Aus Politische Berichte Nr. 6/2018, S. 18 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

dok: Rechte Provokationen --- Demokratische Antworten

Redaktionsnotizen • Zusammenfassung: Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

Redaktionsnotizen

01 Bunt schlägt braun in Berlin.

02 Rechtes Netzwerk PI News gibt Privatadresse preis.

03 Polizei lässt sich von der AfD nicht vereinnahmen.

Bericht

04 Rechtspopulismus und AfD: Argumente und Handlungsempfehlungen. Olaf Argens, Schmitten/Hessen

01

Bunt schlägt braun in Berlin. Unter der originellen Losung „Merkel muss weg“ wollte die AfD am 27. Mai mit einer bundesweiten Demonstration in Berlin erstmals nach der Bundestagswahl Stärke demonstrieren. Das misslang. Schon im Vorfeld reduzierte die AfD die Zahl der angekündigten Teilnehmer von 10 000 auf 5 000, aus einzelnen Landesverbänden flog auf, dass diese Reiseprämien pro Teilnehmer anboten. Am Ende marschierten ca. 5000 Teilnehmer mit fast zwei Stunden Verspätung vom Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor, angeführt von der kompletten Bundesprominenz der Partei unter fremdenfeindlichen Hetzreden. Vereinzelte Reichskriegsflaggen, unübersehbar im von der Partei verteilten schwarz-rot-goldenen Fahnenmeer, zeigten den braunen Kern der AfD. Ihnen entgegen trat ein breites Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften, Künstlern, Antifa- und Antira-Gruppen, Ravern, Clubs, die zu vielen bunten, teils partyähnlichen Aktionen für offene Grenzen, Menschenrechte, Gleichberechtigung und Solidarität eintraten. Laut Polizei beteiligten sich „deutlich über 25 000“ Menschen.

02

Rechtes Netzwerk PI News gibt Privatadresse preis. – Vor der Pokalsieg-Feier der Eintracht auf dem Frankfurter Römerberg traf D. Cappelluti, Geschäftsführerin der Frankfurter Grünen, auf A. Gauland, AfD. Sie fordert ihn laut auf, die Altstadt zu verlassen, schließlich feiere hier die Eintracht, die sich klar gegen die AfD positioniert habe. Das Video ihres Auftritts stellte sie auf Facebook. PI News griff den Vorfall auf und veröffentlichte ihre Privatadresse, seitdem bekommt sie Morddrohungen. Der grüne Bundestagsabgeordnete O. Nouripour fordert, das islamophobe Netzwerk staatlich überwachen zu lassen.

FR, 28.5.18

03

Polizei lässt sich von der AfD nicht vereinnahmen. – Nach der Tötung eines 19-jährigen aus Afghanistan durch einen Polizisten erklärte sich die AfD, Kreis Fulda, solidarisch mit der Polizei. „Die Polizei bleibt unser Freund“ lautete der Slogan auf der Kundgebung. Der Pressesprecher der osthessischen Polizei, C. Stahl: „Es mag die Intention der AfD sein, uns zu vereinnahmen, aber es gelingt ihr nicht.“ Der hessische AfD-Landessprecher R. Lambrou erklärte, viele hessische Polizisten seien Mitglied und wählten AfD. Das Bündnis „Fulda stellt sich quer“ beantwortete die AfD-Aktion mit einer Gegenkundgebung mit 400 Teilnehmenden.

Osthessische Zeitung, 30.4.18

04

Rechtspopulismus und AfD: Argumente und Handlungsempfehlungen

Olaf Argens, Schmitten/Hessen

Über den Rechtspopulismus und seine Etablierung in der Partei AfD gibt es viele Untersuchungen und Studien. Eine Übersicht, die immer wieder aktualisiert wird, findet sich in https://filebox.die-linke.de/index.php/s/RWQIdNnGXJnowXw. Die hier skizzenhaft referierten Empfehlungen und Studien der AmadeuAntonio Stiftung, des Progessiven Zentrums und oxiblog sind dieser Übersicht entnommen. Die verschiedenen Ansätze sind ergänzend und nicht kontrovers zu lesen.

Nachfragen, Klarstellen, Grenzen setzen“. Nachdem sich das politische Gewicht der Rechtspopulisten im Zuge verschiedener Landtagswahlerfolge sprunghaft erhöht hatte, erstellte ein Team von Autorinnen und Autoren für die Amadeu Antonio Stiftung 2016 Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/afd-handreichung.pdf. Die Empfehlungen sind vor allem gedacht für Auseinandersetzungen in Parlamenten und Gemeindevertretungen, in den Medien sowie im pädagogischen und schulischen Bereich.

Die Empfehlungen ordnen die Programmatik und Demagogie der AfD politisch ein und bewerten sie: Da in der deutschen Debattenkultur rassistische Ressentiments und Sexismus sichtbar vorhanden sind, können die Rechtspopulisten an aktuellen und kontrovers diskutierten Themen anknüpfen und die anderen Parteien vor sich hertreiben, ohne dass sie den Anschluss an den gesellschaftlichen Mainstream verlieren. Die AfD orientiert sich an einer strategischen Option des Rechtsextremismus, indem sie sich demokratischer Mittel bedient, um an gesellschaftlichen Debatten teilzunehmen und als legitime Partei unter vielen zu erscheinen. Eine Verortung der Partei als Ganzes innerhalb des politischen Spektrums ist schwierig. Ein Grund dafür ist das länderspezifische Auftreten der AfD. Auch die Landeswahlprogramme enthalten unterschiedliche Schwerpunkte und berücksichtigen regionale Besonderheiten.

Soweit die Forderung nach direkter Demokratie erhoben wird, richtet sich das gegen die Verfahrensweisen liberal-pluralistischer Demokratien. Demokratie ist für die AfD die Herrschaft einer deutsch definierten Mehrheit.

Mit der Anti-Establishment-Haltung wird einer konstruierten Elite ein ebenfalls konstruiertes Volk gegenübergestellt. Der Volksbegriff ist rassistisch, kulturalistisch und nationalistisch geprägt.

Es ergeben sich folgende Handlungsempfehlungen: Da die Politiker und Politikerinnen der AfD die Gleichheit der Menschen bestreiten, verbietet sich ein Dialog. Man muss ihnen vor allem argumentativ entgegentreten. Das ist arbeitsintensiv. Konflikte sind dabei auszuhalten. Das kann auch bedeuten, das Hausrecht zu gebrauchen und das Einhalten von Regeln durchzusetzen.

Die Auseinandersetzung mit Demagogie erfordert die Kenntnis der Regeln der Demagogie. Den Positionen der AfD muss aus allen anderen Parteien deutlich entgegen getreten werden. Der Versuch durch sprachliches Aufrüsten der AfD das Wählerpotential abzugraben, wird letztlich nur dieser selbst nutzen. Die Rechtspopulisten dürfen nicht als normale Rechtsaußen-Partei akzeptiert werden.

Da die AfD trotz ihrer Radikalisierung heterogen ist, setzt eine erfolgreiche Auseinandersetzung die Kenntnis der Unterschiede voraus. Ein pauschaler Ausschluss der AfD aus dem demokratischen Diskurs ist nicht möglich und kann auch nicht das Ziel sein.

Die historische Zäsur verstehen“. Thomas Falkner und Horst Kahrs haben für oxiblog (https://oxiblog.de) zahlreiche jüngere Studien zum Aufstieg der AfD untersucht und dazu einen Literaturbericht erstellt. Danach liegt der Etablierung des Rechtspopulismus als Partei ein längerfristiger Prozess gesellschaftlicher Veränderungen zugrunde. Es existieren zentrale ungelöste gesellschaftliche Probleme und Konflikte. Damit verbunden ist eine Delegitimierung politischer Institutionen und Eliten – einschließlich der Linkspartei.

Die Veränderungen, auf die sich die Autoren beziehen, haben zur Folge, dass sich Erwartungen, Zusagen und Wertefundamente als brüchig und nicht mehr haltbar erwiesen. Parteipolitisch führten sie zur Gründung der PDS/Die Linke und eben der AfD, da hier eine offen aufbrechende Vertretungslücke entstanden war.

Mitzudenken ist ferner eine Veränderung der Architektur der gesellschaftlichen Kultur: In der alten Bundesrepublik existierte ein mittiger, integrationsfähiger, pluralistischer, hegemonialer Block. Nach 1990 wandelte sich diese Architektur: Es entstand eine kulturelle und politische Gegenströmung gegen eine pauschale Abwertung des in der DDR gelebten Lebens, insbesondere von alltagswirksamen Werten wie Solidarität und sozialer Verantwortung. Auf der anderen Seite gab es eine aufbrechende Debatte über die Nation und nationale Zusammengehörigkeit, die Tabuzonen nach rechts aufbrach. Die Westbindung war nicht mehr defensiv und disziplinierend. Die immer dominanter auftretende Bundesrepublik betrieb eine Expansion des eigenen Modells nach Osten.

Im Zuge eines sich verschärfenden Standortwettbewerbs begann die Legitimation des weiter existierenden hegemonialen Blocks zu erodieren. Seine Basis wurde deutlich schmaler und die Integrationskraft sank.

Die hier nur angerissenen Entwicklungen gehören zum Nährboden politischer Veränderungen und Umbrüche, die den Rechtspopulismus begünstigten. Die Flüchtlingsbewegung war also nicht die Ursache, sondern eher Auslöser und Beschleuniger. In diesem Prozess waren in einer ersten Etappe bereits gesellschaftliche Biotope entstanden, in denen sich sozial-ökonomische Abgehängtheit, Abkoppelung von Demokratie und Zivilgesellschaft sowie Akzeptanz und Deutungsmacht rechtsradikaler Positionen miteinander verbanden. Bereits die statistisch auffälligen Stärken in der Anhängerschaft verweisen auf eine Vielschichtigkeit miteinander verwobener Ebenen der Motiv- und Handlungsfelder. Als verbindende Faktoren erscheinen vor allem gemeinsame Erlebniswelten und ihre Verarbeitung: Zurücksetzung, Ressentiment, Kontrollverlust, Zorn …

Angesichts der empirischen Befunde erscheinen viele Deutungen als verkürzt: So die Bewertung als völkisch-nationaler Kraft. Die AfD ist auch nicht nur rechtspolitische Protestpartei der sozial-kulturell „Abgehängten“, sondern auch politische Manifestation eines heimatlos gewordenen wert- und nationalkonservativen Milieus. Die Wahlerfolge sind auch nicht allein als Folge erlittener Verluste und Zurücksetzungen zu begreifen, sondern ebenfalls als Ausdruck der Ansicht, dass es in Zukunft nicht besser werden wird.

Für die beiden Autoren steht die Konfliktlinie Skeptiker und Befürworter von Modernisierungsprozessen im Zentrum. Dabei geht es weniger um die soziale Lage als um Erwartungen. Die Konfliktlinie unterscheidet zwar die AfD von den anderen Parteien, durchläuft diese allerdings ebenfalls.

Rückkehr zu den politisch Verlassenen“. Die Studie, die Johannes Hillje im Auftrag des Progressiven Zentrums (www.progressives-zentrum.org/die-verlassenen) und dem französischen Partner Liegey Muller Pons erstellt hat, beruht auf Haustürgesprächen, die nach den letzten Bundestagswahlen und den Präsidentschaftswahlen in strukturschwachen Gebieten in Deutschland und Frankreich geführt wurden. Hillje wollte Menschen zu Wort kommen lassen, über die in den öffentlichen Debatten viel gesprochen wird, die sich aber selten selbst äußern können. Es wurden nicht gezielt Wähler der AfD oder des Front National befragt. Die Fragen waren offen formuliert. Es ging um eine Bewertung der eigenen Lage und die Sicht auf das Lebensumfeld und das Land.

Die wesentlichen Aussagen der Studie sind folgende: Zwischen der Strukturschwäche des Gebiets und den Wahlerfolgen der Rechtspopulisten besteht nicht unbedingt ein kausaler Zusammenhang. Das Verhältnis ist besser mit Häufigkeit beschrieben.

Als Grund für den Unmut und die Zukunftsängsten der befragten Menschen ist nicht Fremdenfeindlichkeit, sondern die Herausforderungen des Alltags unter schwierigen sozialpolitischen Bedingungen zu nennen. Es besteht eine auffällige Diskrepanz zwischen dem, was als größtes Problem des Landes („Migration“) herausgestellt wird und der Beschreibung eigener Alltagserfahrungen. Die Abwertung Anderer, insbesondere von Migranten, wird als Folge eigener Abwertungserfahrungen charakterisiert. Das Muster ist nicht eine verinnerlichte Fremdenfeindlichkeit.

Die Schlagworte der Rechtspopulisten spielten in den Gesprächen eher eine untergeordnete Rolle. So wurde Europa eher als Teil einer Lösung, nicht als Problem gesehen. Forderungen nach einem nationalistischen Kurs (Deutschland zuerst) beruhten häufig auf dem Gefühl, dass politische Prioritäten falsch gesetzt würden. Maßnahmen zur Unterstützung von Flüchtlingen und außenpolitisches Engagement wurden nicht grundsätzlich als falsch bewertet. Das Problem entsteht, wenn Anstrengungen und Investitionen vor Ort ausbleiben.

„Das Volk“ und Politiker von AfD und FN wurden eher selten als Problemlöser angesehen. Auch wurden Wahlversprechen nicht hoch bewertet, Eher ging es um Verbesserungen „Schritt für Schritt“.

Für Hillje ergeben sich aus den Gesprächen folgende Handlungsempfehlungen: Eine nach außen offene und solidarische Gesellschaft muss nach innen gefestigt und genauso solidarisch sein. Die Sozial-und Infrastruktur ist zu stärken. Strukturwandel ist gesellschaftlich verträglich zu gestalten. Die Parteien müssen sich vor Ort nützlich machen.#

Abb.(PDF): "Cover Rückkehr..."

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