Aus Politische Berichte Nr. 7/2018, S.16 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

dok: Rechte Provokationen --- Demokratische Antworten

Redaktionsnotizen • Zusammenfassung: Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

01 Zukunftsthema Rente auf dem AfD-Parteitag in Augsburg beschlossen.

02 Psychiatrischen Anstalt in Hadamar bekennt sich zur Erinnerungsverantwortung für die „Euthanasie“-Opfer des NS-Staats.

03 Vorsitzender des hessischen Ausländerbeirats stellte Anzeige wegen des Verdachts der Volksverhetzung.

04 Ausstellung „Keine Alternative“.

05 Lesehinweis: Erlebniswelt Rechtsextremismus-Stefan Glaser, Thomas Pfeiffer (Hg.)

Lektürebericht

06 Lektürebericht: Rechtspopulismus und Gewerkschaften – Eine arbeitsweltliche Spurensuche

01

Zukunftsthema Rente auf dem AfD-Parteitag in Augsburg beschlossen. Für die Landtagswahlen (2018 in Hessen und Bayern sowie 2019 in Thüringen, Sachsen und Brandenburg) will die AfD ihre Macht bis zur Regierungsbeteiligung ausbauen.

A. Weidel, Vorsitzende der Bundestagsfraktion sagt, eine Koalition mit der CSU sei langfristig denkbar, wenn diese sich inhaltlich noch weiterbewege und auch „Personal getauscht hat“. Die weitere Entwicklungsrichtung der Partei wurde mit dem – laut Höcke – Zukunftsthema der AfD, nämlich Rentenpolitik, für einen Sonderparteitag im Jahr 2019 beschlossen: „Wir werden uns verstärkt der ,kleinen Leute‘ annehmen und die sozialen Errungenschaften von 150 Jahren Arbeiterbewegung gegen die zerstörerischen Kräfte des Raubtierkapitalismus verteidigen!“. Höcke will u.a. kleine Renten mit einer Zuschussrente aufstocken – mit nationaler Komponente: einen Rentenaufschlag für gering verdienende Deutsche. „Zeigen wir, dass die AfD die Partei des solidarischen Patriotismus ist“, wirbt er. „Verknüpfen wir Identität und Solidarität in einem symbolpolitischen Akt.“ Dies passt zu den anderen nationalen Elementen in der AfD-Programmatik: Mehrwertsteuer senken, Mindestlöhne erhöhen, aber nur für Deutsche. Die „Staatsbürgerrente“ lehnen Meuthen und weitere führende AfD-Politiker ab. Sie wollen auf dem nächsten Parteitag ihre Option einer Eigenvorsorge im Rahmen des marktwirtschaftlichen Systems mehrheitsfähig machen. Meuthen forderte in seiner Rede eine Wende in der Altersvorsorge hin zu größtmöglicher Eigenverantwortung. Diese müsse einhergehen mit einer deutlich höheren Besteuerung von „Luxuskonsum“. Insbesondere Millionen von Ostdeutschen erhielten Renten im Bereich der Grundsicherung, obwohl sie jahrzehntelang eingezahlt hätten. Den Bürger*innen sollte „Schritt für Schritt eine selbstgewählte freie Form ihrer Altersvorsorge“ ermöglicht werden. Wer das nicht schaffe, für den solle der Staat aus Steuermitteln aufkommen.

Quelle: https://www.sozialismus.de/kommentare_analysen/detail/artikel/partei-des-national-sozialistischen- patriotismus/

02

Psychiatrischen Anstalt in Hadamar bekennt sich zur Erinnerungsverantwortung für die „Euthanasie“-Opfer des NS-Staats. Dort ermordeten die Nazis 15 000 behinderte und psychisch kranke Menschen durch Gas und später durch Verhungernlassen. Zum Gedenken wurde jetzt mitten im Ort das „Denkmal der grauen Busse“ eingeweiht. Bürgermeister M.Ruoff (CDU) spricht von Erinnerungsverantwortung, der sich die Stadt stellen muss. Diskutiert wird, ob das Denkmal, das bereits in 20 Städten aufgestellt war, dauerhaft in Hadamar bleiben soll. Dies wäre ein erinnerungspolitischer Durchbruch in der Stadt, die sich bisher mit der Geschichte schwer tat. „Wenn die Stadtgesellschaft jetzt hier mit dem Bus so umgeht, dass die Ängste der Politiker verschwinden, dann hat es eine Chance“, so der Künstler Horst Hoheisel. Schülerinnen des Musikgymnasiums Montabaur recherchierten die Geschichten von in Hadamar Ermordeten, darunter auch die lange unbekannte Geschichte von Gertrud Stockhausen. Ihr Sohn, der bekannte Komponist Karl-Heinz Stockhausen, widmete seiner Mutter eine Oper.

Quelle: Deutschlandfunk, 7.5.18

03

Vorsitzender des hessischen Ausländerbeirats stellte Anzeige wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Gegen die Äußerung des AfD-Fraktionsvorsitzenden A. Gauland „Hitler und die Nazis“ seien „nur ein Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ hat E. Gülegen, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessen (agah), bei der Staatsanwaltschaft Wiesbaden Strafanzeige gegen Gauland gestellt. Die Äußerung sei „skandalös und ein unerträglicher Hohn gegenüber den Opfern des Holocaust“, erklärte Gülegen. Er warf Gauland vor, er verharmlose, relativiere und spiele die Verbrechen des Nationalsozialismus offensichtlich bewusst herunter. Den „bewussten ständigen Provokationen führender AfD-Vertreter“ müsse Einhalt geboten werden.

Quelle: Hessenschau, 6.6.18

04

Ausstellung „Keine Alternative“. Die Ausstellung der VVN-BdA zur AfD ist überarbeitet. Sie hat den Titel: „Keine Alternative!“ und analysiert die Ideologie der „Alternative für Deutschland“ und die Beziehungen dieser Partei zu einer breiten völkischen Bewegung in Deutschland. Die gegenseitige Beeinflussung von Partei einerseits, extrem rechten Medien, Gruppen und Anführern andererseits, ist kennzeichnend für die AfD und entscheidend für deren weitere Entwicklung.

Die Ausstellung ist unter https://vvn-bda.de/ausstellung-keine-alternative/ anzuschauen und auszuleihen.

05

Lesehinweis: Erlebniswelt Rechtsextremismus – modern – subversiv – hasserfüllt. Hintergründe und Methoden für die Praxis der Prävention, Stefan Glaser, Thomas Pfeiffer (Hg.)

Sonderausgabe der Zentralen für politische Bildung (ZpB), 334 Seiten, 6,50 Euro zzgl. Versand

06

Lektürebericht:

Rechtspopulismus und Gewerkschaften

Eine arbeitsweltliche Spurensuche

Rosemarie Steffens, Langen/Hessen

Im Milieu der Gewerkschaftsmitglieder wählten 15 % bei der Bundestagswahl die AfD, das sind mehr als die 12,6 %, die die AfD insgesamt erzielte. Da die »Welt der Arbeit« in der Rechtspopulismus-Forschung noch nahezu im Dunkeln liegt, hat der VSA-Verlag im Februar 2018 eine Studie über das Erstarken des Rechtspopulismus in den Gewerkschaften veröffentlicht. Der Studie liegt die Fragestellung zu Grunde: „Gibt es im betrieblichen und gewerkschaftlichen Kontext einen arbeitsweltlichen Nährboden dafür, dass dort rechtspopulistische Orientierungen breiter werden?“

Befragt wurden Haupt- und Ehrenamtliche sowie Vorstandsmitglieder von DGB, IG Metall und Verdi, Betriebs- und Personalräte in unterschiedlichen Produktions- und Dienstleistungsbereichen, insgesamt 114 Personen, die Erfahrungen und Umgangsformen mit Rechtspopulismus in Gewerkschaften und Betrieben zusammentrugen.

Die Studie dokumentiert die Interviews mit den Befragten und bietet einen guten Einblick in betriebliche Problemlagen und den Umgang mit Rechtspopulismus.

Die Teilnehmenden äußerten sich zu drei Fragekomplexen:

1. Inwiefern und in welcher Form treten rechte Orientierungen und Aktivitäten in den Betrieben verstärkt auf?

2. Haben die Verhältnisse in den Betrieben etwas mit dem Aufstieg des Rechtspopulismus zu tun? Sind sie Teil des Nährbodens, auf dem rechte Orientierungen und auch eine Partei wie die AfD gedeihen können?

3. Wie artikuliert sich die Entfremdung gegenüber dem politischen Feld, insbesondere den Parteien? Wann und wie schlägt diese in Establishment-Kritik um?

Zu 1. – Alle berichteten von einer betrieblichen Klimaveränderung mit der Fluchtbewegung 2015, die wie ein i-Punkt auf bereits vorhandene Signale für eine Änderung der öffentlichen Stimmung wirkte. Vor diesem „Dammbruch“ gab es bereits Gründe für große Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen. Die von Pegida und AfD zur Zielscheibe erhobene Islamisierung des Abendlandes lenkte die Stimmung, auch in der Gewerkschaft, teilweise gegen die Geflüchteten um. Es kam zu einer Enttabuisierung rassistischer Ressentiments aufgrund von Angst: „Die nehmen uns was weg“. Die sozialen Auseinandersetzungen werden von AfD-Anhängern nicht mehr auf einer vertikalen Konfliktachse Kapital und Lohnarbeit verortet, sondern horizontal: wir gegen die anderen – nationalistisch, ethnisch, kulturell. AfD-Anhänger werden als Protestpotenzial erlebt, das auch mal links wählt und vertritt, die AfD sei keine Nazipartei. Begünstigend wirkt dabei, wenn Gewerkschaften parteipolitische Neutralität „aus demokratischen Gründen“ einfordern.

Der Rechtspopulismus trete in der gewerkschaftlichen Öffentlichkeit als rücksichtsloser Fürsprecher der „kleinen Leute“ im Betrieb auf. Der Betriebsrat werde als Teil des Establishments, weil zu kompromissbereit, angegriffen. Rechtspopulisten kandidierten, manchmal unerkannt, erfolgreich auf gewerkschaftlichen oder rechten Listen – wie die Liste Automobil bei Daimler im März 2018 –, um die linke Arbeit der Gewerkschaft zu beenden.

Bei der Meinungsmache der Rechtspopulisten im Betrieb spielten verdeckte Strukturen über soziale Medien eine große Rolle. Unter der Decke einer scheinbar befriedeten betrieblichen Öffentlichkeit nähmen Enttabuisierung und Enthemmung freien Lauf, nicht reglementiert von Facebook, Google und Twitter und ohne Zwang, sich rechtspopulistisch outen und sich gewerkschaftlichen und unternehmerischen Widerständen aussetzen zu müssen.

Zu 2. – Die betrieblichen Verhältnisse hätten sich verschlechtert, und gleichzeitig sei kein adäquater Schutz von Gewerkschaftsseite wahrnehmbar. Berichtet wird von fortwährendem Druck, Unsicherheit von Beschäftigung, Einkommen und Arbeitsbedingungen durch ständige Restrukturierung von Betriebsabläufen, Aufspaltungen, Verlagerungen, Standortkonkurrenz, Kostensenkungsprogrammen und damit größerer Konkurrenz der Beschäftigten untereinander.

Orte und Zeiten, an denen Solidarität gelebt werden könne, würden immer weniger bereitgestellt. Bei manchen entstehe dadurch Abstiegs- und Zukunftsangst und Angst vor Kontrollverlust, andere reagierten mit Wut oder Resignation. Fehlende Anerkennung fördere das Gefühl von Machtlosigkeit. Insbesondere Kolleg*innen aus ostdeutschen Bundesländern müssten vielfach schwierigere Umfeldbedingungen verkraften und fühlten sich mit ihren enttäuschten Hoffnungen allein gelassen. Die Unsicherheit des Arbeitsplatzes und Hilflosigkeit verbinde sich mit gesellschaftlicher Unsicherheit zu einem explosiven Gemisch und der Suche nach Schuldigen.

Zu 3. – Der Staat werde nach einer 30-jährigen neokonservativ-neoliberalen Epoche oft als feindliche Institution wahrgenommen: als der Staat »der anderen«. Von der Politik würden deshalb keine regulierenden Eingriffe oder gar Lösungen mehr erwartet. So würden die von Schwarz-Rot in den letzten Jahren auf den Weg gebrachten Arbeitsmarktreformen in ihrer Wirkung auf die Arbeitswelt überwiegend als Schlechterstellung von Lohnabhängigen und ihrer Familien bewertet. Vorgeworfen werde dem politischen Establishment, die betrieblichen und sozialen Nöte eines »Großteils des Volkes« zu ignorieren, auch in Bezug auf die außerbetrieblichen Aspekte, die für die Lebensverhältnisse zentrale Bedeutung haben, also Wohnen, Gesundheit, Bildung, Rente und öffentliche Infrastruktur. Die Sparpolitik habe vieles heruntergewirtschaftet. Der staatliche Kontrollverlust werde bei Teilen der Belegschaften in einen Zusammenhang mit der Flüchtlingsbewegung gestellt – und das mit der völkischen Konnotation: »Die kriegen es, und wir müssen darben.«

Ergebnisse der Studie:

„Die geschilderten Zuspitzungen der Probleme in der Arbeitswelt lassen erkennen, dass zugleich ein sozialpartnerschaftliches Ordnungssystem aus den Fugen gerät. Der Kapitalismus als Leistungssystem basiert auf dem Versprechen: Wer seine Arbeit gut und effektiv macht und sich dafür qualifiziert hat, erhält ein (relatives) Wohlstands- und Sicherheitsversprechen – und wenn es gut läuft, auch ein Aufstiegsversprechen.“ Diese Versprechen gerieten unter die Räder eines Regimes, in dem „Wirtschaftlichkeit“ und „Effizienz“ das Primat haben. »Der Markt« trete an die Stelle der hierarchischen Kommunikation und dahinter verschwände die Qualität der Arbeit und die zugehörige Person. Die Wut aufgrund von Abstiegs- und Zukunftsängsten werde ans politische Establishment adressiert. Hierin liege der betrieblich-arbeitsweltliche Nährboden für rechtspopulistische Verarbeitungsformen.

„Gewerkschaften sind das einzige, das wir noch haben“, diese Auffassung überwiegt noch. Allerdings droht – laut Einschätzung der Autoren –, wenn sich der Rechtspopulismus der sozialen Frage annimmt und auf wohlfahrtsstaatliche und betriebliche Terrains vorrückt, die Erosion gewerkschaftlicher Macht, wenn es den Gewerkschaften nicht gelingt, diese Entwicklung zu bremsen. Hierzu gehört eine Interessenvertretung, die erfahrbar der Zuspitzung der arbeitsweltlichen Problemlagen entgegentritt. Ihr Fehlen berge Einfallstore für Rechtspopulismus.

Die einheitliche Devise der DGB-Gewerkschaften: „Klare Kante gegen Rechts und offene Tür“ (für Rückkehrende, die überzeugt werden konnten) ist nicht selbstverständlich umzusetzen. Rechtspopulistische Vorurteile sind weit verbreitet, es gibt fließende Übergänge von neoliberalen bis zu rechtsextremen Denkweisen.“ Stärkung von Vertrauensleuten durch Bildungsseminare, von Teamern, die befähigt werden müssen, mit rechten Vorurteilen und Provokationen umzugehen, Räume zu schaffen, in denen über das Tagesgeschehen reflektiert und sich ausgetauscht werden kann, Strukturen betriebsnaher Bildungsarbeit durch Bildungsobleute werden in den Gewerkschaften diskutiert ebenso wie Stammtischkämpfer*innen-Seminare, um gegen Rechts handlungsfähiger zu werden.

Die Studie hält fest: es gibt keinen Automatismus – das Pendel schlägt nicht zwangsläufig nach rechtsaußen!

Abb. (PDF): Cover. Dieter Sauer et al., Rechtspopulismus und Gewerkschaften, eine arbeitsweltliche Spurensuche. In Zus.arb. mit dem ISF München und Wissentransfer-Info, veröffentlicht im Februar 2018. Gefördert von der RLS Berlin und von transform! Europäisches Netzwerk für alternatives Denken und politischen Dialog.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors hier ein Text, der bereits am 28. Juni in der Reihe „Kurzinformationen“ des Bereich Strategie & Grundsatzfragen des Parteivorstands der Linken erschien. Inzwischen haben CSU und CDU in der Streitsache „Zurückweisung an den Grenzen“ eine Kompromissformel gefunden. Die strategische Streit „unilateral, national oder multilateral und liberal“ geht jedoch fort, und es bleibt auch die Aufgabe der Linken, auszubuchstabieren, was internationale Solidarität heißt, wenn sie auf dem Gebiet zwischenstaatlicher Beziehungen und Verträge geübt werden soll.