Aus Politische Berichte Nr. 5/2018, S. 20 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Veranstaltung: „Ein Thema, das sowohl trennt wie eint“

„100 Jahre Revolution, 100 Jahre Demokratie in Bayern“ – Die „tiefste und positivste Zäsur in der bayerischen Geschichte“.Gemeinsame Veranstaltung von Friedrich-Ebert-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung

01 Dok: Kurt Eisner: Aufgaben der Räte – Rede auf der ersten Sitzung des Münchner Arbeiterrats am 5.12.1918 – Nach: Münchener Neueste Nachrichten Nr.620, 8. 12. 1918

Johannes Kakoures, München

Kaum ein anderes Ereignis hat die Welt, zumindest die europäische, so sehr verändert wie der Erste Weltkrieg. Konnte man nach dem Zweiten Weltkrieg auf viele Institutionen der Zwischenkriegszeit, etwa den dann zu den Vereinten Nationen umgewandelten Völkerbund zurückgreifen, fegte der Erste Weltkrieg Dynastien, die den Kontinent über Jahrhunderte beherrscht hatten, von der historischen Bühne und die moderne Staatlichkeit in ihren positiven und sehr negativen Seiten setzte sich durch. In der Arbeiterbewegung zementierte der Große Krieg die Spaltung. Für einen historischen Moment im Zentrum dieses Geschehens war Bayern und insbesondere München. Die Wittelsbacher wurden entmachtet, für kurze Zeit entstand eine Räterepublik, und die spätere Ordnungszelle Bayern hatte einen jüdischen Ministerpräsidenten aus einer Partei links der SPD. Grund genug und doch auch erstaunlich, dass dieses Jubiläum für die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Rosa-Luxemburg-Stiftung Anlass für eine gemeinsame Veranstaltung war. Im gut gefüllten Großen Saal des Gewerkschaftshauses wurden am 16.4. die Konsequenzen aus „100 Jahre Revolution, 100 Jahre Demokratie in Bayern“ beleuchtet und diskutiert.

RLS und FES gemeinsame Veranstaltung „nicht alltäglich“

Dr. Florian Weis, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der RLS betonte dann auch, dass eine solche gemeinsame Veranstaltung nicht die erste ihrer Art, aber auch nicht alltäglich sei. Für beide Stiftungen seien die Ereignisse von 1918/19 eine sehr emotionale Angelegenheit, was sich ja bereits in der Namensgebung beider Stiftungen wiederspiegle. Von allen politischen Stiftungen seien die beiden die einzigen, die sich auf Personen aus der Arbeiterbewegung bezögen. Es handele es sich um ein Thema, das sowohl „trennt wie eint“.

Warum Bayern ein Freistaat ist

Dr. Roland Schmidt von der Friedrich-Ebert-Stiftung betonte vor allem die „beeindruckenden Resultate der kurzen Eisner-Regierung“. Nicht nur sei das Königtum nach Jahrhunderten gestürzt worden, seit und wegen Eisner heiße Bayern „Freistaat“. Was heute von Konservativen wie eine Monstranz vor sich hergetragen werde, habe damals bedeutet: „frei von Monarchie“. Eisner selbst verkörpere idealtypisch die Spaltung der Arbeiterbewegung, habe er doch in der Redaktion des Vorwärts gearbeitet, bevor er zur USPD wechselte. Die persönliche Aversion zwischen Eisner und Auer sei einer der Hauptgründe für die Probleme der Revolution gewesen. Zur Erinnerung wiederhole er die Ereignisse knapp: So sei die USPD für die Räte gewesen, während die SPD schnelle Wahlen wollten. Bei diesen Wahlen ist die USPD auf 2 Prozent abgestürzt. Auf dem Weg in den Landtag, wo er seinen Rücktritt verkünden wollte, wurde Eisner erschossen. In der Folge kam es zu einer Schießerei im Landtag, bei der Eisners Kontrahent Auer schwer verletzt wurde. Trotz dieser Wirren sei damals Fundamentales durchgesetzt worden, so etwa der Acht-Stunden-Tag, die Abschaffung der geistlichen Schulhoheit, und es wurde eine Verfassung ausgearbeitet, die die bayerische Verfassungstradition begründet habe. Eine Beschäftigung mit dieser Zeit lohne allemal.

Die Geschichte der Revolution

Dr. Jürgen Zarusky vom Institut für Zeitgeschichte wollte vor allem auf „historische Perspektiven und Traditionsfragen“ eingehen. Er wies darauf hin, dass die Revolution in Bayern einige Besonderheiten aufwies: So wurde die Wittelsbacher bereits zwei Tage vor den Hohenzollern gestürzt und es seien nicht nur die alten Monarchien abgesetzt, sondern auch für vier Wochen eine Räterepublik begründet worden. Vergleichbares habe es zwar auch woanders gegeben, aber nicht in dieser Dauer. Ferner sei die starke Beteiligung von Intellektuellen eine Besonderheit, die im Charakter der Stadt München begründet sei. Diese war vor dem Krieg besonders liberal. Auch die Figur Eisners selbst sei eine auffällige Besonderheit der bayerischen Revolution. Auf der anderen Seite stelle sich die Niederschlagung der Revolution als echtes Massaker dar, das den Weg in die Ordnungszelle Bayern bereitet habe, die wiederum zumindest ein Nährboden für den Nationalsozialismus dargestellt habe.

Ausgangspunkt der Revolution ist der Erste Weltkrieg mit seinen Lasten insbesondere für die unteren Schichten und dem damit einhergehenden Legitimationsverlust der bisherigen Herrschenden. Bereits im Ersten Weltkrieg seien auch Konflikt angelegt worden, die sich später entwickelten. So hatten ein interfraktioneller Ausschuss aus Liberalen und Mehrheitssozialdemokraten ein Ende des U-Boot-Krieges gefordert, was u.a. der OHL und der Vaterlandspartei, der der Schriftsteller Ludwig Thoma angehörte, abgelehnt wurde. Ein wichtiger Schritt zur Revolution war der Frieden von Brest-Litowsk, der in Deutschland gegen den Willen der Gewerkschaftsführung eine große Streikbewegung verursachte, an der auch Kurt Eisner beteiligt war. Dies brachte ihm eine mehrmonatige Haftstrafe ein.

Die Ablehnung des Krieges vereinigte in der USPD Richtungen, die keineswegs homogen waren. Zarusky erinnerte daran, dass auch Bernstein, der Hauptideologe des „Revisionismus“ in den Spartakusgruppen eine politische Heimat fand. Ebenso inhomogen waren die Strömungen, die die Revolution trugen. Dies reichte von der Mehrheitssozialdemokratie über die besonders gemischte USPD bis hin zu Vertretern einer Diktatur des Proletariats.

Der Tag der Ermordung Eisners hatte weitreichende Folgen: war Eisner selbst noch Anhänger einer föderalistischen Demokratie mit Räten als partizipatives Element, der dementsprechend auch versuchte von Bayern aus Einfluss auf die Außenpolitik des Reiches zu gewinnen, verlor die Revolution mit ihm eine wichtige Führungspolitik. Der 22. Februar verhinderte eine geordnete Machtübergabe, der Landtag floh nach Bamberg und im März 1919 war generell ein starker revolutionärer Schub festzustellen, der in Ungarn zur Ausrufung der Räterepublik und in Berlin zu den Kämpfen führte, die Noske den Ruf als „Bluthund“ einbrachten. Am 7. April kam es zur Ausrufung der bayerischen Räterepublik zunächst ohne Beteiligung der Kommunisten. Erst der sogenannte „Palmsonntagsputsch“ motivierte die kleine KPD einzugreifen. Allerdings war die Ausstrahlung der Räterepublik auf Südbayern beschränkt, so dass die Versorgung der Stadt nicht gewährleistet war. Dies trug mit der fehlenden Kompromissbereitschaft der KPD ganz wesentlich zum Scheitern der versuchten Selbstbehauptung der Räterepublik bei. Daneben entwickelte sich auch in der Stadt ein erhebliches Misstrauen, was durch die Hinrichtung von zehn Gefangenen noch genährt wurde. Soweit die Bayerische Staatsregierung diese Zeit auf ihrer Homepage allerdings so charakterisiere, dass „die politische Gewalt eskaliert“ und „Links und Rechts Gräuel verübten“, vermittle sie ein Gleichgewicht, das es so nicht gegeben habe. Tatsächlich habe die Rechte einen Rachefeldzug begonnen. Bei der Frage, was übrig geblieben sei, sei neben den bereits genannten Aspekten insbesondere die maßgeblich von Eisner initiierte offensive Auseinandersetzung mit der deutschen Kriegsschuld zu beachten. Bei der Räterepublik selber sei demgegenüber wenig Nachhaltiges festzustellen. Sie sei daher eher Gegenstand einer Mythologisierung, die man überwinden sollte.

Positive Verfassungstradition?

Sebastian Zehetmaier berichtete, dass er sich zur Vorbereitung vor allem die Frage gestellte habe, was es denn noch neues zur Räterevolution zu berichten gäbe. Er sei hierbei auf eine Anfrage der Landtagsfraktion der SPD gestoßen, den 7. November zum Feiertag zu machen. Die Reaktion der Staatsregierung darauf sei durchaus interessant. So erklärt sie zum einen, dass es sich um die „tiefste und positivste Zäsur in der bayerischen Geschichte“ gehandelt habe. Auf der anderen Seite lehnte sie den Antrag ab, da er zu nahe am 9.November liege und daher eine Vermischung mit den Ereignissen von 1923, 1938 und 1989 zu befürchten sei. Tatsächlich hängen aber alle diese Daten eng miteinander zusammen, wie etwa das Schlagwort der „Abrechnung mit den Novemberverbrechern“ zeige.

Die CSU fokussiere sich in ihrer Bewertung der Ereignisse stark auf die Demokratie und Verfassung. Dies sei aber kritisch, da die Verfassung, die hier gefeiert werde, die rechtliche Grundlage für die brutale Niederschlagung der Räterepublik und die nachträgliche Aburteilung der Beteiligten mit insgesamt wohl 800 Toten gegeben habe. Trotz dieser Verfassung sei Bayern in den Jahren 1922/23 deutlich weniger demokratisch gewesen als etwa 1912/13. Sie habe der Regierung die Möglichkeit gegeben, auf Grundlage eines permanenten Ausnahmezustandes zu regieren, der erst 1925 aufgehoben wurde. Hinsichtlich der demokratischen Gestaltung bestanden deutliche Unterschiede zu Eisner Vorstellung, der eine „lebendig-tätige Demokratie“ unter permanenter Beteiligung der „Massen“ wollte und keine „formelle Wahldemokratie“. Die Anhänger der Räterepublik seien über diese Vorstellung noch hinausgegangen, da sie auch die Wirtschaft einer demokratischen Kontrolle unterwerfen wollten.

Die Frauen in der Revolution

Christiane Sternsdorf-Hauck stellte vor allem die Rolle der Frauen bei der Revolution dar und kritisierte, dass diese in den historischen Darstellungen kaum vorkämen. Dies unterscheide die Literatur von den Akten der Polizei und Staatsanwaltschaft, die im Hauptstaatsarchiv zu finden sind. Bei den damaligen Ermittlungen und Aburteilungen seien die Frauen sehr wohl berücksichtigt worden. Problematisch für die Forschung sei, dass es damals kein einheitliches Manifest der Frauen gegeben habe, sondern man sich deren Vorstellungen und Forderungen mühsam und einzeln aus Flugblättern und Protokollen heraussuchen müsse. Eine Forderung war, Frauen die Möglichkeit zu geben, Richterin zu werden. Sie durften zwar bereits seit 1911 Jura studieren, hatten aber keinen Zugang zu Positionen in der Justiz. Frauen, die Beamtinnen werden wollten, mussten zölibatär leben und die Forderung nach gleichem Lohn sei bis heute nicht verwirklicht.

Das schlechte Image der Revolution

Barbara Vogel warf die Frage auf, warum die Revolution im deutschen Geschichtsbewusstsein so ein „schlechtes Image“ gehabt habe. Es sei wohl richtig, wenn vom Ersten Weltkrieg als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ gesprochen werde. Dessen lange Dauer, die unzähligen Opfer und der Hunger führten in eine Kriegsmüdigkeit, die sich dann aber auch auf die Wahrnehmung der Revolution auswirkten. Die entsprechende Propaganda der Rechten, die von „Kriegsschuldlüge“ und Verrat sprach, trug neben den revolutionären Ereignissen selbst und der kurzen Dauer der Räterepublik, die auf einen Fehler schon ihres Ausgangspunktes schließen ließ, zur getrübten Erinnerung der Bevölkerung bei. In den 1960er Jahren kamen die Angriffe dann eher von der anderen Seite. Hier wurde in studentischen und historischen Diskussionen die SPD kritisiert, da sie die Idee der Räte nicht aufgenommen, die Revolutionäre selbst, da sie die Revolution nicht weiter getrieben hätten.

Demgegenüber lohne es sich durchaus auf die Erfolge der Revolution zu schauen, wie etwa die Durchsetzung der Demokratie als repräsentative Demokratie, den verfassungsrechtlich garantierten Sozialstaat und das allgemeine Wahlrecht. Im Prinzip sei der Erfolg der Revolution ein Wunder, da die Mehrheit der Bevölkerung gerade nicht viel von Demokratie, Gleichberechtigung oder den Gewerkschaften hielt. Sie wies darauf hin, dass die russische Revolution noch einmal zusätzlich die Spaltung der Arbeiterbewegung verstärkte, ebenso wie die Zusammenarbeit der SPD mit den Repräsentanten der alten Staatsmacht.

Wem gehört Eisner? Wohl niemand

Von der anschließenden kurzen Diskussion ist bemerkenswert, dass alle Podiumsteilnehmer der etwas seltsamen Frage, der Moderatorin, ob „Eisner“ denn nun der SPD oder der Partei Die Linke gehöre, souverän auswichen.

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Dok: Kurt Eisner: Aufgaben der Räte – Rede auf der ersten Sitzung des Münchner Arbeiterrats am 5.12.1918 – Nach: Münchener Neueste Nachrichten Nr.620, 8. 12. 1918

Auszüge: „(…) Sie wissen, daß in wenigen Wochen die Nationalversammlung, der neue Landtag in Bayern, gewählt werden soll (…) Ich bin überzeugt, wenn wir verhindern wollen, daß auch die neue Demokratie sich in einem leeren unfruchtbaren Parlamentarismus verliert, die Berufsparlamente, die Räte, daneben lebendig bleiben müssen. Sie werden die Organisationen der Wähler sein, nicht so, als ob nun über dem Landtag eine neue Oberaufsicht wäre und eine höhere Gewalt eingerichtet würde. Die Nationalversammlung oder der Landtag muß souverän sein; aber die Arbeiter bilden ihr eigenes Parlament, sie verhandeln ihre eigenen Angelegenheiten. Gerade für die Übergangszeit gibt es eine so unermeßliche Fülle neuer Arbeit, neuer Gedanken, neuer Probleme, daß, wenn erst einmal die Arbeiterräte zu arbeiten angefangen haben werden, sie sich kaum vor der Fülle der Arbeit zu retten wissen werden. (…) Sie können die gesetzgeberischen Vorschläge machen, nicht hinter den Türen der Fraktionszimmer, auch nicht durch die Führer und durch die Regierung, sondern sie sollen selbst unmittelbar ihre gesetzgeberischen Vorschläge, ihre Anregungen und Beschwerden unterbreiten.

Aber die Arbeiterräte sollen noch mehr sein. Sie sollen Aufsichtsorgane des gesamten öffentlichen Lebens des Bezirkes, in dem sie eingesetzt sind, sein. Sie sollen das öffentliche Leben kontrollieren, sie sollen sich mit der Tätigkeit der Regierung und auch der Selbstverwaltung beschäftigen, nicht als Exekutivorgane, aber als Kontrollorgane, als kritische Organe (…)

Nur eine solche Demokratie, in der die breitesten Massen jeden Tag mitarbeiten an den öffentlichen Angelegenheiten, leistet jene erzieherische Arbeit, ohne die wir zu unseren sozialistischen Zielen nicht gelangen können. …“

http://www.kurt-eisner-werke.org/IV078.html