten Mächten Frankreich und Deutschland wegen der im Saarland und Elsass-Lothringen entdeckten reichlich vorhandenen Kohle- und Stahlvorkommen schärfste Konkurrenz, weswegen auf beiden Seiten systematisch ein vaterländischer Deutschen- und Franzosen-Hass betrieben wurde.

Die kommenden Jahrzehnte führten schließlich zu den bekannten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen beiden Staaten, wobei die jeweiligen Sieger von 1871 und von 1918 das Gebiet von Lothringen und dem Saarland wechselweise an sich rissen. Die Folge: fast sämtliche archäologischen Arbeiten wurden eingestellt. In der Zeit des deutschen Faschismus 1936 und nach dem Zweiten Weltkrieg 1956 fanden Abstimmungen über den Verbleib des Saarlandes statt, mit großer Mehrheit fiel das Gebiet sowohl 1936 als auch 1956 an Deutschland. Auch in dieser Zeit fehlte es an fachwissenschaftlicher Hilfe. Erst als 1952 der Bürgermeister von Reinheim diverse Schädel und Tongefäße entdeckte und 1954 das berühmt gewordene Grab einer „keltischen Fürstin“ in der Sand- und Kiesgrube der Familie Schiel ausgraben ließ, begann eine neue fachliche Arbeit in Reinheim und eine Zusammenarbeit mit der französischen Bliesbrucker Seite.

Die eigentlich erfolgreichen Ausgrabungen begannen erst wieder 1971 mit dem Grabungsfachmann Jean Schaub, dem heute auf dem Gelände eine eigene Gedenkstätte gewidmet ist. Er entdeckte, dass sich in den angelieferten Erdladungen aus einer Sandgrube in Bliesbruck haufenweise antike Gegenstände befanden und organisierte daraufhin mit seinem Team Notgrabungen im „Steinfeld“, dem eigentlichen Kern des Römischen Vicus. Mehrere öffentliche Ausstellungen bewirkten, dass die keltisch-römische Anlage von Reinheim-Bliesbruck nun bei Einheimischen wie Touristen und auf internationaler Ebene große Berühmtheit erlangte. Daraufhin sagten das Französische Ministerium für Kultur und die deutsche Seite 1982 ihre Unterstützung zu und danach wurde 1989 eine deutsch-französische Kommission gebildet. Ab 1993 konnten Sondermittel für den Bau eines Museumspavillons über den wiederentdeckten Thermen verwendet werden. Im letzten Jahr des 20. Jahrhunderts kam es schließlich zu einer Kooperationsvereinbarung zwischen dem „Saarpfalz Kreis“ und dem „Departement de la Moselle“ mit grenzüberschreitendem Charakter, an dem inzwischen auch die Universitäten Metz, Mainz und Frankfurt sowie andere europäische Länder, wie z.B. die Universität Parma, mitwirkten. So kann die interessierte Öffentlichkeit seit 2012 im „Europäischen Kulturpark“ Bliesbruck-Reinheim eine der größten Einrichtungen der letzen 10 000 Jahre und besonders die der Kelten- und Römerzeit besichtigen. Nach unseren Kenntnis und Erfahrung ist sie die einzige, in der man innerhalb einer antiken Anlage von einem europäischen Land ins andere, vom deutschen ins französische, gehen kann.

Literatur: Reiseführer „Europäischer Kulturpark Bliesbruck-Reinheim“, IAC Édition d´Art, 2013

Internet: (auch Abb. (PDF): .:) https://www.europaeischer-kulturpark.de/

Abb. (PDF): Rechts im Bild, auf deutscher Seite, ein Wohnhaus der römischen „Villa“, links das Torhaus, das zum „Vicus“ auf französischer Seite führt.