Aus Politische Berichte Nr. 6/2018, S. 08 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

dok: Aktionen – Initiativen - Thorsten Jannoff, Gelsenkichen - Thema Migration

01 Pro Asyl: Mängel beim Bamf?

02 Niedersächsischer Flüchtlingsrat: Der eigentliche Bamf-Skandal

03 Falsche Asylbescheide durch das Bamf

04 Ankerzentren stoppen! Gemeinsame Stellungnahme von 24 Verbänden und Organisationen

05 „Bamf-Untersuchungsausschuss kein geeignetes Mittel der Aufklärung“. MdB Ulla Jelpke

01

Pro Asyl: Mängel beim Bamf?

Ran an die Probleme, nicht bloß an die Symptome!

Berlin. Die Ermittlungen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Bremen haben die Debatte über die Qualität der Asylentscheidungen erneut in die Öffentlichkeit gebracht. Die Herangehensweise greift aber zu kurz, wesentliche Probleme werden dabei außer Acht gelassen.

In der Bremer Außenstelle des Bamf soll es zu rechtswidrigen Praktiken bei Asylentscheidungen gekommen sein. Dabei bleiben aktuell noch viele Fragen offen – zum einen handelt es sich, soweit öffentlich bekannt wurde, um Anträge jesidischer Flüchtlinge, die in den allermeisten Fällen ohnehin Schutz erhalten; zum anderen ändert sich auch der Tatvorwurf immer wieder. Ob zunächst „bandenmäßige Verleitung zur missbräuchlichen Antragstellung“, dann Korruption oder nun Urkundenfälschung – was den Beteiligten genau zur Last gelegt wird, bleibt unklar. Obwohl die Umstände noch nicht geklärt sind, überbieten sich handelnde Politiker*innen aber jetzt schon in Forderungen nach Überprüfung von anerkennenden Entscheidungen und begehen dabei erneut altbekannte Fehler!

Denn das Problem liegt in strukturellen Mängeln begründet und betrifft genauso auch negative Entscheidungen, wie die hohe Erfolgsquote der Klagen vor Verwaltungsgerichten zeigt.

Viel mehr braucht es also eine umfassende Qualitätskontrolle im Bundesamt, wie Pro Asyl und viele weitere Verbände und Organisationen sie schon seit Jahren fordern.

Qualität der Entscheidungen: Seit Jahren Problemthema. Der eigentliche Skandal – Hunderttausende mangelhafte Asylentscheidungen – übertrifft das, was aktuell in Bremen in Rede steht, um ein Vielfaches, selbst wenn die Vorwürfe, es seien dort unrechtmäßige Entscheidungen in mehr als 1.200 Fällen ergangen, zuträfen. Bereits 2005 hat ein breites Bündnis die Qualität von Asylanhörungen und -entscheidungen bemängelt, in einem ausführlichen Memorandum aus dem November 2016 wurden die strukturellen Defizite und eine fehlende interne Qualitätskontrolle nochmals öffentlich gemacht.

Das übergreifende Problem des Bamf. Von der Politik angetrieben wurde nach 2015 alles unternommen, um mit schnell angeworbenen und schlecht geschulten Entscheider*innen bis zur Bundestagswahl ein Höchstmaß an Asylentscheidungen zu treffen. Deren Qualität war bis Herbst 2017 kein Thema. … Zwar hat das Bundesamt zwischenzeitlich Maßnahmen zur Qualitätsverbesserungen angekündigt, immer noch fallen aber beispielsweise anhörende und entscheidende Personen auseinander, unter anderem auch in den sensiblen Fällen türkischer Oppositioneller. Im Rahmen bisheriger Qualitätskontrollen gibt es zudem keinen systematischen Abgleich von Anhörungsprotokoll und Entscheidung. So können viele Fehler gar nicht erkannt werden.

Tausende unqualifizierte Dolmetscher. Ein weiteres Beispiel: Kürzlich – und nur dank einer Anfrage der Linken-Fraktion im Bundestag – wurde bekannt, dass in den Jahren 2017 und 2018 die Zusammenarbeit mit 2.100 Dolmetscher*innen beendet wurde. Schon in den Vorjahren war das Ausmaß des Problems aber durch Zeitungsberichte, eine Grünen-Anfrage im Bundestag und Hinweise von Pro Asyl bekannt. Immer wieder berichten Asylsuchende beispielsweise über Versuche von Dolmetscher*innen, auf Anhörungen Einfluss zu nehmen – bis hin zu versteckten oder offenen Drohungen – aber auch mangelhaften Dolmetscherleistungen.

Offenbar lange weitgehend folgenlos: Unzureichend qualifizierte Dolmetscher*innen konnten 2015 und 2016 weiter am Abbau der Verfahrensrückstände des Bamf mitwirken. 2017 wurden dann 30 von ihnen wegen „Verletzungen des Verhaltenskodex“ entlassen – was sich dahinter genau verbirgt, bleibt genauso im Dunklen, wie die Gründe für das Ende der Zusammenarbeit mit den übrigen über 2 000 Dolmetscher*innen.

https://www.proasyl.de/news/hohe-schutzquoten-eine-statistik-gegen-die-frustration/

Abb. (PDF): . (PDF): Statistik zur Entscheidungen

02

Niedersächsischer Flüchtlingsrat: Der eigentliche Bamf-Skandal

Hannover. In der Bremer Außenstelle des Bamf soll es zu rechtswidrigen Praktiken bei Asylentscheidungen gekommen sein. Die politisch motivierte systematische Absenkung der Zahl positiver Entscheidungen durch eine Änderung der Anerkennungskriterien bleibt in der öffentlichen Debatte jedoch noch weitgehend unterbelichtet. Der eigentliche Skandal – Hunderttausende mangelhafte Asylentscheidungen – übertrifft das, was aktuell in Bremen in Rede steht, um ein Vielfaches.

Beim Bamf in Bremen wurden, soweit öffentlich bekannt wurde, Asylanträge v.a. von jezidischen Flüchtlingen bearbeitet und inhaltlich entschieden, die ohne eine inhaltliche Prüfung in andere europäische Staaten hätten abgeschoben werden können. Da die Jeziden vor dem Hintergrund des IS-Terrors im Irak und Syrien 2015 und 2016 auch in anderen europäischen Staaten Schutz erhielten, geht es in den meisten Fällen also nicht darum, dass „zu Unrecht“ Schutz gewährt wurde, wie dies immer wieder öffentlich kolportiert wird, sondern dass dies in Deutschland geschah. Ob und in welchem Ausmaß die getroffenen Entscheidungen überhaupt wieder aufgehoben werden können – zumindest in den Dublin-Verfahren dürfte die Überstellungsfrist von sechs Monaten längst abgelaufen sein – erscheint fraglich.

Was jedoch in der Debatte um die strukturellen Mängel bei den Bamf-Entscheidungen weitgehend unterzugehen droht, ist die inakzeptable Fehlerquote bei negativen Entscheidungen, wie sich an der hohen Erfolgsquote der Klagen vor Verwaltungsgerichten zeigt. Es braucht eine umfassende Qualitätskontrolle im Bundesamt, wie Pro Asyl und viele weitere Verbände und Organisationen sie schon seit Jahren fordern.

Von der Politik angetrieben wurde nach 2015 alles unternommen, um mit schnell angeworbenen und schlecht geschulten Entscheider_innen bis zur Bundestagswahl ein Höchstmaß an Asylentscheidungen zu treffen. Deren Qualität war bis Herbst 2017 kein Thema. Im Bamf stand – mit Unterstützung von gut bezahlten Unternehmensberatungsfirmen – die Optimierung von Abläufen im Vordergrund, sprich: Tempo. Sicherstellung der Verwirklichung eines Grundrechts durch adäquate Gestaltung der Asylverfahren? Das wollte man sich nicht leisten.

Überprüfung wird den Gerichten überlassen.

Die vielen mangelhaften Entscheidungen des Bamf haben weitreichende Folgen über das Bundesamt hinaus: Etliche Asylbewerber*innen müssen vor Verwaltungsgerichten klagen, um den ihnen zustehenden Schutzstatus zu erhalten. Ende 2017 waren dort noch über 370 000 Verfahren anhängig. Und im vergangenen Jahr hatten 40,8 Prozent der Kläger*innen Erfolg (bereinigte Schutzquote): Fast die Hälfte der überprüften Asylbescheide wurde also durch die Verwaltungsgerichte korrigiert – bei syrischen und afghanischen Asylsuchenden waren es sogar über 60 Prozent! (Zahlen aus der Antwort auf eine Anfrage der Linken im Bundestag) Mit großer Impertinenz hat die Politik Vorgaben gemacht, die dazu führen, dass das Bamf seiner langjährigen Devise folgte: Unser Korrektiv sind die Verwaltungsgerichte – anstelle einer wirklichen Qualitätskontrolle im Hause selbst.

www.nds-fluerat.org

03

Falsche Asylbescheide durch das Bamf

Osnabrück. Der Deutsche Städtetag drängt in der Affäre um falsche Asylbescheide auf eine rasche Aufklärung. „Wir müssen darauf vertrauen können, dass es bei den Asylverfahren korrekt zugeht. Deshalb müssen zügig alle Fakten auf den Tisch, es darf nichts unter den Teppich gekehrt werden“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Dienstagausgabe). „Das ist auch deshalb nötig, weil die Städte wollen, dass Integration gelingt und die Menschen Asylberechtigten nicht mit Misstrauen begegnen.“ Das Ansehen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) habe Schaden genommen. Dieser Schaden könne nur durch rückhaltlose Aufklärung und die daraus notwendigen Konsequenzen beseitigt werden. „An dieser Stelle muss Vertrauen wieder hergestellt werden“, so Dedy. Ob ein Untersuchungsausschuss sinnvoll sei, bezweifle er, weil es auf Tempo bei der Aufklärung ankomme. Entscheiden könnten über den Umgang mit dem Thema im Parlament aber nur die Abgeordneten selbst.

www.staedtetag.de

04

Ankerzentren stoppen!

Gemeinsame Stellungnahme von 24 Verbänden und Organisationen

Berlin. 24 Verbände und zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter auch der Paritätische Gesamtverband, fordern in einem gemeinsamen offenen Brief an die Städte und Gemeinden sowie das Innen- und das Familienministerium, die Rechte und das Wohl von Kindern in der Debatte um die geplanten Ankerzentren zu achten.

„Auf Grundlage der bisher bekannten Pläne steht für uns fest: Ankerzentren werden keine geeigneten Orte für Kinder und Jugendliche sein“, sagte terre des hommes-Kinderrechtsexperte Thomas Berthold. 45 Prozent der 2017 nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge waren Kinder und Jugendliche. Ihre Rechte müssen in allen Verfahren berücksichtigt werden. Dazu gehören zum Beispiel der Besuch von Schulen und Kindergärten und eine Umgebung, in der Kinder sicher und gesund aufwachsen können. „Es ist pädagogisch und rechtlich außer Frage, dass Kinder nicht nur besonderen Schutz benötigen, sondern ihnen elementare Rechte nicht vorenthalten werden dürfen. Das Kindeswohl muss Vorrang vor flüchtlingspolitischen Erwägungen haben“, so Nerea González Méndez de Vigo, juristische Referentin beim Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. „Die geplante Unterbringung von unbegleitete minderjährige Flüchtlingen in Ankerzentren gemeinsam mit Erwachsenen widerspricht dem Vorrang der Kinder- und Jugendhilfe“.

www.der-paritaetische.de/presse/ankerzentren-stoppen-gemeinsame-stellungnahme-von-24-verbaenden-und-organisationen/

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„Bamf-Untersuchungsausschuss kein geeignetes Mittel
der Aufklärung“

„Die Aufklärung der Probleme im Bamf muss im Innenausschuss erfolgen. Insofern begrüße ich die für nächsten Dienstag anberaumte Sondersitzung. Während der Innenausschuss eine konsequente Untersuchung der Vorfälle im Bamf vornehmen kann und muss, gießt ein Untersuchungsausschuss nur Wasser auf die Mühlen der rechten Hetzer von der AfD und der in ihrem Fahrwasser segelnden Lindner-FDP. Aufklärung ist so kaum zu erwarten. Insbesondere würde sich durch einen Untersuchungsausschuss an den katastrophalen Zuständen in der Behörde nichts ändern. Daher lehnen wir die Einsetzung eines solchen Gremiums ab“, erklärt die innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke. Ulla Jelpke zur Forderung nach einem Untersuchungsausschuss von Seiten der AfD und FDP. Jelpke weiter:

„Ich sehe es als einen Erfolg an, dass die Bamf-Leiterin Jutta Cordt nun auch Negativentscheidungen einer Überprüfung unterziehen will. Wir haben immer wieder angemahnt, dass es gerade im Bereich der Ablehnungen massive Missstände gibt. Es kann schließlich nicht angehen, dass schutzsuchende Menschen aufgrund der mangelnden Ausbildung von Entscheidern und dem massiven politischen Druck durch verhetzende Abschiebeparolen in Krieg, Folter und Tod geschickt werden.“

https://www.ulla-jelpke.de